DIE KOSTEN DES GLÜCKS Lessings bekanntestes Lustspiel Minna von Barnhelm als Silvesterpremiere im Schauspielhaus
Figurinen zu Minna und Tellheim von Janine Werthmann Bühnenbild-Skizze von Maren Greinke
Ironischerweise hat Gotthold Ephraim Lessing sein Lustspiel Minna von Barnhelm ausgerechnet in der bedrückenden Realität des Siebenjährigen Krieges angesiedelt, der von 1756 bis 1763 fast im gesamten Europa tobte. Subtil und beziehungsreich erinnert die Komödie an die krisenhafte Finanzlage der letzten Kriegsjahre: Um die immensen Kriegskosten zu finanzieren, erhebt der preußische Staat unter König Friedrich II. Kriegssteuern in den besetzten Ländern. Da die Kontributionsforderungen bald ins Unermessliche steigen, wenden sich die besetzten Länder und Städte an private Geldgeber, die die benötigten Summen gegen Wechsel vorschießen. Mit diesen Wechseln betreiben die Finanziers wiederum ausgedehnte Kreditgeschäfte. Als mit dem Friedensschluss im Sommer 1763 die von der Kriegsindustrie angeheizte Konjunktur einbricht und die Geldentwertung durch staatliche Münzverschlechterung zu einer Inflation führt, sind viele Kreditnehmer zahlungsunfähig. Die ersten Bankrotte von Wechselbanken in Amsterdam und Hamburg setzen eine Lawine von Geschäftszusammenbrüchen in ganz Europa in Gang, da durch Panikreaktionen von vielen Kreditgebern gleichzeitig die Begleichung von Wechseln gefordert wird. Besonders hart trifft es den Berliner Kaufmann und Bankier Johann Ernst Gotzkowsky, dessen Unternehmen hauptsächlich über Wechsel finanziert wurden. Friedrich II. versucht noch, seinen wichtigen Geschäftspartner zu halten, indem die preußische Regierung dessen Fabriken zu einem Bruchteil ihres Wertes aufkauft. Dennoch kommt das Aus für Gotzkowsky und viele private Kreditgeber müssen auf ihr Geld verzichten. Jede Form von Kredit erscheint nun als betrügerisch, alle Zahlungen stocken. Aus der Wirtschaftskrise nach dem Krieg ist eine europaweite Finanzkrise geworden. Obwohl gut 250 Jahre her, kommt uns dieser Zustand – auf den sich Lessing explizit bezieht mit dem Zusatz, er habe seine Minna angeblich »verfertiget im Jahre 1763« – erschreckend bekannt vor. Und auch die soziale Schieflage, die daraus entsteht: während einige ihren Besitz retten können, finden sich viele in prekären Verhältnissen wieder – mit weitreichenden Folgen für das Selbstwertgefühl. So ergeht es auch Major von Tellheim, der zu Beginn des Stücks alles verloren hat. Weil er bei der Eintreibung von Kriegsschulden in Sachsen besondere Milde walten ließ, wurde er unehrenhaft aus der Armee entlassen und wartet nun – seinerseits völlig verarmt – auf das Ergebnis eines Verfahrens wegen Bestechlichkeit. Zutiefst beschämt durch seine Mittellosigkeit, hält sich Tellheim für unwürdig, weiter am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Um seine Verlobte Minna von Barnhelm nicht ebenfalls sozialer Diskriminierung auszu-
setzen, entsagt er ihr. Doch Minna macht ihre Liebe nicht von Besitz und sozialem Ansehen abhängig und greift zu einer List, um ihren Tellheim wieder zurückzuerobern. Es sind ganz moderne, heutige Fragen, die Lessings Klassiker aufwirft: Welche Chance haben Beziehungen – seien es Liebesbeziehungen oder Freundschaften, wenn Menschen ihren Selbst-Wert von der Größe ihres Bankkontos abhängig machen? Gelingt eine Liebesbeziehung, wenn der eine mehr hat als der andere? (Wie) kann man sich in der Ungleichheit begegnen? Wie lebt es sich in einer Welt, in der Haben oder Nicht-Haben den Platz eines Menschen in der Gesellschaft bestimmt? In der gesellschaftliche Teilhabe nur möglich ist, wenn man sich gewisse Dinge leisten kann, sei es nun ein teures Status-Symbol oder ein einfacher Restaurantbesuch? Wie fängt man Menschen auf, die sich beispielsweise durch Arbeitslosigkeit entwurzelt und abgehängt fühlen? Wie viel Geld braucht man zum Glücklichsein? Dass Lessings Stück trotz der existentiellen Thematik ein Lustspiel ist, verdankt es neben dem von Minna inszenierten Verwirrspiel um die Verlobungsringe vor allem den Figuren. Der treue Diener Just, der raue Soldatenfreund Paul Werner, die liebeswürdige Kammerjungfer Franziska, die übergriffige Wirtin, der französische Falschspieler Riccaut – über sie alle können wir herzhaft lachen, ohne sie jemals zu verlachen. Finden am Ende alle ihr Glück, wie es die Komödie verlangt?
MINNA VON BARNHELM ODER DAS SOLDATENGLÜCK Ein Lustspiel von Gotthold Ephraim Lessing Premiere am Samstag, 31. Dezember 2016 um 20.00 Uhr im Schauspielhaus, anschließend Premieren- und Silvesterfeier im Theatercafé, Unteren und Oberen Foyer Inszenierung Cilli Drexel | Bühne Maren Greinke | Kostüme Janine Werthmann | Licht Björn Klaassen | Dramaturgie Katharina Parpart Mit Katharina Hauter, Anke Schubert, Carmen Witt; Michael Fuchs, Boris Koneczny, Fabian Raabe, Matthias Thömmes Nächste Vorstellungen Sa, 07., Sa, 14. und Fr, 27. Januar 2017 Karten unter Tel. 0621 1680 150 • www.nationaltheater-mannheim.de