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1.2 Gestartet

GESTARTET

10 Wir kennen es, jede kreative oder wissenschaftliche Arbeit ist per se durch die eigene Biographie, das eigene Geprägt-Sein unserer Geschichten und Erlebnisse gezeichnet, mit unserer Suche und unseren weiterführenden Wegen. Meine Welt sind die Berge und Täler des Simmentals, meine körperlichen und geistigen Erfahrungen erzählen von diesen Höhen und diesem Tal. Der Körper steht still. Dass dieser aufrecht steht, ist menschlich. Aus einem Urdrang beginnen sich Muskeln zu spannen. Ein Bein steht wie eine Säule fest und hält den Körper aufrecht zwischen Erde und Himmel. Das andere Bein schwingt wie ein Pendelum von hinten nach vorne und berührt den Boden mit der Ferse. Das ganze Gewicht des Körpers rollt über den Fussballen. Der grosse Zeh stösst ab und das ganze delikat balancierte Gewicht des Körpers wird verschoben. Gehen, etwas was wir tagtäglich bewusst, meistens unbewusst machen.1 In den Händen sind fest umklammert die Bremsen und die A-Leinen. Durch den Funk, der an meiner linken Schulter am Gurtzeug befestigt ist, raschelt ein “Claudia an Häppy; Ehepaar und Fluglehrer:in der Flugschule Ikarus, Interlaken; Nina ist bereit zum Starten.” - Es ist wiederum ein schöner Tag. Ich stehe da. Aufrecht. Frisch mit meinem Bachelor- Abschluss im Herzen. Ich atme tief ein. Meine Beine zittern. Ich stehe mit 7 weiteren Schüler:innen am Startplatz „Luegi”. Luegi, was für ein bescheuerter Name. Was habe ich mir hier gedacht? Es ist Juli. Ich stehe hier am Boden. Geerdet. Im März furzte mir diese Idee in den Kopf! Gleitschirmfliegen! Die Idee hinauf zu wandern und runterzufliegen. Easy way Down!

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1 Kurth 2019, S.12

Abb. 3: Bernhard Hoetger, Gedankenflug, 1906, Bronzeguss

12 Machen wir einen Gedankenflug zurück zum März 2019. Ich habe eine Woche Wanderung hinter mir. Ich lief für meine Bachelor-Arbeit von Bern nach Zweisimmen. Die nähere Umgebung als Land zu sehen und Abenteuer zu erfahren, in der Überzeugung, dass das Berner-Oberland genauso viel Spannung anbietet, wie etwa die Westküste Amerikas mit ihrem 4265 Kilometer langen „Pacific Crest Trail“.

Abb.4: Schweizer Propaganda, um Zuhause zu bleiben, 2020

Nicht, dass ich nun den Patriotismus zelebrieren möchte, doch sollte diese Zeit des rastlosen Herumjetten rund um die Welt nun langsam vorbei sein. Man sollte mit einem Weh(r)mutstropfen dieses Lied aus den 1980ger Jahren anstimmen: 13

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Taxi - Campari Soda

“I nime no e Campari Soda Wit unger mir ligt s Wulchemeer Dr Ventilator summet liislig Es isch als gäb’s mi nüme meh I gseh dür’s Fänschter zwöi Turbine S Flugzüg wankt liecht i dr Luft Dür’s Mikrofon seit dr Copilot “On your left, you can see Malaga Belfort through the dust” I nime no e Campari Soda Wit unger mir ligt s Wulchemeer Dr Ventilator summet liislig Es isch als gäb’s mi nüme meh I nime no e Campari Soda Wit unger üs ligt s Näbelmeer Dr Ventilator summet liislig Es isch als gäb’s üs nüme meh I nime no e Campari Soda Wit unger mir ligt s Wulchemeer Dr Ventilator summet liislig Es isch als gäb’s mi nüme meh”1

1 Songtext zu Taxi, Campari Soda, 1977

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Abb 5.: Aaberg Kærn, Installationsaufnahme «Open Sky - Simone Aaberg Kærn» Kunstmuseum Thun, 2008

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Es wird UNS bald nicht mehr geben, wenn wir so rücksichtslos weiterfahren. Die Natur wird weiter bestehen und braucht uns nicht.

Am Ende meiner Wanderung verbrachte ich eine Woche auf der Alp unserer Familie im Simmental. Es war ein schöner Tag im März. Die vielen Kilometer in meinen Gliedern wirkten nicht nur mental, sondern auch physisch. Ich fühlte mich stark und losgelöst vom Alltagstrotz und der global vernetzten Welt. Ich brauche diese nicht mehr. Ich habe einen gesunden Körper, wo immer ich auch bin. Mache ich das Beste daraus und geniesse es!

Ich starrte in den Himmel. Kleine Cumuli fracti waren sich am bilden. Weit hinten im Tal, ein schwarzer Punkt. Ruhig zirkulierend, steigt dieser kontinuierlich in die Höhe. Je genauer ich hinsehe, desto mehr werden es Tupfen. Ich nahm den Feldstecher zur Hand, damit ich es näher wahrnehmen kann. In allen möglichen Farben kreisen sie steil in die Höhe. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Voralpen-Region im Bernbiet, eine der regional beliebtesten Fluggebiete im Winter ist. Da waren zirka 50 Gleitschirme in der Luft. Darunter hängte träge der/ die Pilot:in - als kleiner „Pixel“. 17

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Abb.6 13 Gleitschirme über dem Landeplatz an der Lenk, 2020

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Abb. 7 Otto Lilienthal. Kreisende Storchenfamilie, aus: Der Vogelflug als Grundlage der Flugkunst, Ort, 1889