DAS EREIGNIS SCHAUSPIELER Gespräch mit dem Autor, Regisseur und Dramaturgen Marius von Mayenburg Das Spielzeitthema glauben – wissen – hoffen vertieft das JNT für junge (gebliebene) Erwachsen mit der Komödie Märtyrer von Marius von Mayenburg. Diese bitterböse Komödie über einen jugendlichen Fanatiker und die Ohnmacht der Gesellschaft inszeniert der Fachmann für Rhythmus Daniel Pfluger im Studio. Der Autor Marius von Mayenburg erläutert im Gespräch, wie es zu dieser Theaterform bei dem gesellschaftlich brisanten Thema kam. Ein Merkmal der zeitgenössischen Dramatik scheint mir ihre Vielgestaltigkeit zu sein. Es gibt diejenigen, die für die zersplitterte Wirklichkeitswahrnehmung einen neuen literarischen Ausdruck suchen und daneben gibt es Autoren, die mit einer fast naiv wirkenden Haltung an bestimmten Werten festhalten und die gängige Rede von der Komplexität der Welt als Affirmation der Verhältnisse entlarven. Diese unterschiedlichen Strömungen führen ja auch zu den ideologischen Grabenkämpfen zwischen postdramatischem und nicht-postdramatischem Theater. Manchen scheint es unmöglich, ihr Erleben in die Struktur einer Geschichte zu überführen, Figuren zu zeichnen, die kohärente Biografien haben, andere Autoren, zu denen ich mich zähle, behaupten dagegen, dass es sehr wohl erzählbare Lebensläufe gibt. Das verdankt sich einer unterschiedlichen Wahrnehmung. Ich empfinde mein Leben gar nicht als so zerstört und aufgelöst, wie der Diskurs suggeriert. Dennoch verstehe ich den anderen Ansatz, ich schaue auch gerne solches Theater, weil sich daraus eine neue Perspektive auf das eigene Leben öffnet. Darin sehe ich übrigens auch den Auftrag der Kunst: dass sie neue Blicke auf unsere Wirklichkeit ermöglicht, Blicke auf Sachverhalte, die wir vielleicht nicht wahrhaben wollen oder verdrängen, vielleicht aber auch auf solche, die wir sogar selber schon einmal gesehen haben, aber nicht in der Differenziertheit, wie sie uns ein anderer Autor oder Theatermacher eröffnen kann. Wie kann das dem Theater gelingen? Zuallererst einmal durch die kollektive Erfahrung, die gemeinsam verbrachte Zeit. Das ist der große Vorteil, den das Theater allen anderen Medien gegenüber hat. Damit meine ich nicht nur das Zuschauerkollektiv, sondern auch die Gemeinschaft, die aus den Spielern und den Zuschauern jeden Abend neu entsteht. Und für mich stehen dahinter auch immer noch die Autoren, die bereit sind, etwas von ihrem möglicherweise sehr persönlichen Blick auf die Welt zu teilen. Das Theater hat die Mittel, auch Gedanken gegen den Widerstand eines Publikums zu offenbaren, indem es die Zuschauer in ein Erlebnis verwickelt – es kann zum Nachvollzug einladen, aber auch überrumpeln oder einen gemeinsamen Rausch erzeugen. (…) Du hast früh begonnen für das Theater zu schreiben, bist äußerst erfolgreich, wirst auch rege im Ausland nachgespielt. In deinen letzten Stücken sieht man, wie virtuos du das Komödienhandwerk beherrschst, bekannt wurdest du hingegen mit einem sehr schmerzhaften Stück über Pubertät, Feuergesicht. Ist das ein bewusster Wandel? Für mich ist Feuergesicht ja auch eine Komödie. Ich schreibe immer über Sachen, die mir längere Zeit keine Ruhe lassen. Das können sehr unterschiedliche Dinge sein. Irritationen, denen ich schreibend auf die Spur kommen will. Wie lustig das Stück dann wird, hängt stark vom Thema ab. Mich haben in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Dinge interessiert, individuelle und politische, und ich habe mir den Luxus gegönnt, darauf sehr unterschiedlich zu reagieren. In einer stillschweigenden Übereinkunft von Theaterleitern und Medien ist ja für den lebenden Autor die Nische des Diskurstheaters reserviert. Da dürfen dann vor dem nicht so zahlreichen, hauptsächlich studentisch-theaterwissenschaftlichen Publikum auf den Nebenspielstätten formal schwierige Texte zu tagespolitisch relevanten Themen abgearbeitet werden. Ich habe mich diesem Druck immer entzogen, auch weil es mir wahrscheinlich gar nicht geglückt wäre, so zu schreiben, selbst wenn ich es versucht hätte.
Du bist ein Erzähler, schreibst großartige Dialoge, entwickelst geradezu klassisch Situationen. Das gibt es nicht mehr allzu häufig. Ich glaube, durch das Regieführen hat sich mein Schreiben verändert. Ich hatte mir Jahre lang literarische Dogmen auferlegt, Worte, die ich mir verboten habe, bestimmte Erzählweisen. Das habe ich alles fallen gelassen. Das Ereignis Schauspieler ist für mich in den Mittelpunkt gerückt. Wer den Text geschrieben hat, wer ihn inszeniert, sollte möglichst unsichtbar bleiben. Das Publikum will den Schauspieler so pur wie möglich erleben. Das war für mich eine wichtige Erkenntnis, denn die Schauspieler sind es, denen das Publikum an diesem Abend begegnet. Mir selber geht es als Zuschauer auch so. Ich habe bemerkt, wie mich eine originelle Sprache oder ein ausgesucht formalistischer Regiestil zu stören beginnen. Daher versuche ich jetzt hinter meinen Stücken als Autor eher zu verschwinden. Und die Auseinandersetzung mit der Komödie ist der Versuch, den Kontakt zwischen Publikum und Schauspielern unmittelbarer zu machen. Es funktioniert nirgends so gut wie in der Komödie, dass diese beiden Protagonisten des Theaters zu echten Partnern werden und miteinander ins Spiel kommen. Es ist auch nirgends so deutlich im Probenprozess, dass ein Partner fehlt. Lachen ermöglicht eine sehr direkte Interaktion. Die suche ich. Das Gespräch führte Judith Gerstenberg im Oktober 2015 für das Schauspiel Hannover.
MARIUS VON MAYENBURG studierte Altgermanistik und »Szenisches Schreiben« an der Hochschule der Künste Berlin. 1998 – 1999 war er dramaturgischer Mitarbeiter der »Baracke« des Deutschen Theaters, anschließend bis 2015 Dramaturg und Hausautor an der Schaubühne am Lehniner Platz. 2012 inszenierte er hier die Uraufführung von Märtyrer.
Regisseur Daniel Pfluger, der aus Mannheim stammt.
DANIEL PFLUGER führt zum sechsten Mal Regie am Jungen Nationaltheater Mannheim, dem Theater mit dem er aufgewachsen und an dem er seine Assistenzjahre verbrachte. Seitdem ist er ein gefragter Regisseur, der wiederholt ausgezeichnet wurde. Er inszeniert Sprech-, Musik-, Tanztheater und Crossover-Arbeiten u. a. beim Heidelberger Frühling, an der Bayrischen Staatsoper, am Theater & Orchester Biel-Solothurn (CH) und am Saarländischen Staatstheater.
MÄRTYRER Eine Komödie von Marius von Mayenburg, 14+ Premiere am 28. Januar 2017 um 19.00 Uhr im Studio Werkhaus Regie Daniel Pfluger | Bühne Flurin Borg Madsen | Kostüme Janine Werthmann | Licht Ronny Bergmann | Dramaturgie Anne Richter Theaterpädagogik Josefine Rausch Mit Simone Oswald, Helene Schmitt, Monika-Margret Steger; David Benito Garcia, Sebastian Brummer, Cédric Pintarelli, Uwe Topmann, Mathias Wendel Vorstellungen Do, 26. (Öffentliche Hauptprobe für Pädagogen), So, 29., Mo, 30. und Di, 31. Januar 2017 Karten unter Tel. 0621 1680 302 · www.nationaltheater-mannheim.de