NATURFREUNDiN 2-2013

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NATURFREUNDE AKTIV

Kalenderblatt

Die Antwort auf die Grenzen des Wachstums Vor 300 Jahren wurde im sächsischen Freiberg die Idee der Nachhaltigkeit proklamiert

ŇIm Ň Wald geboren: das Prinzip der Nachhaltigkeit. Hier fordert es, nur soviel Holz ...

bVor 300 Jahren veröffentlichte Berghauptmann Carl von Carlowitz aus dem sächsischen Freiberg die „Sylviacultura oecomica“. Damit wurde im deutschsprachigen Raum zum ersten Mal die Idee der Nachhaltigkeit für den Schutz der Wälder proklamiert. Bereits im Jahr 1664 hatte der englische Autor und Gartenbauer John Evelyn mit „Sylvia“ den ersten berühmten Aufforstungsappell der Neuzeit verfasst. Auch er wollte die Regenerationsfähigkeit der Wälder erhalten. Die Natur als „Umwelt“ Grundlage der Nachhaltigkeitsidee wurde die Erkenntnis, dass das Naturkapital gepflegt werden muss, um es dauerhaft zu erhalten. Mitteleuropäische Forstschulen taten sich dabei besonders hervor. Ihre Leitlinie war, dass Wälder nur in einer Weise bewirtschaftet werden sollten, die ihren Bestand auch langfristig sicherte. Diese Idee wirkte bis in die heutige Zeit. Im Jahr 1980 etwa forderte die „International Union for the ConserSEITE 24

vation of Nature“ in ihrer Weltstrategie für die Natur: „Aus einem Wald darf nur so viel entnommen werden als dort auch nachwächst.“ Und dennoch ist die europäische Geschichte eher von Naturvergessenheit gekennzeichnet. Entscheidende Ursachen, die Natur nicht als Mitwelt zu begreifen, gehen auf das Mittelalter zurück. Grauenhafte Religionskriege, hemmungsloser Kolonialismus, Pestepidemien und Barbarei führten zur Entsinnlichung der Natur. Bis heute wird Natur kaum als Mitwelt wahrgenommen, sondern als Außenwelt – als Umwelt. Nachdem ebenfalls im Jahr 1980 der „Report Global 2000“ an US-Präsident Jimmy Carter ein schonungsloses Bild vom Zustand unserer Erde zeichnete, griff die Brundtland-Kommission die Idee der Nachhaltigkeit auf und machte sie zum Leitbild für Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft. Doch obwohl die bisher größte Konferenz der Vereinten Nationen, der Erdgipfel von Rio de Janeiro im Jahr 1992,

die Empfehlung übernahm, blieb sie weitgehend folgenlos. Das endlose Drama der Klimaschutzkonferenzen ist nur ein Beispiel dafür. Nachhaltigkeit ist längst ein inflationär gebrauchtes Plastikwort, das für alles und nichts verwendet wird, obwohl es im Brundtland-Bericht klar definiert wurde: als Gebot, die Bedürfnisse in der Gegenwart nur in einer Weise zu befriedigen, wie es auch künftigen Generationen möglich sein sollte. Es war schon klar, um was es geht: um Grenzen, die vor allem die reichen Länder einzuhalten haben und um Mindeststandards, die für alle Menschen gelten sollen. Selbstvernichtung ist denkbar Aber der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln ist seitdem noch größer geworden. Heute leben wir im Anthropozän, wie der Nobelpreisträger Paul Crutzen unsere Epoche nennt: ein vom Menschen gemachtes Zeitalter. Sogar die Selbstvernichtung unserer Zivilisation ist denkbar, denn drei Megatrends in der Überlastung des Naturkapitals sind noch immer ungebrochen: Die zunehmende Überlastung der natürlichen Senken, die sich vor allem im globalen Klimawandel zeigt; die anhaltende Zerstörung der biologischen Vielfalt, nach der Internationalen Roten Liste sind rund 18.000 Arten akut vom Aussterben bedroht; die heraufziehende Knappheit der Ressourcen, die sich bei Wasser und Erdöl bereits zeigt. Wir dürfen den Missbrauch der Leitidee der Nachhaltigkeit nicht länger zulassen. Sie ist programmatisch nicht nur die wichtigste Antwort auf die ökologischen Grenzen des Wachstums, sondern erfordert auch eine Wirtschaftsordnung, die mit dem heutigen Regime der Kurzfristigkeit nicht vereinbar ist. Und sie ist auch nur zu verwirklichen, wenn es zu mehr Demokratie und Gerechtigkeit kommt. Das alles gibt uns eine gute Zukunft, wenn wir Nachhaltigkeit ernst nehmen. Sie wird dann zur Renaissance der Zukunft.c Michael Müller

Ň... Ň zu verbrauchen, wie auch nachwächst. NATURFREUNDiN 2-2013


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