Museumsportal 1/2010

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Zeitschrift des Lungauer Museumsvereins Tamsweg 1/2010

Festschrift fĂźr Anton und Josefine Heitzmann


INHALT Seite 3

Vorwort

Seite 4

Raimund Kastler, Einzelfunde von der römischen Tauernstraße und antike Lesefunde aus Immurium - Moosham

Seite 11

Klaus Löcker, Neue Gebäudereste aus Immurium

Seite 14

Gerald Hirtner, In vinea domini indefessus operarius. Der Tamsweger Priester P. Heinrich Auer OSB (1703-1765)

Seite 22

Klaus Heitzmann, „Der höchste Berg der Erde ist, soviel man weiß, der Chimborasso". Zur Datierung einer Bergekarte von Alois Lederwasch

Seite 31

Christian Blinzer, Der „Volksschriftsteller“ und „Ethnograph“ Josef Steiner-Wischenbart

AUTOREN Mag. Christian Blinzer, geb. 1979, Absolvent des BG Tamsweg 1998, Studium in Graz und Dublin (Anglistik; Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung), Lehrer am Bundesgymnasium Stift Rein, Projektmitarbeiter am Institut für Kirchengeschichte und Kirchliche Zeitgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz, Veröffentlichungen zur Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie zur Lungauer Regionalgeschichte. Dr. Klaus Heitzmann, geb. 1969 in Tamsweg, Absolvent des BG Tamsweg 1988, Studium der Fächer Geschichte und Latein an der Karl-Franzens-Universität Graz mit Schwerpunkt auf Lungauer Regionalgeschichte. Historiker und Lehrer am Bundesgymnasium Tamsweg. Veröffentlichungen zu Themen der Lungauer Regionalgeschichte, zuletzt erschienen: Tamsweg. Geschichte eines Marktes und seiner Landgemeinden (Verlag Wolfgang Pfeifenberger 2008). Klaus Heitzmann lebt in Tamsweg, ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Mag. Gerald Hirtner, geb. 1983 in Tamsweg, Absolvent des BG Tamsweg 2001, Studium der Geschichte und Politikwissenschaft in Salzburg und Brüssel. Tätig als Archivar. Mitarbeit an regionalhistorischen Publikationen. Zuletzt selbstständig erschienen: Die Kocherchronik. Die Kapuziner im Lungau (Peter Klammer Verlag 2008). Dr. Raimund Kastler MAS, geb. 1966; Studium der klassischen Archäologie in Salzburg; Studium des Kultur- und Medienmanagements in Salzburg; langjährige Ausgrabungspraxis in Griechenland, Bulgarien, Deutschland und vor allem in Carnuntum, Niederösterreich. Bis Ende 2006 Mitarbeiter der Österr. Akademie der Wissenschaften, Projekt „Legionslager Carnuntum“. Seit 2002 Landesarchäologe am Salzburg Museum. Schwerpunkt der wissenschaftlichen Forschung: ländliche Besiedlung und Infrastruktur der römischen Kaiserzeit und der Spätantike im Gebiet des heutigen Bundeslandes Salzburg. Mag. Klaus Löcker, geb. 1968 in Mauterndorf, Absolvent des BG Tamsweg 1986, Studium der Ur- und Frühgeschichte in Wien. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte in der archäologischen Prospektion, der Archäologie der Eisenzeit, der Montanarchäologie, der Experimentellen Archäologie und der theoretische Archäologie. Lehraufträge an den Universitäten Wien, Innsbruck und Bochum. Leitung und Teilnahme an zahlreichen Ausgrabungen und Prospektionsprojekten im Inland und europäischen sowie internationalen Ausland. Seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien. Seit 2010 am Ludwig Boltzmann Institut für archäologische Prospektion und virtuelle Archäologie, Wien.


VORWORT meinsamen Veröffentlichungen zur Lungauer und Tamsweger Geschichte: Tamsweg in alten Ansichten (1994), Tamsweg. Von Bürgern, Bauern und vergangenen Zeiten (1996), Leben im Lungau (2004) und schließlich die Mitherausgabe der umfangreichen Ortschronik Tamsweg. Geschichte eines Marktes und seiner Landgemeinden (2008). Dieses wertvolle Schaffen begründet auch den Entschluss des Vorstandes, in Form einer Festschrift Dank zu sagen. Die Aufsätze stammen von Historikern und Archäologen, die als Koautoren für die Tamsweger Ortschronik oder in Form von Forschungskooperationen mit den beiden Geehrten zusammengearbeitet haben. Der Salzburger Landesarchäologe Dr. Raimund Kastler stellt die letzten, noch unpublizierten römischen Funde aus Immurium vor, die sich großteils im Inventar des Lungauer Heimatmuseums Tamsweg befinden. Danach behandelt der Archäologe Mag. Klaus Löcker jene Mauerreste aus Immurium, die er nach dem großen Windwurf von 2002 vermessen und wissenschaftlich bearbeitet hat. Mag. Gerald Hirtner, Stiftsarchivar von St. Peter in Salzburg, setzt sich mit dem Leben und Wirken des in Tamsweg geborenen Priesters P. Heinrich Auer OSB (1703-1765) auseinander. Eine Bergekarte des in Tamsweg geborenen Kartographen Alois Lederwasch steht im Mittelpunkt des folgenden Beitrags von Dr. Klaus Heitzmann. Und schließlich ist Mag. Christian Blinzer dem „Volksschriftsteller“ und Tauern-Post – Redakteur Josef Steiner – Wischenbart auf der Spur.

Seit nunmehr 49 Jahren besteht der Lungauer Museumsverein Tamsweg. Er betreut das Lungauer Heimatmuseum Tamsweg und stellt seit seiner Gründung einen wichtigen Faktor zur Erhaltung des kulturellen Erbes im Bezirk dar. An der Spitze des Vereins wirkte HR DI Arno Watteck als Obmann von der Gründung bis ins Frühjahr 2009. Für sein konstantes Wirken wurde HR Watteck mit dem Titel „Ehrenobmann“ ausgezeichnet. Karl Resch, der ebenfalls seit der Gründung aktiv am Vereinsgeschehen mitwirkte, wurde zum „Ehrenmitglied“ ernannt. Schon in den Anfangsjahren ging der Lungauer Museumsverein, insbesondere in der Person von Kustos DDr. Walter Fink, Kooperationen mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen ein. Allem voran ist die Initiierung und Begleitung der archäologischen Erforschung des römischen „vicus“ Immurium in unmittelbarer Nähe der Burg Moosham zu nennen. Dieser Wirkungsbereich wurde ab 2002 wieder belebt und in Zusammenarbeit mit der Landesarchäologie Salzburg im Bereich der Römer- und Slawenforschung forciert.

Viel Energie für die zukünftigen Projekte und viel Freude mit dem neuen „Museumsportal“ wünscht der Vereinsvorstand den zu ehrenden Kustoden Anton und Josefine Heitzmann.

Bei der Mitgliederversammlung 2009 nahm der Lungauer Museumsverein Tamsweg die Förderung der wissenschaftlichen Forschung im Bezirk als Zielsetzung in die Statuten auf. Was liegt daher näher, als durch die Herausgabe eigener Museumsschriften diesem Anspruch gerecht zu werden? In diesen Jahresschriften sollen neu erworbene Exponate vorgestellt und die Aktivitäten des vergangenen Jahres beschrieben werden. Die vorliegende Erstausgabe ist jedoch als Festgabe für Anton und Josefine Heitzmann gedacht. Seit 1993 wirken die beiden als Kustoden fruchtbringend für das Lungauer Heimatmuseum Tamsweg. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang ihre ge-

Dr. Klaus Heitzmann (Obmann) Mag. Arnold Pritz (stv. Obmann) Flora Bogensperger (Schriftführerin) Herbert Rabitsch (Kassier) Rita Stöckl (stv. Kustodin) Gabriele Aigner, Traudi Mauser, Barbara Lüftenegger, Mag. Ursula Lüftenegger (Beirätinnen)

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EINZELFUNDE VON DER RÖMISCHEN TAUERNSTRASSE UND ANTIKE LESEFUNDE AUS IMMURIUM-MOOSHAM. Im Jahr 2003 und 2005 fanden auf Flurstücken westlich des so genannten Schindergrabens bei Moosham mechanische Planierungsmaßnahmen statt. Auf der brach liegenden Fläche wurden verschiedentlich Funde aufgelesen, bis 2005 K. Löcker (Archeoprospections® ZAMG, Wien) und Dr. K. Heitzmann (Lungauer Museumsverein Tamsweg) schließlich eine gezielte Aufnahme aller Lesefunde und obertägig erkennbarer Baureste im Bereich des Schindergrabens und seiner Verlängerung nach Norden durchführten. Die im Jahre 2007 von S. Groh und V. Lindinger (ÖAI, Wien) in Zusammenarbeit mit der Landesarchäologie am Salzburg Museum und dem Lungauer Museumsverein Tamsweg durchgeführte Prospektion1 in Immurium erfasste auch das genannte Areal. Ergänzend zur Prospektion wurden vom Verfasser die ihm zugänglichen Teile des Lesematerials vorgelegt2. Im Sinne einer möglichst kompletten Erschließung aller antiken Funde aus Immurium3 sollen hier nun weitere Fundobjekte, ergänzt um zwei Lesefunde von der Tauernstraße, vorgelegt werden.

handelt sich dabei um eine Axt und um eine im gleichen Streckenabschnitt gefundene Hipposandale. Die Axtform mit Schaftlochlappen (Kat. Nr. 1) ist nach Künzl5 als Leitform der römischen Kaiserzeit anzusprechen, die bis in das 3. Jh. n. Chr. verbreitet ist. Vergleichbare Äxte des Typs Künzl NH 5, Pohanka Typ 1, finden sich unter anderem auch im Fundmaterial entlang der Straßentrasse der Via Claudia Augusta6. Axtfunde entlang einer Straßentrasse im Hochgebirge, wie es auch auf den Axtkopf vom Nesselgraben zutrifft, könnten als Hinweis auf Forstwirtschaft genauso gewertet werden, wie als Ausstattung von Transporttieren bzw. -fahrzeugen oder auch als Handelsgut. Da die römerzeitliche Existenz von Hufeisen nach wie vor umstritten ist7, gelten die so genannten Hipposandalen (Kat Nr. 2) als einzige nachweisbare antike Form des Hufschutzes. Anhand ihrer Verbreitung in den Nordwestprovinzen werden sie als gallisch – keltische Erfindung angesehen. Da es sich bei den Hipposandalen nicht um eine fest montierte, sondern um eine mit Bändern und Riemen befestigte Form des Hufschutzes handelt, liegt ihre Verwendung als temporäre Steighilfe in schwerem Gelände oder als orthopädische Maßnahme nahe. Eine permanente Trageweise ist besonders durch die auf Vorder- und Rückseite abstehenden Haken eher auszuschließen. Bei einer schnelleren Gangart (Trab oder Galopp) wäre die Verletzungs- bzw. Sturzgefahr zu groß. Die im Bereich des Steilanstiegs des Nesselgrabens gefundene Hipposandale könnte daher als geländebedingter Verlustfund angesprochen werden. Das vorliegende Exemplar zählt aufgrund der vorderen und hinteren Aufzüge mit den Befestigungshaken und der beiden Seitenflügel zu dem am weitesten verbreiteten Typ 18. Dass die kreuzweise mit vier verschweißten Eisenstollen ausgestattete Hipposandale jedoch nicht die für diesen Typ übliche Kreuzform aufweist, mag erhaltungsbedingt sein. Aus Michelhallberg und aus dem Bereich der Via Claudia Augusta sind vergleichbare gerundete Exemplare bekannt9. Chronologisch und formtypologisch lassen sich die bei Michelhallberg noch für das 3. und 4. Jahrhundert n.

Die römische Straßentrasse über den Radstädter Tauern ist als eine der bedeutendsten Infrastrukturmaßnahmen der Antike im Salzburger Raum zu werten. Trotz der bereits im 19. Jh. einsetzenden Forschung, darunter unpublizierter Detailstudien zu Einzelstrecken durch F. Narobe, stellt eine moderne archäologische wie topographische Erfassung der Tauernstraße, in der Art der jüngsten Studie zur Via Claudia Augusta, nach wie vor ein Desiderat dar4. Bedingt durch massive Eingriffe im Zuge von Baumaßnahmen für touristische Nutzungen im Bereich der Passhöhe sind große Teile des archäologischen Denkmälerbestands unkontrolliert zerstört worden. Geplante Infrastrukturbauten (Tauerngasleitung) lassen für die nahe Zukunft weitere massive Verluste an archäologischer Substanz an der römischen Tauernstraße und ihren begleitenden Baulichkeiten erwarten. Eine Sammlung der gesamten vorhandenen archäologischen Evidenz ist daher nötiger als je zuvor. Die zunächst vorgestellten Funde stammen als Lesefunde von der Trasse der Tauernstraße (Taf. 1). Es

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Groh – Lindinger 2008, 77-90. Kastler 2008, 131-144. 3 Auf die Präsentation eindeutig mittelalterlicher oder neuzeitlicher Lesefunde wurde bewusst verzichtet. 4 Der bisherige Forschungsstand ist unlängst von Gietl 2004, 200-214 umfassend und mustergültig vorgelegt worden; F. Narobe, Die Römerstraße durch den Leisnitzgraben, unpubliziertes Manuskript (1926), Archiv BDA.; zur Via Claudia Augusta vgl. Grabherr 2006. 2

5 Künzl 2008² Teil 1, 348 Typentafel 37 Teil 2 123 Taf. 567; Pohanka 1986, 229. 231-235. Dolenz 1998, 149 f. Taf. 45 F12; Pollak 2006, 18 f. 20. Taf. 30-32. 6 Grabherr 2006, 214. 248 Taf. 25 B173. 7 Vgl. zuletzt dazu Alföldy - Thomas 2008² 339 ff. 8 Grabherr 2001 71 ff. Taf. 66-97; Grabherr 2006, 217 f Taf. 32-38. 9 Grabherr 2001 Taf. 76 F58; Grabherr 2006, Taf. 34 B215.

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Chr. nachgewiesenen eingrenzen.

Hipposandalen

nicht

näher

Das in Immurium standardmäßig verbreitete Fabrikat grob gemagerter, reduzierend gebrannter Ware (Gebrauchskeramik) wurde von V. Moucka-Weitzel eingehend beschrieben16. Unter den Lesefunden ist neben weitmundigen Töpfen mit verdicktem Wulstrand17 (Kat Nr. 14-17) aus dem 2. Jh. n. Chr. auch das Bruchstück eines Topfes (?) (Kat. Nr. 18) mit horizontal abgestrichenem, leicht verdicktem Rand18 vertreten. An geschlossenen Formen ist ein Krug mit einem trichterförmigen, abgeschnittenen Rand19 (Kat. Nr. 19) vorhanden. Ein Randbruchstück eines Deckels (Kat Nr. 20) und ein nicht näher zugewiesenes Bodenfragment (Kat. Nr. 21) sind ebenfalls zu erwähnen. Das Glasgefäßfragment mit echtem, aus Glasmasse angesetztem Ringboden (Kat. Nr.22), stammt wohl ursprünglich von einem wohl schüsselartigen Gefäß20, das jedoch aufgrund der geringen Wandungsreste nicht näher bestimmt werden kann.

Fundmaterial aus Immurium Keramik und Glas (Taf. 2-6) Das Bruchstück einer reliefverzierten Terra Sigillata – Schüssel (Kat Nr. 3) lässt sich anhand der Machart und der Tonzusammensetzung den südgallischen Werkstätten von La Graufsenque zuweisen. Der stark verriebene Dekor findet seine engsten Entsprechungen im Umfeld der Produkte in der „Art des Mercator“, die bereits unter den älteren Funden aus Immurium vertreten sind10. Die Produkte dieser Gruppe werden in spätflavische Zeit datiert. Ebenfalls als südgallisches Erzeugnis kann das Bodenfragment einer glatten Sigillata aufgrund der Machart des nicht näher definierbaren Teller- oder Schalenstandrings (Kat Nr. 5) angesprochen werden11. Das Bodenfragment einer Schüssel Drag 37 (Kat.Nr. 4) entspricht im Scherben- und Glanztonüberzug eher Erzeugnissen der um die Mitte des 2. Jh. einsetzenden Produktion von Rheinzabern. Diese sind in Immurium auch noch vereinzelt im 3. Jh. n. Chr. anzutreffen12. Unter den Gefäßfragmenten ist auch ein Wandungsstück einer grauen Terra Sigillata – Imitation (Kat. Nr. 6) vorhanden, wie sie in Immurium häufiger beobachtet wurden13. Die Schüsseln mit Wandleiste werden dabei als Nachahmungen der Form Drag. 38 in die 2. Hälfte des 2. und die 1. Hälfte des 3. Jh. n. Chr. datiert.

Metallfunde (Taf. 6) Ein massives Bruchstück aus Blei (Kat. Nr. 23) lässt sich nicht näher deuten. Das Bruchstück weist einen im Querschnitt rechteckig ausgebildeten Randbereich von rund 3 cm Breite auf, der dann rechtwinkelig umknickt. Während die Innenseite des Knickbereichs glatt ist, weist die Außenseite massive Gussunebenheiten auf. Lediglich der „Randbereich“ ist geglättet, er zeigt mechanische Nachbearbeitungen. Der Randbereich ist nicht geradlinig, sondern verläuft gekrümmt, ein Durchmesser jenseits von 70 cm kann erschlossen werden. Es scheint sich dabei um eine Bleieinfassung oder einen kreisförmigen Verguss zu handeln. Ebenfalls antiken Ursprungs dürfte ein U-förmig gebogenes Bronzeblech sein, dessen Rand mit runden bis ovalen Nieten versehen ist. Möglicherweise wurde dieses Bronzeblech als Kantenschutz auf ein organisches und daher vergangenes Material (Leder) aufgenietet. Vergleichbare Bleche sind von antiken Werkzeugfutteralen bekannt21. Ebenfalls zu den antiken Bronzefunden, ohne engere chronologische Signifikanz, ist der Oberteil einer kleinen Glocke aus Bronze zu zählen (Kat Nr. 25).

Von den in Immurium reichlicher anzutreffenden sogenannten Soldatentellern ist ebenfalls das Randbruchstück eines Tellers (Kat. Nr. 7) vom Typ 1a nach Moucka-Weitzel14 vorhanden, allerdings ohne Reste des Überzuges. Der trichterförmige Amphorenrand (Kat. Nr. 8) lässt sich mit dem von Moucka-Weitzel als vermutlichen Typ Dressel 6B angesprochenen Beispiel aus den Grabungen 1964-70 vergleichen. Diese Amphoren wurden bis in das 2. Jh. n. Chr. importiert15. Zu amphorenartigen Gefäßen gehören auch die beiden Randfragmente (Kat Nr. 9-10). Krüge sind durch das im Querschnitt linsenförmige Bandhenkelfragment (Kat. Nr. 11) und die beiden Bruchstücke flacher Scheibenböden (Kat. Nr. 12-13) mit leicht abgesetzter Wandung vertreten.

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Moucka-Weitzel 1998, 123; Auf eine Beschreibung von Scherbenqualitäten, wie sie von Kaltenberger 1996, 106, für das Material von St. Peter in Salzburg definiert wurden, wurde angesichts der nicht vorhandenen Stratifiaktion der Lesefunde verzichtet. 17 Moucka-Weitzel 1998, 140 f. Taf. 57,1-2. 61,2-3. 18 Moucka-Weitzel 1998, 129 Taf.40,19-20. 19 Moucka-Weitzel 1998, 128 Taf. 40,4-5. 20 Price – Cottam 1998 77 ff. Isings Form 45.44; Rütti 1988, 73 Taf. 17 bes. 1144; Moucka-Weitzel 1998, 158 Taf. 88, 2729. 21 Bishop – Coulston 2006², 118, Abb.68, 7.

10 Moucka-Weitzel 1998, 61.64 Taf. 5,9; Karnitsch 1959, 108 Taf. 153.6; Mees 1995, 86.162 ff. Taf. 129,7. 11 Kaltenberger 1996, 148 Taf. 15, 12. 12 Moucka-Weitzel 1998, 61. 13 Moucka-Weitzel 1998, 89f. Taf. 19, bes. 1-4. 14 Moucka-Weitzel 1998, 110 Taf. 27,9. 15 Moucka-Weitzel 1998, 117 Taf. 30,11.16; Peacock – Williams 1991, 98 Class 8.

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Ton, Scherbenfarbe n Munsell 2.5Y 6/1 gray; Überzug Munsell 2.5Y 4/1 dark gray; Museum Tamsweg Inv.Nr. 732 Nur geringe Reste des Überzugs im Bereich der Leiste erhalten

KATALOG Funde von der Tauernstraße Kat. Nr. 1 Axt Eisen; L.: 19,6 cm; B.: 4,4 cm; H.: 4,4 cm; FO: Nesselgraben, ohne Inventar (Privatbesitz) Ovales Schaftloch mit schwach ausgebildeten Schaftlochlappen, gerade Vorderflanke und stark ausschwingende Rückenflanke, leicht gebogene Schneide und massiver, vierkantiger Nacken mit leicht gewölbter Bahn.

3) Gelbtonige Keramik: Kat. Nr. 7 Randfragment eines „Soldatentellers“ Ton, Scherbenfarbe Munsell 7.5YR &76 bis 7/6 reddish yellow; Dm.: unbekannt; Museum Tamsweg Inv.Nr. 720 Scherben im Kern schwarz (Munsell 7.5YR 2.5/1 black) durch unregelmäßigen, oxidierenden Brand innen teilweise rot gefärbt (Munsell 2.5.YR 5/6 red)

Kat. Nr. 2 Hipposandale Eisen; erh. L.: 13,8 cm; B.: 9,3cm; H.: 12, 9 cm; FO: Nesselgraben, ohne Inventar (Privatbesitz) Oval bis trapezoide Bodenplatte, leicht durchgebogen mit vier kegelförmigen Stollen. Hinterer und vorderer Aufzugshaken abgebrochen. Seitenflügel ausgebrochen.

Kat. Nr. 8 Randfragment einer Amphore Ton, Scherbenfarbe Munsell 5YR 6/8 reddish yellow; Dm.: 13 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 709 Kat. Nr. 9 Randfragment einer Amphore Ton, Scherbenfarbe Munsell 7.5YR 6/6 reddish yellow; Dm.: 13,6 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 718

Fundstücke der Oberflächenaufsammlung Immurium - Ötzgraberfeld und Schindergaben 2003

Kat. Nr. 10 Randfragment einer Amphore/ eines Kruges Ton, Scherbenfarbe Munsell 5YR 5/8 yellowish red; Dm.: 10,2 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 719

Keramik 1) Terra Sigillata: Kat Nr. 3 Wandfragment Reliefschüssel Drag, 37 Ton, Scherbenfarbe Munsell 2.5YR 6/6 light red; Glanztonüberzug Munsell 2.5YR 4/8 dark red; Museum Tamsweg Inv.Nr. 708 Wandfragment einer Reliefschüssel mit, von vertikalen Zickzackstäben, gerahmter (Metopenteilung) Diagonalverzierung aus verschliffenen Zickzackstäben mit unten dreilappiger Blüte (oben ebenso?) und Fruchtzapfen an gegenständigen Ranken.

Kat. Nr. 11 Henkelfragment eines Kruges Ton, Scherbenfarbe Munsell 7.5YR 6/6 reddish yellow; erh. L.: 3,7 cm; B.: 2,2 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 722

Kat. Nr. 4 Bodenfragment Reliefschüssel Drag. 37 Ton, Scherbenfarbe Munsell 2.5YR 6/8 light red; Glanztonüberzug Munsell 10R 4/8 red; Museum Tamsweg Inv.Nr. 712 Auf der Innenseite ausgesplitterter Bodenteil einer Reliefschüssel, Standring abgebrochen. Erhalten ist die Dekorbegrenzungsleiste und der Ansatz einer wellenförmigen Ranke

Kat. Nr. 13 Bodenfragment eines Kruges Ton, Scherbenfarbe Munsell 7.5YR 6/6 reddish yellow; Dm.: 11,2 cm; erh. H.: 2,9 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 721

Kat. Nr. 12 Bodenfragment eines Kruges Ton, Scherbenfarbe Munsell 7.5YR 6/6 reddish yellow; Dm.: 16 cm; erh. H.: 2,6 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 710

4) Grob gemagerte reduzierend gebrannte Ware: Kat. Nr. 14 Randfragment eines Topfes Ton; Dm.: 21,8 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 715

Kat Nr. 5 Bodenfragment glatter Sigillata Ton, Scherbenfarbe Munsell 5YR 6/6 reddish yellow; Glanztonüberzug Munsell 2.5YR 4/8 dark red; Dm.: 8 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 731 Bodenfragment mit kantigem Standring wohl einer Schale oder eines tiefen Tellers.

Kat. Nr. 15 Randfragment eines Topfes Ton; Dm.: unbestimmt; Museum Tamsweg Inv.Nr. 714 Kat. Nr. 16 Randfragment eines Topfes Ton; Dm.: 15,4; Museum Tamsweg Inv.Nr. 716 Kat. Nr. 17 Randfragment eines Topfes Ton; Dm.: unbestimmt; Immurium Mauerecke 2003, Museum Tamsweg Inv.Nr. 733

2) Graue Terra Sigillata Imitation: Kat Nr. 6 Wandleiste

Wandfragment

einer

Schüssel

mit

6


Kat. Nr. 18 Randfragment eines Topfes Ton; Dm.: unbestimmt; Aufsammlung Mauerecke 2003

5) Glas- und Metallfunde Immurium Kat. Nr. 22 Bodenfragment, Museum Tamsweg Inv.Nr. 736 Glas grünlich durchscheinend; Dm.: 4,7 cm; Immurium Parzelle 956 April 2003

Kat. Nr. 19 Randfragment eines Kruges Ton; Dm.: 12,4 cm; Aufsammlung Immurium Mauerecke 2003, Museum Tamsweg Inv.Nr. 735

Kat. Nr. 23 Bruchstück unbekannter Funktion Blei; erh. L.: 14,55 cm; erh. B.4,97 cm; Dm.: >70 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 737

Kat. Nr. 20 Randfragment eines Deckels Ton; Dm.: 16,4; Museum Tamsweg Inv.Nr. 717 Kat. Nr. 21 Bodenfragment Ton; Dm.: 6 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 711

Kat. Nr. 24 Blechfragment Bronze; erh. L.: 5,82 cm; erh. B. 2,2 cm; Museum Tamsweg Inv.Nr. 738 Kat. Nr. 25 Bruchstück einer Glocke Bronze; ohne Inventar (Privatbesitz), zurzeit nicht auffindbar

Tafel 1 – Kat. Nr. 1 und 2 (M 1:3)

Kat. Nr. 1 Kat. Nr. 2

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Tafel 2 – Kat. Nr. 3 bis 7 (M 1:2)

Kat. Nr. 3

Kat. Nr. 4

Kat. Nr. 5

Kat. Nr. 6

Kat. Nr. 7

Tafel 3 – Kat. Nr. 8 bis 10 (M 1:2)

Kat. Nr. 8

Kat. Nr. 9

Kat. Nr. 10

8


Tafel 4 – Kat. Nr. 11 bis 13 (M 1:2)

Kat. Nr. 12 Kat. Nr. 11

Kat. Nr. 13

Tafel 5 – Kat. Nr. 14 bis 19 (M 1:2)

Kat. Nr. 14

Kat. Nr. 15

Kat. Nr. 17

Kat. Nr. 16

Kat. Nr. 19 Kat. Nr. 18

Tafel 6 – Kat. Nr. 20 bis 24 (M 1:2)

Kat. Nr. 20

Kat. Nr. 21

Kat. Nr. 22

Kat. Nr. 24

Kat. Nr. 23

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Kastler 2008 = R. Kastler mit Beiträgen von M. Pfisterer, Oberflächenfunde des Jahres 2005 im Bereich von Immurium/ St. Margarethen in Salzburg, ÖJh 77 (2008), 131-144.

Literaturliste Alföldy-Thomas 2008² = S. Alföldy-Thomas, Anschirrungszubehör und Hofbeschläge von Zugtieren (G1-54) in: E. Künzl (Hrsg.) Die Alamannenbeute aus dem Rhein bei Neupotz. Plünderungsgut aus dem römischen Gallien. RGZM Monographien 34, 2. Aufl. (2008), 331-344.

Künzl 2008² = E. Künzl, Werkzeuge in: E. Künzl (Hrsg.) Die Alamannenbeute aus dem Rhein bei Neupotz. Plünderungsgut aus dem römischen Gallien. RGZM Monographien 34, 2. Aufl. (2008), 347-361.

Bishop – Coulston 2006² = M.C. Bishop – J. C. N. Coulston, Roman Military Equipment. From the Punic Wars to the Fall of Rome, 2nd edition (2006).

Mees 1995 = A. W. Mees, Modelsignierte Dekorationen auf Südgallischer Terra Sigillata. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 54 (1995).

Dolenz 1998 = H. Dolenz, Die Eisenfunde der Stadt auf dem Magdalensberg. Archäologische Forschungen zu den Grabungen am Magdalensberg 13 (1998).

Moucka-Weitzel 1998 = V. Moucka–Weitzel, Die Kleinfunde von Immurium – Moosham, in: R. Fleischer – V. Moucka-Weitzel, Die römische Straßenstation Immurium - Moosham. Archäologie in Salzburg 4 (1998), 52-286.

Gietl 2004 = R. Gietl, Die Römer auf den Pässen der Ostalpen, Diplomarbeit Wien (2004). Grabherr 2001 = G. Grabherr, Michlhallberg. Ausgrabungen in der römischen Siedlung 1997 – 1999 und die Untersuchungen an der zugehörigen Straßentrasse. Schriftenreihe des Kammerhofmuseums Bad Aussee 22 (2001).

Peacock – Williams 1991 = D. P. S. Peacock – D. F. Williams, Amphorae and the Roman economy (1991). Pohanka 1986 = R. Pohanka, Die eisernen Agrargeräte der römischen Eisenzeit in Österreich. Studien zur römischen Agrartechnologie in Rätien, Noricum und Pannonien. British Archaeological Reports International Series 298 (1986).

Grabherr 2006 = G. Grabherr, Die Via Claudia Augusta in Nordtirol – Methode, Verlauf, Funde in: E. Walde – G. Grabherr (Hrsg.), Via Claudia Augusta und Römerstraßenforschung im östlichen Alpenraum (2006), 36-336.

Pollak 2006 = M. Pollak, Stellmacherei und Landwirtschaft. Zwei römische Materialhorte aus Mannersdorf am Leithagebirge, Niederösterreich. Fundberichte aus Österreich. Materialheft A16 (2006).

Groh – Lindinger 2008 = S. Groh – V. Lindinger, Neue Forschungen in Immurium – Voidersdorf/ St. Margarethen in Salzburg. Die geophysikalische Prospektion 2007, ÖJh 77 (2008), 77 ff.

Price –Cottam 1998 = J. Price – S. Cottam, Romano – British glass vessels: a handbook (1998).

Kaltenberger 196 = A. Kaltenberger, Römische Terra sigillata und Gebrauchskeramik der Ausgrabung St. Peter in Salzburg 1980-995 in: P. Eder, OSB (Hrsg.) Hl. Rupert von Salzburg. Ergänzungsband: Archäologische Entdeckungen in der Erzabtei St. Peter in Salzburg (1996), 79-193.

Rütti 1988 = B. Rütti, Beiträge zum römischen Oberwinterthur – Vitudurum 4. Unteres Bühel – Die Gläser. Berichte der Zürcher Denkmalpflege. Monographien 5 (1988).

Karnitsch 1959 = P. Karnitsch, Die Reliefsigillata von Ovilava (Wels, Oberösterreich). Schriftenreihe des Institutes für Landeskunde von Oberösterreich 12 (1959).

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NEUE GEBÄUDERESTE AUS IMMURIUM Am 14. und 15. November 2002 fegte ein schwerer Föhnsturm mit Böenspitzen bis zu 150 km/h über den Lungau1. Folge davon war, dass der Bezirk Tamsweg am 15. November Katastrophenregion wurde und etwa 800 ha Wald zerstört waren. Stark davon betroffen war auch die römische Straßenstation Immurium, in deren unmittelbarem Bereich zahlreiche Bäume entwurzelt wurden. Der gesamte Abhang hinunter zum Talboden der Mur war schwer betroffen und das Gelände der antiken Siedlung gut sichtbar. Die einzelnen Siedlungsterrassen der Mansio und der Häuser A und B mit den daneben befindlichen Brandgräbern sowie das in den Steilhang eingebaute Mithräum wurden nahezu vollständig entwaldet2. Der weiter östlich an der Straße nach Moosham auf einer Wiese gelegene Vicus blieb von den Sturmschäden verschont. Zu etwaigen Schäden der hangaufwärts, weiter nördlich im Wald befindlichen Teile der Siedlung können keine Angaben gemacht werden.

Die Mauerecke wurde fotografisch sowohl im Grundriss (Abb. 2) als auch in der Ansicht (Abb. 3) von Osten dokumentiert. Die Fotos wurden mittels sechs geodätisch eingemessener Fotopasspunkte (M1-6) orthorektifiziert und der Grundriss anschließend georeferenziert. Die so erzeugten Orthofotos wurden in das Geographische Informationssystem (GIS) ArcGIS importiert und anschließend umgezeichnet.

Planierungsarbeiten im April 2003 westlich des Schindergrabens sowie die durch den Windwurf des Vorjahres freigelegten Bereiche der Siedlung brachten zahlreiche Oberflächenfunde zutage, die von interessierten Heimatforschern aufgesammelt und dem Lungauer Heimatmuseum Tamsweg zugeführt wurden. Zudem legte Windwurf einen Gebäudeteil frei. Die Planierungsarbeiten von 2003 griffen nicht in den bestehenden Boden ein, sondern es wurde lediglich Material auf diesen aufgebracht. Zu einer Zerstörung der archäologischen Stratifikation kam es daher nicht. Der Verfasser dokumentierte den freiliegenden Gebäudeteil am 17. April 20033.

Tabelle 1: Koordinaten der gemessenen Punkte

Etwa 320 m nordwestlich dieser Mauer befindet sich ein weiterer Gebäuderest (Mauer 2) auf Parz. 266 (KG 58034 Voidersdorf), welcher bereits 1981 entdeckt und 1984 als Fundmeldung publiziert wurde4. Auch diese Mauer wurde geodätisch mittels zweier Punkte (PM1-2) fixiert. Die Koordinaten in Tabelle 1 sind im Koordinatensystem Gauß-Krüger Österreich (M31) dargestellt.

Dokumentation Bei dem Gebäuderest handelt es sich um die gemauerte Ecke (Mauer 1) eines Steingebäudes, welches durch das Entwurzeln eines flach wurzelnden Baumes freigelegt wurde. Die Mauerecke befindet sich in der westlichen Böschung des Weges durch den Schindergraben auf Parz. 955 (KG 58022 St. Margarethen). Vor der Dokumentation wurden die Mauerreste lediglich oberflächlich von Humus befreit und die Oberfläche der archäologischen Stratifikation gesäubert. Auf ein weiteres Abgraben der archäologischen Stratifikation wurde verzichtet.

Punkt

Ost (m)

Nord (m)

Höhe (m)

M1

27990,33

5217845,80

1092,11

M2

27989,71

5217845,62

1092,36

M3

27989,46

5217846,64

1092,40

M4

27989,26

5217847,63

1092,53

M5

27989,68

5217848,00

1092,27

M6

27990,04

5217846,91

1091,95

PM1

27791,17

5218099,03

1114,30

PM2

27787,61

5218099,64

1114,68

Auswertung Mauer 1 besteht hauptsächlich aus Bruchsteinen aus lokal anstehendem Glimmerschiefer mit sehr wenig Mörtelresten, sowie einer einzigen verbauten Platte aus weißem Marmor. Die Mauer ist noch zwei Lagen (0,4 m) hoch auf einer Länge von etwa 1 m erhalten und liegt auf einer mit losen Steinen und grobsandigschluffigem Material verfüllten Fundamentgrube von ca. 0,4 m Tiefe. Über der Mauer befindet sich eine etwa 0,3 m mächtige Schuttablagerung unter dem Humus. Die Ausrichtung der Mauer ist exakt hangparallel. Sie liegt direkt westlich oberhalb neben dem vermutlichen Verlauf der römischen Staatsstraße, welche hier von der

1

Siehe Jahresbericht 2002 der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, Wien. 2 Allgemein zu Immurium siehe Fleischer – Moucka-Weitzel 1998. Zur Lokalisierung der „Nekropolen“ von Immurium zuletzt Groh – Lindinger 2008, 87 und Abb. 7. 3 Herzlicher Dank gebührt K. Heitzmann, Tamsweg und C. Löcker, Wien für die tatkräftige Mithilfe beim Freilegen und Dokumentieren der Gebäudereste und dem Aufsammeln von Oberflächenfunden. Die von R. Kastler durchgeführte archäologische Bestimmung der Oberflächenfunde fand 2005 statt.

4

Ch. Farka – E. Ebermann, KG Voidersdorf, FÖ 23, 1984, 308.

11


ostseitig gelegenen Mansio herüberwechselnd auf der Westseite des Schindergrabens in den Talboden der Mur geführt haben dürfte5.

Mauer 2 dürfte entweder zu einem Grabbau eines entlang einer möglichen Trasse der römischen Staatsstraße gelegenen Gräberfeldes gehören. Oder es handelt sich dabei um die Reste eines Gebäudes, welches mit Metall verarbeitendem Handwerk in Verbindung zu bringen sein könnte. Im Fundbericht von 1984 wird Eisenschlacke erwähnt, der Verfasser fand bei den Vermessungsarbeiten eine Anzahl von Schmiedeschlacken, welche vor Ort verblieben. Endgültige Klarheit könnte auch hier nur eine Grabung bringen. Es scheint zudem der Bereich auch wegen Frostschäden zunehmend gefährdet zu sein, was eine Grabung in absehbarer Zeit ohnehin nötig machen dürfte.

Die Tatsache, dass westlich des Schindergrabens römische Gebäudereste zutage treten, ist alleine schon erwähnenswert. Die Mansio und die Reste des zugehörigen Vicus waren bislang ausschließlich vom Sporn östlich des Schindergrabens bzw. der Wiese entlang der Straße zum Schloss Moosham bekannt. Die Forschung kannte bisher von der Westseite des Grabens nur ein nach wie vor unlokalisiertes Gräberfeld im Bereich des „Ötzengrabers“. Narobe6 erwähnt zwar römische Mauerreste in diesem Bereich, es gelang aber bisher ebenfalls keine genaue Lokalisierung. Möglicherweise handelt es sich bei der dokumentierten Mauer um den Rest eines dieser bei Narobe beschriebenen Gebäudereste. Endgültige Klarheit über die Ausdehnung und Lage der Westsiedlung und des Brandgräberfeldes könnte eine Georadarprospektion mit anschließender Verifikationsgrabung bringen. Eine 2007 durchgeführte Prospektion mittels Geomagnetik7 brachte leider nur sehr dürftige Ergebnisse – es war jedoch wegen der gegen den Untergrund aus Glimmerschiefer nur schwer zu detektierenden Mauern auch nicht mehr zu erwarten. Allerdings zeigt die Magnetikprospektion deutlich, dass sich die Siedlung in diesem Bereich eher auf dem nördlichen Teil der gemessenen Fläche erstreckt, gegen Süden scheint diese unbebaut gewesen zu sein.

Literatur Fleischer – Moucka-Weitzel 1998 = R. Fleischer – V. Moucka-Weitzel, Die römische Straßenstation Immurium – Moosham im Salzburger Lungau. Archäologie in Salzburg 4 (Salzburg 1998). Gietl 2004 = R. Gietl, Die Römer auf den Pässen der Ostalpen. Unpubl. Diplomarbeit Universität Wien 2004. Groh – Lindinger 2008 = S. Groh – V. Lindinger, Neue Forschungen in Immurium-Voidersdorf / St.Margarethen in Salzburg. Die geophysikalische Prospektion 2007, ÖJh 77, 2008, 77 – 89. Narobe 1960 = F. Narobe, Die Römerstraße über den Radstädter Tauern, MGSLk 100, 1960, 15 – 27.

Abb. 1: Lageplan der eingemessenen Mauern 1 und 2 in Immurium.

5

Siehe Narobe 1960, 25 und zuletzt auch Gietl 2004, 200 – 204 sowie Groh – Lindinger 2008, 83 – 86. 6 Narobe 1960, 25. 7 Groh – Lindinger 2008.

12


Abb 2.: Grundriss von Mauer 1. Links das aus zwei Einzelaufnahmen bestehende Orthofoto, rechts die Umzeichnung und Interpretation im GIS. Die Mauerecke ist gut zu erkennen.

Abb 3.: Ansicht von Mauer 1 von Osten. Oben das auf die Mauer und die Schuttablagerung beschnittene Orthofoto, unten die Umzeichnung und Interpretation im GIS. Es sind deutlich die beiden Mauerlagen sowie die darunter befindliche Fundamentgrube zu erkennen.

13


IN VINEA DOMINI INDEFESSUS OPERARIUS Der Tamsweger Priester P. Heinrich Auer OSB (1703-1765) Wirt Joseph Gambs und der Handelsmann und Eisenniederleger Andreas Gell eingesetzt.9

I. Eine Tamsweger Bürgerfamilie Christoph Joseph Auer1 ist ein Sohn des Tamsweger Bürgers Wilhelm Auer (1654-1716/1717) und seiner Frau Margaritha Feichterin (gest. 1713).2 Er wurde am 24. August 1703 vom Kooperator Wilhelm Lasser in Tamsweg getauft. Der Vater, ein Tamsweger Handelsmann, ist ein Kind des Salzburger Bürgers und Händlers Johann Christoph Auer und dessen Frau Salome. Getauft wurde Wilhelm am 9. November 1654 in der Salzburger Dompfarre.3 1691 kaufte er um 110 Gulden die baufällige ehemalige Huterwerkstatt in Tamsweg unter der Auflage das Gebäude wieder herzurichten.4 1692 erwarb Wilhelm um 25 Gulden das Bürgerrecht in Tamsweg und damit das Recht, mit Salz und Obst zu handeln. Von Paul Gell hatte er den Krämerladen (Marktplatz Nr. 11) übernommen. Das Recht des Weinausschanks, um welches er angesucht hatte, wurde ihm allerdings nicht bewilligt. 1695 kaufte Auer ein halbes Haus am Tamsweger Marktplatz, 1708 auch die zweite Hälfte des Hauses und ließ beide Häuser zu einem Gebäude (Marktplatz Nr. 8) zusammenbauen.5 Mit einem Jahresanschlag von 600 Gulden hatte sich Auer zu einem der wohlhabendsten Bürger des Marktes entwickelt.6 Von 1708 bis 1709 war Wilhelm Auer Tamsweger Marktrichter und als solcher oberstes Vollzugsorgan im Markt Tamsweg mit Befugnissen in der Niedergerichtsbarkeit. Die Instructionen aus seiner Amtszeit gewähren einen detaillierten Einblick in die Arbeit eines Marktrichters in der Barockzeit.7 Als Wilhelm Auer um 1716/1717 verstarb, hinterließ er ein Vermögen von rund 11.035 Gulden.8 Als Gerhaben der noch minderjährigen Kinder wurden der Tamsweger Bürger und

Der Taufpate von Christoph Auer war ebenfalls Joseph Gambs, welcher 1691 das Mesnerhaus (Kirchengasse Nr. 9) von seinem Vater Johann übernommen hatte. 1701 erhielt er das Bürgerrecht auf Gastwirtschaft, Salzund Obsthandel.10 Er und seine Frau Anna Gambsin standen für sieben weitere Kinder des Wilhelm Auer Paten. Bis 1699 hatten der Bürger und Fleischhacker Blasius Lessacher und seine Frau Eva die Patenschaft für die Auer'schen Kinder übernommen. Hierbei handelte es sich um angesehene Vertreter der Tamsweger Bürgerschaft. Von 1694 bis 1696 hatte Lessacher die Funktion des Marktrichters inne. Ab 1655 besaß Blasius Lessacher das Grössingwirtshaus (Marktplatz Nr. 9) in Tamsweg, welches er 1701 verkaufte und er daraufhin in Schöder Gastwirt wurde.11 Mit Margaritha Feichterin hatte Wilhelm Auer 16 Kinder: Salome (geb. 1692), Maria (1694-1751), Elisabeth (1695-1763), Christoph (1696-1696), Margaretha (16971697), Anna (geb. 1698), Margaret (1699-1699), Christoph (1703-1765), Maria (geb. 1706), Wilhelm (geb. 1707), Josef (geb. 1709), Margaret (1710-1710) und Rosina (geb. 1711).12 Drei weitere, namentlich nicht genannte Kinder verstarben am 28. August 1704, am 14. September 1705 und am 31. Dezember 1712 jeweils nach der Nottaufe durch die Hebamme. 1713 verstarb die Mutter, Margaritha Feichterin, etwa im 50. Lebensjahr. Zwei Stunden vor ihrem Tod war sie noch mit der Krankensalbung versehen worden, am 20. November 1713 wurde sie in Tamsweg beerdigt. Der Vater brauchte dringend eine Stiefmutter für die große Kinderschar. Bereits am 26. Februar 1715 heiratete er die Witwe Rosina Windt.13 Die beiden wurden von Archidiakonalkommissär Sebastian Schallhammer (1669-1753) getraut.14 Als Zeugen werden der amtierende

1

In ASP, Hs. A 585, No 189, wird Christoph Auer als à Parentibus nobilibus progenitus bezeichnet, in anderen Quellen taucht die Bezeichnung praenobilis auf. Tatsächlich gehörte die Familie dem wohlhabenden Tamsweger Bürgertum an. 2 auch: Margaret Veitherin oder Feuchtingerin. Alle personenbezogenen Daten stammen im Folgenden – wenn nicht anders angegeben – aus AES, Pfarre Tamsweg, Taufbuch 3, 1691-1733 und AES, Pfarre Tamsweg, Sterbebuch 1, 16951760. 3 AES, Salzburg Dompfarre, Taufbuch 4, 1633-1657, p. 513. Die Taufe nahm Johannes Brueder vor, der Salzburger Bürger und Händler Ferdinand Beisser stand Pate. 4 Hatheyer, S. 344. 5 MAT, I 4, Bürgerbuch 1, 149v; Hatheyer, S. 343f. und 447. 6 Heitzmann, S. 258 7 Ebd., S. 56f. und 594. 8 Wilhelm Auer ist in Salzburg verstorben, in den Sterbematriken konnte allerdings sein Eintrag nicht gefunden werden; siehe MAT, I 11, Notelbuch 1701-1730, 44v. Er muss zwischen dem Tod seines Sohnes Johannes Anton (5.11.1716) und der Geburt der letzten Tochter Maria Anna (4.2.1717) gestorben sein.

9

MAT, I 11, Notelbuch 1701-1730, 41r. Hatheyer, S. 335. 11 Ebd., S. 345. 12 Die Taufe wurde meist wenige Stunden nach der Geburt durchgeführt, die Beerdigung rasch nach dem Tod. Taufdaten nach AES, Pfarre Tamsweg, Taufbuch 3, 1691-1733, Sterbedaten nach AES, Pfarre Tamsweg, Sterbebuch 1, 1695-1760: Salome (1.11.1692-), Maria (25.2.1694-29.1.1751), Elisabeth (16.5.1695-27.2.1763), Christoph (9.4.1696-21.4.1696), Margaretha (11.3.1697-13.3.1697), Anna (7.7.1698-), Margaret (25.5.1699-5.6.1699), Christoph (24.8.1703-13.10.1765), Maria (geb. 26.10.1706, gest. vor 1717), Wilhelm (14.9.1707-), Josef (geb. 2.7.1709, gest. vor 1717), Margaret (6.7.17107.7.1710) und Rosina (21.9.1711-). 13 auch: Maria Rosina Wuggeniggin; siehe MAT, I 11, Notelbuch 1701-1730, 41v. 14 Zu Schallhammer siehe Hirtner, S. 44 und 187. 10

14


Marktrichter, der Gastwirt und Kaufmann Martin Holzer, sowie zwei seiner Amtsvorgänger, der Gastwirt Johannes Egger und der Handelsmann und Eisenniederleger Andreas Gell genannt.15 Zusammen hatten die beiden Eheleute zwei Kinder: Johannes Anton (17151716) und Maria Anna (geb. 1717).16 Die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen und Kindern lag in der Frühen Neuzeit allgemein sehr hoch. Innerhalb von 25 Jahren wurden dem Wilhelm Auer 18 Kinder geboren, acht von ihnen verstarben nachweislich kurz nach der Geburt oder im frühen Kindesalter. Zum Zeitpunkt seines Todes lebten noch sieben Kinder und eines wurde posthum geboren.17 Elementare Ereignisse der menschlichen Existenz folgten in kurzen zeitlichen Abständen aufeinander. Für den Werdegang von Christoph Auer war dies von entscheidender Bedeutung. Von drei Schwestern des Christoph Auer ist der Lebenslauf bislang bekannt: Maria Salome Auerin (1694-1751) war die Frau des Kuenburgischen Verwalters Haßler.18 Sie wurde am 29. Jänner 1751 in Tamsweg begraben. Die bürgerliche Rats- und Handelsfrau Elisabeth Auer (1695-1763) verstarb im Alter von 67 Jahren und wurde am 27. Februar 1763 beerdigt. Sie war die Ehefrau des aus Schellenberg stammenden Handelsmannes Peter Krueger (gest. 1751), welcher zweimal Tamsweger Marktrichter (1727-1728, 1735-1736) war und zweimal in den großen Ausschuss der Salzburger Landschaft berufen wurde. Peter Krueger kam 1718 durch Heirat in den Besitz des Kaufmannshauses in Tamsweg (Marktplatz Nr. 8).19 Anna Auer (geb. 1698) war ab 1715 bei den Ursulinen in Salzburg in der Kost. Der Aufenthalt bei den Closter=Jungfrauen hat bei ihr eine grosse begiert Erwöckht. Die Entscheidung für das Ansuchen um Aufnahme im Kloster fiel 1717 nach dem Tod ihres in der Stadt Salzburg verstorbenen Vaters Wilhelm Auer.20 Während bei anderen Kandidatinnen üblicherweise deren Väter die Aufnahmsgesuche verfassten, musste die Waise Anna Auer dies selbst tun.21 Das in dieffister Sumission verfasste Schreiben wurde vom Konsistorium

noch am Tag des Einlangens an die Klosteroberin Maria Antonia Leopoldina weitergeleitet.22 In ihrer Antwort lobte die Oberin die Aspirantin Anna Auerin als yber alle massen Tauglich, und zwar nit allein wegen ihrer Mittl, sondern auch ihres haubt guetten humor, grossen verstandt, Tugendt, und andern Unsers ordens Taugsamben qualitteten halber.23 Der Eintritt ins Ursulinenkloster wurde vom Konsistorium umgehend genehmigt.24 Nach zweijähriger Probezeit legte Anna Auerin, die den Ordensnamen Maria Josepha Xaveria erhalten hatte, 1719 die Profess ab.25

II. Schule, Universität, Kloster Christoph Auer war aus seiner Familie der einzige Student an der Salzburger Benediktineruniversität. Der erst 13-jährige Christoph Auer immatrikulierte sich am 11. Dezember 1716 mit der Nummer 15824 als einer von 21 neuen Principii Collegii (Prinzipisten) und erlegte 45 Kreuzer Immatrikulationsgebühr.26 Jahrelange Unterstützung erhielt Christoph Auer von seinem leiblichen und Namens-Vetter, dem domkapitlischen Urbarschreiber Christoph von Auer.27 Am 30. August 1724 graduierte er unter Dekan P. Coelestin Ehrmann OSB (1695-1766) von Lambach als 21. von 41 Kandidaten zum Magister.28 Nach absolvierter Philosophie und Theologie trat Christoph Auer 1726 während der Regierungszeit des Langzeit-Abtes Placidus Mayrhauser (1671, reg. 1704-1741) in das Benediktinerkloster St. Peter in Salzburg ein. Er wurde am 24. Mai 1726 eingekleidet und nahm den Ordensnamen Heinrich an.29 Als Beweis seiner ehelichen Geburt und katholischen Taufe legte er ein eigenhändiges Schreiben von Archidiakonalkommissär Sebastian Schallhammer vom 4. Mai 1726 vor.30 Mit fast 23 Jahren war Christoph Auer bei seinem Eintritt ein Spätberufener, lag doch das durchschnittliche Professalter in dieser Zeit bei etwas über 19 Jah-

22

Ebd., Konsistorium an Maria Antonia Leopoldina, 27.8.1717. Ebd., Maria Antonia Leopoldina an das Konsistorium, präs. 3.9.1717. 24 Ebd., Konsistorium am 3.9.1717. 25 Ebd., Maria Antonia Leopoldina an das Konsistorium, präs. 23.8.1719. 26 Redlich, 336. Bei den Principii S. Petri immatrikulierte sich am selben Tag der Tamsweger Bartholomaeus Mose, ohne Gebühren. 27 ASP, Akt 78, Abschrift des Donationsbriefs, 8.1.1726. 28 SUA, bA 151, p. 49r. P. Coelestin hatte nur vier Jahre zuvor die Primiz gefeiert, in Lambach war er Bibliothekar und Archivar, von 1748-1754 wirkte er dort als Prior. Siehe Eilenstein, S. 66-67. 29 Lindner, S. 140; ASP, Hs. A 98, p. 587 (Henricus à S. Chunegunde). Kaiser Heinrich II. (973, reg. 1002-1024) stattete 1003 das Kloster Nonnberg mit Gütern im Lungau (heute: Unternberg) aus. Siehe Gemeinde Unternberg, S. 7-9 und SUB II, Nr. 66, S. 120-121. Der Festtag des Heiligen wird am 13. Juli gefeiert. 30 ASP, Akt 78, Schreiben von Sebastian Schallhammer, 4.5.1726. 23

15

AES, Pfarre Tamsweg, Trauungsbuch 0, 1703-1820, p. 53. Taufdaten nach AES, Pfarre Tamsweg, Taufbuch 3, 16911733, Sterbedaten nach AES, Pfarre Tamsweg, Sterbebuch 1, 1695-1760: Johannes Anton (26.12.1715-5.11.1716), Maria Anna (4.2.1717-). 17 MAT, I 11, Notelbuch 1701-1730, 41r. 18 SLA, Frank-Kartei, Haßler. Bartlme Haßler war Schreiber bei den Pfleggerichten Goldegg und Mittersill, am Landgericht Gastein, ab 7.6.1708 Mitterschreiber beim Stadtgericht Hallein und von 9.10.1710 bis 13.4.1712 Oberschreiber zu Neuhaus. Ab 3.11.1720 arbeitete er als gräflich Kuenburgischer Verwalter in Tamsweg. Er starb am 6.3.1734 im Alter von 47 Jahren. Zum Zeitpunkt des Todes von Wilhelm Auer (1716/1717) waren Maria und Bartlme bereits verheiratet; siehe MAT, I 11, Notelbuch 1701-1730, 41r. 19 Hatheyer, 344. 20 Wilhelm Auers Todesdatum dürfte kurze Zeit vor dem Eintrittsgesuch von Anna Auerin anzusetzen sein. 21 AES, 11/23 Personalia Ursulinen, Professen 1703-1726, Anna Auerin an das Konsistorium, präs. 27.8.1717. 16

15


ren.31 Auch hinsichtlich seiner regionalen Herkunft stellte Christoph Auer in St. Peter eher eine Ausnahme dar, da sich der Nachwuchs dieses Klosters hauptsächlich aus der Stadt Salzburg und aus dem heutigen Bayern rekrutierte.32 Mit dem Abt von St. Peter muss Christoph Auer bereits früher in Kontakt getreten sein, denn bereits im Jänner 1725 holte jener bei Anna Margaretha Xaveria, der neuen Oberin der Ursulinen, Informationen über die Erbschaft von Anna Auerin ein. Zwischen St. Peter und den Salzburger Ursulinen bestand eine enge Beziehung, da St. Peter die Beichtväter dieses Klosters stellte. Bereitwillig und mit der Bitte, sie nit zu verrathen, gab die Oberin daher Einblick in persönliche Details: Anna Auerin hatte dem Kloster 4204 Gulden in bar eingebracht,33 allerdings hatte es die Ursulinen auch Sehr grosse mieh Braucht Bis wier diese mitl heraus Prest haben, den die Welt leith sein halt den Clostern So Ungeneigt das sie nur schaun die leith hinein zustöckhen und nichts darzue herzugeben. Anna Margaretha Xaveria gab Placidus Mayrhauser den Rat man Lasse nur nit nach, dan ich hör Er [Christoph Auer] hat gar ein grossen Eyffer und were niergents lieber geistl: als bey Ihnen. Die Oberin verriet dem Abt, dass die Verwandten von Christoph Auer gesinet sein, Etwas von seine mitlen zuruckh zu behalten, damit er Jährlich ein gewissen Einspent Pfening häte.34 Relativierend fügte Anna Margaretha Xaveria hinzu, dass im [Christoph Auer] seine Studia was merers kost haben, das auf ein Mädl nit aufget. Mit diesen Informationen ausgestattet konnte Abt Placidus der Aufnahme des Novizen ruhig entgegensehen. Das Vermögen von Christoph Auer wurde 1727 auf 3813 Gulden berechnet. Mit einer schankhung wurden jeweils die Geschwister Salome (geb. 1692), Wilhelm (geb. 1707) und Rosina (geb. 1711) bedacht.35 Am 25. Mai 1727 legte Frater Heinrich Auer die Profess ab und gelobte mit einer eigenhändig geschriebenen Urkunde die Einhaltung der drei evangelischen Räte Keuschheit, Armut und Gehorsam, sowie Beständigkeit.36 Am 18. Dezember 1728 wurde Fr. Heinrich Auer vom Chiemseer Bischof Karl Joseph von Kuenburg gemeinsam mit 16 anderen Priesteramtskandidaten im Domoratorium des Hl. Virgil zum Priester

geweiht.37 Die Primiz feierte er am 26. Dezember 1728 in Salzburg.38

Professurkunde von P. Heinrich Auer OSB (ASP, Akt 65, 288)

III. 30 ferme annos expositus Dornbach: Pater Heinrich Auer war von seinen Klosteroberen für eine Laufbahn als Seelsorger vorgesehen. Er lernte dabei alle Exposituren kennen, die sein Stift in dieser Zeit betreute. Die erste Seelsorgestation, an der P. Heinrich von Dezember 1731 bis November 1734 eingesetzt wurde, war die inkorporierte Pfarre Dornbach bei Wien, wo St. Peter Weingüter bis heute besitzt. Der Dornbacher Besitz geht unter anderem auf Schenkungen der Sighardinger zurück. Im 13. Jahrhundert wurde der Dornbacherhof Verwaltungssitz für die Weingüter und die Kirche wurde zur Pfarrkirche erhoben.39 Ab 1705 war in Dornbach ein Kooperator angestellt.40 In der Gegend um Dornbach waren in dieser Zeit wohl noch Schäden des Türkenkrieges von 1683 zu sehen. So waren beispielsweise der Kreuzweg, die Grabkapelle und das Hernalser Schloß den Kampfhandlungen von 1683 zum Opfer gefallen und wurden Mitte des 18. Jahrhunderts teilweise wieder errichtet.41 P. Heinrich wurde 1731 mit dem neu eingesetzten Pfarrer und Gutsverwalter P. Edmund Hem OSB (1686-1753) nach Dornbach entsandt.

31 Wagenhofer, S. 6. Für die Jahre 1682-1731 lag das durchschnittliche Professalter bei 19,2 Jahren, für die Jahre 17321782 bei 20,9 Jahren. Siehe auch ASP, Hs. A 107, p. 159: Abt Beda Seeauer hielt in der Handschrift Saecularis memoria defunctorum religiosorum ad s. Petrum fest, Christoph Auer sei iam annis maturis ingressus. 32 Ebd., S. 8. 1682-1731 kamen 5 Mönche von St. Peter aus Salzburg Land, in den Jahren 1732-1781 insgesamt 6. 33 Während Anna Auerin bei ihrem Eintritt zur Leistung von zumindest 3000 Gulden verpflichtet wurde, musste eine adelige Konovizin nur 2000 Gulden zahlen. 34 ASP, Akt 78, Anna Margaretha Xaveria an Placidus Mayrhauser, 12.01.1725. 35 ASP, Akt 78, Abschrift des Donationsbriefs, 8.1.1726; Ebd., Schreiben des Vetters Christoph von Auer mit Vermögensextrakt in Anlage, 27.3. 1727. 36 ASP, Akt 65, 288.

Abtenau: Das Kloster St. Peter hatte 1124 von Erzbischof Konrad I. von Salzburg Güter und Rechte in Abtenau als Schenkung erhalten. Die förmliche Inkorporation der Pfarre erfolgte 1533. In Abtenau herrschte 1731 eine aufgeheizte Stimmung, denn der evangelische Glaube hatte sich besonders in jenen Gebieten des 37

AES, 10/81 Priesterhaus Catalogus Ordinandorum 16981740, p. 538-540. 38 ASP, Hs. A 160, 256v. Am 26. und 27. Dezember 1728 leitete er als Kantor das gemeinsame Gebet. …cantavit officium solemne cum Ministris, ut heri. 39 Lohrmann, S. 189-197. 40 Wagenhofer, S. 11. 41 Kulturverein Hernals, S. 23.

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Lammertales ausgebreitet, für die später das Vikariat Annaberg errichtet wurde.42 In etwa 250 Personen mussten 1732 die Abtenau verlassen.43 In fast unmittelbarem Anschluss an diese Ereignisse wirkte P. Heinrich von November 1734 bis März 1737 in Abtenau als einer von drei Kooperatoren.44 Er unterstand P. Virgil Leuthner OSB (1678-1748), der Abtenauer Pfarrer von 1716 bis zu seinem Tod 1748 war. Wieting: Anschließend an die Tätigkeit in Abtenau wurde P. Heinrich von April 1737 bis September 1740 nach Wieting in Kärnten als Kooperator entsandt.45 Die Propstei Wieting geht auf eine Stiftung des Ministerialen Gotfried von Wieting an das Kloster St. Peter im Jahr 1147 zurück. Propst von Wieting war von 1730 bis 1756 P. Modest Gaisruck OSB (1686-1756).46 Maria Plain: Die zur Salzburger Benediktineruniversität gehörende Wallfahrtskirche Maria Plain kam erst 1824 zu St. Peter, sie wurde aber bereits davor teilweise von Priestern aus St. Peter betreut. P. Heinrich war für kurze Zeit von Dezember 1741 bis April 1742 in Maria Plain eingesetzt, nachdem P. Gottfried Kröll OSB (1682-1753), welcher von 1733 bis 1741 als Superior in Maria Plain wirkte, am 26. Oktober 1741 zum Abt von St. Peter gewählt worden war. P. Heinrich unterstand während seiner kurzen Zeit in Maria Plain dem P. Gregor Horner OSB aus Gleink (1689-1760), dem früheren Rektor der Salzburger Benediktineruniversität (1732-1741) und Superior in Maria Plain von 1741 bis 1743.47 Abt Beda Seeauer OSB mit dem Novissimum Chronicon, der 1772 herausgegebenen Stiftschronik, im Hintergrund die Stiftskirche von St. Peter in Salzburg.

Dornbach: P. Heinrich wirkte von April 1742 bis Juli 1745 und von Jänner 1751 bis 1754 erneut in der Pfarre Dornbach bei Wien und unterstand in dieser Zeit drei Pfarrern, die zugleich auch die St. Petrischen Güter bei Wien zu verwalten hatten und daher auf ihre Kooperatoren besonders angewiesen waren. Die Dornbacher Zeit von P. Heinrich ist gut dokumentiert. Diese Tatsache ist dem Dornbacher Hofmeister P. Beda Seeauer OSB (1716-1785) zu verdanken, der im Gegensatz zu P. Heinrich ein unermüdlicher Tagebuchschreiber war. Der um 13 Jahre jüngere P. Beda kam als Vorgesetzter von P. Heinrich nach Dornbach, nachdem der seit 1731 fast durchgängig in dieser Pfarre tätige P. Edmund Hem am 8. April 1753 verstorben war.48

Die darauf folgenden Wochen waren von der Installation des neuen Pfarrers und der Inventur geprägt: Von 22. bis 26. Mai 1753 erstellten P. Beda, ein Verwaltungsbeamter des Stiftes und P. Heinrich gemeinsam die stukh=rechnung für die Zeit nach dem Tod des P. Edmund.49 Am 26. Mai 1753 fand der Installation= und Anlobung=Act in unserem Ambt=Hof in Dornbach vor den versammelten Untertanen statt. In Gegenwart des St. Petrischen Hofrichters Mathias Jaut, des Kooperators P. Heinrich Auer und zweier Beamter hat die versamblete Gemeinde mit dem Hand=Kuss mir angelobet, und alle parition versprochen. Einen Tag später wurde ein dreifacher umstandt celebriert: zur Einsetzung des neuen Pfarrers kamen sein Namenstag und der Jahrestag der Schenkung von Dornbach hinzu.50 Am 7. Juni 1753 begann die zeitaufwendige Inventur, am Pfingstsonntag dem 21. Juni 1753 waren P. Beda und P. Heinrich beim Commissario zum Mittagessen eingeladen.51 In dieser Zeit wird P. Heinrich als Seelsorger besonders stark zum Einsatz gekommen sein, da P. Beda mit der Inventur und Verwaltungsangelegenheiten beschäftigt war

42

Hahnl, S. 180-186. Gfrerer, 1989, S. 75. 44 Wagenhofer, S. 11. 45 Höck, S. 165. 46 Höck, S. 121 und 163. 47 Lindner, 97-99; Hermann, S. 139. 48 Kath. Pfarrgemeinde Dornbach, S. 5. 43

49

ASP, Hs. A 969, 1v. Ebd., 2r. 51 Ebd., 3v-4v. 50

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und zudem mehrere Wochen an einem Katarrh litt.52 Am 26. Mai 1753 war Abt Gottfried Kröll verstorben, weshalb die beiden Mönche zur Abtwahl nach Salzburg reisen mussten. P. Beda schreibt über den 27. Juni 1753, er sei mitls der post mit A.R.P. Henrico nach Salzburg abgereiset, wo wür auch den 30. kurz abruten, gott sei dankh glükhl: angelanget.53 Bei der Wahl am 4. Juli 1753 waren 28 Mönche stimmberechtigt. Vom Ausgang berichtet P. Beda: ist das loss der abbteylichen würde, aber vill mehr diser grossen Last auf mein unwürdige persohn ausgefallen, und folgsam noch in dem Conclavj ungeacht meiner zum gegentheil gemachten vorstellungen hat ein ieder H Eligens mir gehuldiget, nach welcher huldigung mich dersellige persohn mitten inter duos comissarios durch den hof auf der gassen in die kirhen ad sumum altare gefihret, und daselbst das Te Deum Laudamus abgesungen worden.54 Der Konvent von St. Peter hatte P. Beda Seeauer zum 77. Abt von St. Peter gewählt. Abt Beda Seeauer wurde einer der berühmtesten Äbte des Stiftes, denn er machte sich sowohl durch die barocke Umgestaltung der Kirche und der Klosteranlage, wie auch durch seine Bemühungen für die Hausgeschichte (gedruckte Stiftschronik Novissimum Chronicon) einen Namen. Mit der Wahl von Abt Beda war auch das Amt des Pfarrers und Hofmeisters in Dornbach wieder vakant geworden. Zum Nachfolger in Dornbach ernannte der neue Abt den P. Anton Knoll OSB (1715-1779). So ergab sich der Umstand, dass der 50-jährige P. Heinrich wieder einen viel jüngeren und in der Klosterhierarchie unter ihm stehenden Mitbruder vorgesetzt bekam. Für den 17. Juli 1753 vermerkte Abt Beda lediglich: ist der Neue P. Hoffmeister zu Dornbach R.P. Antonius mit seinem Cooperatore P. Henrico zu wasser nach Wien abgereiset.55 Abt Beda gab in seinem Tagebuch keinen Grund für diese Personalentscheidung an. In der Dornbacher Chronik, die er begonnen hatte, schrieb er unterm 12. Juli 1753, dass sein Nachfolger dises Diarium … fortzusezen nit ermanglen solle.56 Von P. Heinrich wusste der neue Abt womöglich, dass dieser literarisch nicht tätig war und das Diarium nicht fortführen würde. Ob dies die Entscheidung des Abtes für die Besetzung der Hofmeisterstelle mit beeinflusste? Tatsächlich wurde das Diarium erst 1768 fortgesetzt. Bereits wenige Monate nach der Abtwahl wurde P. Heinrich von Dornbach abberufen. Er kam am 20. Februar 1754 in Salzburg an und machte sich am 1. März erneut nach Wieting in Kärnten auf.57

Propst von 1756 bis 1768.58 Dieser war ein leiblicher Bruder des berühmten Salzburger Gelehrten Otto von Gutrath OSB (1705-1759). Die Propstei und Pfarre Wieting verfügte ab 1682 neben dem Propst und dem Kooperator über einen eigenen Pfarrvikar.59 Als Kooperator wirkte in Wieting von 1760 bis 1761 der junge P. Gottfried Ermler OSB (1732-1778). Spätestens ab Sommer 1760 hing der Haussegen in Wieting schief. Propst Johannes hielt viel auf den jungen Kooperator und wenig auf P. Heinrich. In regelmäßigen Abständen berichtete er an Abt Beda über die Lage der Propstei und beschwerte sich dabei ausgiebig über P. Heinrich: Er könne nicht verhalten das des R.P. Henrici sein widerwärthiger humor, meine gedult zimmlich prüffe. bald verschmachet ihm disß, bald Jenes, bald stöllet er disß, bald was anderes aus. in dem esßen ist er so haigglich, das er fast kein kölbernes brättl mehr esßen will. … Von denen pfarrkinderen hat er auch nicht gar vill lieb, und fahret sie manichsmahl grob an … Ich habe ihme schon etlich wohl zimmlich zugerödet, sonderbahr, das er sich in die haus händl, sonderbahr in die kuchl, und hausleüth nicht einmische. 60 Im Herbst 1760 spitzte sich die Situation weiter zu. So meinte Propst Johannes, es würde P. Heinrich nicht schaden, wan er seine ausgaaben in Zugger, Caffèe, schmausieren unterTags, und krippl: mändel etc. in etwas reducieren wird müessen. Er ist ein mann der gern einen guten wein Trinkhet, gern etwas gutes isßet, und nach seiner Commoditet lebet, auch so haigglich ist, das er auch das mindeste ahndtet. Die Anweisungen seines Propstes soll er nicht beachtet und sich seinen Mitmenschen gegenüber Drohgebärden und Schimpfworte bedient haben. So wartete Propst Johannes woll mit verlangen und freüden auf jenen Tag, der uns von disen hauskreuz entledigen wird.61 Ende Dezember 1760 erstattete der Propst seinem Abt recht kindlichen dankh für die bevorstehende Abberufung von P. Heinrich. Die Seelsorge könnten er und P. Gottfried alleine meistern, zumal Letzterer die provision-gäng meist ohne Hilfe vornehmen müsse.62 In der Darstellung des Propstes erscheint P. Heinrich als unbeherrschter, jähzorniger, verwöhnter, ungehorsamer und arbeitsunwilliger Geistlicher. Abt Beda ließ in seinem Tagebuch davon nichts anklingen und schrieb, P. Heinrich hätte in Wieting eifrig und ohne Klage gewirkt. Dieser sei nur abberufen worden, weil Kooperatoren nicht so lange berufen werden und der Plan der Errichtung einer Expositur bei Wieting sich nicht umsetzen ließ.63

Wieting: P. Heinrich wirkte von April 1754 bis Februar 1761 ein zweites Mal in Wieting. Diesmal hatte er das Amt des Pfarrvikars inne und unterstand nach dem Tod von P. Modest Gaisruck OSB dem jüngeren P. Johannes Evangelist von Gutrath OSB (1707-1775),

58

Höck, S. 163-164. Wagenhofer, S. 11. 60 ASP, Akt 2616, P. Johannes Gutrath an Abt Beda, 15.8.1760. 61 Ebd., P. Johannes Guetrath an Abt Beda, 7.11.1760. 62 Ebd., P. Johannes Guetrath an Abt Beda, 25.12.1760. 63 ASP, Hs. A 65, 190r: …zelosè quidem & sine querella egit. Avocavi tamen … quia non adeo consultum est, pro plures annos vocari in loco cooperatores expositos … praeter Praepositum constituere volui expositum … duo non sine difficultate se sustentant. 59

52

Ebd., 4v-7r. Ebd., 8r. 54 ASP, Hs. A 969, 8v. 55 ASP, Hs. A 65, 4v. 56 ASP, Hs. A 969, 8v. 57 ASP, Hs. A 65, 19v-20r. 53

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Eine Darstellung der Dinge aus der Sicht P. Heinrichs ist leider nicht erhalten. Ob er darunter litt, die Stellung eines Propstes, Pfarrers oder Gutsverwalters nicht erreicht zu haben, kann nur vermutet werden. Der nach fast sechs Jahren Seelsorge in Wieting abberufene P. Heinrich kam am 11. Februar 1761 wieder in Salzburg an.

P. Albert Knoll den Tod des Vikars. Abt Beda teilte dem Konsistorium am 14. Oktober 1765 das Ableben von P. Heinrich mit. Die Seelsorge versah nach dem Tod des Vikars der erste Kooperator von Abtenau, P. Anselm Hintler OSB (1726-1793),74 welcher am 29. Oktober 1765 zum Nachfolger von P. Heinrich in Annaberg ernannt wurde.75 Mit 62 Jahren hatte P. Heinrich die durchschnittliche Lebensdauer eines Konventualen von St. Peter dieser Zeit um sechs Jahre übertroffen.76 Am 16. Oktober 1765 wurde P. Heinrich propter varias incommoditates in Abtenau und hier wiederum – da er zuletzt Vikar in Annaberg gewesen war – vor dem Anna-Altar der Abtenauer Pfarrkirche beigesetzt.77 Das Marmorepitaph befindet sich noch heute neben dem Anna-Altar in der Pfarrkirche Abtenau.78 (Das Altarbild des Abtenauer Anna-Altars aus dem Jahr 1684 wird übrigens dem Tamsweger Maler Christoph Lederwasch zugeschrieben.79)

Annaberg: Der Pfarrer von Abtenau, P. Virgil Leuthner, wehrte sich gegen die Errichtung des Vikariates Annaberg, welches die Seelsorge im Lammertal erleichtern sollte.64 Ab 1752 wurde das neu geschaffene Vikariat mit St. Petrischen Priestern besetzt. In der jungen Geschichte des Vikariates Annaberg war P. Heinrich von Oktober 1761 bis Oktober 1765 bereits der achte Vikar.65 Die Präsentation für das Vikariat Annaberg durch Abt Beda Seeauer erfolgte am 23. September 1761, die Antwort des Konsistoriums und die Mitteilung der Entscheidung an den Halleiner Dechant folgte am 28. des Monats. Am 6. Oktober brach er nach Annaberg auf.66 Wie alle anderen Vikare hatte P. Heinrich das juramentum fidelitatis obedientiae und das juramentum professionis fidei eigenhändig zu unterzeichnen.67 Während dieser Zeit stand ihm eine seiner Schwestern, eine verwitwete Frau Hencklin, als Secretarin zur Seite.68

IV. Tod und Nachrufe Das Vikariat Annaberg war die letzte Wirkungsstätte von P. Heinrich. Im Oktober 1765 litt er an einer etwelche Täg fürdaurenten Unbesslichkeit, während der ihn unter anderem seine Köchin versorgte.69 Am 13. Oktober 1765 verstarb er an Schlagfluss.70 Sechs Wochen vor seinem Tod hatte er sich noch in St. Peter aufgehalten, wo die Mitbrüder bereits Anzeichen eines Schlaganfalles bemerkten.71 Noch am 7. Oktober unternahm P. Heinrich ohne Beschwerden einen Kreuzgang nach Maria Mühlrain. Als er am 13. Oktober vom Bett aufstand, hatte er einen schwären fahl gethan, woryber Er in eine lautere phantasey ausser sich selbst gesezet unvorsechents gerathen ist. Er litt von 3/4tl auf 9 Uhr morgens biß 1/4tl yber 3 Uhr in fürdaurenten Todtes-ängsten.72 Am Ende standen ihm die beiden jungen Mitbrüder P. Ildefons Lidl OSB (1736-1808) und P. Benedikt Ludwig OSB (17361775) bei.73 Ersterer war zu diesem Zeitpunkt Kooperator in Abtenau, Letzterer Kooperator in Annaberg. Nach St. Peter meldete ein Brief des Abtenauer Pfarrers

Epitaph des P. Heinrich Auer in der Pfarrkirche von Abtenau (linkes Seitenschiff neben dem Anna-Altar). Foto: Hirtner 74

Lindner, S. 159-160. AES, 6/96/18-19, Annaberg Personalia. 76 Wagenhofer, 6. Für die Jahre 1682-1731 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 56,17 Jahren und erhöhte sich im 1732-1782 unwesentlich auf 56,27 Jahre. 77 ASP, Hs. A 66, 46r; ASP, Akt 1450, P. Anton Knoll an Abt Beda Seeauer, 4.11.1765. 78 Die Inschrift lautet wie folgt: SUB HOC LAPIDE [/] ANTE ARAM S. MATRIS ANNÆ [/] POST ASSIDUOS IN CURA ANIMARUM [/] LABORES [/] IN PACE REQUIESCIT [/]A.R.P. [/] HENRICUS AUER [/] O.S.B. [/] QUI ULTIMIS IV.VITÆ ANNIS [/] AD S. ANNAM IN ZIMERAU VICARIUS [/] AO AET: 62. AO 1765 13. OCT: IBIDEM OBIIT. [/] DIC REQUIEM ÆTERNAM VIAT[OR ?] ET VADE. [/] + Siehe auch ASP, Hs. A 107, 160. 79 Gfrerer, 2004, S. 14. 75

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Hahnl, S. 186. Gfrerer, 1989, S. 116. 66 ASP, Hs. A 98, 587. 67 AES, 6/96/18-19, Annaberg Personalia. 68 ASP, Akt 1450, Todfallsinventar, 5.11.1765, 112. Wahrscheinlich handelt es sich um Rosina (geb. 1711). 69 ASP, Akt 1450, Todfallsinventar, 5.11.1765, 113. 70 AES, 6/96/18-19, Annaberg Personalia. 71 ASP, Hs. A 66, 46r. ...iam viribus ut plurimus exhaustus atque ad apoplexiam inclinare visus est nobus omnibus. 72 ASP, Akt 1450, Schreiben von P. Anton Knoll an Abt Beda Seeauer, 13.10.1765 und 4.11.1765. 73 ASP, Hs. A 66, 46r; Lindner, S. 172-173 und 176-177. 65

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In Annaberg gab es nämlich keine anständige gelegenheit zur begräbnuß, die Kirche war zu klein und für musikalische Aufführungen ungeeignet, zudem hätten die Herren officiales und beambte an einen so abgelegenen Ort kommen müssen.80

In der Totenparte wird P. Heinrich mit der bei Jesus Sirach 46,9 erwähnten biblischen Figur Kaleb verglichen, deren Kraft bis ins hohe Alter erhalten blieb.85 In Folge wird er in Anspielung an Matthäus 20,1-16 als in vinea domini indefessus operarius, als unermüdlicher Arbeiter im Weinberg des Herrn, bezeichnet.

Das Todfallsinventar wurde vom Abtenauer Pfarrer P. Albert Knoll erstellt. Neben Leib gewandt, mehreren Kästen und Einrichtungsgegenständen befanden sich in dem grossen Zimer, wo H: Vicarius seel: gewohnet hatte einige Objekte, die der näheren Betrachtung wert sind:81 darunter befand sich 1 ser gut und sauber aufgerichteter Haus altar, warauf Besonders der Heil:e Creuz Particul in einem Tabernacul auf behalten, und ein geschnizte Bildnuß der Heil: Mutter Annae samt einem Baldachin, dan auch ein grosses Reliquiarium. Weiters werden zwei Prälatenportraits, Bilder der Heiligen Petrus, Paulus und Heinrich, 10 andere Bildnussen und 6 Landschaftsbilder erwähnt. Neben drei Uhren befanden sich im Zimmer auch ein großes Perspectiv [Fernrohr], ein Compass, ein Theatrum Kästl auf perspectiv eingericht, sowie ein kleines Apothecken Trücherl mit Verschiedenen Arzneyen eingericht. Als Jäger hinterließ P. Heinrich auch zwei Gewehre mit Munition, als Raucher eine Silberne kleine Tabakir, worinen die Vergoldung Völlig abgangen, sowie eine ebensolche von Stainback Horn und eine Schwarz lassirte. P. Heinrich hatte auch Musikinstrumente besessen: Genannt werden 2 polnische Zittern samt einer Violin welch Lesterem Vätern Studendten Caietan Auer Zu einem angedencken überlassen worden. Kajetan Auer war ab 1778 Verwaltungsbeamter im Lungau.82

In der Literatur zu den Exposituren von St. Peter wurde P. Heinrich Auer OSB bisweilen übersehen.86 Als einfacher Seelsorger, der weder Schriften hinterlassen hat, noch höhere Ämter bekleidete, war seine Person für die Forschung bislang nicht von Interesse. Die Wirkung seiner Arbeit als Priester und Vertreter der Rekatholisierung ist nicht zu unterschätzen. Letztlich steht seine Biographie beispielhaft für viele andere benediktinische Seelsorger um die Mitte des 18. Jahrhunderts, die ihr Leben lang an wechselnden Orten eingesetzt wurden.

Literatur Arno Eilenstein OSB, Die Benediktinerabtei Lambach in Österreich ob der Enns und ihre Mönche. Linz 1936. Erzbischöfliches Ordinariat Wien (Hg.), Kath. Pfarrgemeinde Dornbach. Wien 1940. Gemeinde Unternberg (Hg.), 1000 Jahre Unternberg. Festschrift. Unternberg 2004. Hans Gfrerer, Annaberg. Eine Chronik der Gemeinde. Annaberg 1989. Hans Gfrerer, Pfarrkirche zum Hl. Blasius. Salzburg 2004 (= Christliche Kunststätten Österreichs, Nr. 416). Adolf Hahnl, Abtenau und Annaberg. Evangelische Christen in einer Benediktinerpfarre. In: Friederike Zaisberger, Reformation Emigration. Protestanten in Salzburg. Salzburg 1981 (= Katalog der Landesausstellung 21. Mai - 26. Oktober 1981, Schloß Goldegg), S. 180-186.

In unmittelbarer Reaktion auf den Tod bezeichnete Abt Beda in seinem Tagebuch P. Heinrich als einen Mann, der viel in der Seelsorge gearbeitet hatte und während fast 30 Jahren in allen St. Petrischen Exposituren im Einsatz gewesen war.83 Im Kloster St. Peter verbrachte er vergleichsweise wenig Lebenszeit: vom Eintritt ins Kloster bis Dezember 1731, September 1740 bis Dezember 1741, Juli 1745 bis Jänner 1751 und Februar 1761 bis Oktober 1761. In dieser Zeit übte er das Amt des Katechisten (1741) aus, hielt monatliche Predigten und wurde zum Beichtvater der Skapulierbruderschaft (1747-1750) ernannt.84

Valentin Hatheyer, Chronik des Marktes Tamsweg. Tamsweg 1955. Willibald Hauthaler und Franz Martin, Salzburger Urkundenbuch. II. Band. Urkunden von 790-1199. Salzburg 1916. (zit. als SUB II) Klaus Heitzmann, Tamsweg. Die Geschichte eines Marktes und seiner Landgemeinden, Tamsweg 2008.

80

ASP, Akt 1450, P. Anton Knoll an Abt Beda Seeauer, 4.11.1765. 81 Ebd., Todfallsinventar, 5.11.1765, S. 106-108. 82 Caietanus Auer schrieb sich am 9.12.1761 ohne Taxen mit der Immatrikulationsnummer 26588 bei den Rudimentisten an der Salzburger Benediktineruniversität ein. Siehe Redlich, 575. Von 1790 bis 1793 war er Pfleger am Pfleggericht St. Michael im Lungau. Kajetan Raimund von Auer verstarb 1804 im Alter von 57 Jahren. Siehe Hirtner, S. 46 und 188. 83 ASP, Hs. A 66, 46r. … Vir, qui multùm in curam animarum laboravit , fuit enim in omnibus locis nostris pro 30 ferme annos expositus. 84 ASP, Hs. A 98, 587: 1741 Catechistae officin suscepit... 1747 Mense Januario Concinator Archiconfraternitatis nostrae P. Scapu-

laris constituitur. ASP, Hs. A 64, 110r: …ad peragendas conciones menstruas designatus est… 85 ASP, Hs. A 585, No 189. Totenparten sind bedeutende, aber bislang wenig beachtete Zeugnisse barocken literarischen Schaffens, anhand derer sich die Bewertung von Lebensläufen durch Zeitgenossen studieren lässt. … nec non ob multos labores viribus exhausto haud immerito illud elogium attribuimus, quod Ecclesiasticus cap. 46[,11]. De Caleb filio Jephone pronuntiavit: Dedit Dominus Ipsi[Chaleb] fortitudinem & úsque in [/ad] senectutem permansit illi virtus. In ASP, Hs. A 107, 160 wird P. Heinrich als senex vicarius bezeichnet. 86 Einzig bei Linder, 140-141 findet sich ein kurzer biographischer Abriss.

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Friedrich Hermann OSB, Maria Plain. Geschichte und Leben. In: Maria Plain 1674–1974 Festschrift. Ottobeuren 1974 (= Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Bd. 85/ III), S. 17-161.

Virgil Redlich (Hg.), Die Matrikel der Universität Salzburg. Band 1. Text der Matrikel. Salzburg 1933. Edmund Wagenhofer OSB, Der Personalstand von St. Peter 1582–1981. In: Resonanz. Hauszeitschrift der Erzabtei St. Peter, Jg. 3/ 1, 1982, S. 2-13.

Gerald Hirtner, Die Kocherchronik. Die Kapuziner im Lungau. Mariapfarr 2008.

Abkürzungen

Josef Höck, Geschichte der Propstei Wieting im Görtschitztal, Kärnten (1147–1848). Salzburg 1979.

AES ASP MAT SUA

Kulturverein „Liebenswertes Hernals“ (Hg.), Liebenswertes Hernals. Wien 1982. Pirmin Lindner OSB, Professbuch der BenediktinerAbtei St. Peter in Salzburg. 1419–1856. Salzburg 1906 (= Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 46). Klaus Lohrmann, Der Dornbacher Besitz der Abtei St. Peter in Salzburg. In: Aegidius Kolb OSB (Red.), Festschrift St. Peter zu Salzburg 582-1982. Salzburg 1982 (= Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige, Bd. 93), S. 187-201.

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Archiv der Erzdiözese Salzburg Archiv St. Peter in Salzburg Marktarchiv Tamsweg Salzburger Universitätsarchiv


„Der höchste Berg ist, soviel man weiß, der Chimborasso“. Zur Datierung einer Bergekarte von Alois Lederwasch Die Staatsbibliothek zu Berlin verwahrt in ihrer Kartenabteilung unter der Signaturnummer Kart. W 5000 eine Vergleichstafel von Gebirgen, die mit dem Titel „Hauteur de quelques Montagnes, au dessus du Niveau de la Mer, exprimée en Toises de Paris“ (Höhe einiger Berge, vom Meeresspiegel aus, in Pariser Klaftern) versehen ist (Abb. 1). Die Karte misst 52 x 28,5 cm und ist am rechten unteren Bildrand mit „Alois Lederwasch“ signiert, eine Datierung oder der Hinweis auf eine Mappierstube fehlen. Erstes Ziel dieses Aufsatzes muss es daher sein, die Karte in den Kontext der zeitgenössischen geografischen Forschung zu stellen, um eine Eingrenzung ihrer Entstehungszeit herauszufiltern. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Fragestellung, weshalb eine französisch beschriftete Karte des Salzburger Kartographen Alois Lederwasch ihren Weg in die Staatsbibliothek zu Berlin gefunden hat. Da zur Karte offenbar kein Schriftoperat vorliegt1, sollen biografische Überlegungen zu Alois Lederwasch wenn schon keine vollständigen Antworten, so doch mögliche Indizien zur Klärung dieser Frage anbieten.

der Luftdruck und damit die Quecksilbersäule im Barometer.3 Lederwasch nennt auf der Karte als Quellen jene Mathematiker und Naturforscher, die die Höhe der Berge berechnet hatten. Genau diese Angaben sollen auch für eine mögliche Datierung der Karte näher untersucht werden.

Der Chimborazzo als Datierungshilfe und der geografische Forschungsstand des ausgehenden 18. Jahrhunderts Die Lederwaschkarte zeigt als höchsten Berg der Welt den Chimborazzo in den Anden im heutigen Ecuador.4 Dieser Wissensstand blieb bis 1809 aktuell, dann wurde er mit der Entdeckung und Vermessung des rund 1800 m höheren Dhaulagiri im Himalayamassiv auf den 2. Platz der höchsten Berge verwiesen. Damit ist das Jahr 1809 auch die späteste Datierungsmöglichkeit für die Entstehung der Karte. Engelmann5 stellt in den Raum, dass Lederwaschs Handzeichnung älter sein könnte als ein vom französischen Ingenieurgeographen François Pasumot 1783 herausgegebenes Verzeichnis einzelner Berghöhen mit einer dazugehörigen Graphik (Abb. 2).6 Während Pasumot seine Darstellung in die drei Abteilungen Amerika, Alpen und Frankreich gliedert, reiht Lederwasch seine Bergekarte absteigend nach der Höhe, unabhängig von ihrer geografischen Lage. Aus dieser Ordnung schert er lediglich zweimal aus, nämlich bei der Stadt Quito, wohl um die Gruppe der amerikanischen Berge einigermaßen kompakt abzuschließen, und beim Hohen Salm, womit er ihn als zweiten Kärntner Punkt unmittelbar neben den Großglockner platzierte. Da heute kein Berg unter diesem Namen bekannt ist, könnte Lederwasch die Salmhütte (2644 m), die älteste hochalpine Schutzhütte der Ostalpen, gemeint haben, die im Zuge der Erstbesteigung des Großglockners 1799 errichtet wurde.7 Die unmittelbare Platzierung neben dem Großglockner auf der Karte spricht für diese Überlegung.

Alois Lederwasch reihte auf seiner Karte 75 topografische Punkte, nach ihrer Höhenlage geordnet, in absteigender Folge von links nach rechts aneinander. Die für die Karte ausgewählten Orte sind als spargelähnlich zusammengedrängte Berge mit Tusche gezeichnet, wobei die Bergspitzen bzw. Passhöhen braun, die Seen am rechten Bildrand blau koloriert sind. Den rechten und linken Bildabschluss bildet jeweils eine Skala von 0 bis 3300 „Toises“. Dieses altfranzösische Längenmaß entsprach wie der deutsche Klafter 6 Fuß, wurde 1735 zur Vermessung der Erde in Äquatornähe reformiert und 1766 in Frankreich gesetzlich eingeführt. Die auf der Lederwaschkarte als „Toise de Paris“ bezeichnete Längeneinheit entspricht in etwa 1,95 Meter2, wodurch bei der Umrechnung deutlich wird, dass die Höhenberechnungen des 18. Jahrhunderts noch großen Ungenauigkeiten ausgesetzt waren. Immanuel Kant definierte die Höhe der Berge als „Länge der Linie, die von seinem obersten Gipfel bis auf die fortgesetzte Meeresfläche Lothrecht herabgezogen, gedacht wird.“ Mathematisch, so Kant, war diese Länge durch trigonometrische Bemessungen zu ermitteln. Physikalisch mussten Thermometer und Barometer zu Hilfe gezogen werden, denn mit zunehmender Höhe sinken

3

Kant 1803, S. 55 f. Vgl. Kant 1803, S. 58: „Der höchste Berg ist, soviel man weiß, der Chimborasso.“ 5 Engelmann 1966, S. 106 6 Pasumot 1783, S. 193 – 201 7 Es konnte kein Berg mit dem Namen “Hoher Salm” gefunden werden. Zur Salmhütte vgl. URL http://de.wikipedia.org/wiki/Salmh%C3%BCtte (Zugriff 9.12.2009) 4

1

Schriftliche Mitteilung von Holger Scheerschmidt, DI für Kartographie an der Staatsbibliothek Berlin, vom 23.3.2009 2 Lexikon der gesamten Technik 8, 1910, S. 555 (s. v. „Toise“)

22


23

Abb. 1: Alois Lederwasch, Hauteur de quelques Montagnes, au dessus du Niveau de la Mer, exprimĂŠe en Toises de Paris, Staatsbibliothek zu Berlin, Kart. W 5000


Abb. 2: François Pasumot, Table Comparative des Principales montagnes dont on a mesuré ou observé les Hauteurs. In: Observations sur la physique (Anhang, nach S. 240, Zugriff über http://books.google.at), 1783

Die auf der Karte zitieren Mathematiker und Ingenieurgeographen zeigen, dass Lederwasch den damals aktuellen Stand der Forschung wiedergegeben hat.

Äquator eingedrückte Kugel.8 Der Leiter dieser Expedition von 1735 – 1742, Charles Marie de la Condamine, führte nicht nur die Höhenmessungen der Berge am Äquator durch, sondern entdeckte dabei zufällig auch den Gummi und (unwissend) das Metall Platin.9

Charles Marie de la Condamine (1701 – 1774): Die Höhenangaben folgender Berge im heutigen Ecuador werden dem französischen Mathematiker und Astronomen Charles Marie de la Condamine zugeschrieben: Chimbaroco (Chimborazzo), Cayambe – orca (Cayambe), Antisana, Koto – Paesi (Cotopaxi), El Altar, Illinica (Illiniza Sur), Sangai (Sangay), Tourgouragou (Tungurahua), Sinchoulaga (Sincholagua), Cota – Catche (Cotacachi), El Corazon (Corazón) und Cargavi Raco (Carihuairazo).

Pierre Bouguer (1698 – 1758): Auch der französische Astronom, Geodät und Physiker Pierre Bouguer nahm an dieser Expedition in das ehemalige spanische Vizekönigreich Neugranada teil, zerstritt sich jedoch mit de la Condamine und führte eigene Bemessungen durch. Seine Ergebnisse mit der Vermessung des Pichincha veröffentlichte er 1742.10

Die Erforschung und Vermessung dieser Berge erfolgte im Rahmen einer Forschungsexpedition, um mit der Ausmessung des Breitengrades am Äquator festzustellen, ob die Form der Erde ein „abgeplattetes Sphäroid“ oder ein „verlängertes Sphäroid“ sei. Im ersten Fall, so die Theorie von Isaac Newton, wäre die Erde eine, nur an den Polen abgeflachte Kugel mit einem Wulst am Äquator, im zweiten Fall, der vom Direktor der Pariser Sternwarte, Jacques Cassini, vertreten wurde, handelte es sich um eine an den Polen verlängerte und am

Lederwasch bezeichnete den Pichincha (im heutigen Ecuador) als peruanischen Berg und verwendete damit eine Landeszuweisung, die bis 1822 Gültigkeit hatte. Damals löste sich Ecuador in der Schlacht am Pichincha unter Simon Bolivar vom spanischen Peru und schloss

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Willis 1971, S. 56 - 59 ebd., S. 64 10 O’Connor/Robertson (Bouguer) o. J. 9

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tenpunkte, Inseln und Klippen durch.18 Auf diese Forscher (Borda, Pingres, de Verdun) bezog sich Lederwasch beim Pik auf Teneriffa.

sich Großkolumbien an, bis es 1830 zu einer selbständigen Republik wurde. Georges Shuckburgh (1751 – 1804): Bei der Höhenangabe des Mont Blanc wählte Lederwasch die Berechnungen des Mathematikers und Astronomen Georges Shuckburgh. Tatsächlich lagen gegen Ende des 18. Jahrhunderts sieben unterschiedliche Berechnungen für die Höhe des Mont Blanc mit einer Höhe zwischen 2391 und 2450 Toises vor.11 Shuckburgh veröffentlichte seine Berechnung 1777.12

Horace – Bénédict de Saussure (1740 – 1799): Bei der Höhenangabe von vier Bergen (L’Aguille d’argentiere im Mont Blanc – Massiv, Ätna, Vesuv, Le Mole pres Genevre, Le Furca) berief sich Lederwasch auf den Schweizer Naturforscher und Bergsteiger Horace – Bénédict de Saussure, der sich intensiv der Erforschung des Mont Blanc – Massivs widmete und den Berg 1787 auch bestieg.19

Barnaba Oriani (1752 - 1832): Als besonders interessant für die Datierung der Karte erweist sich der Hinweis auf den italienischen Mathematiker und Astronomen Oriani, der als Gewährsmann für die Berechnung der Seehöhen von Monte Rosa (Piemont), Schreckhorn (Schweiz), Lago Lugano, Lago di Como und Lago Maggiore von Lederwasch herangezogen wurde. Oriani führte die Messungen 1788 durch13, die diesbezüglichen Publikationen „Della situazione geografica e altezza del Monte Rosa, e dello Schreckhorn“14 und „Situazione geografica d' alcuni luoghi dell' alta Lombardia: altezza de' laghi dì Como, di Lugano, e Maggiore sopra la superficie del mare, e nuove formale per le misure delle altezze barometriche“ legte Oriani 1798 vor.15

Jean André Deluc (1727 - 1817): Der weitgehend in Vergessenheit geratene Schweizer Meteorologe und Geologe Jean André Deluc führte seine Bergvermessungen nicht nur mit dem Barometer, sondern auch mit dem Hygrometer durch.20 Die Höhenberechnung des Corne du midi in den Walliser Alpen veröffentlichte er 1776 in „Untersuchung über die Atmosphäre“21. Ebenso wie den Corne du midi führte Lederwasch auch die Vermessung des Lac de Geneve auf den 1727 in Genf geborenen Deluc zurück. William Marsden (1754 – 1836): Im Dienst der britischen East India Company zog William Marsden 1770 im Alter von 16 Jahren nach Sumatra, wo er zunächst als Untersekretär am Fort Marlborough Establishment arbeitete und später ins Büro des Hauptsekretariats der Regierung aufstieg. Dabei erforschte er das Land und veröffentlichte nach seiner Rückkehr nach England sein Werk „History of Sumatra“ (1783), in dem er auch die Höhenberechnung des bei Lederwasch berücksichtigten L’Ophir vorlegte.22

Jaçques Cassini (1677 - 1756): Cassini widmete sich 1718 und 1733 der Vermessung Nordfrankreichs, um ebenso wie de la Condamine zu überprüfen, ob die Erde an den Polen oder am Äquator abgeflacht sei.16 Die Ergebnisse erschienen 1741 auch in einer deutschen Übersetzung unter dem Titel „Mathematische und genaue Angaben von der Größe und Figur der Erden“.17 Auf Cassini berief sich Lederwasch bei seinen Angaben zu den französischen Bergen Le Puy de Dome auvergne, Le Mont d’or auvergne und Cantal.

Johann Gottlieb Bohnenberger (1765 - 1831): Zunächst Theologe und Pfarrvikar, wurde Bohnenberger 1796 Adjunkt der Sternenwarte in Tübingen, 1798 außerordentlicher Professor der Mathematik und Astronomie, 1803 ordentlicher Professor. Bereits 1795 hatte Bohnenberger mit der Veröffentlichung seines Werkes „Anleitung zur geographischen Ortsbestimmung“, als Astronom auf sich aufmerksam gemacht. Als Geodät zeichnete er sich ab 1818 durch die Landesvermessung von Württemberg aus.23 Die Höhenangabe des Feldberg im Taunusgebirge (Hessen) führte Lederwasch auf ihn zurück.

Jean Charles Borda (1733 - 1799): Dieser französische Mathematiker und Marinesoldat leistete wesentliche Beiträge zur Einführung des Dezimalsystems. 1771 reiste er gemeinsam mit Jean-René de Verdun de la Crenne (1741 - 1805) und Alexandre Guy Pingré (1711 - 1796) 1771 nach Amerika. Dabei führten sie Vermessungen der Längen und Breiten vieler Küs11

Rezension über „Voyage physiques dans les Pyrénées en 1788 et 1789. Par Fr. Pasumot. a Paris 1797, in: Allgemeine Geographische Ephemeriden, hg. Franz Baron von Zach, Erster Band, Weimar 1798, S. 317-331, hier: S. 330 (Zugriff über http://books.google.at am 7.11.2009). 12 Meckly 1995, S. 46 13 Glasgow Mechanics’ Magazine IV 1826, S. 308 14 Opuscoli 1798, S. 379 15 Opuscoli 1798, S. 383 16 O’Connor/ Robertson, o. J. 17 Cassini 1741, S. 163

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Brockhaus 1894 - 1896, S. 303 Hindley 1971, S. 182 20 Emeis o. J. 21 Reuss 1805, S. 190. Nach Sigrist o. J. erschienen die "Recherches sur les modifications de l'atmosphère" bereits 1772. 22 Marsden, Eintrag KCL 23 Bundschuh 1955, S. 421 19

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pograph Benedikt Pillwein nannte ihn 1821 „guter und fleißiger Mappenkopist“.26

Pierre-François-André Méchain (1744 - 1804): Als Astronom und Physiker widmete sich Méchain vor allem der Entdeckung von Kometen. Ab den 1780er Jahren beschäftigte er sich mit der Erstellung von Karten, der Vermessung von Längengraden und genauen Berechnung der Meridiane. Nach dem französisch – spanischen Krieg, den er in Internierung verbrachte, wurde er 1795 Mitglied der neuen Akademie der Wissenschaften, des Bureau des Longitudes und Direktor des Pariser Observatoriums. Dementsprechend diente Méchain für Lederwasch als Quelle für die Höhenberechnung von französischen Bergen (Le puy de Dome auvergne, Cantal im französischen Zentralmassiv sowie Le Canigou in den Pyrenäen).

Alois Nepomuk Lederwasch wurde am 15. Mai 1763 als Sohn des Gregor (IV.) Lederwasch und der Catharina Eggerin in Tamsweg geboren.27 Die Familie versah zu dieser Zeit bereits in vierter Generation den Mesnerdienst an der Wallfahrtskirche St. Leonhard bei Tamsweg und hatte sich als Malerfamilie eine überregionale Bedeutung erarbeitet. Der Vater, Gregor (IV.) Lederwasch, blickte in den 1760er Jahren auf ein reges künstlerisches Schaffen als Maler und Fassmaler vor allem in den Kirchen des Lungaus, aber auch im angrenzenden Pfleggericht Murau in der Steiermark zurück. Als er vermehrt als Geometer im Dienst des Fürsterzbischofs von Salzburg tätig wurde, übertrug er den Mesnerdienst von St. Leonhard seinem ältesten Sohn Gregor (V.) Lederwasch und kaufte 1775 das Eckhaus am Platz (heute Rathaus von Tamsweg), das nach seinem Tod ein weiterer Sohn, Franz Lederwasch, erbte.28 Alois Lederwaschs beruflicher Werdegang scheint also vorgezeichnet zu sein, doch blieb ihm als viertem Sohn unter 13 Geschwistern kein Platz, um sich in Tamsweg eine Zukunft aufzubauen.

Joseph Raditschnigg von Lerchenfeld (1753 - 1812):

Der in Klagenfurt geborene Joseph R. von Lerchenfeld wurde als Lehrer in Siebenbürgen eingesetzt und brachte es dort 1786 zum Oberaufseher über alle katholischen Normalschulen. Lerchenfelds Hauptverdienst bestand in seinen Forschungen zur Botanik Siebenbürgens, die er ab 1790 systematisch zu publizieren begann.24 Lederwasch schrieb ihm die Berechnung der Höhe des Surul zu.

Nachdem Alois und Franz Lederwasch 1784/85 dem Bruder Johann, der sich in der Steiermark als Maler einen Namen machte, bei der Freskierung der Kirche in Wildalpen geholfen hatten29, wurde Alois Lederwasch 1790 in Hallein als „Hofholz Einnehmers Praktikant“ angestellt, um bereits kurz darauf für kleinere Vermessungsarbeiten und Kartenerstellungen herangezogen zu werden. 1799 wechselte er in die fürsterzbischöfliche Mappierstube in Salzburg und konnte sich dort als Mappenkopist und Kartograph hocharbeiten. Ab 1808 führte er die „Ökonomie - Aufsicht“ im (damals österreichischen) Mappierbüro, 1811 erhielt er den Titel „Plan - Conservator“.30 Danach verlieren sich die Spuren zu seiner Biographie.31

Lederwaschs Karte gibt somit einen spannenden Überblick über die Pionierzeit der modernen Vermessungstechnik. Ausgehend von der Forschungsreise de la Condamines und Bouguers in die Anden in den 1730er Jahren bis zu den damals noch brandneuen Forschungsergebnissen Orianis 1798 sind die wichtigsten Mathematiker, Geodäten und Ingenieurgeographen aus dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Deutschland, Schweiz und Österreich enthalten, die die Grundlagen für die wissenschaftliche Erforschung der Gestalt der Erde legten und an der Entwicklung zur Verwendung des Meters als moderner Längeneinheit maßgeblich beigetragen haben.25 Somit kann die Entstehung der Karte – unter Berücksichtigung der 1799 erbauten Salmhütte beim Großglockner – auf einen Zeitraum zwischen 1799 und 1809 eingegrenzt werden.

Die Waldmeistereiakten im Salzburger Landesarchiv geben einen guten Einblick in die bedrückenden Lebensverhältnisse eines Salzburger Beamten in den Wirren der napoleonischen Kriege, denen Salzburg am

Alois Lederwasch – Ein Salzburger Beamter in den Wirren der Franzosenkriege

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Pillwein 1821, S. 128 Pfarrarchiv Tamsweg, Taufbuch IV, S. 258 28 Zur Familiengeschichte der Lederwasch siehe Hatheyer [1955], S. 170 - 177 29 Schöffmann 1974, S. 38 30 SLA, Frank-Beamtenkartei: Alois Lederwasch. Einen kurzen Überblick über Lederwaschs berufliche Stationen gibt Zaisberger 2009, S. 144, Anm. 53 31 In einem Populationskataster der Stadt Salzburg von 1815 ist Walburga Lederwasch als „pension[ierte] Geometersfrau“, wohnhaft im Haus Nr. 139 (Kaigasse), II. Geschoß, gemeldet. Vgl. SLA, 3. Populations-Kataster des. StadtViertels Nr. III, d. königl. bair. Kreishauptstadt Salzburg. 1834 wird sie im Verlassenschaftsprotokoll als „Witwe“ bezeichnet. Vgl. SLA, Verlässe 5742. 27

Noch gibt es über Alois Lederwasch und sein umfangreiches Schaffen als Mappierer und Kartenzeichner keine biografische Untersuchung. Der Salzburger To24

Friedenfels 1883, Lerchenfeld, S. 424-426 Nicht aufgefunden werden konnte „le Manorn“, den Lederwasch als Gewährsmann für den Mont Cenis mit 1445 Toises angegeben hat. Andere Quellen (Pasumot 1783, S. 196 oder Gehler 1798, S. 303) berufen sich bei einer Höhenangabe von 434 Toises auf John Turberville Needham (1713 – 1781). Needhams Angabe kann nicht stimmen, da die Passhöhe des Mont Cenis – Massivs auf 2083 m Seehöhe liegt (vgl. URL http://de.wikipedia.org/wiki/Mont_Cenis).

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Obwohl die Beschriftung in französischer Sprache gehalten ist, weist die Karte einen deutlichen Salzburger Lokalkolorit auf.

Beginn des 19. Jahrhunderts ausgesetzt war. Lederwasch lebte sprichwörtlich von der Hand im Mund. Aufgrund seiner „Lage der äussersten Dürftigkeit“ suchte er ab 1804 regelmäßig um Gehaltserhöhungen, Mietzins- und Holzbeiträge an. Die Entlohnung seiner für ihn immer umfangreicheren und verantwortungsvolleren Arbeit hinkte den steigenden Preisen weit hinterher. 1805 heiratete er Walburg Sichler, Salzstoßerstochter von Reichenhall, wodurch der finanzielle Aufwand noch weiter stieg. Ein Jahr später wurde er vom „Nervenfieber“ befallen, konnte aber mit einem monatlichen Gehalt von mittlerweile 25 fl die Medikamente und die Kosten für die „passende Nahrung“ nicht mehr bestreiten, „womit er als verehelicht ohnehin in diesen harten Zeiten nicht ohne zu darben sein Leben durchzubringen weiß.“32

Es scheint, als hätte das Lebensumfeld des Alois Lederwasch in der Bergekarte seinen deutlichen Niederschlag gefunden. An der 53. Stelle ist der Radstädter Tauernpass vermerkt, der Lederwaschs Heimatbezirk, den Lungau, vom übrigen Land Salzburg trennt. Auch der Katschberg an 56. Position, der die Grenze zwischen dem Lungau und Kärnten darstellt, ist enthalten. Auf seine Zeit als Holzeinnehmerspraktikant weist der Dürrnberg bei Hallein (67. Platz) hin. Besonders gehäuft finden sich topografische Punkte aus der Stadt Salzburg und Umgebung: Salzburg (71.) mit dem Festungsberg (69.) und dem Kapuzinerberg (68.), Gaisberg (61.), Untersberg (49.) und Hoher Staufen (51.).

Die Entstehung der Karte fällt also in die Salzburger Zeit des Alois Lederwasch, die mit der Anstellung in der fürsterzbischöflichen Mappierstube 1799 begann. Salzburg, das mit dem Reichsdeputationshauptschluss 1803 säkularisiert wurde und seine Unabhängigkeit verlor, fiel dem Kurfürsten Ferdinand von Habsburg, dem Bruder des österreichischen Kaisers Franz I. zu. Nach einem Krieg gegen das napoleonische Frankreich kam Salzburg 1806 erstmals an das habsburgische Österreich. 1809 stand es unter direkter französischer Verwaltung und litt unter den drückenden Kontributionsforderungen der Besatzer.33 Im selben Jahr wurde der Dhaulagiri entdeckt, womit eine spätere Entstehung von Lederwaschs Karte auszuschließen ist.

Wir können also davon ausgehen, dass die Karte im Raum Salzburg hergestellt wurde. Wie aber kam das Dokument in eine Berliner Bibliothek?

Carl Ritter und die Kartensammlung der Berliner Staatsbibliothek Zwei Stempel geben Aufschluss über die Besitzgeschichte der Karte von Lederwasch. Das „Koenigl[ich] Kartograph[ische] Institut Berlin“ wurde 1859 gegründet. Bereits im selben Jahr wanderten die Bestände in die Königliche Bibliothek („Ex Bibl. Regia Berelin“).35 Damit ergibt sich eine Lücke von mindestens 50 Jahren seit der Entstehung der Karte. Die Gründung des Kartographischen Instituts steht mit einer Person in engem Zusammenhang: dem Geographen und Pädagogen Carl Ritter (1779 – 1859), der als Begründer der wissenschaftlichen Geographie gilt.36 Ritter setzte sich für die Schaffung einer staatlichen Kartensammlung ein, die mit dem Ankauf der Privatsammlung des Generals Gerhard von Scharnhorst durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. ihren Grundstock fand. Carl Ritter wurde zwar 1859 mit der Oberaufsicht des „Königlich Kartographischen Instituts“ betraut, doch schon kurz darauf wurde das Institut aufgelöst und die Kartensammlung als eigenständige Abteilung in die Königliche Bibliothek eingegliedert.37 Im selben Jahr starb Carl Ritter. Schon in jungen Jahren hatte er sich als Geograph mit dem Höhenvergleich von Gebirgen auseinandergesetzt und 1806, also im zeitlichen Rahmen der Entstehung von Lederwaschs Karte für sein Atlaswerk „Sechs Karten von Europa“ eine „Tafel der Gebirgshöhen in Europa, ohne Verhältniß auf ihre Grundlinie verglichen mit den Höhen und der Vegetation auf den Cordilleren“ angefertigt (Abb. 4).38 Diese Parallele lässt zwar noch keinen Schluss

Lederwaschs Lebenswelt als Bestandteil der Bergkarte und die Frage nach dem Herstellungsort Der Briefwechsel Lederwaschs macht deutlich, dass er ab 1804 alle Hände voll zu tun hatte, seine zahlreichen Aufgaben in der Mappierstube zu erfüllen, sodass die Kanzleistunden für seine beruflichen Pflichten nicht mehr ausreichten. Dadurch entgingen ihm auch die lukrativen Nebenverdienste. Dazu zählten die praktischen Feldvermessungen, die mit finanziellen Zulagen verbunden waren.34 Ein Aufenthalt außerhalb Salzburgs zur Anfertigung einer Bergekarte scheint für diese Zeit unwahrscheinlich. Ob die Beschriftung der Karte in französische Sprache im Kontext der Anwesenheit französischer Soldaten im Zuge der ersten Besatzung im Jahr 1800 zu sehen ist oder gar Überlegungen zu einem möglichen Auftraggeber zulässt, muss mangels zusätzlicher Quellen offen bleiben. Doch ein merkwürdiger Umstand, der sicherlich den regionalhistorischen Reiz dieses Dokuments ausmacht, fällt bei Lederwaschs Karte besonders auf:

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Crom 2009, S. 63 f. Olbrich 2001, S. 73 37 Crom/ Mittenzwei o. J. 38 Engelmann 1966, Tafel zwischen S. 106 und S. 108

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SLA, HK Waldmeisterei 1807/4 33 Ortner 1988, 588, 595 und 601 f. 34 SLA, HK Waldmeisterei 1807/4

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Königlichen Observatorium zu Paris durch ganz Frankreich von einem Ende desselben bis zum andern insbesondere deutlich beschrieben und vorgestellet wird, Arnstadt und Leipzig 1741 Crom 2009 = Wolfgang Crom, Die Arbeit der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, in: Vermessung Brandenburg, 1/2009, S. 62 – 74 Crom/ Mittenzwei o. J. = Wolfgang Crom und Steffi Mittenzwei, Zur Geschichte der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, in: Educational Media Research URL http://www.edumeres.net/publikationen/details/d/die-machtder-karten-oder-was-man-mit-karten-machen-kann/p/zurgeschichte-der-kartenabteilung-der-staatsbibliothek-zuberlin-2.html (Zugriff 6.12.2009) Emeis o. J. = Stefan Emeis, Der Meteorologe und Geologe J.A. Deluc (1727-1817) und der Wandel naturwissenschaftlicher Sicht- und Denkweisen während seiner Schaffenszeit. URL http://www.met.fu-berlin.de/dmg/dmg_home/ fagem/emeis_freiberg.html (Zugriff 4.12.2009) Engelmann 1966 = Gerhard Engelmann, Carl Ritters „Sechs Karten von Europa“, in: Erdkunde 20 (1966), S. 104 – 110 Friedenfels 1883 = N. Friedenfels, Lerchenfeld in: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 18, Leipzig 1883, S. 424426. URL http://mdz10.bib-bvb.de/~db/bsb00008376/images/ index.html?seite=426 (Zugriff 2.12.2009) Gehler 1798 = Johann Samuel Traugott Gehler, Physikalisches Wörterbuch oder Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre mit kurzen Nachrichten von der Geschichte der Erfindungen und Beschreibungen der Werkzeuge begleitet, 1. Theil von A bis Epo, 9. Auflage, Leipzig 1798 Glasgows Mechanics’ Magazine IV 1826 = The Glasgows Mechanics’ Magazine and Annals of Philosophy, Vol. IV, Glasgow 1826 Hatheyer [1955] = Valentin Hatheyer, Chronik des Marktes Tamsweg. Lungau. Salzburg, Tamsweg [1955] Hindley 1971 = Geoffrey Hindley, Im tödlichen Fels und Eis der Berge (Mit berühmten Entdeckern auf Reisen), London 1971 Die höchsten Berge, die längsten Flüsse. Eine Vergleichskarte aus dem frühen 19. Jh. URL http://www.alpinesmuseum.ch/files/handzettel_26_d.pdf (Zugriff 7.12.2009) Kant 1802 = Immanuel Kant, Physische Geographie, Zweiten Bandes 2. Abtheilung, welche den Aufriß und Durchschnitt des Landes enthält, Mainz und Hamburg 1803 Lexikon der gesamten Technik 1910 = Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, hg. von Otto Lueger, 8. Band: Schwefelsäuresalze bis Zystase, 2. Auflage, Leipzig [1910]. URL http://www.zeno.org/Lueger1904/K/lueger-1904-081-0555 (Zugriff am 25.11.2009) Marsden, Eintrag in den KCL = Marsden, William, Eintrag in den King's College London Archives Services, URL http://www.kcl.ac.uk/depsta/iss/archives/collect/10ma651.html (Zugriff 4.12.2009) Meckly 1995 = Eugene P. Meckly, Mont Blanc. The early years. A. bibliography of printed books from 1744 to 1860, Asheville (North Carolina) 1995 O’Connor und Robertson o. J. (Bouguer) = J. J. O'Connor und E. F. Robertson, Pierre Bouguer, in: URL http://www.gap-system.org/~history/Biographies/ Bouguer.html (Zugriff 4.12.2009)

darüber zu, ob Lederwaschs Karte über Carl Ritter ihren Platz in der Königlichen Bibliothek in Berlin gefunden hat, doch können wir davon ausgehen, dass der „Gründervater der Geographie“ Lederwaschs Karte gekannt hat.

Zusammenfassung Im zeitlichen Umfeld der Franzosenkriege erstellte Alois Lederwasch, Mappierer und Kartenkopist in Salzburg, in der Zeit zwischen 1799 und 1809 eine Bergekarte, die einerseits die üblichen Gebirgsauflistungen und Vergleichskarten gegen Ende des 18. Jahrhunderts zitiert und widerspiegelt, andererseits einen deutlichen Salzburger Lokalkolorit zur Schau stellt, was wiederum Rückschlüsse auf Salzburg als möglichen Herstellungsort zulässt. Das Thema der Karte zeigt Parallelen zu Forschungsschwerpunkten Carl Ritters, der sich in seinen letzten Lebensjahren um den Aufbau des Koeniglich Kartographischen Instituts Berlin bemühte, aus dessen Beständen auch Lederwaschs Karte stammt. Anders als bei den grafischen Gebirgsdarstellungen von Pasumot 1783 und Ritter 1806 ist Lederwaschs Karte nicht in eine schriftliche Abhandlung, die Aufschlüsse über die Motivation der Kartenherstellung geben würde, eingebettet. Allerdings versuchte Lederwasch, entsprechend seiner künstlerischen Herkunft, seiner Vergleichstafel eine gewisse Plastizität einzuhauchen. Spätere Vergleichskarten der höchsten Berge (und der längsten Flüsse), die bis ca. 1890 beliebt waren, wurden dreidimensional über die Bilddiagonale dargestellt (Abb. 3).39 Mit der Karte von Alois Lederwasch haben wir es zweifelsohne mit einem beeindruckenden und einzigartigen Dokument aus der Frühzeit dieses Genres im ausgehenden 18. oder beginnenden 19. Jahrhunderts zu tun.

Literatur und gedruckte Quellen Allgemeine Geographische Ephemeriden, hg. Franz Baron von Zach, Erster Band, Weimar 1798 Brockhaus 1894 - 1896 = Brockhaus’ Konversationslexikon, 3. Band: Bill - Catulus, Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage 1894 - 1896 Bundschuh 1955 = Franz A. Bundschuh, Bohnenberger 1, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 2, Leipzig 1955, S. 421. URL http://mdz10.bib-bvb.de/~db/0001/bsb00016318/ images/index.html?seite=441 (Zugriff 4.12.2009) Cassini 1741 = Jakob Cassini, Mathematische und genaue Angaben von der Größe und Figur der Erden, wobey die bewundernswürdige Verlängerung der Mittags=Linie des 39

Höchsten Berge, http://www.alpinesmuseum.ch/files/handzettel_26_d.pdf (Zugriff 8.12.2009). Beispiele für Vergleichskarten aus dem 19. Jahrhundert siehe URL http://bibliodyssey.blogspot.com/2008/10/river-deepmountain-high.html

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Reuss 1805 = Franz Ambrosius Reuss, Lehrbuch der Mineralogie. Nach des Herrn O.B.R. Karsten mineralogischen Tabellen, Bd. 1, 3. Teil, Leipzig 1805 Schöffmann 1974 = Renate Schöffmann, Johann von Lederwasch, Diss. Graz 1974 Sigrist o. J. = René Sigrist, Deluc, Jean André, in: Historisches Lexikon der Schweiz, URL http://www.hls-dhs-dss.ch/ textes/d/D15896.php (Zugriff 28.11.2009) Willis 1971 = Marcia Willis, Urwälder am Amazonas (Mit berühmten Entdeckern auf Reisen), London 1971 Zaisberger 2009 = Friederike Zaisberger, Kriegsbeute Technologietransfer: das hochfürstlich salzburgische Mappierzimmer, in: Frieden – Schützen 1809 – 2009. Franzosenkriege im Dreiländereck Bayern – Salzburg – Tirol 1792 – 1816, hg. von Friederike Zaisberger und Fritz Hörmann, o. O. 2009, S. 129 – 144

O’Connor und Robertson o. J. (Cassini) = J. J. O'Connor und E. F. Robertson, Jacques Cassini, in: URL http://www-history.mcs.st-and.ac.uk/Biographies/ Cassini_Jacques.html (Zugriff 30.11.2009) O’Connor und Robertson o. J. (Méchain) = J. J. O'Connor und E. F. Robertson, Pierre François-André Méchain, in: URL http://www.gap-system.org/~history/ Biographies/Mechain.html Olbrich 2001 = Hubert Olbrich, Anordnungen auf der Außenseite unseres Erdballs. Der Geograph Karl Ritter, in: Berlinische Monatsschrift, Heft 1/2001, S. 73 – 77. URL http://www.luise-berlin.de/bms/bmstxt01/ 0101porb.htm#seite76 (Zugriff 7.12.2009) Opuscoli 1798 = Opuscoli scelti sulle scienze e sulle artí, Bd. 20, Hg. Carlo Amoretti, Milano 1798 Ortner 1988 = Franz Ortner, Vom Kurfürstentum zum Wiener Kongress. Salzburg 1803 – 1816, in: Geschichte Salzburgs. Stadt und Land, Bd. II/2, hg. Heinz Dopsch und Hans Spatzenegger, Salzburg 1988, S. 587 - 619 Pasumot 1783 = François Pasumot, Lettre aux auteurs du Journal de Physique, in: Journal de Physique, Bd 23, Teil 2, Septembre 1783, S. 193 – 201 (mit einer Tafel nach S. 240) Pillwein 1821 = Benedikt Pillwein, Biographische Schilderungen oder Lexikon Salzburgischer theils verstorbener theils lebender Künstler, Salzburg 1821

Benutzte Archive Staatsbibliothek zu Berlin, Kartenabteilung: Kart. W 5000 Salzburger Landesarchiv (SLA): HK Waldmeisterei 1807/4, SLA, Frank-Beamtenkartei: Alois Lederwasch,

Verlässe 5742 Pfarrarchiv Tamsweg: Taufbuch IV

Abb. 3: A comparative view of the heights of the principal mountains and lengths of the principal rivers of the World: Thomas's library atlas (Joseph Thomas) 1835, in: URL http://bibliodyssey.blogspot.com/2008/10/river-deep-mountain-high.html

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Abb. 4: Carl Ritter, „Tafel der Gebirgshöhen in Europa, ohne Verhältniß auf ihre Grundlinie verglichen mit den Höhen und der Vegetation auf den Cordilleren“, 1806 (Abb. Engelmann 1966)


DER „VOLKSSCHRIFTSTELLER“ UND „ETHNOGRAPH“ JOSEF STEINER-WISCHENBART in Tamsweg“ angegeben. Auf einer Visitenkarte nannte sich Steiner-Wischenbart zudem „korrespondierendes Mitglieder der k. k. Zentral-Kommission für Kunst- und historische Denkmale in Wien, wirkl[iches] Mitgl[ied] der Deutsch-Österr[eichischen] Schriftsteller-Genossenschaft, Redakteur der ‚Tauern-Post’“.8

1. Einleitung Josef Steiner-Wischenbart in seiner Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung Der Name Josef Steiner-Wischenbart begegnet der Lungauer Lokalgeschichtsschreibung immer wieder, sei es durch Büchlein wie „Burg Finstergrün im Lungau“1 oder „Längs der Murtalbahn“2, sei es durch eine Vielzahl von Beiträgen in der Tauern-Post, wo er beispielsweise über den „Samson-Umzug in Tamsweg“3 oder „Graf Hans Wilczek auf seinem Schlosse Moosham“4 publizierte. Auch in Printmedien außerhalb des Lungaus veröffentlichte er Texte über heimatkundliche Themen, als Beispiele seien hier nur der „Ruperti-Kalender“5 aus Salzburg und die Grazer Zeitschrift „Parzival“6 genannt.

Als „der Ethnograph des oberen Murtales“9 wurde Steiner-Wischenbart schließlich in der Gründungszeit der Tauern-Post seiner Leserschaft vorgestellt. Dem entsprechend war für ihn die Ernennung zum Korrespondenten der oben erwähnten Zentralkommission „eine Ehrung, die nur jenen Personen zukam, die zur Erforschung und Erhaltung von Geschichtsdenkmälern bereits mit Erfolg gewirkt haben und nur Akademikern zuteil wurde.“10 In seiner Selbstwahrnehmung sah sich Steiner-Wischenbart demnach als Forscher, dessen Untersuchungen durchaus öffentliche Anerkennung fanden. Auch was sein literarisches Format anbelangt, hielt er sich für einen bedeutsamen Volksschriftsteller: Wiederholt rückte er sich in die Nähe Peter Roseggers, in dessen literarischer Tradition er sich offenbar verstand.11 In der Festschrift zu Steiner-Wischenbarts 40. Geburtstag (1916) wurde der Jubilar gar „zweite[r] Rosegger“ genannt.12 In seiner Selbstbiographie, die er kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verfasste,

Aufgrund seines literarischen Schaffens, das hier nur wäre Steineransatzweise umrissen wurde7, Wischenbart nicht bloß als Zeitungsredakteur, sondern als Schriftsteller einzuordnen, möglicherweise könnte er darüber hinaus als Heimatforscher beschrieben werden. Dies würde jedenfalls seiner Selbstwahrnehmung und -darstellung entsprechen: Auf der Verständigung seiner Hochzeit war unter dem Namen des Bräutigams der Zusatz „Schriftsteller und Redakteur der ‚Tauern-Post’

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StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16; die beschriebenen Dokumente sind im Buch eingeklebt. In der Literatur wird die Ernennung Steiner-Wischenbarts zum Korrespondenten der Zentralkommission mehrfach mit 1910 datiert; vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 6; Schiestl, Michael, Österreichisches Biographisches Lexikon, Bd. 13, S. 182f., s.v. Steiner-Wischenbart Josef, hier S. 182. 9 TP, 15. Mai 1909, S. 5. Vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 23 s.v. Lungau. Darin sind mehrmals Anmerkungen zu den „Forschungen“ des „Ethnographen“ und „Geschichts- und Kunstkenner[s]“ zu finden. 10 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1, Der alpenländische Volksschriftsteller Josef Steiner-Wischenbart. Ein Lebensbild, von ihm selbst erzählt, dat. 27. November 1927, S. XXXIIIf. Vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 6. 11 Zu Steiner-Wischenbart und Rosegger vgl. Baur, Uwe / Karin Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich 1938– 1945. Handbuch eines literarischen Systems, Bd. 1: Steiermark, Wien u. a.: Böhlau, 2008. Zu Steiner-Wischenbart vgl. S. 326–328, hier S. 327; Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 80; aus autobiographischer Sicht vgl. dazu auch die erste Nummer des ersten Jahrganges des Illustrierten Hausund Bauernfreundes; StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 5. 12 Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 3; vgl. Julius Franz Schütz, in: ebd., S 10.

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Steiner-Wischenbart, Josef, Burg Finstergrün im Lungau, Graz: Cieslar, 1911; vgl. Tauern-Post [in der Folge: TP], 26. März 1910, S. 1f; 7. Mai 1910, S. 1f.; 25. Juni 1910, S. 1f. 2 Steiner-Wischenbart, Josef, Längs der Murtalbahn. Neuer illustrierter Führer der Murtalbahn Unzmarkt – Mauterndorf, Tamsweg: Verlag Gebrüder Salesy, 1910. 3 TP, 12. Juni 1909, S. 1f. 4 TP, 28. August 1909, S. 1–3. 5 Steiner-Wischenbart, Josef, „Die St. Leonhard-Kirche in Tamsweg“, in: Ruperti-Kalender (1914), S. 71–74. 6 Steiner-Wischenbart, Josef, „Maria-Hollenstein“, in: Parzival. Wochenschrift für Kunst, Heimat und Geistesleben 2/4 (1920), S. 49–53. 7 Ein umfangreiches Werkverzeichnis Steiner-Wischenbarts findet sich im Steiermärkischen Landesarchiv, Archiv SteinerWischenbarth Joseph, Nachlass [in der Folge: StLA, NL Steiner-Wischenbart]. Eine Aufstellung der Veröffentlichungen über das Obere Murtal bis 1916 ist abgedruckt in: Der alpenländische Schriftsteller Josef Steiner-Wischenbart. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, Graz: Verlag Alpenheim, 1916, S. 17–40. Der Verlag Alpenheim war der Selbstverlag Steiner-Wischenbarts. Vgl. Grasmug, Rudolf, „Joseph Steiner-Wischenbart und Feldbach“, in: Mitteilungsblatt der Korrespondenten der Historischen Landeskommission für Steiermark 9 (2007), S. 77–92, hier S. 89f.

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schrieb Steiner-Wischenbart, seine Jugend sei ähnlich verlaufen wie jene Roseggers. Er stellte Peter Rosegger in diesem Schriftstück als seinen Förderer, sich selbst als einen „der Letzten von der Roseggergilde“ dar.13

zugleich neue Fragen aufgeworfen werden, ist durchaus als Aufforderung zu verstehen, sich in umfangreicheren Forschungen dieser Persönlichkeit und seinen heimatkundlichen Arbeiten zu widmen.

Forschungsstand Vier rezente Veröffentlichungen stellen die Biographie Josef Steiner-Wischenbarts aus unterschiedlichen Blickwinkeln dar: In seiner 2006 erschienenen Geschichte des Ortes Oberzeiring umreißt der Historiker Walter Brunner im Kapitel „Bedeutende Persönlichkeiten aus Oberzeiring“ in einem Absatz Steiner-Wischenbarts Lebensweg bis etwa 1906.14 Brunner fokussiert in seiner sehr knappen Darstellung stark auf die frühen Jahre des Schriftstellers, was wohl durch die von Brunner verwendeten lokalen Quellen zu erklären ist. Im Jahr 2007 erschien der Beitrag „Joseph SteinerWischenbart und Feldbach“, in dem der Historiker Rudolf Grasmug im Lebensbild des „Volksschriftstellers“ besonders auf dessen Beziehungen zur steirischen Bezirkshauptstadt in den Jahren nach 1900 eingeht, doch darüber hinaus dessen gesamte Biographie skizziert.15 Damit ist dieser Aufsatz derzeit die ausführlichste forschungsbasierte Lebensbeschreibung Steiner-Wischenbarts. Uwe Baur und Karin Gradwohl-Schlacher widmeten sich im ersten Band ihrer mehrteiligen Forschungen zur „Literatur in Österreich 1938–1945“ (2008) auf knapp drei Seiten dem Leben und dem schriftstellerischen Schaffen Steiner-Wischenbarts vornehmlich aus literarischer Sicht, wobei sie bedingt durch ihre Fragestellung und den damit verbundenen Quellen einen gewissen Schwerpunkt auf die 1930er- und 1940er-Jahre legten. Darüber hinaus ließen sie Einträge über den Schriftsteller aus mehreren Lexika in ihre Veröffentlichung einfließen.16

Wer war nun dieser „Volksschriftsteller“ und „Ethnograph“, der – wie bereits skizziert – wiederholt auch über den Lungau publizierte? Wie verlief sein Leben, wie sind seine Forschungen einzuordnen? Der vorliegende Beitrag zur Festschrift für Anton und Josefine Heitzmann versteht sich als Versuch, die Beziehungen Josef Steiner-Wischenbarts zum Bezirk Tamsweg in den Grundzügen darzustellen und sein Schaffen im Lungau zumindest exemplarisch zu diskutieren. Dass dabei wohl einige Antworten auf bislang offene Fragen gegeben und

Schließlich fand Josef Steiner-Wischenbart durch einen Beitrag des Historikers Michael Schiestl Aufnahme in das „Österreichische Biographische Lexikon“ (2008), wo sein Leben und Werk knapp beschrieben werden. Auffallend ist bei Schiestls Literaturangaben, dass er zwar den kurzen Abriss von Brunner sowie die Ausführungen von Baur und Gradwohl-Schlacher verwendet, auf die ausführlichere Studie Grasmugs allerdings ver-

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Direktes Zitat Bundesarchiv Berlin (Sammlung des ehemaligen Berlin Document Center), Reichskulturkammer [in der Folge: BArch (BDC), RKK], Akt Steiner-Wischenbart, handschriftliche Beilage zum „Fragebogen zur Bearbeitung für die Reichsschrifttumskammer“, [S. 1]. Ebd. nennt sich SteinerWischenbart „Volksschriftsteller“. Vgl. auch Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 3. Der Autor der Biographie, die in der zitierten Gedenkschrift abgedruckt ist, ist nicht angegeben. Vermutlich stammt sie vom Jubilar selbst.

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Brunner, Walter, Oberzeiring. Wechselvolle Geschichte der Bauern und Bürger eines kleinen Lebensraumes, Oberzeiring: Verlag der Marktgemeinde Oberzeiring, 2006. 15 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach. Grasmug nutzte überwiegend den bereits zitierten Quellenbestand aus dem StLA. 16 Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich.

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zichtet hat. Was die historischen Quellen anbelangt, so hat sich Schiestl offenbar weitestgehend auf jene aus dem Archiv des Stadtmuseums Judenburg gestützt. Der überaus umfangreiche Quellenbestand im Steiermärkischen Landesarchiv (s. u.) ist damit in diesen Lexikonartikel im Standardwerk der österreichischen Biographieforschung nicht berücksichtigt.17

nen Eltern Andreas und Magdalana Steiner bald nach seiner Geburt auf den Hof seiner Großeltern mütterlicherseits gegeben, wo er auch aufwuchs.24 Josef Steiners Großeltern waren ebenso wie seine Eltern Bergbauern – in seinen eigenen Worten „knorrige Bergbauernleute, die sich seit Jahrhunderten standhaft auf ihren hochgelegenen, kleinen Höfen selbständig hielten“.25 Unter der Obhut seiner Großeltern und zweier Tanten wuchs er in bäuerlichem Umfeld auf und besuchte die Volksschule in Oberzeiring, wo er durch gute Leistungen auffiel. Trotz des Anratens des Oberlehrers und des örtlichen Notars, dem Knaben ein Studium zu ermöglichen, blieb Josef Steiner nach Ende der Schulbildung im landwirtschaftlichen Bereich tätig. Eine besondere Beziehung verband den Bauernsohn mit dem Pfarrer von Schöder, Dechant Jakob Simbürger26, den er als treuen und väterlichen Freund, als Förderer und Mäzen seiner Jugend bezeichnete. Ein erster Versuch, sich als knapp 20-Jähriger in Graz beim Katholischen Preßverein schriftstellerisch zu etablieren, scheiterte, woraufhin er in die Obersteiermark zurückkehrte und Kurse an der Judenburger Landesbürgerschule besuchte.27 In einer (Auto-) Biographie findet sich überdies die Angabe, der ambitionierte junge Mann hätte eine Ausbildung im Schwarzenberg’schen Archiv in Murau erhalten.28

Quellenlage Es ist anzunehmen, dass es an mehreren Orten, an denen Steiner-Wischenbart gewirkt hat, kleinere Quellenbestände gibt (z. B. Judenburg18, Oberzeiring19). Diese wurden für den vorliegenden Beitrag allerdings nicht herangezogen. Vielmehr bilden neben der genannten Literatur vor allem zwei umfangreichere Quellenbestände den Grundstock des vorliegenden Beitrags. Der umfassende Nachlass Josef Steiner-Wischenbarts im Steiermärkischen Landesarchiv20 wurde vornehmlich mit Blick auf die Lungauer Zeit des Schriftstellers und auf seine sozialen Kontakte gesichtet. Die Archivalien stammen aus dem Eigentum Steiner-Wischenbarts und beinhalten unter anderem eine Vielzahl handschriftlich verfasster Bücher bzw. Hefte, persönliche Korrespondenz, ein ausführliches und von ihm selbst geführtes Werkverzeichnis etc. Der zweite Teil der Quellen stammt aus dem ehemaligen Berlin Document Center, Bestand Reichskulturkammer (bzw. Reichsschrifttumskammer; RKK bzw. RSK), der nunmehr unter die Zuständigkeit des Bundesarchivs Berlin fällt. Von besonderem Interesse aus diesem Akt sind die autobiographischen Angaben, die Steiner-Wischenbart über 60-jährig verfasste, sowie sein Schriftverkehr mit NS-Behörden.21

„Fragebogen zur Bearbeitung für die Reichsschrifttumskammer“, [S. 1]. 23 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1, Beilage „Als der Großvater die Großmutter nahm...“. 24 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 77. Grasmug präzisiert damit die knappe Darstellung Brunners (Oberzeiring, S. 285), Steiner-Wischenbart hätte zunächst die Volksschule besucht und wäre „dann bei seinem Großvater vlg. Freitag im Dienst“ gewesen. 25 BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, handschriftliche „Selbstbiographie“, [S. 1]. 26 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1, s.v. „Poetische Ehe – prosaische Scheidung“; ebd., K. 2 H. 7, Selbstbiographie III. Band 1899; Illustrierter Haus- und Bauernfreund, 3. Juli 1910, S. 13; vgl. Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 327; Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 80 (mit Anm. 5). Dechant Jakob Simbürger wird als Steiner-Wischenbarts Onkel genannt, vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 5 und S. 10. Zu den Publikationen Steiner-Wischenbarts über Simbürger, der sich als „Fridolin von Freithal“ ebenfalls schriftstellerisch betätigte, vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 17 s.v. Baumkirchen und S. 33f. s.v. Schöder. 27 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 77–79. Dazu Schiestl, Steiner-Wischenbart, S. 182: „Ab 1897 leistete S[teiner-Wischenbart] Militärdienst in Pola (Pula) und Wien, wo er seine Bildung durch den Besuch von Fachkursen und Bibl[iotheken] vertiefte.“ 28 Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 3.

2. Kurzbiographie Josef Steiner-Wischenbarts Am 13. März 1876 im steirischen Oberzeiring geboren22, wurde Josef Steiner, so sein Taufname23, von sei17

Schiestl, Steiner-Wischenbart. Vgl. Literaturangaben bei Schiestl, Steiner-Wischenbart, S. 183. 19 Mündliche Mitteilung von Altbürgermeisterin Rosa Rabitsch. 20 Der Nachlass, der 1950 als Geschenk an das Steiermärkische Landesarchiv kam, umfasst lt. Übergabeprotokoll 235 Hefte in 22 Kartons. Als Übergeber/in des Nachlasses vermerkt das Protokoll „unbekannt“. Vgl. Zuwachsprotokoll zum Nachlass Steiner-Wischenbart im StLA. 21 Frau Dr. Karin Gradwohl-Schlacher danke ich herzlich für das Überlassen des kopierten Akts. 22 BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, Ersuchen um Auskunft aus dem Strafregister, dat. 28. August 1939; vgl. ebd., handschriftliche „Selbstbiographie“ als Beilage zum 18

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Mit der Musterung 1897 begann für den Obersteirer eine mehrjährige Militärzeit, die ihn zunächst zum Festungsartillerieregiment in Pola (heute Pula/Kroatien) führte, wo er einen Artilleriekurs absolvierte. Daraufhin wurde er als Kanzleikraft nach Malborgeth (heute Malborghetto Valbruna/Italien) in das Kanaltal und später – auf seinen Wunsch hin – in die Luftschifferabteilung der Militäraeronautischen Anstalt in Wien versetzt. Etwa aus seiner Militärzeit finden sich wiederholt Äußerungen, die Rückschlüsse auf die ideologische Weltsicht des jungen Mannes ermöglichen: Das Fort in Malborgeth wird als „heilige[s] Bollwerk des Deutschtums an der italienischen Grenze“29 dargestellt. Er selbst wird als „Vertreter unseres deutschen, bodenständigen Volkstums“ gesehen, dessen ländliche Heimat „von den schwülen Strömungen der Stadt, die dem Volkstum überall so schweren Schaden bringen, noch wenig berührt“ war.30 Sowohl mit der Feder als auch mit dem Schwert – also als Schriftsteller und als Soldat – gelte er als „ein Hort des Deutschtums“.31 Überdies verdichtete sich bzw. wuchs im Soldaten neben einer antiklerikalen auch eine gewisse „antislawische Haltung“32. Diese Weltanschauung schlug sich in seinen ersten schriftstellerischen Betätigungen nach Ende des Militärdiensts nieder, die sich dem deutschfreiheitlichen Bereich zuordnen lassen.33 Auch nach der Jahrhundertwende kam seine deutschnational-völkische und antisemitische Haltung beispielsweise durch abfällige Äußerungen über „Windische“ oder über einen „leider verjudet[en]“ Kurort zum Ausdruck.34

bäuerlichen Elternhauses – „Wischenbart“36 – seinem eigentlichen Familiennamen an. In den Jahren 1900 bis 1902 fand Steiner-Wischenbart eine Anstellung im steirischen Feldbach, zunächst bei der Finanzwache, später in der Bezirkshauptmannschaft. In dieser Zeit verfasste er mit der „Monographie der Stadt Feldbach“ (erschienen 1903) sein erstes größeres Werk.37 Nachdem er seine Stelle in Feldbach 1902 gekündigt hatte, fand Steiner-Wischenbart in der Obersteiermark abermals eine Anstellung im Finanzdienst, wurde allerdings noch vor Ablauf der Probezeit wieder entlassen. Danach arbeitete er im Hauptpostamt in Graz, wo er nach vier Jahren kündigte. Seine beruflichen Arbeitsverhältnisse waren in der Folge meist nur von kurzer Dauer, mitunter endeten sie in einem Zerwürfnis mit den Arbeitgeber/inne/n.38 Am 22. November 1909 heiratete er in Judenburg Karoline Komatz aus Schöder. Seinen Eltern schrieb er dazu: „Sie ist ein fleissiges, braves Mädchen [...] Eine Photographie von ihr liegt bei. [...] Ich habe keine schlechte Wahl getroffen, obwohl sie kein Vermögen besitzt.“39 Ihr gemeinsamer Sohn Friedrich, der am 12. Juni 1910 im Gasthaus Stoxreiter in Tamsweg zur Welt kam,40 „vervollkommnet nun sein Glück“.41 Nach zwölf Jahren wurde die Ehe nach gegenseitigen Anschuldigungen geschieden. Mit größter Verbitterung blickte Josef Steiner-Wischenbart auf seine Ehejahre zurück, seinen Hochzeitstag nannte er retrospektiv den „größte[n] Unglückstag in meinem Leben“.42

In der Namensliste seiner Kompanie wurde der junge Mann als „Steiner Josef“ geführt35, nach dem Militärdienst trat er öffentlich vornehmlich als Josef SteinerWischenbart in Erscheinung. Offenbar fügte Josef Steiner in seinen Jugendtagen den Vulgonamen seines

Zur Zeit seiner Vermählung war Steiner-Wischenbart bereits Redakteur der in Tamsweg erscheinenden 36

BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, Nachweis der Abstammung für den Antragsteller, dat. 17. Juli 1939; vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 1; Brunner, Oberzeiring, S. 285; dazu Schiestl, SteinerWischenbart, S. 182: „Hieß eigentl[ich] Steiner; nannte sich ab etwa 1900 S[teiner]-Wischenbart.“ 37 Steiner-Wischenbart, Josef, Monographie der Stadt Feldbach, Feldbach: Verlag der Stadtgemeinde, 1903. 38 Ausführlich bei Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 82 und S. 88–91. 39 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1, s.v. „Poetische Ehe – prosaische Scheidung“. Vgl. ebd. K. 4 H. 16. 40 Pfarrarchiv Tamsweg, Taufbuch XI, fol. 255, Z. 47. Grasmug (Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 89) dazu: „1910 wurde am 12. April Sohn Fritz geboren, am 16. April 1918 folgte Sohn Walter.“ 41 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16, S. 68; direktes Zitat Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 7. 42 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1, Der alpenländische Volksschriftsteller Josef Steiner-Wischenbart. Ein Lebensbild, von ihm selbst erzählt, dat. 27. November 1927, S. XXXIV; vgl. ebd., K. 1 H. 2.

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Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 4. Julius Franz Schütz, in: Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 9–12, direkte Zitate S. 9f. 31 David Rauter in: ebd. S. 13. 32 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 79. Vgl. dazu Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 5: „und man, z. B. in Wien, bei Verleihung von Kanzleistellen den Slawen den Vorzug gab“. Dem entspricht die Beschreibung des „tschechische[n] Geist[es] damals in Wiener Kanzleien und Ämtern“, den Steiner-Wischenbart zu erkennen glaubte. BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, handschriftliche „Selbstbiographie“, [S. 2]. 33 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 79f.; direktes Zitat ebd. S. 79. 34 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 81. 35 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 2 H. 7, Selbstbiographie III. Band 1899. 30

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Tauern-Post, deren Inhaber Josef Salesy sein Trauzeuge gewesen war. Doch schon 1910 verließ er Tamsweg, um gemeinsam mit einem Bekannten in Graz eine eigene Zeitung – den Illustrierten Haus- und Bauernfreund – herauszugeben, die nach kurzer Zeit allerdings wieder eingestellt wurde. Abermals folgten mehrere Anstellungen43, mit denen sich Steiner-Wischenbart den Lebensunterhalt verdiente.

Steiner-Wischenbart eine Schlüsselrolle in der Gründungsphase der Tauern-Post zu: „Ich machte dieses illustrierte Wochenblatt, das im Alpenwinkel Lungau erschien, zum Lokalblatt meiner Heimat.“47 In dieser Selbstdarstellung wird abermals das „gewisse Ansehen“ der Zeitung mit der Arbeit Steiner-Wischenbarts verknüpft. Diese Angaben werden schließlich in der „Selbstbiographie“ (1939), die Josef SteinerWischenbart seinem Antrag zur Aufnahme in die NSReichsschrifttumskammer beilegte, um eine politische Dimension erweitert:

Im Ersten Weltkrieg wurde er aus gesundheitlichen Gründen von der Artillerie entlassen und dem Grazer Reservespital dienstzugewiesen, wo er vornehmlich Kanzleiarbeiten verrichtete.44 Obwohl weiterhin schriftstellerisch tätig (auch für die Tauern-Post), konnte Josef Steiner-Wischenbart in der Zwischenkriegszeit nicht mehr richtig Fuß fassen, behielt abermals keinen Dienstposten für längere Zeit, bezog Arbeitslosenunterstützung, war zeitweise dem Alkohol verfallen, trug sich mit Selbstmordgedanken, verschuldete sich und wurde wiederholt zu Arreststrafen verurteilt. In den 1920erund 1930er-Jahren hielt er sich mehrmals auffallend lange in Krankenhäusern auf. Zur Zeit des „Anschlusses“ lebte er im städtischen Altersheim Rosenhain in Graz. Auch als er am 14. September 1948 verstarb, stand er in Betreuung des städtischen Fürsorgeamtes.45

„Er half an der Gründung des Lokalwochenblattes für seine engere Heimat, die ‚Tauern-Post’, und brachte es als dessen erster Redakteur auf eine gewisse Höhe, um dann, als der Buchdrucker und Herausgeber der ‚Tauern-Post’, Josef Salesy, dieses Blatt und später auch seine ‚Knittelfelder Zeitung’ an den katholischen Preßverein in Graz verschacherte, in den Dienste des deutschdemokratischen Abgeordneten August Einspinners, des bekannten altösterreichischen ‚Gauwerksführers’ (als Gewerbesekretär und Schriftleiter der deutschnational geführten ‚Reichs-Gauwerker-Zeitung’ in Graz) zu treten.“48

Josef Salesy war 1907 in den Lungau gekommen, um eine Druckerei zu eröffnen. Da „das ganze obere Murtal bis Leoben kein eigenes Lokalblatt hatte“49, so Salesy anlässlich des 25-Jahr-Jubliäums der Zeitung rückblickend, gründete er die Tauern-Post. Nach der Darstellung des Druckereibesitzers war Josef SteinerWischenbart50 nach der Gründung der Zeitung an ihn

3. Zwei Bemerkungen zum Beitrag Josef SteinerWischenbarts zur Lungauer Lokalgeschichte Josef Steiner-Wischenbart und die Anfänge der Tauern-Post (1909/1910)

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StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1, Der alpenländische Volksschriftsteller Josef Steiner-Wischenbart. Ein Lebensbild, von ihm selbst erzählt, dat. 27. November 1927, S. XXXIII. 48 BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, handschriftliche Beilage zum „Frageborgen zur Bearbeitung für die Reichsschrifttumskammer“, [S. 2f.]. 49 TP [Festschrift], 14. Mai 1932, [S. 3]. Die folgenden Zitate ebd. Zur Tauern-Post vgl. Hirtner, Gerald, „Zwischen Tradition und Fortschritt: Der Lungau 1900–1945“, in: Blinzer, Christian (Hg.), unentwegt bewegt. margit gräfin szápáry (1871–1943), Tamsweg: Verlag Wolfgang Pfeifenberger, 2 2008, S. 12–23, hier S. 14. 50 Nach Salesy (vgl. ebd.) war Steiner-Wischenbart in Aussee tätig. Auch die Selbstbeschreibung Steiner-Wischenbarts (vgl. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 6) bestätigt dies. Nach der Darstellung Grasmugs war SteinerWischenbart 1907/08 Kanzleihilfsbeamter für die Bezirksschulräte Liezen, Rottenmann und St. Gallen, wechselte 1908 als Kanzleipraktikant in die Normaleichungskommission des Arbeitsministeriums (wo er allerdings nach sechs Wochen wegen „Verletzung des Dienstgeheimnisses“ entlassen wurde) und wurde daraufhin Buchhalter in einer Wiener Maschinenfabriksgesellschaft (wo es abermals nach sechs Wochen zu einer einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses kam). Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 88f.

Die bereits mehrmals zitierte „Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages“ (1916), die im Selbstverlag Steiner-Wischenbarts erschien, stellte die Leistung des Schriftstellers für die Tauern-Post folgendermaßen dar: „Sein Streben nach Ideale [sic] kommt auch dem Streben nach schriftstellerischer Betätigung gleich. Das kam denn auch der ‚Tauern-Post’ zugute, als diese (von Josef Salesy) gegründet wurde und unter Steiner-Wischenbarts Leitung rasch Aufschwung nahm.“46

Diese Quelle zeigt Steiner-Wischenbart in einer Leitungsfunktion und verknüpft die Popularität des Blattes mit der Arbeit dessen „Leiters“. Auch in seinem autobiographischen „Lebensbild“ (1927) schrieb sich Josef 43

Grasmug, Josef Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 89f. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 7. 45 Grasmug, Josef Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 90–92; vgl. Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 328; Schiestl, Steiner-Wischenbart, S. 182; zu den Verurteilungen vgl. BArch (BDC), RKK, Akt SteinerWischenbart, Strafregisterauszug dat. 7. September 1939. 46 Julius Franz Schütz, in: Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 11. 44

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herangetreten und hatte angeboten, an dem jungen Blatt mitzuarbeiten. So wirkte Steiner-Wischenbart in den Jahren 1909/10 als Redakteur dieser Lokalzeitung.51 Seine Wertschätzung zum Ausdruck bringend, schilderte Salesy im betreffenden Beitrag die Veröffentlichungen Steiner-Wischenbarts, die „in rascher Folge allgemeinen Anklang fanden“. „Lange hielt es den bewegten Geist nicht in Tamsweg, aber an der ‚Tauern-Post’ arbeitete er noch Jahre hindurch mit“, so Salesy abschließend.

Steiner-Wischenbart darauf zurück, dass Salesy beim Anblick des von Steiner-Wischenbart geleiteten Illustrierten Haus- und Bauernfreundes „geradezu wütend“ gewesen sei und er daher die Mitteilung publizierte. „Mein Anhang ist jedoch über dessen Vorgehen entrüstet; weiß man doch, daß ich es war, der die ‚TauernPost’ hob und Salesy’s bester Mitarbeiter war“, bemerkte Steiner-Wischenbart dazu. Das Ende des Engagements für den Bauernfreund stellte sich nicht unähnlich dem Bruch mit Salesy dar: Abermals entsprach das Honorar nicht seinen Vorstellungen, abermals sah er sich vom Herausgeber benachteiligt. In diesem Fall sollte er neben der Redaktionsarbeit auch die Anzeigenverwaltung übernehmen, was ihn nach nur neun erschienenen Nummern schließlich zur Kündigung veranlasste.56 Vom Herausgeber der Tauern-Post fühlte sich Steiner-Wischenbart selbst nach seinem Abgang aus der Reaktion des Bauernfreundes öffentlich verschmäht. Die in der Tauern-Post veröffentlichte Mitteilung, er sei nicht mehr für die genannte Grazer Zeitung tätig57, kommentierte Steiner-Wischenbart mit der handschriftlichen Bemerkung „Wie sich die ‚Tauern-Post’ darüber freute (!!)“.58

Tatsächlich hatte sich Josef Salesy 1909 sehr erfreut gezeigt, als die Mitarbeit Josef Steiner-Wischenbarts an der Tauern-Post konkrete Formen anzunehmen begonnen hatte: Dessen Pläne für die Zeitung seien „großartig“, Salesy war in einem Brief an den neuen Mitarbeiter überzeugt, „daß unter Ihren Händen dieselbe ein gediegenes Wochenblatt wird und infolgedessen auch eine Zukunft hat.“52 Der Zeitungsherausgeber anerkannte die „schnurrige[n] Obermurtaler Geschichtlein und Gedichtlein“ des Redakteurs und die „Reihe bemerkenswerter Aufsätze und Abhandlungen zwecks Förderung des Fremdenverkehres und Pflege der Heimatkunst und Geschichtsforschung in der ‚Tauern-Post’“.53 Josef Steiner-Wischenbart wurde von seinem Arbeitgeber also durchaus als Schriftsteller und auch als Forscher geschätzt.

Im Jahr 1924 verkaufte Josef Salesy, der mit seiner Druckerei und der Zeitung den Bezirkshauptort nicht nur wirtschaftlich und infrastrukturell bereicherte, sondern sich auch gesellschaftlich im Tamsweger Vereinsleben und für die Großdeutsche Partei politisch engagiert hatte, die Zeitung an den Grazer Styria-Verlag.59 Dass Steiner-Wischenbart in seiner Selbstbiographie aus dem Jahr 1939 seinen Austritt aus der Reaktion der TauernPost mit dem „Verschachern“ des Blattes an den „katholischen Preßverein“ verknüpfte, erscheint aus dreierlei Gründen merkwürdig: Erstens verließ SteinerWischenbart Tamsweg schon 1910, also 14 Jahre vor dem Verkauf der Lokalzeitung. Auch beendete er nicht, wie er in seinen Ausführungen behauptete, die Arbeit an der Tauern-Post, um sich für einen deutschdemokratischen „Gauwerksführer“ und für die deutschnationale Reichs-Gauwerker-Zeitung zu engagieren. Vielmehr verließ er Tamsweg, um in Graz mit dem Illustrierten Haus- und Bauernfreund eine Zeitung herauszugeben. Drittens widerspricht die retrospektive politische Polemik über das „Verschachern“ an den „katholischen Preßverein“ in gewisser Weise Josef Steiner-Wischenbarts früheren Bemühungen, seine Arbeiten dort publizieren zu lassen.

Weniger als ein Jahr später veröffentlichte die Zeitung jedoch folgende Mitteilung: „Mit der diesmaligen Ausgabe ist Herr Josef Steiner-Wischenbart aus der Redaktion der ‚Tauern-Post’ ausgeschieden und jede Verbindung mit ihm und dem Blatte gelöst“.54 Die Gründe, die zu dieser Trennung führten, sind in den gesichteten Beständen quellenmäßig schwer fassbar. Nach einer Darstellung Josef Steiner-Wischenbarts dürfte es zu einem Bruch zwischen ihm und Josef Salesy gekommen sein.55 Abermals betonte der Redakteur in seinen Aufzeichnungen, dass sich „das Blatt unter meiner Hand“ positiv entwickelt und es an Anerkennung vonseiten Salesys anfänglich nicht gefehlt hatte. Dieser sei, so Steiner-Wischenbart verunglimpfend weiter, allerdings ein „Wiener Tscheche“, der ihn „um geringes Geld“ ausnutzte und ihn später, als Steiner-Wischenbart ihn genug gelehrt hatte, aus dem Blatt drängte. Die oben zitierte Mitteilung in der Tauern-Post führte 51

Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 6; Schiestl, Steiner-Wischenbart, S. 182. Dazu Grasmug (Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 89): SteinerWischenbart „kam im Dezember 1908 als Mitarbeiter und schließlich Redakteur zur neu gegründeten ‚Tauern-Post’.“ 52 Beide Zitate StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16, Brief von Josef Salesy an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 14. April 1909. 53 Beide Zitate TP, 27. November 1909, S. 1. 54 TP, 13. August 1910, S. 11. 55 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16, S. 67. Die nachfolgenden Zitate ebd.

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StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16, S. 109. TP 10. Dezember 1910 S. 5; vgl. StLA, NL SteinerWischenbart, K. 10, H. 167, Brief von Michael Dengg an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 6. November 1911. Mit Dengg verband Steiner-Wischenbart eine „herzliche Freundschaft“; Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 7. 58 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16, S. 111. 59 Heitzmann, Klaus, „Die ‚Tauern-Post’ – 1908 bis 1939“, in: Unser Tamsweg 126 (Dezember 2006), S. 4. 57

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Im Kriegsjahr 1918 hatte er beabsichtigt, sein „Eisenerzer Kriegsbuch“ (1918) bei Styria druckzulegen. Die Zusammenarbeit kam damals zunächst nicht zustande, weil der Verlag die Veröffentlichung wegen Arbeitskräfte- und Papiermangels ablehnte.60 Schon die von Steiner-Wischenbart verfassten Erinnerungen „Der steirische Volksschriftsteller Fridolin von Freithal“ (1904) waren von Styria in Graz verlegt worden. Seine erste Veröffentlichung überhaupt, eine Geschichte des Pölstals, war in den „Gaben des katholischen Preßvereins“61 erschienen. Insgesamt lässt die Kontextualisierung der Äußerungen Steiner-Wischenbarts die Vermutung zu, dass die politischen Rahmenbedingungen der Zeit den Inhalt seiner Darstellungen beeinflusst haben bzw. dass sich seine Meinung und auch sein Engagement zumindest teilweise nach den Möglichkeiten richteten, die sich ihm boten. Ein Indiz dafür ist, dass Josef SteinerWischenbart unmittelbar nach dem Verkauf der TauernPost in brieflichem Kontakt mit dessen neuen Schriftleiter und Verwalter, Hermann Wimler62, stand, der sich in seinem Antwortschreiben über die (angebotene?) Mitarbeit Steiner-Wischenbarts dahingehend äußerte, dass er sich darüber freuen würde. 63

Josef Steiner-Wischenbarts „Burg Finstergrün im Lungau“ (1911) Zumindest seit Ende 1910 war Josef SteinerWischenbart mit der Besitzerin der Burg Finstergrün in Ramingstein67, Margit Gräfin Szápáry68, bzw. mit deren Verwalter Rudolf Holzinger in brieflichem Kontakt. Gräfin Szápáry förderte die von Steiner-Wischenbart geplante Publikation über ihre Burg finanziell und stellte auch Bilder dafür zur Verfügung.69 Darüber hinaus arbeitete sie (wohl gemeinsam mit ihrem Verwalter) an den Korrekturbögen des Büchleins, die ihr vom Autor zugesandt worden waren.70 Der untersuchte Quellenbestand gibt auch Aufschluss über die ‚Recherchen’ des ‚Forschers’ Josef SteinerWischenbart. Kurz vor Jahresende 1910 kündigte Verwalter Holzinger bei Steiner-Wischenbart brieflich eine Beschreibung der Burg an, die er dem Autor schicken würde.71 Dabei handelte es sich vermutlich um jenes undatierte Manuskript von Holzinger, das ebenfalls im betreffenden Faszikel des Steiner-Wischenbart’schen Nachlasses erhalten ist. Weite Passagen dieses Manuskriptes wurden von Steiner-Wischenbart unzitiert und teils wörtlich in sein Buch übernommen.72

Als Redakteur der Tauern-Post war Josef SteinerWischenbart naturgemäß mit Persönlichkeiten der Region bekannt. Viele der brieflichen Kontakte (beispielsweise mit Hans Graf Wilczek, Hermann Epenstein, Margit Gräfin Szápáry, Heinrich Freiherr von Esbeck, Isidor Gugg) sammelte er penibel in seinem Nachlass.64 Wie aus einer weiteren Quelle aus dem SteinerWischenbart’schen Vermächtnis ersichtlich wird, waren dem Schriftsteller derartige Kontakte durchaus wichtig und trugen auch zu seinem Selbstbild bei. Mit „Ein Dokument meiner sozialen Stellung“65 betitelte er handschriftlich die Glückwünsche, die ihn anlässlich seiner Hochzeit erreicht hatten – Margit Gräfin Szápáry, Heinrich Freiherr von Esbeck und Hermann Epenstein waren unter den Gratulant/inn/en zu finden.66

Die Vorgehensweise Josef Steiner-Wischenbarts bei den Arbeiten zu seinem Finstergrün-Buch dürfte bekannt gewesen sein und Kritik hervorgerufen haben. In einer in ihren „Mitteilungen“ veröffentlichten Rezension urteilte die Gesellschaft für Salzburger Landeskunde negativ über das – wie es in der Rezension genannt wird – „Schriftchen“. Die historischen Daten seien von SteinerWischenbart ungeprüft aus Ignaz Kürsingers „Lungau“ übernommen (1853), die burgenkundlichen Angaben aus Otto Pipers „Oesterreichische Burgen“ (1902) abgeschrieben worden. Aus dem Werk Pipers stammten, so 67

Zur Burggeschichte vgl. Thaller, Anja, „Burg Finstergrün – Von der Grenzburg zur Jugendburg“, in: Blinzer, Christian (Hg.), unentwegt bewegt. margit gräfin szápáry (1871–1943), Tamsweg: Verlag Wolfgang Pfeifenberger, 22008, S. 59–65. 68 Zu Margit Szápáry vgl. Blinzer, Christian, „Unermüdlich tätig zum Wohle der anderen“. Sozialfürsorgliches und politisches Handeln von Margit Gräfin Szápáry (1871–1943), Diplomarbeit an der Karl-Franzens-Universität Graz, 2009. 69 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 10, H. 167, Briefe von Rudolf Holzinger an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 2., 4. und 10. November sowie 24. Dezember 1910. 70 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 10, H. 167, Brief von Rudolf Holzinger an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 18. Dezember 1910. 71 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 10, H. 167, Brief von Margit Gräfin Szápáry an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 24. Dezember 1910. 72 So sind beispielsweise S. 1 des Holzinger-Manuskripts und S. 9f. des von Steiner-Wischenbart veröffentlichten Buchs nahezu ident.

60

StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 7 H. 51, Brief der k.k. Universitäts-Buchdruckerei und Verlagsbuchhandlung Styria an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 4. Jänner 1918. 61 Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 327; Brunner, Oberzeiring, S. 285. 62 TP [Festschrift], 14. Mai 1932, [S. 3]. 63 StLA, NL Steiner-Wischenbart Joseph, K. 6 H. 31, Brief von Wimler an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 13. August 1924. 64 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 12 H. 174, „Zuschriften aus dem I. Jahre der ‚Tauern-Post’ mich und die Redaktion betreffend von hervorragenden Persönlichkeiten, Körperschaften etc.“ 65 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 1 H. 1. 66 Zu den Glückwunschschreiben vgl. u. a. StLA, NL SteinerWischenbart, K. 4 H. 16, S. 46–52.

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die Rezension, überdies die Abbildungen in SteinerWischenbarts Publikation über Finstergrün. Auch dass die Baugeschichte von Burgverwalter Rudolf Holzinger stammte, kritisiert die Buchbesprechung. Geradezu als Schmähung wurde empfunden, dass SteinerWischenbart die Untersuchungen des damaligen Doyens der Burgenkunde, Otto Pipers, als „nicht gründlich und vollständig“73 brandmarkte, sich in seinen Ausführungen dennoch weitgehend auf Piper stützte und trotz seiner Kritik keine Korrekturen durch eigenständige Forschung vornehmen konnte („so sei bemerkt, daß er aus Eigenem auch nicht ein Wort dazu gegeben hat, wohl auch zu tun nicht imstande war. [...] Am ganzen Büchlein findet sich also sehr wenig vom Verfasser selbständig Erforschtes, dagegen so manche aus mangelnder Kenntnis hervorgegangene Unrichtigkeit“).74 Auf diese harsche Rezension gestützt ging auch die TauernPost mit dem Autor öffentlich hart ins Gericht und gab die Hauptkritikpunkte der genannten Rezension wieder.75

schaftliche Qualität seiner anderen Arbeiten, so beispielsweise der als „historische Abhandlung“78 bezeichneten Arbeit über Pöls oder „seiner ausgedehnten Milieustud[ie]“79 über das Obere Murtal einzuordnen ist. Etwa zeitgleich mit Steiner-Wischenbarts Arbeiten an „Burg Finstergrün im Lungau“ war es zwischen dem Autor und Margit Gräfin Szápáry zu einem Zerwürfnis gekommen. In einem Aufsatz im Bauernfreund hatte Steiner-Wischenbart gegen aristokratische Bezirkshauptleute gewettert. Sie seien „mit und ohne Fähigkeiten“, seien „häufig außerhalb des Amtes“ anzutreffen und „die Bestgehaßtesten des kleinen Ortes“. Wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, war dieser Artikel unter anderem gegen einen Mann gerichtet, den Steiner-Wischenbart kurz zuvor noch als Indikator für seine soziale Stellung gesehen hatte: den Bezirkshauptmann von Murau, Heinrich Freiherr von Esbeck. Die dadurch entstandene Zwistigkeit mit Margit Gräfin Szápáry kommentierte er so: „Wegen dieses Aufsatzes im ‚Haus- und Bauernfreund’ kündigte mir Gräfin Szapary auf Burg Finstergrün ihr ‚Wohlwollen’. Der Hieb saß gut auf ihren [sic] ‚Freund’, dem Bezirkshauptmann Esbeck in Murau, welcher sich hinter die Kittelfalte steckte.“80 Dieser Bruch mag mit eine Erklärung dafür sein, dass Josef Steiner-Wischenbart die Schrift über Finstergrün nicht der Burgherrin81 widmete, die die Publikation gefördert hatte, sondern Hans Grafen Wilczek.82

Es war dies nicht die erste negative Rezension, die Steiner-Wischenbart für seine Arbeit erhielt. Die Qualität seiner Abhandlung „Frauenberg, unter der Herrschaft der Liechtenstein und Stubenberger 1200–1666“ (1901) war ebenso kritisiert worden wie die bereits genannte „Monographie der Stadt Feldbach“ (1903) und die Schrift „Der steirische Volksschriftsteller Fridolin von Freithal“ (1904). Ähnlich wie in Salzburg die Gesellschaft für Salzburger Landeskunde war es im benachbarten Kronland der Historische Verein für Steiermark, der die Qualität von Steiner-Wischenbarts Werken beanstandete.76 In diesem Licht scheint die Behauptung Josef Steiner-Wischenbarts, seine Arbeiten würden „zum größten Teile von Fachleuten und der Presse gut aufgenommen“77, zumindest hinterfragenswert. In weiterführenden Forschungen zum Werk Josef SteinerWischenbarts wäre überdies zu klären, wie die wissen73

78

Steiner-Wischenbart, Burg Finstergrün, S. 10. Vgl. Piper, Otto, Oesterreichische Burgen, Bd. 1, Wien: Alfred Hölder, 1902, S. 98–105. 74 Rez. Josef Steiner-Wischenbart „Burg Finstergrün im Lungau“, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 51 (1911), S. 422. Die Angaben von S. 11 bis S. 19 der Finstergrün-Schrift entsprechen wörtlich S. 98–104 bei Piper und geben damit fast den gesamten Aufsatz Pipers wieder. Fünf von sieben Abbildungen Pipers wurden von Steiner-Wischenbart übernommen. Das lange Textzitat von S. 11–19 leitete Steiner-Wischenbart mit einem Hinweis auf Pipers Werk ein und beendet das Textzitat auch mit „So Piper über den alten vorhandenen Burgrest.“ Zwei der fünf entnommenen Abbildungen sind mit der Bildunterschrift „nach O. Piper“ versehen (S. 10 und S. 12). 75 TP, 2. März 1912, S. 8. 76 Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 85–87. 77 Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 3.

Brunner, Oberzeiring, S. 285. Schiestl, Steiner-Wischenbart, S. 182. 80 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 4 H. 16, S. 109. 81 Ein Antwortbrief Margit Szápárys an Josef SteinerWischenbart (StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 20 H. 222, dat. 18 Dezember 1930) ist möglicherweise ein Indiz dafür, dass sie vom Schriftsteller um eine Spende gebeten worden war: „[Ich] werde unter meinen Sachen nachsehen, ob ich etwas Entbehrliches finde, was ich ihnen schicken konnte [sic].“ In dieser Zeit verschickte Steiner-Wischenbart Bittschreiben an verschiedenste Gemeinden und Persönlichkeiten. 82 „Seiner Exzellenz dem hochwohlgeborenen Herrn Hans Grafen Wilczek [...] dem verdienstvollen Forscher und Kunstfreund in Verehrung dediziert vom Verfasser“. SteinerWischenbart, Burg Finstergrün, S. 3. Über die von Hans Graf Wilczek wiedererrichtete Burg Kreuzenstein berichtete auch der Illustrierte Haus- und Bauernfreund, 29. Jänner 1911, S. 3. 79

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Aufsätze verzeichnet. Darüber hinaus arbeitete er nach eigenen Angaben an mehreren „Dorfbüchern“.85

4. Schriftstellerische Bemühungen rund um das „Rosegger-Jahr“ (1943)

Steiner-Wischenbart hatte sich im Nationalsozialismus „an höchste Stellen des deutschen Reichs (Hitler, Göring, Goebbels etc.)“86 gewandt und um finanzielle Unterstützung gebeten. Die insgesamt 775 RM, die er zwischen 1939 und 1944 von der Deutschen Schillerstiftung erhielt, waren ein vergleichsweise hoher Unterstützungsbetrag87, was vermutlich mit diesen Kontakten in Verbindung zu bringen ist. In den tagebuchartigen Aufzeichnungen Steiner-Wischenbarts ist ein offenbar von ihm an Adolf Hitler gerichteter Brief (bzw. ein Entwurf dafür oder eine Abschrift davon?) erhalten, in dem er Hitler gratulierte, sich selbst abermals als RoseggerEpigone darstellte und auch nationalistische sowie antiklerikale Töne anklingen ließ.88 Zum auch in diesem Schreiben deutlichen Antiklerikalismus sei angemerkt, dass es diesbezüglich möglicherweise eine Spannung in der Biographie Steiner-Wischenbarts gab: Einerseits publizierte er mehrmals über Dechant Jakob Simbürger89, den er auch als väterlichen Freund bezeichnet hatte, und verfasste mehrere Pfarrgeschichten und Kirchenbeschreibungen90, andererseits kam seine antiklerikale Einstellung vor allem in späterer Zeit immer wieder zum Vorschein.

Paul Arthur Keller, der Leiter der NS-Reichsschrifttumskammer Steiermark83, urteilte im Sommer 1939 abfällig über Josef Steiner-Wischenbart: Dieser hätte, so Keller, „wegen seiner unlauteren Manipulationen mancher Art einen sehr schlechten Ruf. Schriftstellerisch bedeutet er nichts, oder besser gesagt, fast nichts. Er machte zeitlebens bedeutende Ansätze zu lokalhistorischen Studien, die er, ohne notwendige Vorbildung, geistig nur in engen Grenzen stehend, notdürftig zusammenkleisterte und mit Hilfe von Subskribenten oder Freunden dann an den Tag brachte. [...] bei seinem Besuch in der RSK Graz äusserte er sehnsüchtige Wünsche nach einem Steireranzug, kam mit dringlichen Vorstellungen wegen der Altersversorgung der Schriftsteller hinsichtlich seiner Person, wobei ihm das letztgenossene Achterl Riesling noch aus dem Schurrbart rann. So beiläufig dürfte sein Format heute sein. Es wäre jedoch Unrecht zu übersehen, dass der Mann einst schüchterne Versuche machte, der Geschichte seiner Heimat zu dienen. Versuche, die möglicherweise aus ehrlichem Herzen kamen und am angeborenen Egoismus erstickten. Gegen eine Aufnahme in die RSK ist nichts einzuwenden.“84

Der Kern dieser Kritik weicht von den oben bereits genannten nicht wesentlich ab: Auch sie anerkennt das Bemühen Josef Steiner-Wischenbarts bei historischen Arbeiten, beanstandet allerdings gleichzeitig ebenfalls die Qualität der entstandenen Studien. Weiters bringt diese Quelle den sozialen Abstieg, die damit verbundenen Probleme sowie die fehlende finanzielle Absicherung des Schriftstellers in deutlichen Worten zum Ausdruck und deutet auch eine ichbezogene Persönlichkeit Steiner-Wischenbarts an.

Im Kriegsjahr 1943 fanden in der Steiermark anlässlich des 100. Geburtstages Peter Roseggers Feierlichkeiten 85

BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, Ausweise der Reichsschriftumskammer, Ausweisnummer 5270/XII/3, dat. 23. August 1939; Ausweisnummer 9791/XII/3, dat. 21. August 1941; zu den Dorfbüchern vgl. Baur / GradwohlSchlacher, Literatur in Österreich, S. 328. 86 Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 328. 87 Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 326 und S. 328; mündliche Auskunft Dr. Karin GradwohlSchlacher. 88 „Hochverehrter Herr Reichskanzler! Auch meinen aufrichtigen herzl. Glückwunsch zu ihrem überwältigenden Sieg! – Ich bin einer der älteren alpenl[ändischen] Volksschriftsteller[,] s[einer]z[ei]t ein Intimus Peter Roseggers, der hatte zeitlebens zu kämpfen mit den klerikalen [und] windischen Elementen in der Heimat St[eier]m[ar]k.“ StLA, NL SteinerWischenbart, K. 1 H. 5; vgl. ebd., K. 20 H. 216, Dankschreiben von Wilhelm Frick an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 26. Jänner 1943. 89 Vgl. Anm. 26 des vorliegenden Beitrages. 90 Pfarrgeschichten: St. Jakob in Frauenburg, St. Georgen ob Judenburg, St. Georgen ob Murau, Archidiakonat Pöls, Lind bei Knittelfeld; Kirchenbeschreibungen: Maria Buch bei Judenburg, Lessach im Lungau, St. Lorenzen bei Knittelfeld, St. Margarethen bei Knittelfeld, Stadtpfarrkirche Murau, Spitalkirche in Oberwölz, St. Leonhard bei Tamsweg, Pfarrkirche Weißkirchen. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 17–40.

Wie sein RSK-Ausweis zeigt, war Josef SteinerWischenbart während des Zweiten Weltkrieges publizistisch tätig. Die Kleine Zeitung und die Tagespost werden dort unter anderem als Medien angegeben, in denen er Beiträge veröffentlichte. Zwischen 1939 und 1941 sind drei, für die rund zweieinhalb Jahre zwischen Sommer 1941 und Winter 1943 sieben veröffentlichte

83

Zu Paul Anton Keller vgl. Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 156–164. 84 BArch (BDC), RKK, Akt Steiner-Wischenbart, Persönliche Stellungnahme des Landesleiters zum Aufnahmeantrag für die Reichsschrifttumskammer, dat. 14. Juli 1939. Die in der Quelle angesprochenen Subskribenten waren aus der Sicht Steiner-Wischenbarts „eine ansehnliche ‚SteinerWischenbart-Gemeinde’“, die seine Publikationen ermöglichten. Gedenkschrift anläßlich seines 40. Geburtstages, S. 7.

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statt, die „den Mythos des ‚Steirisch-Bodenständigen’ in Verbindung mit dem Nationalsozialismus zelebrierten.“91 Wenig überraschend bot Josef SteinerWischenbart seine Mitarbeit bei Veröffentlichungen zum Rosegger-Jahr an, die vom Gaupresseamt auch angenommen wurde.92 Allerdings waren die insgesamt zwölf Einsendungen Steiner-Wischenbarts „für eine Verwendung in der deutschen Presse im Rahmen des RoseggerJahres zum Großteil ungeeignet.“93 Mundartdichtungen würden „im großen deutschen Leserkreis nicht verstanden“, ein Aufsatz könne „wegen seiner Ausfälle gegen die Kirche und die politisierende Geistlichkeit“ nicht gedruckt werden, da „die Zeitungen strenge [sic] angewiesen sind, in keiner Zeile diesen Kulturkampf aufzugreifen“. Andere Einsendungen Steiner-Wischenbarts wären wiederum „zu lokal gehalten, um in der großen Reichspresse Interesse zu finden.“ „Was ich bitter notwendig brauche,“ so der Bedienstete im Gaupresseamt, „sind Artikel, die das Leben und das Werk unseres Volksdichters Rosegger zeitgemäß und volksnahe schildern; außerdem Artikel, die in großen Umrissen Land und Leute schildern. Alte Beiträge aus dem Jahr 1918 sind hierzu nicht geeignet, weil sie zumeist auf ganz anderen Voraussetzungen fußen und überlebte Begriffe enthalten“

erst näherungsweise beantwortet werden. Klar zu sein scheint jedenfalls, dass es zwischen der Selbst- und der Fremdwahrnehmung Josef Steiner-Wischenbarts als Schrifsteller, Forscher und auch als Person teilweise auffallende Diskrepanzen gab. Es wurde gezeigt, dass Steiner-Wischenbarts literarische und heimatkundliche Beiträge zwar durchaus geschätzt waren, dass sie seiner hohen (möglicherweise gar überhöhten) Selbsteinschätzung allerdings nicht oder nur eingeschränkt entsprachen. Darüber hinaus wurde die Qualität seiner historischen Darstellungen von der Fachwelt teilweise negativ beurteilt. Ob ihn seine schriftstellerischen Leistungen tatsächlich zu einem „zweiten Rosegger“ machten, ist nicht geklärt. Erst vertiefende philologische Forschungen zum literarischen Gesamtwerk des Schriftstellers Josef Steiner-Wischenbarts könnten diesbezüglich eine klare Einschätzung ermöglichen. Wenngleich erste ansatzweise Untersuchungen die Annahme stärken, dass die wissenschaftliche Qualität der Forschungen SteinerWischenbarts zu kultur- und sozialwissenschaftlichen Themen nicht dem Stand seiner Zeit entsprachen oder nicht auf eigenständigen Recherchen fußten, so sind auch in diesem Bereich systematische Forschungen nötig, um eine fundierte Aussage über den Forscher Josef Steiner-Wischenbart treffen zu können. Als Indizien dafür, dass Josef Steiner-Wischenbart möglicherweise Defizite in seiner sozialen Kompetenz hatte, können beispielsweise die häufigen Wechsel der Arbeitsplätze oder die Zerwürfnisse mit Arbeitgeber/inne/n bzw. Förderern/Förderinnen interpretiert werden. Die in seinen persönlichen Aufzeichnungen teilweise erkennbare Verbitterung über gescheiterte soziale Kontakte werfen die Frage auf, wie ausgeprägt beispielsweise seine Kritik-, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit waren. Ob die Beurteilung Viktor von Gerambs zutreffend war – „Sie haben kein Sitzfleisch. Das ist eben ihr Fehler, warum sie bis jetzt nichts geworden sind.“95 – könnten ebenso weitere Untersuchungen zum Verhältnis Steiner-Wischenbarts zu seinem sozialen Umfeld zeigen.

Trotz seines augenscheinlichen Willens und Bemühens war es für Josef Steiner-Wischenbart, der sich ja selbst als einen „der Letzten von der Roseggergilde“ verstand, schwer, seinem Selbstbild entsprechend schriftstellerisch über Peter Rosegger tätig zu sein. Der bereits zitierte RSK-Ausweis Steiner-Wischenbarts verzeichnet zu diesem Thema für 1943 nur einen Aufsatz in der Tagespost, der von Hans Brandstetter handelte, einen der bedeutendsten steirischen Bildhauer seiner Zeit, der mit Rosegger bekannt war. Auch die eingesandten Beiträge Steiner-Wischenbarts für eine Soldatenzeitung wurden als zu lang oder thematisch ungeeignet zurückgewiesen.94

5. Bilanzierende Bemerkungen Die in der Einleitung gestellte Frage, wie das Leben des „Volksschriftstellers“ und „Ethnographen“ Joseph Steiner-Wischenbart verlief und wie seine Werke einzuordnen sind, kann nach den Ausführungen dieses Beitrages 91

Baur / Gradwohl-Schlacher, Literatur in Österreich, S. 160. StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 20 H. 221, Brief der NSDAP an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 10. Februar 1943. 93 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 20 H. 221, Brief der NSDAP an Josef Steiner-Wischenbart, dat. 4. Mai 1943. Die folgenden Zitate ebd. 94 StLA, NL Steiner-Wischenbart, K. 20 H. 223, Brief des Reichspropagandaamtes Steiermark an Josef SteinerWischenbart, dat. 14. Dezember 1943. 92

95

Grasmug, Steiner-Wischenbart und Feldbach, S. 89. Die Aussage bezieht sich auf einen Arbeitsplatzwechsel SteinerWischenbarts um 1908. In seinen autobiographischen Aufzeichnungen nannte Steiner-Wischenbart Geramb „einen bornierten alten Amtsschimmel, der als Aristokrat verblödet.“ Zit. nach ebd.

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