Theatermagazin Oktober 2017

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»KEINER KOMMT UND WISCHT DICH AUF« Zur Uraufführung von Für immer schön des neuen Hausautors Noah Haidle »Hallo, mein Name ist Cookie Close. Als ich ein kleines Mädchen von knapp sechs Jahren war, da sagte meine Mutter zu mir, dass Gott uns alle nach Seinem Bilde erschaffen hat. In diesem Moment war mein Schicksal entschieden!« Cookie Close, die Hauptfigur in Noah Haidles neuestem Stück Für immer schön, ist mit Leib und Seele Kosmetikverkäuferin im Direktmarketing. Ihr Terrain sind die Straßen der Kleinstädte, ihre Leidenschaft gilt dem Schönheitsversprechen ihres Beauty-Sortiments, ihr Erfolg misst sich in Geschäftsabschlüssen an der Haustüre.

der Flucht vor der inneren Leere und ihrer Vergangenheit zieht sie weiter von Haus zu Haus. Der Markt ist hart und unmenschlich, das Überlebensprinzip hingegen einfach: The show must go on. Bis zum bitteren Ende bleibt Cookie eisern bei ihrem Mantra: »Ausruhen? Schwäche! In Selbstmitleid zerfließen? Keiner kommt und wischt dich auf.« Ein Mantra, das sie schon als kleines Mädchen von ihrer Mutter eingeimpft bekam – und das sie später schonungslos an ihre eigene, lebensuntüchtige Tochter weitergibt.

Seinem Text hat Noah Haidle ein Zitat der US-amerikanischen Unternehmerin Mary Kay Ash vorangestellt, die ihm wohl als Inspirationsquelle diente. 1963 gründete sie eines der größten globalen Direktvertriebsunternehmen Indem er den Bogen über mehrere Generationen spannt, zeichnet Noah Haidle das desillufür Kosmetik, und bis heute verkaufen TauErstmals in Mannheim auf der Bühne zu erleben: sende von selbstständigen »Schönheitsberasionierte Bild einer westlichen Gesellschaft, die neuen Ensemblemitglieder Celina Rongen und Benjamin Pauquet terinnen« ihre Produkte an Kundinnen in aller die krampfhaft an der großen Erzählung des Welt. Das Erfolgsgeheimnis der Marke ist ihre emotionale Botschaft, »Frauen amerikanischen Traums festhält, obwohl diese längst zu einem leeren Verspredabei zu unterstützen, das Leben ihrer Träume zu führen«. Ziel sei es, so heißt chen geworden ist. Wie Zombies werden die Figuren von ihren fragwürdigen es auf der Homepage von Mary Kay Cosmetics, »mit einer Handvoll Produkte Idealen angetrieben, von der Angst zu enttäuschen, den Ansprüchen der Part[sic] … diese Träume wahr zu machen«. In diesem Sinne ist auch Cookie Close ner oder Eltern nicht zu genügen, die Liebe an Erfolg knüpfen. überzeugt davon, nicht nur Kosmetik zu verkaufen, sondern den Traum vollkommener Schönheit. Die existentiellen Fragen der Menschheit – nach dem Sinn des Lebens, dem eigenen Platz in der Welt, der Liebe – verhandelt Noah Haidle mit großer EmpaDoch wie haltbar sind diese vollmundigen Versprechungen in der Epoche der thie für seine Figuren. Dass Für immer schön dabei auch unglaublichen Spaß Selbstdarstellung? Schönheit ist zu einer Währung geworden. Sie fungiert macht, liegt an Haidles bitterbösem Humor. Mit großer Direktheit und Leichtigals Kapital, als Erfolgsfaktor und als Imperativ: Der schöne Körper soll die keit stürzen sich seine Figuren in messerscharfe Sprachduelle, in denen jeder schöne Seele spiegeln – oder gerade vertuschen, dass es unter der ansehnli- Stich zielsicher ein Treffer tief in die Abgründe des Gegenübers ist. Daneben chen Oberfläche eigentlich ziemlich leer ist. Tatsächlich hat Cookie selbst nur geht es aber auch ganz handfest zur Sache: zwischen Cookie und ihrer ehemanoch wenig gemein mit der Vision, die sie verkauft. Die harten Jahre auf der ligen Schülerin Heather werden im Kampf um Erfolg und Anerkennung schon Straße haben Spuren hinterlassen. Die Füße sind blutig gelaufen, ihre eigene mal Parfüm und Nagelfeile zu gefährlichen Waffen. Willkommen in der Vorgarkp Schönheit verblasst, die Verkaufsquote sinkt. Trotzdem bleibt sie rastlos, auf ten-Hölle des Direktmarketings.

DREI FRAGEN AN HAUPTDARSTELLERIN ULRIKE FOLKERTS Cookie Close ist Ihre erste Hauptrolle am NTM. Was interessierte Sie an dieser Figur? Als Burkhard Kosminski mir dieses Stück von Noah Haidle und die Rolle der Cookie Close vorschlug, habe ich nicht schlecht gestaunt. Was? Eine Kosmetikverkäuferin im Direktvertrieb, die Schönheit verkauft? Die ersten Male beim Lesen habe ich mich köstlich amüsiert, über herrliche Dialoge, über diesen Irrsinn, Klinken zu putzen und Beauty-Produkte zu verkaufen, über diese Bandbreite von wahnwitzigen Begegnungen, in denen sich dann nochmal ganz andere Abgründe auftun. Da wurde ich neugierig. Cookie erscheint auf den ersten Blick als eine Frau, die für ihren Glauben an den amerikanischen Way of Life einen sehr hohen Preis zahlt. Aber verdient sie für ihre Konsequenz nicht auch Respekt? Inzwischen weiß ich: dieses Stück und seine Rollen haben es in sich. Es geht nicht nur um Kosmetik und Schönheit, es geht um Glaube, Freiheit, Durchhal-

ten, um Familie, Liebe, Sex und ums Altwerden, um die eigene Vergangenheit, die uns einholt, es geht um Erziehungsmuster und ihre Wiederholungen. Cookie Close verkörpert die Perfektion im Glauben daran, dass dein äußerlich hergestelltes Strahlen echt wird und dich innen und außen unendlich schön macht. Wenn ihre konsequente Lebenseinstellung nicht so viel Unheil anrichten würde, könnte man denken, was für eine tolle, unabhängige, selbstbestimmte Frau, wow, Respekt! Aber … Man kennt Sie in erster Linie aus Film und Fernsehen, vor allem natürlich als Lena Odenthal im Ludwigshafener Tatort. Was reizte Sie daran, eine Rolle in einem Theaterstück zu übernehmen? Abgesehen davon, dass ich Theaterspielen für wahnsinnig wichtig halte, ist diese Rolle eine riesige Herausforderung für mich, eine Chance meine schauspielerische Bandbreite zu beleben. Ich kann so viel ausprobieren, so viel lernen, habe so wunderbare Mitspieler/innen, ein ganzes Team, das gemeinsam dieses Stück erobert und dafür eine Form sucht. Eine sehr kreative Arbeit, finde ich. Die Dinge dürfen sich entwickeln, sich nochmal komplett verändern, neu erfunden werden, dafür gibt es bei Film und Fernsehen nur selten die Zeit. Und dann letztendlich das Spielen vor Publikum, ein unglaubliches Erlebnis, wenn man sonst am Montagmorgen per SMS die Einschaltquote vom Tatort ­erfährt. kp

FÜR IMMER SCHÖN (UA)  von Hausautor Noah Haidle Premiere  Samstag, 7. Oktober 2017, 19.30 Uhr im Schauspielhaus, anschließend Premierenfeier im Theatercafé Inszenierung  Burkhard C. Kosminski  |  Bühne Florian Etti | Kostüme Lydia Kirchleitner | Video Sebastian Pircher | Musik Hans Platzgumer  Licht Nicole Berry | Dramaturgie  Katharina Parpart Mit  Ulrike Folkerts, Sabine Fürst, Celina Rongen, Anke Schubert; Michael Fuchs und Benjamin Pauquet Nächste Vorstellungen  Di, 10., So, 22. und Fr, 27. Oktober 2017  |  Karten  7,- bis 46,- €


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