Hausarbeit Staatsrecht 2012

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AUS- UND FORTBILDUNGSINSTITUT DES LANDES SACHSEN-ANHALT Staatsrecht Dozent: Ulrich Brecht

Hausarbeit

Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages und wie das Bundesverfassungsgericht dieses Recht mit dem ESM-Urteil gewahrt sehen will – –

vorgelegt von:

Student:

Oliver Lindner

Studiengang:

Beschäftigtenlehrgang I

Geburtsdatum:

12.12.1974

Adresse:

Dorfstr. 34, 39175 Biederitz

Telefon-Nr.:

0151.23448531

E-Mail:

olindner@me.com

Blankenburg, den 01. November 2012


Inhalt 1 DAS BUDGETRECHT – DAS KÖNIGSRECHT DES PARLAMENTS .........1 2 DAS BUDGETRECHT DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES..........................2 2.1 DAS BUDGETRECHT DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES ..........................................................2 2.1.1 Das Budgetrecht im Art. 110 GG............................................................................2 2.1.2 Das Budgetrecht nach Art. 79 GG..........................................................................4

3 DIE EUROPÄISCHE KRISE UND DIE INSTRUMENTE................................5 4 DAS URTEIL DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS VOM 12. SEPTEMBER 2012.................................................................................................8 5 ZUSAMMENFASSUNG.......................................................................................10 6 ANHANG..................................................................................................................I 7 LITERATURVERZEICHNIS..............................................................................II

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Verzeichnis der Abkürzungen HA

Hausarbeit

AEUV-Vertrag

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

EFSF

Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (englisch European Financial Stability Facility)

ESM

Europäische Stabilitätsmechanismus (englisch European Stability Mechanism)

VSKS

Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion

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1. Das Budgetrecht – Das Königsrecht des Parlaments

1 Das Budgetrecht – Das Königsrecht des Parlaments Wer die Verfügungsmacht über die finanziellen Mittel des Staates inne hat, verfügt über den wesentlichen Teil der Macht. Nach dem Verfassungsrecht liegt daher die Budgethoheit im Bund und in den Ländern bei den Parlamenten. Die Legislative bekommt damit eine überragende verfassungsrechtliche Position gegenüber den anderen Staatsgewalten. Die Exekutive ist an einen genehmigten Haushalt gebunden und hat ihn bei allen haushaltsrelevanten Verwaltungshandlungen und –entscheidungen zu beachten. Mit dem Budgetrecht üben die Parlamente ihre wesentliche Regierungskontrolle aus. Während die heutige Verfassung dem Parlament weitreichende Befugnisse gibt, war dies in der Geschichte nicht immer so. Im Deutschen Reich hatte der Reichstag lediglich Befugnisse bei Gesetzgebungsverfahren sowie im Budgetrecht. Der Haushalt bedurfte zwar seiner Zustimmung, allerdings ohne Militärausgaben, die immerhin vier Fünftel der Reichsausgaben betrugen. Diese bewilligte der Reichstag für eine festgesetzte Heeresgröße zunächst für sieben, ab 1881 für fünf Jahre pauschal.1 Der in der Übergangszeit vom Absolutismus zur parlamentarischen Monarchie erkämpfte Vorbehalt der parlamentarischen Haushalts- und auch Steuerbewilligung, war ein erster wichtiger Schritt zur Republik. Das Budgetrecht gilt seitdem als „Kronjuwel“, als „Königsrecht“ des Parlaments. „Diese verbreitete wörtliche Bezugnahme auf die Monarchie, die unter dem Grundgesetz einerseits etwas unglücklich anmutet, verdeutlicht doch andererseits den Übergang der Budgetgewalt auf das Parlament besonders anschaulich“2. Mit der europäischen Integration und der Einführung „Neuer Steuerungsmodelle“ als Alternative zum kameralen Haushaushaltssystem kommt dieses Budgetrecht zunehmend unter Druck. Zudem werden zur Bewältigung der europäischen Finanz- und Bankenkrise erstmals sehr hohe Summen als Haftungsverpflichtungen für die Zukunft von den europäischen Staaten zur gegenseitigen Stützung bereit gestellt. Diese Hausarbeit beschreibt diese Herausforderung anhand des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012, in dem dieses „Königsrecht“ auch für die Zukunft gewahrt werden soll. 1

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Vgl. Website Deutsches Historisches Museum, http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/innenpolitik/verfassung/index.html [Stand: 26.10.2012] in Hanno Kube „Nationale Budgethoheit und Europäische Integration“; Archiv des öffentlichen Rechts, Band 137 (2012) S. 205–222

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2. Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages

2 Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages 2.1

Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages

Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages ist im Grundgesetz in einigen Artikeln fest verankert. Neben dem Grundrechtsartikel Art. 20 GG finden sich Quellen im Art. 38 GG, im Art. 110 GG und Art. 79 GG. Obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum ESM-Vertrag insbesondere auf den Art. 38 GG abstellt, sollen hier die beiden Artikel aus dem Grundgesetz erläutert werden, die sich originär mit dem Haushaltsrecht beschäftigen. 2.1.1

Das Budgetrecht im Art. 110 GG

Während sich die Artikel 104a–109 GG mit der Finanz- und Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern beschäftigen, ist Art. 110 GG die Kernvorschrift für das Haushaltsrecht des Bundes. Er gilt also nicht für das Haushaltsrecht der Länder und Gemeinden. Trotzdem gibt es mittelbare Auswirkungen auf die Länder. Die gemäß Art. 109 Abs. 3 GG vom Bundesgesetzgeber geregelten gemeinsamen Grundsätze für das Haushaltsrecht des Bundes und der Länder können nichts von Art. 110 GG Abweichendes bestimmen. Im Übrigen bestehen vielfältige finanzielle Verflechtungen zwischen den Ebenen des föderativen Staates, so dass sich auch über diese Verflechtungen Einwirkungen des Bundeshaushalts auf die Länderhaushalte ergeben. Die Kernvorschrift des Art. 110 GG gibt eine Aussage über das Wesen des Haushaltsplanes nach Bundesrecht. Es umfasst die wichtigsten Grundsätze des Haushaltsrechts und enthält auch einige haushaltstechnische Angaben. Diese werden damit in den Rang von Verfassungsvorschriften erhoben. Art. 113 und 114 GG machen deutlich, dass neben dem Parlament die Bundesregierung eine zentrale Verantwortung für den Haushaltsplan hat. Sie ist das Verfassungsorgan, das entsprechend seiner politischen Leitungsaufgabe auch im Bereich des Haushaltsrechts als bestimmendes Organ der Exekutive dem Bundestag gegenübersteht. Art. 115 GG stellt schließlich sicher, dass die Bundesregierung nicht über die Kreditaufnahme und Kreditgewährung im weitesten Sinne das Budgetrecht des Parlaments aushöhlen oder umgehen kann. Nach Art. 110 GG ist es die wichtigste Aufgabe des Haushaltsrechts, das Budgetrecht des Parlaments zu gewährleisten. Außerdem geht es um eine wirksame Planung,

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2. Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages Verwaltung und Kontrolle der öffentlichen Finanzen und damit um die Vorsorge für eine geordnete und wirtschaftliche Haushaltsführung. Art. 110 GG legt außerdem fest, dass der Haushaltsplan nur per Gesetz aufgestellt werden kann. Andere Möglichkeiten, wie auf dem Verordnungswege durch die Bundesregierung scheiden aus. Aus Art. 110 Abs. 2 und 3 GG folgt, dass der Bundeshaushalt nur als Regierungsvorlage eingebracht werden kann und nicht durch Gesetzentwurf des Bundestages oder Bundesrates. Dem ausschließlichen Recht der Regierung zur Budgetinitiative entspricht jedoch auch die Pflicht, den Haushaltsentwurf rechtzeitig im Parlament einzubringen, dass er vor Beginn des Rechnungsjahres verabschiedet werden kann. Dies folgt aus der grundlegenden Bedeutung des parlamentarischen Budgetrechts, wonach die Exekutive für ihre Ausgaben der Ermächtigung durch den Haushaltsgesetzgeber bedarf3. Der Bundestag ist nicht wie bei anderen Gesetzen frei, ob und wann er über das Haushaltsgesetz und den Haushaltsplan beschließt. Alle Verfassungsorgane sind verpflichtet, daran mitzuwirken, dass der Haushaltsplan vor Beginn des Haushaltsjahres oder, falls dies nicht möglich ist, alsbald danach verabschiedet wird. Der Bundestag hat also innerhalb angemessener Frist über die Haushaltsvorlage zu entscheiden4. Der Bundestag hat jedoch nicht das Recht, nur bestimmte notwendige Teile des Haushaltsentwurfs (z.B. den Verteidigungshaushalt oder den Haushalt des Bundeskanzlers) abzulehnen, den Haushaltsplan aber im übrigen festzustellen. Sieht sich die Regierung dazu nicht in der Lage oder sieht sie aus anderen Gründen keine Möglichkeit, eine Mehrheit für einen von ihr vorgelegten Haushaltsentwurf zu bekommen, bleibt nur die Möglichkeit, die Vertrauensfrage nach Art. 68 zu stellen oder zurückzutreten, um den Weg für eine mehrheitsfähige Regierung freizumachen5. Verabschiedet der Bundestag das Haushaltsgesetz einschließlich des Haushaltsplans, so erfolgt wie bei jedem anderen Gesetz nach Art. 77 Abs. 1 die Zuleitung an den Bundesrat. Hinsichtlich des dann folgenden Verfahrens im Bundesrat ergeben sich keine Besonderheiten gegenüber sonstigen Gesetzen. Der Bundesrat ist ebenso wie der Bundestag in seinen Entscheidungen frei. Er kann daher auch den Vermittlungsausschuss anrufen mit dem Ziel, entweder den Gesetzesbeschluss des Bundestages ganz aufzuheben oder einzelne Ansätze der Haushaltsvorlage zu ändern. Das Haushaltsge-

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Vgl. Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 65. Ergänzungslieferung 2012 ebd. ebd.

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2. Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages setz einschließlich des Haushaltsplanes bedarf jedoch nicht der Zustimmung des Bundesrates, sondern der Bundesrat hat nur die Möglichkeit des Einspruchs. Der Haushaltsplan enthält demnach keine Verpflichtung, sondern nur die Ermächtigung, die in den Titeln ausgebrachten Beträge für die festgelegten Zwecke auszugeben. In diesem Sinne hat der Haushaltsplan Rechtswirkungen zwischen Legislative und Exekutive; denn mit der Ermächtigung wird gleichzeitig festgestellt, dass die Exekutive die Ausgaben ohne den Haushaltsplan nicht leisten darf. Außerdem enthält der Haushaltsplan das Verbot, Ausgaben über die einzelnen Haushaltsansätze hinaus oder für andere Zwecke zu leisten. Ausnahmen sind nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen der Art. 111 und 112 GG zugelassen. Zusammenfassend kann man den Haushaltsplan als einen „staatsleitenden Hoheitsakt in Gesetzesform“6 bezeichnen. Der Haushaltsplan ist eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik. Er wird von der Regierung entworfen, von der Volksvertretung beschlossen und dann wiederum von der Regierung vollzogen. 2.1.2

Das Budgetrecht nach Art. 79 GG

Der in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG niedergelegte Grundsatz der Gewaltenteilung legt die Grundsätze des Rechtsstaats und der Demokratie fest. Konkret wird es bei den daraus folgenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Steuerung von Staatshandeln und die gerichtliche Kontrolle von Eingriffen in die Rechtsstellung des Einzelnen. Das Demokratieprinzip wirkt auf die Verteilung und Verschränkung von Funktionen im Verhältnis von Legislative und Exekutive ein. 7 So hat der verfassungsändernde Gesetzgeber bei einer unmittelbaren demokratischen Legitimation der Spitze der vollziehenden Gewalt (bspw. im Präsidialsystem) ganz andere Optionen als im Rahmen des bestehenden parlamentarischen Systems. Als Ordnungsprinzip verlangt die Gewaltenteilung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, dass die Funktion der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung jeweils unterschiedlichen Zweigen der Staatsorganisation zugewiesen werden. Grundsätzlich wird diesem Gedanken entsprochen solange diese drei Staatsgewalten bei unterschiedlichen Organen konzentriert sind. 6 7

Zitat nach Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 65. Ergänzungslieferung 2012 Vgl. Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 65. Ergänzungslieferung 2012

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2. Das Budgetrecht des Deutschen Bundestages Der Schlüssel für die Machtbalance zwischen den Gewalten liegt im Begriff der „Gesetzgebung“. Denn der Zugriff des Gesetzgebers auf bestimmte Regelungskomplexe bestimmt das Maß ausführender und richterlicher Bindungen (Art. 20 Abs. 3 GG)8. Der Gewaltenteilungsgrundsatz lässt aber auch beachtliche Verschiebungen der gegenwärtigen Funktionsordnung zu. Zum Beispiel schützt Art. 79 Abs. 3 GG die Exekutive nicht vor erweiterten Befugnissen des Parlaments etwa bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt (Kündigung von Verträgen, Erklärung von Vorbehalten, Anerkennung von Staaten oder Regierungen), sofern das Leitbild exekutiver Eigenverantwortung nicht im Nerv getroffen wird. Umgekehrt bleibt die Zurückdrängung parlamentarischer Einflussnahme in einzelnen Bereichen eine Option des verfassungsändernden Gesetzgebers. Fest verankert mit dem Parlament, als dem Hauptorgan der gesetzgebenden Gewalt, bleibt aber das Budgetrecht.

3 Die europäische Krise und die Instrumente Mit der Pleite der amerikanischen Bank Lehman Brothers 2008 begann eine weltweite Bankenkrise, die sich in der Folge zu einer europäischen Staatsschulden- oder Eurokrise entwickelte. Eine erste Reaktion hierauf war die Gründung eines temporären Rettungsschirms EFSF der Euro-Staaten. Trotz der Gründung des EFSF im Juni 2010 setzte sich die Staatsschuldenkrise im Euroraum allerdings weiter fort. Neben Griechenland waren auch Irland und Portugal betroffen. Wegen der absehbar zu frühen Beendigung des EFSF im Juni 2013 wurden Forderungen lauter, einen dauerhaften Mechanismus für Krisenfälle zu etablieren. Nachdem verschiedene Vorschläge, wie die Einführung sogenannter Eurobonds oder die Einrichtung einer Staateninsolvenzordnung von mehreren Staaten abgelehnt worden waren, beschlossen die Regierungschefs der Euro-Gruppe auf dem Gipfel des Europäischen Rates am 16./17. Dezember 2010, den Art. 136 AEU-Vertrag zu erweitern. Diese Vertragsänderung wurde am 2. Februar 2012 von den Botschaftern der Euro-Staaten unterzeichnet9. Die EFSF, eine von den 17 Mitgliedstaaten der Euro-Zone gegründete privatrechtliche Gesellschaft, leistet Stabilitätshilfe an andere Euro-Staaten. Dafür stehen ihr nach einer Änderung des grundlegenden EFSF-Rahmenvertrags fünf Finanzhilfeinstrumente zur Verfügung: Darlehen, Darlehen gezielt zur Rekapitalisierung von Banken, vorsorg8 9

Vgl. Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 65. Ergänzungslieferung 2012 Vgl. Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Stabilit%C3%A4tsmechanismus

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3. Die europäische Krise und die Instrumente liche Fazilitäten (Bereitstellung vorsorglicher Kreditlinien, die bei Bedarf gezogen werden können), Staatsanleihekäufe am Primärmarkt (direkt von dem ausgebenden Mitgliedstaat), Staatsanleihekäufe am Sekundärmarkt (Ankauf schon gehandelter Staatsanleihen)10. Die Entscheidungen, u.a. über die Gewährung der Finanzhilfen, werden vom Vorstand der EFSF getroffen, in dem jeder Mitgliedstaat durch ein von der Regierung bestelltes Mitglied vertreten ist. Das „Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ (StabMechG) enthält neben der Ermächtigung zur Übernahme von Gewährleistungen für die EFSF durch Deutschland auch Regelungen über die Beteiligungsrechte des Bundestages vor Abstimmungen im Vorstand der EFSF. Es wurde am 9. Oktober 2011 geändert, um es an den geänderten EFSF-Rahmenvertrag anzupassen und einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 2011 zu entsprechen. In der geänderten Fassung sieht das Gesetz eine abgestufte Beteiligung des Bundestages vor: In allen Fällen, die die - vom Bundesverfassungsgerichts in seinem ersten Urteil geprägte - „haushaltspolitische Gesamtverantwortung“ des Bundestages berühren, darf der Regierungsvertreter im Vorstand der EFSF einem Beschlussvorschlag nur zustimmen, wenn vorher der gesamte Bundestag (kein Ausschuss) hierzu einen Beschluss gefasst hat. Am 9. Dezember 2011 haben die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone vereinbart, Schritte in Richtung auf eine stärkere Wirtschaftsunion zu unternehmen, einschließlich eines neuen fiskalpolitischen Pakts und einer verstärkten wirtschaftspolitischen Koordinierung, die durch einen Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (VSKS) umzusetzen sei 11. Der VSKS soll dazu beitragen, eine engere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone zu entwickeln, um eine dauerhafte, gesunde und stabile Verwaltung der öffentlichen Finanzen zu gewährleisten und so eine der Hauptursachen der finanziellen Instabilitäten anzugehen. Parallel zum VSKS-Vertrag wurde der ESM-Vertrag verhandelt. Der ESM-Vertrag und der VSKS-Vertrag sollen sich gegenseitig bei der Verstärkung der haushaltspolitischen Verantwortlichkeit innerhalb der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ergänzen: Der ESM ist „Ausdruck der Solidarität inner-

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Vgl. Deutscher Bundestag – Wissenschaftlicher Dienst - Aktueller Begriff – Europa - Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „EFSF-Sondergremium“ des Deutschen Bundestages Vgl. Website EU-Kommission http://www.eurozone.europa.eu/media/582866/02-tesm2.de12.pdf

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3. Die europäische Krise und die Instrumente halb der Europäischen Union, aber auch des Willens zur gemeinschaftlichen Selbstbehauptung in der internationalen Umwelt.12“ Die Entscheidungsstrukturen beim ESM sind ähnlich dem EFSF. Der ESM besteht aus einem Gouverneursrat, einem Direktorium mit einem Geschäftsführenden Direktor. Der Gouverneursrat wird aus den für Finanzen zuständigen Vertretern der ESMMitgliedsländer gebildet. Jedes Mitgliedsland ernennt ein Mitglied des Gouverneursrats. Der Gouverneursrat ist beschlussfähig, wenn zwei Drittel der stimmberechtigten Mitglieder des Gouverneursrats, auf die insgesamt mindestens zwei Drittel der Stimmrechte entfallen, anwesend sind. Der Gouverneursrat wäre also auch ohne deutsche Anwesenheit beschlussfähig gewesen. Ein Beschluss galt sogar auch ohne Beteiligung Deutschlands als „in gegenseitigem Einvernehmen“ angenommen, wenn die übrigen Mitglieder entweder zugestimmt oder sich enthalten haben. Beschlüsse, für die eine qualifizierte Mehrheit von 80 Prozent der Stimmen erforderlich ist, hätte Deutschland verhindern können, da Deutschland einen Anteil von 27,1464 Prozent des Gesamtstimmengewichts (= der Kapitaleinsatzes) aufweist. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum ESM-Vertrag wurde mit einer Zusatzerklärung die Position Deutschlands und des Deutschen Bundestages aber gestärkt. Der permanente Rettungsfonds des ESM soll über 700 Milliarden Euro verfügen können. 80 Milliarden Euro werden als Eigenkapital in bar von den Anteilseignern, also den 17 Staaten der Euro-Zone, eingezahlt. Die restlichen 620 Milliarden Euro sind Garantien oder Bürgschaften, die die Staaten unwiderruflich zusagen. Die ausleihbare Summe wird bei rund 500 Milliarden Euro liegen, weil bestimmte Mittel als Sicherheit zurückgehalten werden. Das Eigenkapital in Höhe von 80 Milliarden Euro wollen die Staaten in fünf Raten einzahlen. Der Anteil Deutschlands am Eigenkapital liegt bei 23 Milliarden Euro13. Der ESM-Vertrag musste von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Die Bundesregierung hat die hierfür erforderlichen Gesetze, nämlich das ESM-Ratifizierungsgesetz, das ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) und eine Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes auf den Weg gebracht. Nach der Verabschiedung des Zustimmungsgesetzes dieser Gesetze durch Bundestag und Bundesrat gingen mehrere Anträge auf einstweilige Anordnung beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Anträge waren darauf 12

Zit. nach Michael Staack (Hrsg.), in: , Einführung in die Internationale Politik. Studienbuch, 5. Auflage, Oldenbourg Verlag, München 2012, S. 256

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Vgl. Website Deutsche Welle, http://www.dw.de/neuer-rettungsfonds-soll-m%C3%A4rkte-beruhigen/a-16052925

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3. Die europäische Krise und die Instrumente gerichtet, dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung über die jeweilige Hauptsache zu untersagen, die beschlossenen Gesetze zu unterzeichnen und auszufertigen. Kritisiert wird vor allem, dass der Bundestag Zuständigkeiten im Bereich des Bundeshaushalts an ein nicht durch direkte Wahlen legitimiertes Gremium abtritt.

4 Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 Die Kläger haben unter Berufung auf Art. 38 GG eine Verletzung der durch das Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2, Art. 79 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich verankerten haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages geltend gemacht. Am 12. September 2012 gaben die acht Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter in ihrem einstimmigen Urteil bekannt, dass der ESM-Vertrag nicht, wie von den Klägerinnen und Klägern behauptet, gegen das Grundgesetz verstößt. Der ESMVertrag war somit grundsätzlich ratifizierbar. Sie gaben aber drei zentrale Auflagen auf: Die Haftungsgrenze Deutschlands in Höhe von 190 Mrd. Euro kann nur mit einer „erneuten konstitutiven Entscheidung“ des Bundestages geändert werden. Das bedeutet, dass der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat nur mit der Zustimmung des Parlaments einer Erhöhung der Haftungssumme zustimmen kann. Die obersten Richterinnen und Richter beziehen sich hierbei u.a. auf Artikel 8 Absatz 5 des ESM-Vertrages, der besagt, dass „die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds (…) unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt (bleibt).“ Für Deutschland beträgt die Obergrenze derzeit 190 Mrd. Euro. Zweitens: Der Deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat muss Bundestag und Bundesrat umfangreiche Informationsrechte einräumen, diese dürfen nicht mit dem Hinweis der Vertraulichkeit verwehrt werden. So darf „die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages“ nicht mit dem Verweis auf die „berufliche Schweigepflicht“ etwa durch die Mitglieder des Gouverneursrats oder des Direktoriums eingeschränkt werden. Drittens: Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass die Gestaltungsverantwortung bei der Politik liegt, d.h. bei Bundestag und Bundesregierung. Das

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4. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil fest: „Das angegriffene Zustimmungsgesetz zum ESM-Vertrag trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages im Wesentlichen Rechnung.“14 Das Gericht stellt auch ausdrücklich auf die Summe der von Deutschland garantierten Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro ab: „Die Beurteilung des Gesetzgebers, dass mit der Zurverfügungstellung der deutschen Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus noch überschaubare Risiken eingegangen würden, während ohne die Gewährung von Finanzhilfen durch den ESM nicht absehbare, schwerwiegende Konsequenzen für das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem drohten, überschreitet seinen Einschätzungsspielraum nicht und ist vom Bundesverfassungsgericht daher hinzunehmen.“15 Auch beim Zustimmungsgesetz zum sog. Fiskalvertrag (VKSV) sieht das Gericht keine Verletzung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages. „Der Regelungsgehalt des Vertrages, dessen Ziel die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Förderung der Haushaltsdisziplin ist, deckt sich weitgehend mit den bereits bestehenden Vorgaben der „Schuldenbremse“ des Grundgesetzes (Art. 109, 115 und 143d GG) und den haushaltsspezifischen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.“16 Im Grunde hat das Bundesverfassungsgericht beim ESM keine verfassungsrechtlichen Bedenken geäußert und blieb sich damit seiner Linie analog dem EFSF-Urteil treu. Allerdings wurden mit den Auflagen eine Ausweitung des ESM ohne weitere Beteiligung des Deutschen Bundestages verhindert. Es gibt also keine automatische Vergrößerung des Rettungsschirms, die allein die Exekutive veranlassen kann. Das Gericht hat damit nur die Rolle des Parlaments gestärkt ohne den ESM insgesamt in Frage zu stellen. Der ESM-Vertrag wurde um eine Protokollerklärung Deutschlands und der übrigen Vertragsstaaten ergänzt, die zusammen mit der Ratifikationsurkunde hinterlegt wurde. Die Wiener Vertragsrechtskonvention über zwischenstaatliche Verträge sieht vor, dass Staaten solche Vorbehalte unter festgelegten Voraussetzungen äußern dürfen dem müssen die anderen Vertragspartner zustimmen. Im Rahmen der Europäischen Union ein durchaus übliches Verfahren. Der Bundespräsident hatte demzufolge die 14 15 16

s. Pressemitteilung des BverfG vom 12.09.2012 s. Pressemitteilung des BverfG vom 12.09.2012 Ebd.

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4. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. September 2012 Zustimmungsgesetze erst nach dem einen entsprechenden völkerrechtlichen Vertragsvorbehalt (Vorbehaltserklärung) durch die Bundesregierung am 27.09.2012 ausgefertigt.

5 Zusammenfassung Nachdem die Parlamente - in den sich entwickelten Demokratien - der Exekutiven das Budgetrecht abgetrotzt haben, ist es in seiner Wirkung permanent gefährdet. Ein anderes Haushaltssystem, politische Ausgabenfestlegungen für bestimmte Einnahmen, Bildung von Fonds oder Stiftungen können das Haushaltsrecht des Parlamentes zumindest einschränken. Die weitreichenden und umfassenden Haftungszusicherungen im Rahmen des ESM-Vertrages sind nicht unkritisch zu sehen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber unter bestimmten Bedingungen diese Verpflichtung für rechtens erklärt. Im Grunde konnten das Gericht auch nicht anders entscheiden. Wie sonst könnte eine Gemeinschaftswährung und die weitere Integration Europas organisiert werden? Die nationalen Parlamente geben immer mehr Kompetenzen nach Brüssel ab – es ist nur logisch, dass in einem gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftsraum auch das Budgetrecht national verändert wird. Unbestritten ist, dass die europäische Integration die größte Herausforderung für das nationale Budgetrecht ist. „Die Problematik fällt ebenso durch das Raster der überkommenen, den Regelfall erfassenden haushaltsverfassungsrechtlichen Sicherungen demokratischer Legitimation. Denn Art. 110 Abs. 2 und vor allem Art. 115 Abs. 1 GG sehen die vorherige parlamentsgesetzliche Ermächtigung zu exekutiven Gewährleistungsübernahmen vor; nicht weniger, aber auch nicht mehr. In einer Welt risikoarmer Hermes-Bürgschaften war dies unproblematisch, ebenso wie die fehlende verfassungsrechtliche Begrenzung möglicher Gewährleistungsübernahmen der Höhe nach. Die Risiken, die im Rahmen der EFSF und des ESM begründet werden, sind aber von ganz anderer, bislang unbekannter Dimension. Dies legt eine Legitimationsgrundlage nahe, die über die in Art. 115 Abs. 1 GG verlangte Legitimationsgrundlage, das vorherige Ermächtigungsgesetz, hinausgeht.“17 Es wird also eine dringende politische Aufgabe sein, nicht nur eine Einzelfallregelung, wie beim EFSF und ESM, zu treffen, sondern solche Politiken auch inhaltlich 17

Zitat nach Hanno Kube, „Nationale Budgethoheit und Europäische Integration“, Archiv des öffentlichen Rechts, Band 137 (2012) S. 205–222

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5. Zusammenfassung grundsätzlich zu klären und damit für ein angemessenes Gleichgewicht der Gewalten zu schaffen. Es gilt dabei die nationalen Gewalten genauso wie die europäischen Akteure der Gewaltenteilung sinnvoll zu betrachten. Schließlich lässt sich aber festhalten, dass die Gewaltenteilung in Deutschland gut funktioniert hat. Das Bundesverfassungsgericht hat eine rechtliche Überprüfung des ESM-Vertrages vollzogen ohne eine inhaltlich politische Würdigung vorzunehmen. Dies ist die Aufgabe von Legislative und Exekutive und muss im Rahmen einer politischen Debatte geschehen. Das Gericht, das haben die Verfassungsrichter auch mehrfach festgestellt, ist kein Ersatz für politische Entscheidung und politischer Verantwortung des Parlaments und der Regierung.

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6. Literaturverzeichnis

6 Literaturverzeichnis 1. Aus Politik und Zeitgeschichte „Schuldenkrise und Demokratie“, 13/2012 vom 26. März 2012, Bundeszentrale für Politische Bildung 2. Deutscher Bundestag – Wissenschaftlicher Dienst - Aktueller Begriff – Europa - Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „EFSF-Sondergremium“ des Deutschen Bundestages 3. Hanno Kube, „Nationale Budgethoheit und Europäische Integration“, aus Archiv des öffentlichen Rechts, Band 137 (2012) S. 205–222, 2012 Mohr Siebeck – ISSN 0003-8911 4. Mayer, Heidfeld: Eurobonds, Schuldentilgungsfonds und Projektbonds – Eine dunkle Bedrohung? ZRP 2012 5. Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 65. Ergänzungslieferung 2012 6. Dr. Dirk von Selle, „Parlamentarisches Budgetrecht und Haushaltsuntreue in Zeiten Neuer Steuerungsmodelle“, JZ 04/2008

Internetquellen: 1. Website Deutsche Welle, http://www.dw.de/neuer-rettungsfonds-soll-m%C3%A4rkte-beruhigen/a-16052925 2. Website EU-Kommission http://www.eurozone.europa.eu/media/582866/02tesm2.de12.pdf 3. Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ischer_Stabilit%C3%A4tsmechanismus

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