NSU-Tribunal - Anklageschrift

Page 33

Polizei zwei Tage nach dem Besuch Nockens in Gera die Wohnung des Verdächtigen in Ostthüringen durchsuchen wollte, sei diese besenrein gewesen, heißt es.108 Die Erfurter Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Nocken wegen Geheimnisverrats, da er Degner persönlich gewarnt haben soll bezüglich des Verbots von B&H. Er erteilte den V-Person-Führern Kontaktverbot und sammelte die Diensthandys ein. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber wegen mangelnden Tatverdachts wieder ein. Ein Jahr später 2001 verschwanden die Akten über die Zusammenarbeit mit Degner – einer der wichtigsten Unterstützer des NSU.

Achim Schmid Jg. 1975, V-Person für den Ku Klux Klan Schmidt agierte als V-Person des VS in Baden-Württemberg.109 Als Gründer der Bands „Wolfsrudel“ (1994), „Höllenhunde“ (1997) und „Celtic Moon“ (1999) trat er über Jahre in der RechtsRock-Szene in Erscheinung. Von Oktober 1998 bis Sommer 2000 soll er nach eigenen Angaben der Klan-Gruppe „International Knights of the Ku Klux Klan“ angehört haben, bevor er in die Klan-Gruppe „European White Knights of the Ku Klux Klan“ wechselte. Er wurde auch als Betreiber des neonazistischen Internetradios „whitepowerradio.de“ bekannt. Schmid gilt als mögliche Kontaktperson von Andreas Graupner, der als ein aktiver Unterstützer des untergetauchten Kerntrios und Ralf Wohlleben tätig war.110 Im Jahr 2001 gehörten der Gruppenführer der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter, sowie weitere baden-württembergische Polizisten zur „Ku Klux Klan“-Gruppe um Schmid. Wir klagen Achim Schmid der indirekten Unterstützung des NSU-Netzwerkes durch die Propagierung von rechter Gewalt, rassistischer Ideologie und neonazistischer Terrorstrukturen an.

Jörg Schönbohm Jg. 1937, Innenminister von Brandenburg 1999 – 2009 Schönbohm meldete sich etwa einen Monat, nachdem seine umtriebige V-Person Szczepanski enttarnt worden war,111 in der Presse zu Wort. Er warnte davor, „dass in der Debatte um den Rechtsextremismus ein falsches Bild entsteht“. Zwar werde „sehr plakativ“ von rechter Gewalt geredet, die Mehrzahl der Gewalttaten seien aber „nicht politisch motiviert“, sagte

Schönbohm und führte weiter aus: „Viele Jugendliche, die dabei in Erscheinung träten, die Ausländer verprügelten, Nazi-Parolen grölten und verbotene Embleme zeigten, kapieren oft das rechte Gedankengut gar nicht. Sie könnten gar nicht politisch begründen, warum sie so etwas täten.“ Bei den jugendlichen Mitläufern der Rechtsextremisten aber sei „kaum einmal ein ideologischer Hintergrund zu erkennen. Dafür aber Dumpfheit, Angst und Ablehnung“. Eine Sorge vor rechtem Terrorismus sei unbegründet. Schönbohm wörtlich: „Auch wenn wir feststellen müssen, dass ein Teil des harten Kerns der Rechtsradikalen-Szene versucht, sich Waffen und Sprengstoff zu beschaffen, so gibt es doch kein Sympathisantenumfeld, wie es das bei der Rote-Armee-Fraktion (RAF) gab. Schon deshalb muss aufgepasst werden, dass man in der Darstellung nicht überzieht.“112 Dem wurde schon zeitgenössisch widersprochen. Ein diesbezüglicher Kommentar im Tagespiegel vermerkte mit „Erstaunen“ die Worte Schönbohms, denn: „Die Gefahr rechtsterroristischer Aktionen ist nicht gebannt. Auch wenn seit September 1999 drei Anschlagsversuche misslangen und eine Führungsfigur als Spitzel aufflog, basteln Neonazis in der Region Berlin-Brandenburg weiter Bomben. Der jüngste Fund von Material zum Bombenbau zeigt: Die Fanatiker machen weiter.“113 Auch Schönbohm machte weiter und warnte vor der „Ausgrenzung“ rechtsradikaler Jugendlicher und ließ zwei Asylbewerber abschieben, die Opfer von Nazi-Attacken geworden waren. Der eine verlor sein Bleiberecht, weil er in Guben miterlebt hatte, wie sein Freund zu Tode gehetzt wurde. Infolge dieses „traumatischen Ereignisses“ sei er, so befand das Innenministerium, nur „bedingt in der Lage, sein Leben eigenständig zu meistern“. Dem anderen wurde in Elsterwerda seine Pizzeria „Ali Baba“ angesteckt, woraufhin dem Ägypter mitgeteilt wurde: „Die Aufenthaltsbefugnis war stets an die Betreibung des Betriebes gebunden.“ In diesen Entscheidungen dokumentiert sich eine Arbeitsteilung zwischen Mob und Ministerium. Schönbohm zeigte auch so den Nazis, wie sich der Terror der Straße in bürokratisierte Repression umwandeln lässt. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse drückte das in einem Brief an Schönbohm etwas vornehmer aus, als er ausführte, „dass deutsche Regierungsstellen die Ergebnisse und Konsequenzen rechtsextremer und rassistischer Vorfälle nicht nur hinnehmen,

31


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.