NSU-Tribunal - Anklageschrift

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Böhnhardt und Mundlos und nur ihnen allein zugschrieb. Daraufhin verfolgte auch Staatsanwalt Meyer-Manoras tatsachenwidrig das Böhnhardt-Mundlos-zwei-Täter-Dogma als Rechtfertigung für die Unterlassung und Verschleppung der Ermittlungen nach 2007, die er mit zu verantworten hat. Wir klagen Meyer-Manoras wegen der rassistischen Ausrichtung der Ermittlungen und wegen der Verhinderung vollständiger Aufklärung der Taten des NSU und des Netzwerkes des NSU nach der Selbstenttarnung des Kerntrios im November 2011 an.

Michael Menzel Jg. 1960, Polizeidirektor Michael Menzel von der Polizeidirektion Gotha war für die Tatortsicherung des ausgebrannten Wohnmobils in Eisenach zuständig, in dem sich die beiden toten NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt befanden. Anstatt eine sorgfältige Spurensicherung vor Ort durchzuführen, ließ er das Wohnmobil schon nach 50 Minuten von einem privaten Abschleppdienst vom Tatort entfernen. Vom ersten Untersuchungsausschuss zum NSU in Thüringen wurde das dahingehend bewertet, „dass die Verbringung des Wohnmobils in eine Halle zum Zweck der Spurensicherung weder sinnvoll noch geboten gewesen ist. Für den Ausschuss ist offenkundig, dass die Spurenlage unter dem Transport zwangsläufig gelitten haben muss. […] Es konnte von den Zeugen auch auf Nachfrage kein vergleichbarer Fall benannt werden, in dem eine derartige Verschiebung eines Ereignisorts stattgefunden hat. Die Spurensicherung hätte an Ort und Stelle erfolgen müssen und auch können. Michael Menzel konnte überdies keine überzeugende Begründung dafür geben, warum er […] den Abschleppauftrag auslöste, obwohl er erst kurz davor in Stregda eingetroffen war.“ Wir klagen Michael Menzel der Verhinderung vollständiger Aufklärung des NSU-Komplexes nach der Selbstenttarnung des Kerntrios im November 2011 an.

Reinhard Boos Jg. 1956, Präsident LfV Sachsen 1999 – 2002 Olaf Vahrenhold Jg. 1963, 2000 Abteilungsleiter Links- und Rechtsextremismus, später Vizepräsident LfV Sachsen215 Boss und Vahrenhold verfassten am 28. April 2000 ein Schreiben, unter anderem an den

sächsischen Staatsminister des Inneren Klaus Hardrath und seinen Staatssekretär Hartmut Ulbricht, um eine G-10 Überwachungsmaßnahme gegen das flüchtige NSU-Kerntrio zu begründen. In dem Antrag heißt es: „Trotz der seit etwa zwei Jahren andauernden Flucht der Betroffenen 5 – 7 [Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe] bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Zweck der Vereinigung, schwere Straftaten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu begehen, auch in Zukunft unverändert fortbesteht und sich auf die Betroffenen 1 – 4 erstreckt.“ Weiter heißt es: „Das Vorgehen der Gruppe ähnelt der Strategie terroristischer Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen.“ In Sachen „Betroffene“ werden in dem Schreiben mit Andreas Graupner, Thomas Starke, Mandy Struck und Jan Werner die mutmaßlich zentralen Unterstützer des Kerntrios benannt. Dieses Schreiben ging zugleich an vier LfVs und das BfV. Der Inhalt des Briefes belegt das Wissen über die Existenz eines rechtsterroristischen Netzwerkes fünf Monate vor dem 9. September 2000, als der NSU den ersten Mord an Enver Şimşek in Nürnberg verübte. Boss und Vahrenhold entschieden sich jedoch dazu, die Bevölkerung in dem im Frühjahr 2001 vorgestellten VS-Bericht für den Berichtszeitraum 2000 zu beruhigen: „Im Jahr 2000 ergaben sich im Freistaat Sachsen keine Anhaltspunkte für die Existenz rechtsterroristischer Gruppierungen.“216 Vahrenhold und Boos wurden im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuss 2012 und 2013 als Zeugen zu der Frage vernommen, ob es seinerzeit Anhaltspunkte für das Bestehen einer rechtsterroristischen Gruppierung in Sachsen gegeben habe. Vahrenhold erklärte dazu, dass es zwar bei den Nazis „in Neunzehnhundertneunzigerjahren (…) gewaltbereite Strukturen auch in Sachsen“ gegeben habe, um dann aber zu erklären: „Allerdings gab es keine Anhaltspunkte für die Existenz rechtsterroristischer Gruppierungen.“217 Boos antwortete auf die Frage, wie er seinerzeit die flüchtigen Bombenbauer aus Jena eingeschätzt habe: „Also das Trio galt als eine Gruppe von militanten Rechtsextremisten, die gefährlich sind, aber nicht als Rechtsterroristen. (…) Der Aufwand, den wir betrieben haben, mit G10-Maßnahmen, mit Observationsmaßnahmen, mit vielen Werbemaßnahmen etc., den hätten wir nicht betrieben, wenn wir die nicht als gefährlich eingestuft hätten. Aber der Schluss zum Terrorismus ist nicht

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