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Serie juristische Begriffe – Präzedenzfall
Mag. Alexander MEIXNER Vorstand ÖVM

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Quellen:
Österreichisches Rechtswörterbuch; Svinger/Winkler; Verlag Manz www.justiz.gv.at www.oesterreich.gv.at
Serie Juristische Begriffe
Präzedenzfall
Oftmals findet sich in Schreiben von Versicherungsunternehmen folgende oder ähnliche Formulierung: „Die Entschädigung erfolgt ohne Anerkennung einer Rechtsverpflichtung und ohne Präjudiz.“
Was bedeutet das?
„Ohne Präjudiz“ bedeutet, dass ein strittiger Anspruch zwar teilweise erfüllt wird, damit aber nicht die Anerkennung dieses Anspruches im Sinne eines Schuldeingeständnisses zu verstehen ist. „Ohne Präjudiz“ erfolgt z. B. eine Versicherungsleistung in Kulanz, um zu betonen, dass zukünftige ähnliche Ereignisse unabhängig von diesem Fall betrachtet werden müssen.
Ein Präzedenzfall (oder auch Präjudiz) beschreibt einen juristischen Fall, dessen Entscheidung sich zum Maßstab anderer Fälle entwickelt hat.
Präzedenzfall im Common Law
Die größte Rolle spielen Präzedenzfälle im Common Law. Die dortige Rechtsprechung basiert unter anderem auf der Bindung an frühere Gerichtsentscheidungen. Die gerichtliche Entscheidung wird selbst Teil des Rechtssystems und ist Grundlage für weitere Urteile. Präzedenzfälle binden vor allem rangniedrigere Gerichte (Bindungswirkung).
Präzedenzfall im Civil Law
Der kontinentaleuropäische Rechtskreis folgt dagegen dem positivistischen Ideal des „Legizentrismus“, d. h. dem Primat des Gesetzes gegenüber der Rechtsprechung. Die Richter sind bei der Entscheidungsfindung dem Gesetz unterworfen und nicht den Entscheidungen anderer Gerichte. Von einem Präzedenzfall kann man allenfalls dann sprechen, wenn ein Obergericht in einem Urteil Grundsätzliches zur Auslegung eines Gesetzes festlegt. Entscheidend ist aber, dass auch künftig das Gesetz angewandt wird und die Präzedenz hierzu nur eine Auslegungshilfe bietet. Andere Gerichte werden durch Präzedenzfälle selbst nicht gebunden. Deshalb spricht man in Deutschland in der Regel nicht von Präzedenzfällen, sondern von Grundsatzentscheidungen.
Eine Ausnahme bilden bestimmte Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes, wenn sie Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit aufheben und/oder vorübergehend eine ersetzende Regelung treffen.
Präzedenzfälle sind auch bedeutsam für das Handeln der staatlichen Verwaltung: Liegt ein Ermessensentscheid vor, der nicht gerichtlich angefochten wurde oder vor Gericht Bestand hatte, können sich andere darauf berufen und der Präzedenzfall wird zum Maßstab zukünftigen Handelns.

Wenn die Schadenzahlung auf sich warten lässt!
Wann der Versicherer eine Geldleistung zu erbringen hat ist im § 11 VersVG unmissverständlich festgelegt. Die Fälligkeit entsteht demnach (unmittelbar!) mit Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der Leistung des VR nötigen Erhebungen. Verzögerungen in der Schadenabwicklung, die durch das Verschulden des VN entstehen, können selbstverständlich nicht dem VR angelastet werden. Ein derartiges Verschulden des VN liegt etwa vor, wenn dieser erforderliche Auskünfte schuldig bleibt oder angeforderte Unterlagen nicht beibringt. Diesbezügliche, gesetzliche Obliegenheiten sind ohnehin bereits in den §§ 33, 34 VersVG normiert. In der Praxis kommt es aber leider häufig zu Verzögerungen bei den Zahlungen der Versicherungsleistung an den Versicherungsnehmer, die der Sphäre des Versicherers zuzurechnen sind. Dabei möchte ich keinesfalls einen „versteckten“ Vorwurf formulieren, wonach VR Zahlungen etwa in unredlicher Absicht verzögern. Hier geht es um jene Fälle, in denen der VR etwa wegen Personalmangel (Urlaubszeit, Krankheiten etc.) oder wegen Überlastung der beauftragten Sachverständigen keine umgehende Schadenerledigung gewährleisten kann.
Fälligstellung einer Abschlagszahlung
Auch wenn sich derartige Verzögerungen manchmal nicht vermeiden lassen, so dürfen diese trotzdem nicht zum Nachteil des VN werden, der seinerseits zur pünktlichen Zahlung der Prämien verpflichtet ist. Daher ist in diesem Zusammenhang auf die Bestimmung des § 11 (2) VersVG hinzuweisen, der den VR verpflichtet eine Abschlagszahlung (die nach Lage der Sache mindestens zu zahlen ist) zu leisten. Eine solche Abschlagszahlung muss aber vom VN angefordert werden! Der VN muss also aktiv werden und gegenüber dem VR eine - wenngleich formfreie - Forderung äußern. Der Anspruch des VN auf die Abschlagszahlung wird mit dem Zugang seines Verlangens beim VR fällig. Dem Versicherer ist ab Erhalt dieser Forderung nur noch eine kurze Bearbeitungsdauer für die Veranlassung der Auszahlung an den VN zuzugestehen. Danach wäre der VR mit der Abschlagszahlung in Verzug. Nachdem aber der VN diese Bestimmung in den meisten Fällen gar nicht kennt, ist es Aufgabe des Versicherungsmaklers – im Sinne des § 28 (6) MaklerG – das Recht des VN anzusprechen und die Abschlagszahlung fällig zu stellen. Der VR kann die Leistung einer Abschlagszahlung nur verweigern, wenn und solange die Beendigung der Erhebungen infolge eines Verschuldens des VN gehindert ist (§ 11 (3)) VersVG.
Stellt sich heraus, dass die vom VR geleistete Abschlagszahlung irrtümlich erfolgte, grundsätzlich ungerechtfertigt oder höher als der tatsächliche Schaden war, kann der VR die erbrachte Leistung gemäß § 1431 ABGB (= Zahlung einer Nichtschuld) zurückfordern. Für diese Umstände ist der VR beweispflichtig.

Verzug des VR und Zinsanspruch des VN
Erbringt der VR die Geldleistung bzw. die angeforderte Abschlagszahlung nach Eintritt der Fälligkeit nicht, so gerät er in Verzug. Auf diesen Umstand bezieht sich auch der § 11 (4) VersVG. Nachdem das VersVG zum Verzugszins keine weiteren Regelungen vorsieht, sind die Bestimmungen der §§ 918 ff ABGB anzuwenden. Die Höhe des Verzugszinses ist abhängig von der Eigenschaft des VN im Verhältnis zum betroffenen Versicherungsvertrag. Handelt es sich beim VN um einen Verbraucher i.S. des KSchG beträgt der gesetzliche Verzugszins 4 % (§ 1000 (1) ABGB). Steht der Verzugszins jedoch einem Unternehmer zu, so beträgt der gesetzliche Verzugszins 9,2 % über dem Basiszins (§ 456 UGB).
Unbegründete Ablehnung des VR und Zinsanspruch
Wenn der VR eine Leistungspflicht ablehnt, so bedeutet dies letztlich ebenfalls, dass der VR seine Erhebungen abgeschlossen hat. Sollte sich herausstellen, dass diese Ablehnung unbegründet war, so ist die Fälligkeit der Versicherungsleistung dennoch bereits mit dieser Ablehnung eingetreten. Dem VN steht in diesem Fall der bereits beschriebene Zinsanspruch ab dem Datum der unbegründeten Ablehnung des VR zu.
Gerhard VEITS ÖVM – Vorstand