Die erste Zuckerfabrik in Klein Wanzleben im Gründungsjahr 1838. Umgeben von Speicherhäusern, Verwaltungsgebäuden, Forschungsinstitut und Wohnblocks der ZKW: Zuckerfabrik Klein Wanzleben um 1904.
Früher Impulsgeber für die Rübensamenzucht
Zuckerfabrik Klein Wanzleben, die Erste 1838 gründen 19 Bauern, Handwerker und Gastwirte die erste Zuckerfabrik in Klein Wanzleben. Sie zählt zu den ältesten Bauernfabriken, die zwischen Magdeburg und Hildesheim entstehen. Nach acht Monaten Bauzeit beginnt im Herbst 1838 die erste Kampagne. An 150 Tagen werden je 30 Tonnen Runkelrüben verarbeitet. „Bauernfabrik“ bleibt Klein Wanzleben 26 Jahre. Der Landwirt Matthias Christian Rabbethge erwirbt 1847 zunächst zehn Aktien. 1864 wechselt die Fabrik vollständig in den Besitz der Familien Rabbethge und Giesecke. Rabbethge sammelt hier Erfahrungen, die 1859 den Anstoß für die systematische Zuckerrübenzüchtung geben. Saatzucht wird Hauptbetrieb 1885 verliert die Zuckergewinnung endgültig die Priorität zugunsten der prosperierenden Rübensamenzucht. Die Fabrik bleibt technologisch auf der Höhe der Zeit und wird kontinuierlich ausgebaut. Zuckerfachleute finden hier ein innovatives Klima,
© Alle Bilder: Archiv KWS Saat AG
Von 1906 bis 1955 wurden die Rüben über ein 49 Kilometer langes Feldbahnnetz zur Feldbahnschwemme auf den Klein Wanzlebener Rübenhof transportiert.
1985: Von 1945 bis 1990 ist die Fabrik Teil des VEB „Börde“.
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das Experimentierfreude und technologische Weiterentwicklung begünstigt. Mit 700 Tonnen Rüben pro Tag gehört die Fabrik bereits 1903 zu den größeren ihrer Zeit. Ende der 20er Jahre ist sie eine moderne, mittlere Rohzuckerfabrik mit einer Leistung von 1.300 Tonnen Rüben pro Tag und einer jährlichen Rohzuckererzeugung von 13.250 Tonnen.
Neubaupläne um 1950 Krieg und Nachkriegswirren machen aus der Fabrik, die Mitte der 30er Jahre modern ausgerüstet gute Leistungen bringt, zehn Jahre später eine Anlage, die technisch völlig verschlissen ist. Bereits um 1950 gibt es Pläne, die Fabrik stillzulegen und am Ortsrand auf dem Magdeburger Feld neu zu bauen.
Bauliche und ökologische Grenzen Bereits um die Jahrhundertwende gibt es Probleme mit Wasserversorgung und Abwasserverwertung. Später engt der wachsende Saatzuchtbetrieb die in der Ortsmitte gelegene Zuckerfabrik ein: Es entstehen riesige Speicher, Verwaltungsgebäude, das Forschungsinstitut mit 3.000 Quadratmeter Laboratorien und Wohnblocks für Arbeiterfamilien. Bis Kriegsende 1945 bleibt die Fabrik Teil der „Zuckerfabrik Klein-Wanzleben, vorm. Rabbethge & Giesecke A-G“ (ZKW) – der heutigen Klein Wanzlebener Saatzucht AG (KWS) in Einbeck. Auf den Befehl Nr. 97 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) wird die Zuckerfabrik 1946 aus der ZKW herausgelöst, in Zwangsverwaltung genommen und später in Volkseigentum (VEB) überführt.
Erfindergeist und Improvisation Wie viele andere DDR-Fabriken steht Klein Wanzleben vor dem Dilemma, dass Mittel für die Modernisierung fehlen. Noch immer Rohzuckerfabrik, entgeht sie Mitte der 60er Jahre erneut knapp der Stilllegung. Jede Tonne Kapazität wird gebraucht, um den Plan zu erfüllen. Fehlende Ausrüstung und mangelhafte Rübenqualitäten verhindern auch das. Selbsthilfe, Erfindergeist und Improvisationstalent halten den Betrieb aufrecht. Nach dem Mauerfall 1989 ist das Ausmaß von Stagnation und Substanzverzehr in vollem Umfang sichtbar. 1990 verarbeitet die erste Zuckerfabrik in Klein Wanzleben insgesamt 155.000 Tonnen Rüben bei einer Tagesleistung von 1.653 Tonnen zu 17.500 Tonnen Zucker. Ihre 152. und letzte Kampagne endete am 27. Dezember 1990.
Fabrikbetrieb in Volkseigentum Ort und Fabrik überstehen den Zweiten Weltkrieg unbeschadet. Kriegsbedingt fehlen Facharbeiter. Führungskräfte setzen sich in die Westzonen ab. Die Grenzziehung zu den westlichen Besatzungszonen diktiert neue Rübeneinzugsgebiete. Die Grenze schneidet die Fabrik von Zulieferbetrieben des Maschinen- und Anlagenbaus ab. Reparaturen unterbleiben. Die Bodenreform 1945 mit Enteignung und Neuverteilung des Bodens an „landarme Bauern“ hat zur Folge, dass Klein Wanzleben Rüben von 13.400 Anbauern verarbeiten muss: Altund Neubauern, die im Zuge des „Aufbaus des Sozialismus auf dem Lande“ von 1952 bis 1960 zwangskollektiviert und zu Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) zusammengefasst werden.
Zeitgleich beginnt die Geschichte ihrer Nachfolgerin. Zunächst im Juli 1991 mit einem Grundstein auf dem Magdeburger Feld. Seit Herbst 1994 werden in der neuen Zuckerfabrik Klein Wanzleben die Rüben für sieben nach 1989 stillgelegte Zuckerfabriken (Aderstedt, Genthin, Goldbeck, Hadmersleben, Haldensleben, Weferlingen und Klein Wanzleben) verarbeitet.
Susanne Dismer-Puls Freie Autorin
Birgit Rothe Nordzucker-Archiv, Werk Uelzen