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„Bei uns gibt es keine schwule Identität“ Text und Interview Asim Aliloski

In Marokko erscheint seit kurzem das erste Gay-Magazin im arabischen Raum. In „Mithly“ schreiben sämtliche Journalisten unter Pseudonym. Denn wer als schwul „enttarnt“ wird, riskiert jahrelange Haft. NAME IT hat es dennoch geschafft, einen der Journalisten zum Interview zu bekommen ...

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ourad ist Journalist beim ersten marokkanischen Gay Magazin „Mithly“, das in einem dunklen Hinterzimmer irgendwo in den verwinkelten Gassen von Marokkos Hauptstadt Rabat entsteht. Das Journalisten-Team lebt versteckt, gut ein Dutzend Menschen arbeiten für das 20 Seiten starke Magazin. Übersetzt heißt der Titel schlicht „schwul“. Ein kleines Wort mit großer Sprengkraft – die Publikation ist ein Skandal in dem ultrakonservativen Königreich. Das derzeit einzige Gay-Magazin in einem arabischsprachigen Land soll „den Schwulen und Lesben in Marokko eine Stimme geben.“ Homosexualität stellt in Marokko nämlich nach wie vor einen Straftatbestand dar und wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet. Um sich vor Anfeindungen und Übergriffen zu schützen, veröffentlichen die Journalisten ihre Artikel unter Pseudonym. Auch Mourad heißt in Wirklichkeit nicht so. Seine Identität verschweigt er lieber. Die Angst vor der Enttarnung ist sein ständiger Begleiter. Homosexualität wird tabuisiert und aus dem Alltag verbannt. Schwulsein gilt als Sünde, die Schande über die Familie bringt. Mourad erklärt im Interview mit NAME IT das Leben im Spannungsfeld zwischen Homosexualität und Islam.

Wie ist das Verhältnis zu deinen Eltern? Mourad: Ich hatte das Glück, dass mein Vater vor einigen Jahren gestorben ist. Meine Mutter ist mittlerweile sehr auf mich fixiert und ahnt, dass ich mich in meiner Freizeit nicht nur auf einen Kaffee mit Freunden treffe. Letztens meinte sie, sie wäre mit meinem Lebensstil einverstanden, jedoch unter der Vorraussetzung, dass ich eines Tages mit einer Frau verheiratet bin und Kinder zeuge. Kann ein Familienleben so funktionieren? Ich kenne Ehefrauen, die homoerotische „Aussetzer“ ihrer Männer dulden. Den Status eines Erwachsenen erhalte ich hier nur dann, wenn ich verheiratet bin. Für die meisten stellt die Familie einen sehr wichtigen oder sogar wichtigeren Teil der Identität dar als die eigene Sexualität. Diese Einstellung hat auch nichts mit dem Islam an sich zu tun, sondern baut vielmehr auf Stammes- und Blutsvorstellungen auf.

Harte Fakten

Islam und Homosexualität

Wie wird Homo-Erotik in deinem Land, also Marokko, ausgelebt? Mourad: Ich habe meine ersten homoerotischen Erfahrung kurz nach meiner Pubertät gemacht. Es ist nämlich so: Die meisten können und dürfen in unserem konservativen Kulturkreis bis zur Ehe keine Frau berühren, man ist oft nur unter Männern. Obwohl die meisten in dieser Zeit homosexuelle Erfahrungen machen, würde keiner auf die Idee kommen, sich als schwul oder bisexuell zu bezeichnen. Das Thema Outing ist daher kein Thema? Mourad: Richtig, da es bei uns keine schwule sexuelle Identität gibt, wie das im Westen der Fall ist. Das Thema Outing ist nur wichtig, wenn man in Europa oder den USA lebt. Ich sehe Outing eher als westlichen Bekenntnisdrang. Wo treffen sich schwule Marokkaner? Mourad: Wir veranstalten selten private Events, bei denen Männer unter einander sein können. Einfach deshalb, weil wir wissen, dass das Risiko sehr groß ist, von den Behörden erwischt zu werden. Noch schlimmer ist es, wenn Familienmitglieder etwas ahnen. Daher spielt sich vieles in den anonymen, internationalen Hotelketten ab wie im „Le Meridien“ oder im „Radisson“. Da kann man viele Schwule treffen, unter ihnen auch einige Stricher.

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Von einer generellen Ächtung homosexueller Handlungen ist im Koran nirgends ausdrücklich die Rede. Viele Verse sind sogar geschlechtsneutral gehalten, die von einem „Partner“ sprechen, weniger von „Mann“ oder „Frau“. Sehr wohl aber richtet sich die Auslegung des Korans vieler islamischer Gelehrte gegen Homosexualität. Die Gründe dafür werden auf die traditionalistisch-patriarchalischen Strukturen des sozialen Umfeldes zurückgeführt.

Verbot von Homosexualität Diese Gesetze variieren von Land zu Land; je nachdem, ob der Islam Staatsreligion ist und ob das Rechtssystem der Scharia Anwendung findet. In Ländern wie Bangladesch, Ägypten, Katar, Kuweit, Libyen, Marokko, Pakistan, Senegal, Somalia, Syrien oder Usbekistan muss man mit Inhaftierung, Folterung und Misshandlungen rechnen. Todesurteile werden in Saudi-Arabien, Iran, im Jemen, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Mauretanien, im Sudan und auch in Tschetschenien vollstreckt.

Schwuler Sex Der Begriff „homosexuell“ bedeutet etwa in der türkischen Sprache so etwas wie „weiblich/schwach“, erklärt Hüseyin Kuzkaya, der seine Doktorarbeit über die türkische Sprache geschrieben hat. Und das ist das Schlimmste, was einem ehrenvollen, türkischen Mann passieren kann.


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