P O RT R ÄT
Ingrid Döll Die Teilnehmerin am Seniorenkolleg hat sich ganz der Schönheit der Literatur verschrieben Parallel zu den Studenten der halleschen Alma mater starten im Oktober auch die Teilnehmer am Seniorenkolleg der Martin-Luther-Universität ins neue Semester. Zu ihnen gehört die ehemalige Deutsch- und Englischlehrerin Ingrid Döll. Nach ihrer Pensionierung im September 2002 stieg Döll zum Wintersemester 2003 am Seniorenkolleg ein – und zwar nicht „nur“ als regelmäßige Besucherin der alle 14 Tage stattfindenden wissenschaftlichen Vortragsreihe, sondern gleich auch als Initiatorin und Organisatorin eines eigenen Projekts namens „Lese-Erlebnisse“.
„Nach den vielen Jahren der Vermittlung von und des regen Austauschs über Literatur fiel mir die Vorstellung schwer, fortan quasi allein zu Hause vor mich hin zu lesen“, erzählt die heute 71-Jährige. Ihr daraus resultierender Gedanke, am Seniorenkolleg ein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen, fiel auf fruchtbaren Boden. Und zwar auf allerkürzestem Wege, denn Seniorenkolleg-Leiterin Dr. Gisela Heinzelmann wohnt in Langenbogen, seit 1996 Heimatort der Dölls, nur zwei Häuser weiter. Rasch war für die neue Veranstaltungsreihe auch der Titel „Lese-Erlebnisse“ gefunden. „Wenn man liest, erlebt man etwas“, sagt Döll, die Botho Strauß und Siegfried Lenz verehrt, die Lyrik Eva Strittmatters und Heinz Kahlaus liebt, dazu. Zwanzig Frauen und kein Mann Die Anfänge seien freilich gar nicht so einfach gewesen. „Ich musste erst einen Weg finden, denn zum einen wollte ich keine Vorlesung abhalten, zum anderen hatte ich keine Schüler, sondern gestandene Leute vor mir“, erinnert sich Döll. Auch die Auswahl der Bücher sei schwierig gewesen, wo doch „die Interessen so vielschichtig und weitgespannt sind“. Inzwischen haben sie und ihr Stamm gut 20 Frauen (Männer bleiben die seltene Ausnahme) aber einen prima Modus gefunden. „Wir stimmen am Ende eines Semesters darüber ab, welche vier Bücher wir uns im darauffolgenden Halbjahr vornehmen, wobei ich schon darauf achte, dass es eine gute Mischung aus Gegenwartsliteratur und Klassikern gibt.“ Jetzt im Wintersemester stehen Sigrid Damm („Wohin mit mir?“), Alice Munro („Zu viel Glück“), Oscar Wilde („Das Bildnis des Dorian Gray“) sowie Hermann Hesse („Narziß und Goldmund“) auf dem Programm. Bei den einmal monatlich abgehaltenen Zusammenkünften im stilvollen Ambiente des Kaminzimmers der Sparkassen-Hauptfiliale in der Rathausstraße gibt Döll eine kurze Einführung zum jeweiligen Autor. Von ihr moderiert, treten die Teilnehmer anschließend ins Gespräch und den Austausch über ihre ganz persönlichen „Lese-Erlebnisse“ bei der Lektüre des betreffenden Buches. Es sei immer wieder spannend mitzuerleben, was die anderen dazu äußern, und worauf man selbst beim Lesen gar nicht gekommen ist. „Solch einen Aha-Effekt zu haben – das ist doch auch im Alter schön“, schwärmt Döll. Ein weiterer erfreulicher Aspekt: Man bereichere den eigenen Wortschatz und wachse in seinen Lesegewohnheiten: „Manches Buch hätte man ohne die von unserer Gruppe ausgehenden Anregungen und Impulse womöglich nie in die Hand genommen.“ Antworten in Büchern, nicht bei Facebook In allem kann man spüren: Literatur ist Döll eine echte Herzensangelegenheit, für die sie während ihrer langjährigen Unterrichtstätigkeit
Ingrid Döll, die Leiterin der Veranstaltungsreihe „Leseerlebnisse“ des Seniorenkollegs an der MLU, in ihrem Lesezimmer in Langenbogen. (Foto: Andreas Löffler)
an der EOS bzw. dem späteren Gymnasium im Neustädter Bildungszentrum vor allem auch die Heranwachsenden zu begeistern trachtete. „Ein suchender junger Mensch findet seine Antworten doch nicht bei Facebook. Bücher können helfen, sich verstanden zu fühlen. Und zum Weitergehen ermutigen, auch wenn es anstrengend wird“, sagt die Mutter und Großmutter voller Überzeugung. 1 A N D R E A S LÖ F F L E R
3 www.seniorenkolleg.uni-halle.de
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