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Robert Crumb

Die Wahrheit über Sex & Drugs

TEXT Claudia Müller-Ebeling

Igitt! Und sowas hängt im Museum! Jawohl, wie 2001 erstmals auf europäischem Boden im Stedelijk Museum, Amsterdam, wo Christiaan Braun die Ausstellung kuratierte und seine Landsleute mit einer «bislang vernachlässigten US-amerikanischen Kunstströmung, die das Leben in einer ästhetisch ungewöhnlichen und provokanten Weise beschreibt», konfrontierte – mit Werken von Mike Kelley, Jim Nutt, Peter Saul, H.C. Westermann – und Robert Crumb. In den ausgestellten Skizzenbuch-Zeichnungen und Comicstrips der 1960er Jahre begegneten dem Publikum zentrale Charaktere des Crumb-Universums. Der Wüstenguru Mr. Natural (der spirituell Hilfesuchenden in Stadt-Wüsten entflieht). Groucho-Marx-artig Schlurfende mit Keep-on-Truckin'-Sohlen in beängstigender Nahsicht. Magere Alter-Ego-Männchen im Schritt riesiger Vollweiber mit strammen Schenkeln. Allerdings in artgerecht milden Versionen, wie alle in Amsterdam einst bemerkten, die Crumbs Magazine Zap, Arcade, Weirdo und Hup! kennen, seine Strips für Rip Off und Dope oder die Kompilationen, die in den 1970ern bei Zweitausendeins erschienen –kongenial ins Deutsche übertragen von «Dirty» Harry Rowohlt.

SEX

Kopulationen mit Big-Foot-Weibchen, durch Scheiße tauchende Klempner, Mister Snoid, der im Arschloch lebt, und der sexwütige Fritz the Cat sind weitaus größere Herausforderungen für politisch Korrekte, die für das Wahre, Schöne und Gute in der Kunst kämpfen und allein KünstlerInnen mit tadellos reinen Westen tolerieren wollen. Tja, Kunst ist kein Wunschkonzert und Inspiration kein glasklar plätschernder Quell. Oft eher ein Neurosensumpf.

Crumb und das LSD. Foto: zvg

Für wirklich fiese Schweinereien sind diejenigen verantwortlich, die eigene Sümpfe unterdrücken – und anderen aufdrängen.

Angesichts all der gewaltsam gespreizten «tollen Beine» (von Riesenweibern, die sich lüstern grunzend ergeben) ist ein Kommentar wie dieser von Joanna Frueh bemerkenswert: «Die Comics von Crumb sind die einzigen mir bekannten, in denen ihr männlicher Schöpfer seine an Lust grenzende Bewunderung großer muskulöser Frauen eingesteht und gleichzeitig zugibt, ein abnormal langweilig peinlicher Lüstling zu sein. Ich schätze seine Aufrichtigkeit.»

Crumb bestätigt das an gleicher Stelle: «Diese Fantasien regieren mein Leben. Natürlich gingen sie mit Scham, Schuld und Selbstanklagen einher. Aber aus welchen bekloppten Gründen auch immer – ob aus dem verzweifelten Bedürfnis nach Bestätigung, narzistischer Veranlagung oder unterdrückter Aggression –ich muss sie der Öffentlichkeit einfach ins Gesicht schleudern (...), indem ich aus meinen neurotischen Marotten eine rohe, vulgäre Karikatur mache.»

Sein Mut, «die Tandaradei-Atmosphäre zu erschüttern», brachte dem nonkonformistischen Cartoonisten museumswürdigen Ruhm ein. Auch weil die von mal kernig, mal satirisch bis zynischen Varianten von Keep on truckin' (wozu ein Blues der 1930er Jahre den fanatischen Sammler alter Schellackplatten inspiriert hatte) zum größten Renner des florierenden Postergewerbes der Seventies wurde und von Mr. Natural Haschpfeifen und Trinkgläser

kursierten, natürlich ohne Gewinnbeteiligung für den Künstler.

Ebenso beraubte ihn Columbia Records der Rechte an seinen Zeichnungen für die Vorder- und Rückseite der LP Cheap Thrills von Janis Joplin & Big Brother and the Holding Company. Den zunehmenden Ruhm, auch dank der erfolgreichen Verfilmung von Fritz the Cat, betrachtete Crumb stets als zweischneidiges Schwert, weil er sich weder dem merkantilen Interesse noch den Erwartungen seiner }

«Ich bin am besten, wenn ich meine eigene persönliche Absurdität ausdrücke.»

RobeRt CRumb

Vorderseite der LP Cheap Thrills von Janis Joplin & Big Brother and the

Holding Company.. Foto: PD Crumbs Obsession, das Vollweib: Devil Girl . Foto:Alamy

Fangemeinde künstlerisch beugen wollte. «Ich bin am besten, wenn ich meine eigene persönliche Absurdität ausdrücke.» Etwa im masturbierenden Buckwheat, der mit der Linken sein Gemächt bearbeitet, mit der Rechten sein Gesicht hinter dem Pornomagazin Glaube & Schönheit verbirgt und ringsum eine leere Konserve und Fastfoodtüte, ein Appelgriebsch und der Chauvie-Courier (beide Titel natürlich von Harry Rowohlt) die Szenerie rings um die stinkende liegende Gestalt garnieren, über der Fliegen aufsteigen.

Die duselig betörte Versenkung in erotische Wunschträume, die sich in der versunkenen Haltung, der leicht heraushängenden Zunge und den verengten Augenschlitzen von Fritz the Cat punktgenau manifestieren, und die breitbeinige Kumpelhaftigkeit des gute Geschäfte witternden, breit grinsenden Hamsterpartners (abgedruckt im selben Band von 1975) sind beste Comic-Kunst.

Comics ermächtigen Machtlose, belustigen Lüsterne, lassen raus, was nicht raus darf und erlauben, was nicht sein darf. Deshalb gehört(e) der Erfinder und Meister der Selbstparodie zur ersten Liga der Comix mit X. Warum, bringt Klaus Schikowski in Welcome to Crumbland auf den Punkt: «Der Zeichner Robert Crumb wurde zur Gallionsfigur einer Bewegung, die den Comic maßgeblich verändern sollte. Denn die Comix wurden mit x am Ende geschrieben, da sie x-rated, also für ein erwachsenes Publikum gedacht waren. Sie standen für eine persönliche Ausdrucksweise und neue Inhalte, und sie befreiten den Comic von der selbst auferlegten Zensur durch den Comics Code, der seit 1954 alle Comichefte jugendfrei hielt. Die Comix hingegen setzten auf explizite Darstellungen und subversive Parodien, wovon vor allem der junge Robert Crumb ausgiebig Gebrauch machte.»

DRUGS

Und weil nach Sex im Sixties-Dreisatz Drugs folgt, dürfen wir nun endlich Nuancen der Psychedelik à la Crumb goutieren.

Seine Drug of choice war LSD. Als er damit 1965 begann, fiel ihm endlich wieder etwas ein, wie er selbst betonte. Er vertiefte sich monatelang besessen berauscht in Erfahrungen mit explodierenden Farben, Welten, Inspirationen und war blown away

von Postern, die ganz klar von LSD inspiriert waren. Wie Konzertplakate von Moscoso, Griffin und Wilson, denen er 1968 in San Francisco begegnete, in gegenseitiger Bewunderung für «irre Zeichnungen», die keiner zuvor je gesehen hatte. Ebenso irre erscheint es retrospektiv, dass in den goldenen Anfängen der Hippie-Bewegung der Respekt für Werke der Kollegen (Kolleginnen waren rar gesät) vor Neid und Gewinnsucht dominierte und aus

Crumbs Drug of choice war LSD. Als er damit begann, fiel ihm endlich wieder etwas ein.

Oben: Voll drauf, 1970. Unten: Mr. Natural. Fotos: Alamy, zvg Oben: LSD. Unten: Titelblatt ZAP Comix. Fotos: zvg

diesem Respekt sogar substanzielle juristische Unterstützung erwuchs, wie Crumb im ausführlichen Interview 1972 (einem psychedelisch überaus produktiven Jahr) erläuterte: «Dann schleppte Moscoso diesen Anwalt an, und die Print Mint kam dazu, und plötzlich waren wir kein kleines Hippie-Unternehmen mehr, sondern eine größere Sache mit Anwalt (...) und dem ganzen juristischen Kram, damit wir nicht gelinkt werden.»

Mit geübt typischer Schraffur zeichnet der ComixHero 1970 in sechs Bildern die dramatische Voll-Drauf-Verwandlung vom Kiffergesicht zum ausufernden Delta von Augäpfeln und Penisnase. Mein erster LSD-Trip (ausdrücklich als «wahre Geschichte» überschrieben) zeigt ein ekstatisch schwatzendes Pärchen, das sich, bei zunehmend herabbrennender Kerze, auch als Monsterpaar mit Fell, Vogelschnabel und dürren Gliedern (wie Crumb sich porträtierte) prächtig amüsiert. Im achtseitigen Strip Kubistische Be Bop Comics trudelt das menschliche Bestiarium durch musikalische und theoretische Galaxien, transzendiert das übliche Quadrat-Schema kubistisch im schrillen Stilmix und lässt den Betrachter auch am kreativen Prozess des Cartoonisten Anteil nehmen, der sich mit «einem Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration» seinem Pinselstrich und rasant wechselnden Einfällen hingegeben muss.

Wow! Unfassbar! Wie genial El Crumbo psychedelische Erfahrungen in Mimik, Gestik, Szenerien und Szeneslogans auf den Punkt bringt, äh, }

Aus «Kubistische Be Bop Comics». Foto: zvg

pardon, aus der Feder spritzt – dafür begeisterten sich viele, die in seinen Comix ureigene kosmische Einsichten erkannten.

Dass Crumb Donald Trump schon 1989 aufs Korn nahm (in Hup 3); Müll als konsequentes Ergebnis globaler Konzerne (1982 in Weirdo 6); den Rassismus und Antisemitismus faschistoider White Supremacy (1993 in Weirdo 28) und im fünfseitigen Strip Ein paar Worte über unser modernes Amerika (in Arcade 2) seine verwirrte Überforderung angesichts feindlicher

Dass Crumb Donald Trump schon 1989 aufs Korn nahm, ist verblüffend visionär.

Meinungsgatter bekannte, in die sich die Hippie-Community schon 1975 einsperren ließ, ist aus heutiger Sicht verblüffend visionär! – Das zum politisch korrekten Feldzug «Reine-Weste».

Wie schon der alte Goethe aus seiner Zwiesprache mit Mephisto erfuhr, der bekannte: Ich bin «ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft». Andersrum funktioniert's leider nicht, in unserem besessenen Kampf vom Guten (was ist das?) gegen das sogenannte Böse ... Exakt deshalb ist Robert Crumb alles andere als Igittigitt! Robert Crumb, good old fellow: Happy Birthday zu Deinem 79.!

Denn diese Zeilen entstanden rund um den 30. August 2022, als Du vor genau 79 Jahren zum ersten Mal extrauterin in die Windeln kacktest. Diese vom üblichen runden Geburtstag abweichende Hommage wird Dir, dem Comix-Kreator, sicherlich gefallen. Denn Du hattest den Mut, niemandem zu gefallen, und wurdest gerade deshalb von vielen bewundert (sogar von starken Frauen).

lucys-magazin.com/autoren/mueller-ebeling/

Robert Crumb, der legendäre Cartoonist und Gründer von Underground-Comix, kam am 30. August 1943 in Philadelphia, Pennsylvania, zur Welt. Dort und in Delaware wuchs er mit seinem älteren und jüngeren Bruder in prekären Verhältnissen auf. Mit dem künstlerisch talentierten älteren Bruder entfloh er bis zum Highschool-Abschluss dem vom gewalttätigen Vater und der psychisch labilen Mutter geprägten familiären Milieu (1994 ohne Voyeurismus meisterlich im Kinofilm dokumentiert von Terry Zwigoff) in kreative Gefilde, mit «ekligen Zeichnungen für Schülerzeitungen».

Mit Anfang 20 lebte er mit seiner ersten Frau Dana Morgan Crumb in Cleveland, Ohio, wo er mit dem Zeichnen von Glückwunschkarten erste berufliche Erfahrungen sammelte. Nach achtmonatiger Auszeit in Europa (wo er Fritz the Cat erschuf), künstlerischen Kontakten in New York und überwältigenden LSD-Erfahrungen 1965 begann sein Aufschwung mit der Hippie-Bewegung. 1967 «verduftete» er nach San Francisco und machte mit eigenen subversiven, sogar persönlich verkauften Underground-Comics (Zap, Arcade, Weirdo, Hup!) Furore.

Er begegnete seiner zweiten Frau Aline Kominsky-Crumb, Comic-Zeichnerin und Sex-Idealbild. Seit 1993 lebt die Familie mit Tochter in Südfrankreich, wo sie sich auch gemeinsam den Comics widmen und Robert seinen musikalischen Ambitionen als Bandgründer und Bluesmusiker frönt.

Crumb 2014 in Lucca. Foto: Niccolò Caranti

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