P ROGRAMM UND I DEOLOGIE
hafte Überzeugungen aus, denen zufolge in-
aktualisiert, die zunächst einmal Teil des klas-
haltliche Differenzen „immer wieder für kon-
sischen Konflikts zwischen Staat und Bürger
krete Entscheidungen relevant sind oder […]
um individuelle oder kollektive Freiheitsrechte
auf ideologische Dimensionen mit abstrakterer
sind. Ihre Forderungen, Staatsbürgerrechte zu
Bedeutung rückführbar sind und […] die Ab-
erweitern, die Neutralität des Staatswesens zu
stimmenden/Wähler immer wieder in die glei-
betonen, individuelle Freiheitsrechte zu si-
chen Gruppen von Befürwortern und Gegnern
chern und sich auf eine in Teilen radikale lai-
zerfallen“ (Pappi 2005: 104). Je nach Herange-
zistische Haltung zu berufen, verweisen hierbei
hensweise werden unterschiedlich viele Kon-
zweifelsohne auf eine liberale Grundhaltung.
fliktdimensionen ausgemacht.
Die gleichzeitige Betonung von Zukunftschan-
Alle Parteien, die sich in den europäischen
cen durch Bildung und Vernetzung legt auch
Parteiensystemen dauerhaft etablieren konn-
eine sozialliberale Orientierung nahe. Schlüs-
ten, haben in mindestens einem Konflikt
selbegriffe wie Demokratie oder Freiheit zäh-
zunächst einen Pol prononciert besetzt: Die
len jedenfalls zweifelsohne zum Markenkern
Sozialdemokraten vertraten die Interessen der
des Sozialliberalismus wie auch der Piraten-
Arbeiter gegenüber den Kapitaleignern. Zen-
partei (Hönigsberger/Osterberg 2012: 19).
trumsparteien waren die Repräsentanz der Ka-
Hinweise, wonach etwa das Grundeinkom-
tholiken gegen den säkularen Staat. Konserva-
men als Antithese zum Sozialliberalismus zu
tive Parteien traten für die Interessen der Land-
deuten wäre (Hensel/Klecha/Walter 2012: 52;
bevölkerung gegen diejenigen der Städter ein.
Offe 2007), werden jedoch von der Partei geflis-
Grüne Parteien ergriffen Partei für postmateri-
sentlich ignoriert. Auch Widersprüche zwi-
elle Anliegen und stellten sich gegen die Indus-
schen der gesellschaftlichen und ökonomi-
trie- und Konsumgesellschaft. Darüber hinaus
schen Konfliktdimension existieren: Jedenfalls
haben Parteien dann in anderen Konfliktdimen-
sind die positiven Bezugnahmen auf Friedrich
sionen nach und nach Positionen bezogen oder
von Hayek (Hönigsberger/Osterberg 2012: 26)
sich mit anderen Parteien zu einer gemeinsa-
nicht einmal ansatzweise als sozialliberal zu
men Partei verbunden.
deuten. Zudem sind die Grundansichten der Pi-
Im historischen Vergleich wird deutlich,
raten hinsichtlich des immateriellen Eigentums
dass die Piratenpartei keine neue Konfliktlinie
eher anarchistischen als liberalen Ursprungs.
besetzt beziehungsweise sich mitnichten an-
Nun sind die vorherrschenden liberalen
hand eines neuen gesellschaftlichen Cleava-
Grundüberzeugungen der Piraten keineswegs
ges konstituiert hat. Bestenfalls könnte der
überraschend, wurden ihre Mitglieder doch
schleichende, aber stetige Übergang zum Inter-
mehrheitlich in der Blütephase des Neolibera-
netzeitalter noch eine neue Konfliktdimension
lismus sozialisiert. Das Versprechen von Frei-
hervorbringen. Zudem hat die Piratenpartei
heit fiel bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Die
größtenteils Fragestellungen aufgegriffen und
bürgerrechtlichen Positionen ließen sich eben-
Kein neues Cleavage
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