O RGANISATION DER P IRATEN
Dabei verschwieg er geflissentlich, dass be-
fensichtlich begrenzen wollen, haben sich nun
reits durch die Abstimmung der Tagesordnung
als Strömung unter dem Namen „Frankfurter
diese Anträge voraussichtlich nicht mehr auf-
Kollegium“ zusammengeschlossen (Becker
gerufen würden.
2012b). Es bleibt freilich abzuwarten, ob sie
Derartige Interventionen gerade der Berliner Piraten sind immer wieder zu beobachten.
künftig ihrerseits eine erfolgreiche Personalund Patronagepolitik betreiben können.
Sie unterstützen mit Verve bestimmte inhaltli-
Derartige Entwicklungen erinnern in eini-
che Forderungen oder drängen mit Nachdruck
ger Hinsicht an das Phänomen der „Tyrannei
auf organisatorische Veränderungen der Par-
der Strukturlosigkeit“ (Meves 2012: 5), das
tei. Ihr Hauptaugenmerk liegt in diesem Zusam-
bereits für feministische Bewegungen be-
menhang erkennbar auf der öffentlichen Wahr-
schrieben wurde (Freeman 2004): Nach einer
nehmung der Partei. Die Abgeordneten unter
anfänglich produktiven Phase der weitgehend
ihnen nutzen ihr Wissen über Verfahrensfra-
offenen, unstrukturierten und führungslosen
gen, um inhaltliche Entscheidungen entspre-
Organisation entwickeln sich aus gruppenin-
chend zu beeinflussen. In einer Vollversamm-
ternen Interaktionen oftmals unbemerkt infor-
lung aller Mitglieder sind allerdings nur weni-
melle Strukturen. Diese entstehen zumeist aus
ge anwesend, die das für die Masse übersetzen
Freundeskreisen, aus deren Kommunikations-
können. Im repräsentativen System sind es die
netzen sich im Laufe der Zeit exklusive Elitezir-
Delegationsleitungen oder Vorsitzenden der
kel entwickeln, die verdeckte Formen der
Teilgliederungen, die solche Tricksereien be-
Machtausübung und Willkür praktizieren. Der-
merken und rasch in ihre Delegationen kommu-
artiges widerspricht zwar eigentlich den auf
nizieren. In einer Versammlung mit 2000 Indi-
Offenheit und Egalität bedachten Prinzipien
viduen haben gerade neuere und unerfahrene
der Gruppe, wird aber aufgrund eines verbrei-
Teilnehmer kaum eine Chance, darauf zu rea-
teten Dogmatismus der Strukturlosigkeit und
gieren.
der formellen Unsichtbarkeit und Unverant-
Ergreifen überdies Abgeordnete mit ihrer herausgehobenen Stellung das Wort, fällt es
wortlichkeit entsprechender Gruppen übersehen oder ignoriert.
der Partei umso schwerer, sich hiervon zu
Insgesamt wird deutlich, dass die Piraten
emanzipieren, wenn diese in erster Linie auf
ihre Erfolge bislang unter den Bedingungen ei-
den Verfahrensfragen insistieren. Sie können
nes Wachstums organisieren konnten. Lange
aus dieser Kombination heraus Versammlun-
Zeit nutzte ihnen dementsprechend eine auf
Vorteile von
gen entscheidend, vor allem aber unmerklich
Dynamik und Unberechenbarkeit aufbauende
Flexibilität und
beeinflussen. Gegen die daraus resultierende
Organisationsstruktur. Schließlich gab es
Unberechenbarkeit
programmatische Entwicklung regt sich in der
bislang für jedes Mitglied nur etwas zu gewin-
Zwischenzeit Widerstand. Einige Piraten, die
nen, selten aber etwas zu verlieren. Jedes or-
den Einfluss des Berliner Flügels der Partei of-
ganisatorische Wagnis wurde eher als Chance
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