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NORDMETALL vor Ort in Kiel

Die säuberlich aufgeräumte, in grau gehaltene Werkshalle der EDUR-Pumpenfabrik in Kiel-Wellsee lieferte den passenden Rahmen: Sachlich-nüchtern debattierten vier schleswig-holsteinische Spitzenpolitiker Mitte September untereinander und mit Unternehmerinnen und Unternehmern in der vierten und letzten Runde der Reihe „NORDMETALL vor ORT – Wirtschaft trifft Politik“.

Hausherrin Frederike Holdhof begrüßte die Bundestagsabgeordneten Wolfgang Kubicki (FDP; zugeschaltet aus Berlin) und Johann Wadephul (CDU), den grünen Parteivorsitzenden Robert Habeck und den SPD-Politiker Ralf Stegner mit einer klaren Botschaft: „Ich glaube, dass wir die Komfortzone, in der wir uns in Deutschland und Europa eingerichtet haben, besser schnell als langsam verlassen müssen“, mahnte die Familienunternehmerin in vierter Generation mit Blick auf Klima- und Strukturwandel. EDUR leiste seinen Beitrag dazu, etwa durch die Anwendung von Kreiselpumpen in Elektrolyseanlagen zur Wasserstofferzeugung. Sorgen bereite ihr aber die Frage, wie sich deutsche Unternehmen auf dem wichtigen chinesischen Markt behaupten können, der von Peking immer mehr abgeschottet werde. Ebenso bedenklich sei die politische Tendenz, mit neuen oder höheren Steuern und immer mehr Bürokratie Unternehmen in Deutschland stärker belasten zu wollen.

Frederike Holdhof, Geschäftsführerin der EDUR-Pumpenfabrik, sorgt sich um die Stellung deutscher Unternehmen auf dem zunehmend abgeschotteten chinesischen Markt.

NORDMETALL-Vizepräsident Robert Focke griff den Ball in seinem Impulsstatement vor den – Coronabedingt – wenigen Unternehmerinnen und Unternehmern in der Halle und den bis zu 9400 Zuschauern auf Youtube auf: „Unflexible Arbeitszeitregeln und steigende Arbeitskosten, wachsende Steuer- und Abgabenlasten, immer höhere Umweltstandards und ein sich beschleunigender Strukturwandel, löchrige Lieferketten oder ein engmaschiges Lieferkettengesetz, und dann noch die Bewältigung der Coronapandemie“ – dieser Strauß an Herausforderungen lasse manche Unternehmerinnen und Unternehmer darüber nachdenken, ob sich eine Produktion in Deutschland auch künftig halten lasse. Statt weiterer Belastungen brauche es Entlastungen und mehr Respekt der Politik vor der grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Freiheit, so der Geschäftsführer des Lübecker Maschinenbauers Baader.

NORDMETALLL-Vizepräsident Robert Focke (Nordischer Maschinenbau Rud. Baader) fordert mehr Respekt der Politik vor der vom Grundgesetz geschützten unternehmerischen Freiheit.

Grünen-Chef Robert Habeck, der im Wahlkreis Schleswig-Flensburg als Direktkandidat antrat und das Mandat am Wahlsonntag auch holte, warb für die Chancen, die im Strukturwandel der Industrie stecken: „Deutschland hat eine Innovations-, Investitions- und Wachstumsschwäche. Die entscheidende Frage derzeit ist also, wie schaffen wir Wachstum, das die Produkte der Zukunft in Deutschland und Europa herstellt? Direkte Investitionszuschüsse und Klimaschutzverträge werden uns in den kommenden zehn Jahren ein Wirtschaftswunder Klimaneutralität bescheren.“ Dafür müsse der Staat entsprechend finanziell gerüstet sein.

Erwartet ein „Wirtschaftswunder Klimaneutralität“: Dr. Robert Habeck MdB (Bündnis 90/Die Grünen).

FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki widersprach seinem Duzfreund Robert sofort: Nicht der Staat sei der Zukunftstreiber, sondern der Markt, die Wirtschaft und besonders die Industrie: „Wir müssen auf Technologieoffenheit und unternehmerische Kreativität setzen. In der Pandemie haben wir gelernt: Ohne eine starke Wirtschaft könnten wir all das nicht leisten, was wir auf den Weg gebracht haben. Es kommt darauf an, dirigistischen Aufwand von den Unternehmen fernzuhalten, um sie im wirtschaftlichen Miteinander nicht zu behindern.“ Es brauche nicht mehr Staat, sondern einen besseren Staat, so der Bundestagsvizepräsident, der an der Spitze der liberalen Landesliste auch in den 20. Deutschen Bundestag einzog.

Plädiert für Technologieoffenheit und unternehmerische Kreativität: Wolfgang Kubicki MdB (FDP).

Ralf Stegner, am Debattentag noch SPD-Landtagsabgeordneter, am Wahlsonntag dann erfolgreicher Direktkandidat im Wahlkreis Pinneberg, teilte die Sichtweise des Liberalen gar nicht: „Der Markt funktioniert nicht überall. Wenn wir eine 200 Jahre alte Industrie mit fossilen Energieträgern zu einer funktionierenden Industriegesellschaft umbauen wollen, die auch noch die Klimaziele einhält, dann können wir nicht zugucken, ob die Wirtschaft das alleine hinbekommt. Wir müssen aktiv etwas für die Forschung, für die Verkehrswende und für die erneuerbaren Energien tun.“

„Der Markt funktioniert nicht überall“, ist Dr. Ralf Stegner MdB (SPD) überzeugt und setzt auf staatliche Regulierung statt auf unternehmerische Freiheit.

Das sei im Grundsatz nicht falsch, erwiderte Johann David Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus Kiel-Molfsee, der sein Direktmandat in Rendsburg-Eckernförde am Wahlsonntag verlor, aber über die Landesliste in den neuen Bundestag einzog. Gleichwohl gelte: „Wenn wir die Wirtschaft wieder in Schwung bringen wollen, müssen wir Unternehmerinnen und Unternehmer entlasten: Wir werden keine Vermögenssteuer einführen und für eine gleichbleibende Erbschaftssteuer sorgen. Was wir aber vor allem schaffen müssen, ist ein einfacheres Steuersystem, das bessere Kontrollen ermöglicht“, so Wadephul.

Stellt sich gegen Steuererhöhungen und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer: Dr. Johann Wadephul MdB (CDU).

Auf notwendige Entlastungen und bessere Rahmenbedingungen pochten in der anschließenden Diskussion zwischen Wirtschaftsvertretern und Politikern unter anderem Cathrin Kohnke, NORDMETALL-Vorstandsmitglied und Director HR bei Stryker Trauma in Kiel,

NORDMETALL-Vorständin Cathrin Kohnke (Stryker Trauma) will von den Politikern wissen, was die Parteien für die Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität deutscher Unternehmen tun werden.

sowie NORDMETALL-Hauptgeschäftsführer Dr. Nico Fickinger: „Den Unternehmen Kettenbefristungen zu verbieten und als Staat gleichzeitig aus Kostengründen im Juli die Lehrkräfte rauszuschmeißen, die man im September wieder einstellt – da frage ich mich: Wie passt das zusammen?“, so der Arbeitgebervertreter. Eine schlüssige Antwort blieb ihm trotz der sachlichengagierten Beiträge in der eineinhalbstündigen Debatte verwehrt.

Alexander Luckow

Missbrauch bei Werkverträgen oder Zeitarbeit bekämpft man nicht, indem man die Instrumente verbietet, mahnt Dr. Nico Fickinger, NORDMETALL-Hauptgeschäftsführer.

EDUR-Geschäftsführer Thomas Naß (r.) stellt seine Werkshalle in Kiel-Wellsee für „NORDMETALL vor Ort“ zur Verfügung. Hier im Gespräch mit Dr. Jörg Mutschler (VDMA).

Gut besuchtes Hybridformat: In der Coronakonform besetzten EDUR-Werkshalle verfolgen rund 20 Gäste „NORDMETALL vor Ort“. Im Netz kamen noch weitere 9400 Politikinteressierte hinzu.

Alle Fotos von Christian Augustin

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