MAGAZIN MUSEUM.DE Nr. 46

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Nr. 46 6,80 € Frühjahr 2022 MAGAZIN MUSEUM.DE MUSEUM 1 22 Mathildenhöhe Darmstadt 4 190485 406803 45
www.rob-light.com

Titelseite: Südportal des Ernst Ludwig-Hauses / Museum Künstlerkolonie Darmstadt, 1901, Institut Mathildenhöhe Darmstadt

Foto: © Gregor Schuster

Im Sommer 2021 ist die Mathildenhöhe Darmstadt in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen worden. Diese hohe Auszeichnung unterstreicht die Bedeutung der Mathildenhöhe Darmstadt als wegweisenden Ort der Frühmoderne, in dem die Entwicklung der Architektur, des Designs, der Stadtplanung und der Ausstellungskultur im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt wurde. Nirgendwo sonst auf der Welt wird der Übergang von Architektur und Design vom 19. ins 20. Jahrhundert anhand von Bauwerken und gestalteten Freiflächen so gut veranschaulicht. Die zwei hier entstandenen Ausstellungshäuser des Wiener Architekten Joseph Maria Olbrich, das Ernst Ludwig-Haus von 1901 und das große Ausstellungsgebäude von 1908, werden vom Institut Mathildenhöhe mit Ausstellungen und Veranstaltungen bespielt. Das Ernst Ludwig-Haus beheimatet seit 1990 das Museum Künstlerkolonie, in welchem die neue Dauerausstellung „Raumkunst – Made in Darmstadt“ zu sehen ist, die in diesem Heft präsentiert wird. Es ist in der heutigen

Museumslandschaft wichtig, die Besonderheiten des eigenen Hauses und Ortes zu erforschen und herauszuarbeiten. Für die Mathildenhöhe bildet der Blick in aktuelle Kunstentwicklungen – damals um 1900 sowie in unserer heutigen Zeit – einen stringenten Fokus. Hierbei wirkt die Geschichte der Raumkunst, also die um 1900 auf der Mathildenhöhe perfektionierte Gestaltung von vollständig eingerichteten Räumen und Bauwerken, in unsere Arbeit hinein und besitzt eine überraschende Aktualität.

Angesichts der aktuellen erschreckenden Kriegsgeschehnisse in Osteuropa ist eine Befragung der eigenen Arbeit dringend notwendig sowie die Erörterung, welche Unterstützung geleistet werden kann. Der Überfall auf die Ukraine, der Angriff auf die Identität eines souveränen Staats durch die fundamentale Leugnung seiner Kultur muss mit einem verstärkten Interesse an Land, Geschichte und kultureller Schaffenskraft der Menschen beantwortet werden. Hierum bitten auch ganz konkret Kulturschaffende aus der Ukraine, sodass dies das Gebot der Stunde sein muss. Schaut auf die Ukraine und beschäftigt Euch mit ihrer Kultur!

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Dr. Philipp Gutbrod, Direktor des Institut Mathildenhöhe
MAGAZIN MUSEUM.DE Ausgabe Nr. 46 Herausgeber
Frühling 2022 Uwe Strauch, Dipl.-Inf. TU 46509 Xanten
Ostwall
2 Telefon 02801-9882072 www.museum.de Layout und Design: Sylvia Hänke contact@museum.de Vers. Dialogz. Rhein Ruhr Druck: Druck + Logistik, Bocholt
In diesem Heft Seite Faust-Museum 4 Mercedes-Benz Museum: 33 Extras 14 Schloss Braunfels 22 Naturhistorisches Museum Nürnberg 30 Kloster Jerichow 48 Stiftung Schloss Friedenstein Gotha: Human Remains 60 Heimatmuseum Neuried 70 Hanf Museum Berlin 82 Kaffeemühlenmuseum Wiernsheim 88 Museum Théo Kerg 98 Kloster Stift zum Heiligengrabe 106 Institut Mathildenhöhe Darmstadt 118
Dr. Philipp Gutbrod, Direktor des Institut Mathildenhöhe. Foto: © Gregor Schuster
Mathildenhöhe Darmstadt

Faust-Museum reloaded –mit Faust in die Zukunft!

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„Ausstellen, was zwischen den Buchdeckeln steht“
Autorin: Denise Roth

Das Faust-Museum Knittlingen, das weltweit einzige Literatur- und Themenmuseum zum Faust-Mythos, hat seine Dauerausstellung runderneuert und modernisiert. Seit 1980 befindet sich das Museum im Alten Rathaus der Stadt Knittlingen, dem Ort, aus dem die historische Faust-Figur stammen soll.

Seit ca. 20 Jahren war die Dauerausstellung gestalterisch auf dem gleichen Stand: mit an den Wänden fest verschraubten

Tischvitrinen und wenigen, profund recherchierten Überblickstafeln, allerdings ohne Text! Dies wurde nun in einem dreijährigen Konzeptionsprozess und knapp zwei Jahren Umgestaltungsphase völlig verwandelt: Wurde der Besucher früher an den Wänden entlanggeführt, sind die Exponate nun häufig zentral im Raum verortet, während die Wände flächendeckend mit Texttafeln und Grafiken versehen sind. So wird der interessierte Faust-Laie oder -Kenner auf das

jeweilige Exponat hingeführt, kann sich der „Wow-Effekt“ beim Anblick des Originals in der Vitrine erst richtig einstellen.

Auch inhaltlich wurde das Konzept zugespitzt: Statt „nur“ einer quasi lückenlosen chronologischen Dokumentierung, welche Faust-Adaption von den Anfängen in der Renaissance bis heute von wem geschaffen wurde, wird dem Teufelspakt als essenzielles, zentrales Motiv jeglichen faustischen Werkes nachgespürt: Wie entwickelt sich diese Konstellation zwischen Faust und Mephisto? Wo kommt sie her? Und warum ist sie in jeglichem zeitlichen Kontext stets passend gestaltbar und formbar? Aber auch: Wie gehen die unterschiedlichen Kunstdisziplinen jeweils damit um? Ziel der neuen Ausstellungskonzeption musste es dabei auch sein, jedem Besucher einen persönlichen Zugang zu „Faust“ als Thema, Stoff, Phänomen zu ermöglichen. Motto: Einen schwergewichtigen Stoff leicht zugänglich, aber nicht verflacht zu präsentieren.

Das „Einfallstor“ in das Thema bilden dabei nach wie vor dessen geschichtliche Wurzeln: Im Erdgeschoss ist ein Raum ganz der historischen Faust-Gestalt und ihren Zeitgenossen in der Epoche der Renaissance gewidmet. Hier kann den Spuren, die diese geheimnisvolle Figur hinterlassen hat, rund um eine schwarze „Black Box Faust“ nachgegangen werden. Dabei „erläuft“ sich der Besucher nicht nur dessen Leben, sondern kann ihn einordnen, sowohl zeitlich als auch räumlich.

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Linke Seite: Erdgeschoss: Black Box Faust mit Quellen Foto: © Hans Hooss für Faust-Museum/Faust-Archiv

Der spektakuläre Tod des Astrologen, Heilkundigen, Magiers und Alchemisten, der wohl bei einem chemischen Experiment mit Schwarzpulver sein Ende fand, mündet im ersten Stock des Faust-Museums in eine ebenfalls neu eröffnete Sonderausstellung mit dem sprechenden Titel „Alchemie –Wissenschaft oder Teufelspakt?“, kuratiert von Chemiker und Chemiehistoriker

Dr. Rainer Werthmann (Kassel). Zusammen mit Museumsleiterin Dr. Denise Roth und ihrem Team richtete er in einem eigenen Raum ein zeittypisches Alchemie-Labor der Renaissance mit Werken des Kupferstechers Matthäus Merian dem Älteren (1593-1650) als Wandverkleidung ein und beleuchtet die naturwissenschaftlichen Grundlagen, Praktiken und Ziele der Alchemisten.

In diesem Zusammenhang zeigt die Sonderschau eines der wichtigsten AlchemieWerke des 17. Jhs.: Atalanta fugiens (1608)

von Michael Maier (1569-1622), in dem naturwissenschaftliche Phänomene und Prozesse über Bild, Text und auch Musik vermittelt werden.

Dieser ganzheitliche Ansatz der Naturwissenschaft verblüfft, erweist sich aber in der Sonderausstellung als dem Weltbild der Renaissance entsprechend.

Das Glanzstück des Faust-Museums stammt aus dem sogenannten „Faust-Geburtshaus“ in Knittlingen, dem Ort, wo die historische Faust-Figur um 1480 geboren worden sein soll. In der Scheune vergraben wurde Mitte des 19. Jhs. ein sechseckiger Schrank mit alchemischen und magischen Symbolen gefunden, ferner in einem Türrahmen verborgen ein Pergamentzettel mit Schutzzauberformeln. Beide Exponate sind Unikate, deren Erforschung derzeit von wissenschaftlicher Seite vorangetrieben wird – es bleibt spannend!

Linke Seite, oben: Erstausgabe der Locorum Communium Collectanea (1563) von Johannes Manlius, mit dem Zitat Philipp Melanchthons, dass Faust aus „Kundlingen“ (Knittlingen) stamme

Linke Seite, unten: Stein der Weisen-Vitrine

Rechte Seite, oben: Der Giftschrank mit Sator ArepoFormel

Rechte Seite, unten: Zeittypisches Alchemie-Labor

Fotos: © Hans Hooss für Faust-Museum/Faust-Archiv

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Genau in der Mitte der Dauerausstellung über drei Ebenen erfolgt der Übergang von der Historie zur Legende. Dabei wird der Schritt zum fiktionalen „Faust“ über das Hinzugesellen des Gefährten deutlich: Mephistopheles. Von dem Ende des 16. Jhs. bis in die Goethe-Zeit entsteht eine Fülle an „Faust-Literatur“, rund um das Thema mit dem Teufelspakt-Motiv. Den Ausstellungsmachern war wichtig, die ersten literarischen Faust-Adaptionen als

ganz aus dem Geist der Zeit geboren zu gestalten. „Zitatfetzen“ aus den frühesten Faustbüchern umrahmen die Exponate und dokumentieren, was das Leben und die Phantasie der Renaissance-Menschen prägte: einerseits die Lust und die Versuchung, Grenzen zu überschreiten, andererseits die panische Angst vor dem Sturz in die Hölle. Stellvertreter für dieses Dilemma und Projektionsfläche der Ängste und Wünsche wird nun FAUST.

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Die ersten Faust-Bücher aus dem 16. und 17. Jh. Foto: © Hans Hooss für Faust-Museum/Faust-Archiv

Nach Station beim „Puppenspiel vom Doktor Faust“, veranschaulicht durch den vollständigen Satz der originalen Hohnsteiner Puppen, kann eine „aufgeklärte Sicht“ auf den Faust-Stoff geworfen werden. Trotz aller „Vernunft“ in der Epoche der Aufklärung geschieht gerade in dieser Zeit die Initialzündung, das Thema rund um das Teufelspakt-Motiv wieder als tiefgründigen Stoff zu bewerten, ja ihm sogar, wie niemand geringerer als Gotthold Ephraim Lessing voraussah, das Potential einer Nationalliteratur zuzuschreiben.

Dieser Schritt wird vollends vollzogen mit Johann Wolfgang von Goethes FaustAdaptionen.

„Dem“ Faust ist ein eigener, futuristischer Raum gewidmet, in dem in Goethes Text eingetaucht werden kann, den einzelnen Protagonisten Faust, Mephisto und Margarethe nachgespürt werden und sich in deren Handlungsmotivation eingefühlt werden kann. Und auch die eigene Identifikation mit – ja, wem? – kann hinterfragt werden. Der Blick wird hier ganz auf Goethes Sprache

und seine Gestaltung gelenkt: Welche Bezeichnungen hat er für seine Figuren? Wie entwickeln sie sich im Laufe des Stückes? Und wer kommuniziert mit wem, oder gerade nicht? Sekundärliteratur ist hier nicht nötig, der eigene Blick über Goethes Schulter auf den Text genügt völlig!

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Linke Seite: „Being Goethe“: Der Goethe-Raum mit Namens- und Zitate-Flut der Protagonisten

Rechte Seite, oben: Farb- und Bilderrausch: Goethes Faust visualisiert – und originales Bühnenbildmodell von Stefan Mayer der Schlussszene des Faust II in der Inszenierung

Peter Steins (Expo 2000, Hannover)

Rechte Seite, unten: Tafel mit Planetenbild: Universum „Goethes Faust“

Fotos: © Hans Hooss für Faust-Museum/Faust-Archiv

Im Großraum des zweiten Stocks wird dann die visualisierte Faust-Welt des Goetheschen Faust eröffnet, über eine Bilderflut samt Skulpturen – allesamt aus den eigenen Sammlungen des Faust-Archivs Knittlingen – sowie einem „Faust inszeniert“-

Bereich mit Einblicken in die wegweisenden Bühnenadaptionen seit der Goethe-Zeit. Highlight hier: das originale Bühnenbildmodell der Schlussszene des Faust II der legendären Peter Stein-Inszenierung aus dem Jahre 2000.

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Dass mit Goethes Faust II aber nicht Schluss sein kann, beweisen Adaptionen aus der Romantik, die schon vor Goethes Faust I erschienen sind, von Achim von Arnim über Clemens Brentano, wie auch Werke aus dem späten 19., dem 20. und 21. Jh.

Erstausgaben „faustischer Werke“ sind in Fülle zu bewundern, u.a. von Honoré de Balzac, Heinrich Heine, Robert Louis Stevenson, Michail Bulgakov, Klaus Mann und Thomas Mann bis heute von Sten Nadolny und Thea Dorn. Auszüge der

Paktszenen einiger Werke sind als Rezitationen über Audio-Stationen genauso hörbar, wie Faust-Musik, sei es Oper, Lied, oder Rockmusik. Ein cineastischer Bereich mit originalen Kino-Sesseln und Filmtheater-Feeling bildet den Abschluss eines einzigartigen Aufenthaltes in der Welt des Faust-Mythos.

Und auch an die Kinder wurde gedacht: In jeder der drei Ausstellungs-Ebenen finden sich kindgerechte und themenbezogene Spielmöglichkeiten: vom Wandmemory

über Da-Vinci-Brücken-Bausatz, Spielecke mit Handpuppen und Figuren bis zum Touchscreen mit Puppentheater-Filmen: Kinder jeder Altersgruppe finden nicht nur Beschäftigung, sondern auch Zugang zum Faust-Mythos - und die Eltern somit auch!

Wer noch das eine oder andere Erinnerungsstück in die reale Welt „hinüberretten“ oder sich noch vertiefter mit Faust und Co. befassen möchte, kann im wohlsortierten, reichhaltigen Museumsshop den „Augenblick verweilen“ lassen.

Faust-Museum

Kirchplatz 2

75438 Knittlingen

Oben, links: Zweiseitige Skulptur Mephisto-Margarete Oben, rechts: Faust in der Musik Fotos: © Hans Hooss für Faust-Museum/Faust-Archiv Konzept: Denise Roth (Faust-Museum Knittlingen)

Grafik / Design: Romy Abraham

Tel. 07043 - 950 69 22

faustmuseum@knittlingen.de www.faustmuseum.de www.instagram.com/faustmuseum

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UNSER KOMPLETTSYSTEM FÜR

Durch einen gemeinsamen Funkhygrostaten werden der Luftbefeuchter B 500 und der Luftentfeuchter DEHUMID HP 25 FUNK mit den identischen Feuchtemesswerten versorgt. Mittels Einstellung der Soll-Feuchtewerte an den Geräten können Sie den gewünschten Feuchtekorridor vorgebenund das überschneidungsfrei.

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33 Extras: Exponate der Automobilkultur im Mercedes-Benz Museum

Die „33 Extras“aus der vielfältigen Dauerausstellung des Mercedes-Benz Museums in Stuttgart lassen am Beispiel oft überraschender Details Mobilitätshistorie und Automobilkultur lebendig werden.

DIE VEEDOL-FRAU

Flott voran

Auf Schlittschuhkufen gleitet diese Frau über imaginäres Eis. Die Geschwindigkeit sieht man ihr förmlich an. Schnelligkeit und Leichtigkeit sowie eine erotische Ausstrahlung charakterisieren diese berühmte Figur. Geschaffen als Blech- oder Emailleschild macht sie Werbung für die Schmierstoffe von Veedol.

Wintermotiv

Die Veedol-Frau ist ein Klassiker der Werbung. 1952 tritt sie das erste Mal auf. Da trägt sie noch Pudelmütze, Handschuhe und Rollkragenpullover – ganz die elegante Schlittschuhläuferin. Der rote Unternehmensschriftzug ziert ihren Pullover. Die Marke Veedol gehört ursprünglich zum US-amerikanischen Konzern Tidewater Oil, der die deutsche Tochter 1925 gründet. Heute ist Veedol Teil des indischen Unternehmens Tide Water Oil India.

Der Künstler

Entworfen hat die Figur der Werbegrafiker Heinz Fehling, damals kein Unbekannter. Er arbeitet für unterschiedliche Kunden und Branchen: von Aral über Blaupunkt bis zu Sinalco. Auch Titelseiten von Zeitschriften wie „Motor und Sport“ gestaltet Fehling. Manche Experten sagen, dass die Veedol-Frau sein wichtigstes Werk sei. Modell steht ihm für das Motiv vermutlich Vera Marks, die Schönheitskönigin „Miss Germany“ des Jahres 1951.

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Serie Teil 9-11: Die Veedol-Frau, das Gebetbuch, die Kühlerfigur
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Pin-up-Girl

Fehling gestaltet die Veedol-Frau mehrfach neu und passt sie dem Bild einer verführerischen Frau im amerikanischen Pin-upStil an. In Deutschland war sie die erste Werbefigur dieser Art. Ein körperbetonter kurzer Dress lenkt den Blick auf ihr tiefes Dekolleté und die langen Beine. Der Unternehmensschriftzug steht nun auf einer weißen Schärpe, die einer Wettbewerbsauszeichnung ähnelt.

Siegesbewusst

Die Leichtlaufeigenschaft der Schmierstoffe von Veedol bleibt das Leitmotiv der blonden Frau. Mit dieser Botschaft strahlt sie den Betrachter sieges- und selbstbewusst an. Häufig prangt der Veedol-Schriftzug deshalb auch auf Bandenwerbung an den Rennstrecken dieser Welt.

Überall dabei

Die Veedol-Frau wirbt in Autowerkstätten für den Schmierstoff. In den 1950er- und 1960er-Jahren gleitet sie außerdem auf Schlittschuhkufen den „Kapitänen der Landstraße“ voran. Am Kühlergrill von Lastwagen montiert, ist sie so auf dem ganzen Kontinent unterwegs. Mit ihrer verführerischen Ausstrahlung triumphiert sie als Maskottchen der Fernfahrer, als „Verlobte Europas“.

Linke Seite und rechte Seite, unten: Die Veedol-Frau: ein berühmtes Werbemotiv des Schmierstoffherstellers. Entworfen hat es 1952 der Grafiker Heinz Fehling und greift mit dieser Umsetzung die Themen Leichtigkeit und Geschwindigkeit auf.

Linke Seite, oben links: Großer Preis von Frankreich, 4. Juli 1954: Mercedes-Benz erzielt mit dem neuen Formel-1-Rennwagen Mercedes-Benz W 196 R in der Ausführung mit Stromlinienkarosserie gleich beim ersten Rennen einen Doppelsieg. Das Foto zeigt den späteren Sieger Juan Manuel Fangio. Sein Teamgefährte Karl Kling kommt auf Platz 2. Im Hintergrund

Bandenwerbung des Schmierstoffherstellers Veedol.

Rechte Seite, oben rechts: Juan Manuel Fangio vor Karl Kling. Rennleiter Alfred Neubauer zeigt ihnen ihre Führung vor Prinz Bira auf Maserati an, der auf Platz 4 ins Ziel kommt. Im Hintergrund Bandenwerbung des Schmierstoffherstellers Veedol.

Rechte Seite, Mitte: Domäne Fernverkehr: Mercedes-Benz LP 1319 (1970 bis 1976), Frontlenker-Pritschenwagen mit Zweiachsanhänger.

Fotos: © Mercedes-Benz Group

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DAS GEBETBUCH

Rekordzeit

Das Buch im Mercedes-Benz Museum ist kein Buch im herkömmlichen Sinn, sondern eine sehr geschickte Lösung für eine konkrete Anwendung: Während der Mille Miglia 1955 liest der Kopilot Denis Jenkinson die detaillierten Streckeninformationen von einer fünfeinhalb Meter langen Papierrolle in einem Aluminiumgehäuse mit Plexiglasfenster ab. Das lässt Stirling Moss am Steuer des Mercedes-Benz 300 SLR Rennsportwagen (W 196 S) das harte Straßenrennen in einer nie mehr erreichten Rekordzeit fahren.

Vertrauen

Ein normales Buch hätte Jenkinson im offenen Fahrzeug kaum präzise blättern können. Und weil es im Cockpit sehr laut ist, gibt er die minutiösen Streckendetails per Handzeichen an Moss weiter – dieser setzt sie mit blindem Vertrauen in die maximal mögliche Geschwindigkeit um.

Vorgängerin

Neu ist die Idee nicht, die Strategie eines Rennens auf der Grundlage präziser Streckenkenntnis zu entwickeln. Als Wegbereiterin dieses analytischen Vorgehens gilt in den 1920er-Jahren die tschechische Rennfahrerin Elisabeth Junek (1900 bis 1994).

Wissen

„Gebetbuch“ nennen Rallyefahrer solche Streckenaufzeichnungen mit allen Details, weil der Beifahrer im Wettbewerb ähnlich einer Litanei die Eigenschaften der Strecke vorliest: Wie schnell kann gefahren werden, welche Kurve kommt als Nächstes, wie ist der Untergrund beschaffen? Für die 1.600 Kilometer lange Strecke der Mille Miglia tragen Moss und Jenkinson 1955 bei mehreren Trainings in Italien akribisch dieses Wissen zusammen. Sie strukturieren die Aufzeichnungen nach den Kilometersteinen entlang den Straßen.

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Erprobung

Erstmals setzen beide das Gebetbuch nach Ostern 1955 beim Training ein. „Jetzt hatten wir die Details der Route perfekt zusammengetragen, und ich schrieb sie nun alle auf ein spezielles, 18 Fuß langes Blatt Papier. Moss hatte ein Leichtmetallgehäuse nach Art eines Kartenrollers bauen lassen.

Für unser abschließendes Training nutzte ich diese Maschine und wickelte das Papier von der unteren auf die obere Rolle, während ich die Notizen durch ein Plexiglasfenster ablas. Dieses war mit Klebeband abgedichtet, falls es während des Rennens regnen sollte.“

Linke Seite: Stirling Moss und Denis Jenkinson im MercedesBenz 300 SLR Rennsportwagen (W 196 S) auf dem Weg zum Gesamtsieg der Mille Miglia 1955.

Rechte Seite: „Gebetbuch“ von Denis Jenkinson, dem Kopiloten von Stirling Moss bei der Mille Miglia 1955. Zu sehen sind die Aufzeichnungen der letzten Kilometer bis zum Ziel in Brescia.

Fotos: © Mercedes-Benz Group

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Zeichen

Der Code aus 15 Handsignalen bewährt sich, wie Stirling Moss nach der Mille Miglia 1955 sagt: „Wir waren uns einig, dass dies eine bessere Methode zur Kommunikation als jede andere war, nachdem wir vorher offene Mikrofone, Kehlkopfmikrofone und anderes ausprobiert hatten.“

Der Lohn aller Mühe: 10 Stunden, 7 Minuten und 48 Sekunden für die 1.000 Meilen und ein Durchschnitt von 157,6 km/h – niemand hat das Straßenrennen je schneller absolviert.

DIE KÜHLERFIGUR

Prominent

Stolz steht sie für alle sichtbar als Markenemblem oder kleine Skulptur ganz vorn am Fahrzeug – die Kühlerfigur. Sie ist Erkennungsmerkmal und Zier zugleich.

Bühne frei

Die ersten Automobile brauchen noch keine Kühlerfigur. Das ist nur konsequent, schließlich haben sie auch noch keinen modernen Kühler mit geschlossenem Wasserkreislauf. Solche Systeme kommen mit zunehmender Motorleistung um die Wende vom

19. zum 20. Jahrhundert auf. Der herausragende Protagonist dieser Entwicklung ist der Mercedes 35 PS. Er ist 1901 das erste Automobil mit effizientem Bienenwabenkühler. Der Kühler bildet das Gesicht des Mercedes und wird ab 1909 zur Bühne für den dreizackigen Mercedes-Stern, der diesen zunächst als erhabenes Relief ziert.

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Symbolkraft

Die Söhne des im Jahr 1900 verstorbenen Automobilpioniers Gottlieb Daimler haben die Idee für den Mercedes-Stern. Er symbolisiert mit seinen drei Strahlen auch die Vision von Gottlieb Daimler, die DaimlerMotoren in Landfahrzeugen, Schiffen und der Luftfahrt einzusetzen. Für den Dreizackstern beantragt die Daimler-MotorenGesellschaft am 24. Juni 1909 den Gebrauchsmusterschutz. Er wird am 9. Februar 1911 ins Warenzeichenregister eingetragen.

Linke Seite, oben: Stirling Moss und Denis Jenkinson, die glücklichen Sieger der Mille Miglia 1955 im Ziel des Straßenrennens.

Linke Seite, unten: Sammlung von Mercedes-Sternen im Mercedes-Benz Museum.

Rechte Seite, oben: Mercedes-Benz 770 „Großer Mercedes“ Cabriolet F (W 07), Baujahr 1932, von Kaiser Wilhelm II. im Mercedes-Benz Museum. Statt Mercedes-Stern auf dem Kühlergrill trägt das Fahrzeug das Wappen der Hohenzollern.

Rechte Seite, unten: Der Mercedes-Stern im Lorbeerkranz, eine Kombination der Markenzeichen der Daimler-MotorenGesellschaft und der Firma Benz & Cie., wurde beim Patentamt am 18. Februar 1925 als Warenzeichen angemeldet.

Fotos: © Mercedes-Benz Group

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Perfekt platziert

Der Dreizackstern als Kühlerfigur wird am 5. November 1921 angemeldet und am 2. August 1923 als Warenzeichen eingetragen. Zugleich schmückt er den Kühlwasserschraubverschluss, der damit zum Podest wird. So verbindet die Kühlerfigur Ästhetik mit Nutzwert. Den Stern gibt es sogar mit integriertem Kühlwasserthermometer. Benz & Cie. verwendet keine Kühlerfigur und arbeitet weiterhin mit Signets und Schriftzügen auf der oberen Kühlereinfassung.

Prestige

Viele Automobilhersteller nutzen die Kühlerfigur als prominentes Emblem. Als Maybach in den 1920er-Jahren ebenfalls mit seinen noblen Fahrzeugen auf den Markt kommt, wählt das Unternehmen das Doppel-M für „Maybach-Motorenbau“ als Markenzeichen. Es wird auch zur Skulptur auf dem Kühler.

Kühlerverschraubungen wandeln sich in den 1920er-Jahren zu Schmuckstücken. Fortan stehen dort schielende Faune, unbekleidete Damen oder Tiergestalten aus Silber. Eine solche Kühlerfigur zeigt das Exponat der „33 Extras“ des Mercedes-Benz Museums: In schwungvoller, formvollendeter Haltung offeriert eine Dame einen runden Gegenstand. Vielleicht einen Apfel oder einen Ball – das ist nicht genau zu erkennen. Die ausgefallensten Kühlerfiguren gestaltet in den 1920er-Jahren der französische Künstler René Jules Lalique – und zwar aus Glas.

Persönlichkeit

In seltenen Fällen lassen Kunden den Mercedes-Stern durch eigene Embleme ersetzen. So trägt etwa der im Jahr 1932 für den im Exil lebenden Kaiser Wilhelm II. gefertigte Mercedes-Benz 770 „Großer Mercedes“ Cabriolet F (W 07) das Hohenzollern-Wappen auf dem Kühlergrill. Das Fahrzeug steht im Mercedes-Benz Museum im Raum Collection 4: Galerie der Namen.

Neuer Platz

Kreativität

Zu dieser Zeit sind Kühler nach wie vor nicht unter der Motorhaube verborgen und werden entsprechend verziert und gestaltet.

Windschlüpfige Karosserien setzen sich nach dem Zweiten Weltkrieg immer stärker durch. Die Fahrzeugfront wird entsprechend gestaltet – und der Kühler als Funktionsteil kommt unter die Motorhaube. Der Grill vorn bleibt für die einströmende Kühlluft erhalten. Bei Mercedes-Benz Fahrzeugen steht auf dieser Kühlermaske wie zuvor: der Mercedes-Stern. In den 1990er-Jahren wandert er dann beim sogenannten Plakettenkühler von der Chromumrandung ein kleines Stück nach hinten auf die Motorhaube.

Linke Seite, oben: Kühlerfigur des Maybach 57 (Baureihe 240, 2001 bis 2012).

Linke Seite, unten: Die Kühlerfigur: In den 1920er-Jahren wandeln sich Kühlerverschraubungen zu Schmuckstücken. Die Kleinskulpturen gibt es ab Werk, von Künstlern oder im Zubehörhandel.

Rechte Seite: Mercedes-Benz 180 (W 120). Mercedes-Stern mit Gelenk zum Schutz von Fußgängern bei Kollisionen. Foto aus dem Jahr 1956.

Fotos: © Mercedes-Benz Group

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Bewegungsfreiheit

Zu dieser Zeit ist der Stern längst in die Sicherheitsphilosophie der Marke integriert. Er hat ein Gelenk, um Fußgänger bei einem Aufprall zu schützen. Seit den frühen 1950er-Jahren ist das so. Ein begehrtes Sammlerstück ist er da bereits und wird häufig entwendet. Das macht ihn zu dem am häufigsten benötigten Ersatzteil von Mercedes-Benz.

Alternative

Der Kundengeschmack wandelt sich über die Jahre. In der C-Klasse der Baureihe

204 bietet Mercedes-Benz erstmals die Wahl zwischen zwei Fahrzeugfronten – mit großem Zentralstern im Kühlergrill oder mit dem klassischen, frei stehenden Stern auf der Motorhaube. Etwas bleibt aber unverändert: Er ist eines der bekanntesten Markenzeichen der Welt.

In anderer Dimension

Wer einen Mercedes-Stern mit einem Durchmesser von fünf Metern ganz aus der Nähe in Augenschein nehmen möchte, der sei ans Mercedes-Benz Museum geladen. Bis 2025 steht der Mercedes-Stern vom Stuttgarter Bahnhofsturm vor dem Museumsgebäude.

Nach der Sanierung und Modernisierung des Bauwerks wird das zwei Tonnen schwere Signet dorthin zurückkehren und sich erneut und nachts beleuchtet als Wahrzeichen über der Stadt drehen.

Mercedes-Benz Museum

Mercedesstraße 100

70372 Stuttgart

Tel. 0711 - 17 30 000

classic@mercedes-benz.com

www.mercedes-benz.com/museum

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Sieht aus wie im Märchen … ist aber wahr

Schloss Braunfels und seine Sammlung

Autoren: Dr. Silvia Kepsch und Johannes Graf von Oppersdorff

Gut eingebettet in die hügelige Landschaft zwischen Lahn und Taunus thront Schloss Braunfels auf einem Basaltkegel. Auch wenn es hier und dort schon aus der Ferne zu erblicken ist: bei der Anfahrt taucht es plötzlich aus dem Nichts auf, wie ein Märchenschloss aus Grimm‘s Welt.

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Linke Seite, oben: Schloss Braunfels von Westen Linke Seite, unten: Grüner Platz Rechte Seite, oben links: Jägerturm Rechte Seite, oben rechts: Burghof und Rittersaallaube Fotos: © Schloss Braunfels

Von der mittelalterlichen Trutzburg zum historistischen Schloss

Die imposante Silhouette mag spontan an Bayerische Königsschlösser erinnern. Doch eine gewisse stilistische Verwandtschaft besteht eher zur hannoveranischen Marienburg, die von demselben Architekten, Edwin Oppler, entworfen wurde.

Im Gegensatz zu Neuschwanstein und der Marienburg ist Schloss Braunfels aber kein historistischer Neubau, sondern hat eine 800jährige Geschichte mit zahlreichen Um- und Ausbauten erlebt, die zu seiner heutigen Gestalt führten.

Die noch verhältnismäßig kompakte mittelalterliche Kernburg aus dem 13. Jahrhun-

dert, das castellum bruninvels, sicherte das Territorium und wurde mit vorgelagerten Bastionen zur frühneuzeitlichen Festung ausgebaut.

Im Barock wurde das Schloss dann den repräsentativen Anforderungen des Hofes entsprechend erweitert, während die Verteidigungsfunktion zurücktrat. Aus Bastionen wurden Lustgärten und der kleine Ort zum Residenzstädtchen mit seinem bis heute erhaltenem idyllischen Marktplatz.

Die Veränderungen des 19. Jahrhunderts, besonders die letzten großen Umbauten der 1880er Jahre deuten dann wieder auf die

mittelalterlichen Wurzeln der Anlage, wobei sich heute im Schloss – ganz im Sinne des Historismus – Stilelemente verschiedener historischer Epochen wiederfinden.

Nur selten tangierten die Umbaumaßnahmen die Grundmauern. Hinter den Fassaden kennen die Steine noch die lange Geschichte des Ortes. Sie sind nach wie vor Zeugen vieler mittelalterlicher Fehden und anderer einschneidender Ereignisse, wie der Reformation, des Dreißigjährigen Krieges, der Neuordnung des Alten Reichs nach dem Sieg über Napoleon und des Verlusts der reichsunmittelbaren Selbstständigkeit des Hauses Solms-Braunfels.

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Eine neue Zeit:

Zwei Museen entstehen

Schloss Braunfels ist seit Anbeginn im Besitz der Grafen und Fürsten zu Solms-Braunfels. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts öffneten sie die Tore für interessierte Besucher. Beginnend mit dem Rittersaal konnten nach und nach immer mehr Räume des Schlosses besichtigt werden. Zu Beginn waren dies „private“ Wohn- und Gesellschaftsräume der Familie. Daneben wurden – zunächst mehr für die Familie – 1874 Museumsräume eingerichtet, die die Altertums- und andere Sammlungen beherbergten. Besichtigen konnte man damals das Schloss in Begleitung eines Dieners oder eines Mitglieds der Schlosswache. Das waren noch Zeiten. Heute öffnet sich das Familienmuseum einfach nach Einwurf von ein paar Münzen und ist – man mag es bedauern – ganz ohne Diener zu besichtigen.

Zeitgleich entwickelte sich Braunfels zur Kurstadt. Die Fürsten von Solms-Braunfels förderten diese Entwicklung, gründeten einen Verschönerungsverein und beteiligten sich u. a. am Bau des Schlosshotels. Parallel dazu erfolgte der Ausbau des Museumsbetriebs.

Das Nebeneinander von Schloss- und Familienmuseum besteht bis heute. Während im Schloss die Kunst- und Waffensammlung, prunkvolle Möbel und prächtige Vasen den Gast in den Bann ziehen, lädt das Familienmuseum tagsüber dazu ein, sich ganz nach Gusto mit besonderen Sammlungsstücken einzelner Familienmitglieder zu beschäftigen. Von der Jagdausrüstung des Fürsten Ferdinand über Siegel-, Münz-, Mineralien- und die bedeutende Altertumssammlung bis zu Kleidern, Uniformen und Orden von Fürstinnen und Fürsten zeichnen die Exponate ein authentisches Bild der jeweiligen persönlichen Interessen.

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Foto: Rittersaal © Schloss Braunfels
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Linke Seite, oben: Luise und Friederike von Preußen

Linke Seite, Mitte: Kleinasiatisches Fruchtbarkeitsidol im Familienmuseum

Linke Seite, unten: Duellpistolen im Familienmuseum

Rechte Seite: Frühneuzeitliche Kleidung im Familienmuseum

Fotos: © Schloss Braunfels

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Die Gleichzeitigkeit von Privatheit und Öffentlichkeit

Ihre Nachfahren bewohnen und beleben noch heute das Schloss. Graf und Gräfin von Oppersdorff Solms-Braunfels verstehen sich als Gastgeber, BesucherInnen werden als Gäste wahrgenommen und engagierte Schlossführerinnen und Schlossführer erzählen voller Begeisterung die Geschichte des Schlosses, seiner Bewohner und seiner Sammlungen. Auf die persönliche Vermittlung wird im Schloss daher auch in einer Zeit Wert gelegt, in der der Einsatz von multimedialer Technik fast schon als einzige Lösung für heutige Museen präsentiert wird.

Führung und Ausstellung im Familienmuseum profitieren von der Authentizität des originalen Ausstellungsorts und führen den Gast zurück in die Zeit des fürstlichen Standesherrn. Auch bleiben wesentliche Etappen der Museums- und Sammlungsgeschichte sichtbar – in gewisser Weise sind die Museen mittlerweile Teil der Familiengeschichte geworden.

Das Angebot an besonderen Führungen und Programmen auf Schloss Braunfels ist vielfältig. Ob Kindergeburtstage, Ausflug mit dem Kindergarten, der Schulklasse oder der Familie: Für Kinder aller Altersstufen wurden liebevoll altersgemäße pädagogische Angebote geschaffen. Für besonders interessierte erwachsene Besucher werden zu verschiedenen Themen Meisterführungen angeboten. Wer es hingegen gerne eher unterhaltsamer mag, ist gut in einer Erlebnisführung aufgehoben. Ist nach den vielen Eindrücken evtl. eine kleine Stärkung gefragt? Im hübschen Schlosscafé bietet sich bei einer Tasse Kaffee und einem guten Stück Kuchen dazu die schönste Gelegenheit.

Schloss Braunfels ist mit der Zeit gegangen: Nach mittelalterlicher Trutzburg, nach barocker Residenz sowie Zentrum und Verwaltungssitz eines eigenständigen Kleinstaates ist es heute Museum und Archiv, Lern- und Forschungsort, Eventlocation und ab und zu auch Filmkulisse – und nicht zuletzt auch ein traumhafter Ort zum Heiraten.

Oben: Kanonenplatz

Mitte: Tiere im Schloss

Unten: Blick auf den Neuen Bergfried

Fotos: © Schloss Braunfels

Schloss Braunfels

Schloss 1

35619 Braunfels

Tel. 06442 - 5002

info@schloss-braunfels.de

https://schloss-braunfels.de

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www.museum.de/m/2614
AUDIOGUIDE SCHLOSS BRAUNFELS

Die Kunst der Beleuchtung

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Das Naturhistorische Museum Nürnberg

Mitmachen erwünscht

Autorin: Gabriele Prasser

Die circa 5 km lange Nürnberger Stadtmauer ist einzigartig. Es gibt kein zweites Bollwerk dieser Art und Größe in Mitteleuropa, das die Zeiten überdauert hat. Sie ist fast vollständig erhalten. Doch an einer Stelle wird es spannend. Statt der Mauer steht da ein weiteres Denkmal, die Norishalle, Betonbrutalismus der 1960er in höchster Qualität.

Die Norishalle beherbergt seit der Jahrtausendwende das Naturhistorische Museum Nürnberg und die dazugehörigen Arbeitsund Depoträume. Auch der Stadtmauerturm Blaues B, direkt an der Pegnitz, wird genutzt.

Naturforschung seit mehr als 200 Jahren

Träger des Museums ist die Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg, gegr. 1801 e.V. (NHG). An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert besaß die Wissenschaft nur einen ersten Überblick über Pflanzen- und Tierarten, Gesteine und Mineralien. An vielen Orten, auch in Nürnberg, bildeten sich im Zuge von Aufklärung und aufstrebendem Bürgertum naturwissenschaftliche Vereinigungen heraus. Interessierte Laien

taten sich zusammen, um gemeinsam die Natur in der näheren Umgebung zu erforschen, zu sammeln, zu ordnen und die Ergebnisse zu verbreiten. Inmitten der Napoleon-Kriege, noch im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, wurde die NHG im Oktober 1801 von einem Lehrer (Dr. Johann Wolf), einem Kupferstecher (Jakob Sturm) und einem Arzt (Dr. Karl Osterhausen) gegründet.

Zweck der Gesellschaft

war lt. Satzung das Studium der Naturgeschichte. Man wollte Beobachtungen, Erfahrungen und Kenntnisse mitteilen, austauschen und nach Kräften das Wissen erweitern, besonders aber „sämtliche Naturprodukte“ der Gegend um Nürnberg aufsuchen, ein Verzeichnis anlegen und darüber hinaus noch Versuche anstellen, wie „manche Naturprodukte für das gemeine Leben angewendet werden können“.

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Die NHG besteht heute aus 11 Abteilungen, von denen 5 im Museum auf insgesamt 1200 m2 dauerhaft ausstellen:

Archäologie des Auslands – aktuell Petra/Jordanien und Grakliani/Georgien

Ethnologie – Südsee, Westafrika, Sahara, Sibirien, Costa Rica

Geologie – Schichtstufenland, Kristalle, Saurier u. a. Fossilien, Meteorite

Karst- und Höhle – die Höhlen der Fränkischen Schweiz, Fledermausschutz, Karstforschung

Vorgeschichte – Stein-, Bronze- und Eisenzeit der Region

Weitere Abteilungen:

Pilz- und Kräuterkunde – Pilzwanderungen, Pilzberatung, Notrufbereitschaft, Vergiftungen, Bestimmungsübungen

Botanik – Kartierungen, Herbar-Pflege und -Forschung, Artenkenntnis-Seminare

Entomologie – Exkursionen, Artenkenntnis-Seminare, Sammlungspflege

Geografie und Länderkunde – Vorträge, Exkursionen

Mammalogie – Kleinsäuger, Artenkenntnis-Seminare

Freilandaquarium und -Terrarium Stein bei Nürnberg – Regionale Flora und Fauna

Auch die Nicht-Museums-Abteilungen können sich in Einzelvitrinen präsentieren. Im Foyer finden regelmäßig Sonderausstellungen statt.

Aktuell: Augustus, Vespasian und Traian – Manifestation der Macht in Bildern.

Diese ergänzt die einzigartige Dauerausstellung über das südjordanische Petra. Das blühende Königreich der Nabatäer wurde 106 n. Chr. von Traian in das Römische Reich eingegliedert, als Provinz Arabia Petraea.

Linke Seite, oben: Museum Norishalle

Linke Seite, Mitte: Besprechung mit Plateosaurus-Knochen

Fotos: © Naturhistorisches Museum Nürnberg

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Man traf sich einmal pro Woche. Die Annalen aus dieser Zeit sind eine faszinierende Quelle. Rechte Seite, oben: Entomologie Hornissennest Detail Rechte Seite, unten: Entomologie Vitrine Hornissen, Wespen ... Fotos: © Gabriele Prasser

Und heute?

Mit Erstaunen stellt man fest, dass sich im Prinzip nicht viel geändert hat. Nur das Museum kam seit den 1880er Jahren dazu. Die Zahl der Mitglieder ist stark gestiegen. Aktuell circa 1500, davon etwa 200 Aktive.

Rein ehrenamtlich wird die Gesellschaft geführt und das Museum geplant, eingerichtet und auf dem neuesten Stand gehalten. Die Aktiven treffen sich in ihrer Freizeit regelmäßig zu festgelegten Arbeitsabenden und auch außerhalb, wenn es notwendig ist.

Rechte Seite: Forum Romanum Redeplattform Rostra

Linke Seite, Mitte: Sonderausstellung Katalog

Linke Seite, unten: Legionäre präsentieren dem Kaiser die Köpfe der Daker-Feinde

Fotos: © Gabriele Prasser

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Das Museum in der Norishalle Nürnberg

Seit dem Jahr 2000 kann die Norishalle von der NHG als Museum genutzt werden. Die Stadt Nürnberg stellt die Räume kostenfrei „auf Lebenszeit“ zur Verfügung und erhielt

dafür im Tausch das alte Vereinshaus, das jetzt Teil der neugestalteten Stadtbibliothek ist. Die Museumsabteilungen können auf 1200 m2 ausstellen. Für Sonderausstellungen

steht das Foyer zur Verfügung. Hier wechselt man sich mit dem ebenfalls im Gebäude befindlichen Stadtarchiv Nürnberg ab.

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Die Sammlungen der Abteilungen sind unterschiedlich alt und umfangreich. Sie werden jeweils von einem Sammlungspfleger oder einer Sammlungspflegerin betreut.

Das Herbar geht bis auf die 1830er Jahre zurück und umfasst, wohlgeordnet und gepflegt, ca. 40.000 Pflanzen.

Die umfangreichen Entomologischen Sammlungen, vor allem Schmetterlinge, Bienen und Käfer, stammen aus Schenkungen. Seit langem wird in der NHG nicht mehr in der Natur gesammelt. Bestimmungsübungen erfolgen über Fotos.

Eines der herausragendsten Stücke ist der Meteorit Unter-Mässing, der größte Eisenmeteorit Deutschlands. Er hat, im Unterschied zur übrigen geologischen Sammlung die WK II-Zerstörung des damaligen Vereinshauses unbeschadet überstanden. Es war der Aufmerksamkeit von Mitgliedern zu verdanken, dass er im riesigen Schutthaufen bei den Räumungsarbeiten wiedergefunden wurde.

Linke Seite, links: Meteorit Unter-Mässing

Linke Seite, rechts: Herbarblatt von 1901, Arabis petraea, Felsenschaumkresse

Fotos: © Gabriele Prasser

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Ohne Sammlungen kein Museum

Die Welt der leichten Gestaltung

So individuell und vielseitig wie die Exponate, die Sie präsentieren: Ausstellungswände und Wandsysteme in Leichtbauweise. Zur Präsentation von Kunst und Information, als Medienträger oder zur Besucherlenkung. Langlebig, individuell konfigurierbar, flexibel in den Stellvarianten und modular im Aufbau. Das ist Leichtbau, das ist VOMO!

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Wir machen es leichter!
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Die heutige geologische Sammlung setzt sich aus vielen Schenkungen und systematischen Begehungen der Abteilungsmitglieder zusammen, so dass etwa das Nürnberg umgebende fränkische Schichtstufenland mit den für die Stufen- und Sockelbildung charakteristischen Gesteinen im Museum erfahrbar wird. Ausführlich behandelt wird dabei die dominante Jura-Stufe im Osten mit ihren Zeugenbergen und das Keuperland. Auch Eiszeitfunde, wie zum Beispiel Mammutzähne oder Eiskeile aus den Sanden im Stadtgebiet, sind zu sehen.

Einen eigenen Bereich bildet die Karstabteilung, wo ein originales stattliches Höhlenbär-Skelett aus dem nahen Karstgebiet der Fränkischen Schweiz gleich neben einen Höhlenbären-Baby-Skelett zur sehen ist. Aktuell ist Letzteres eines von vieren, die es in Europa gibt. Erklärt wird die unterschiedliche Entstehung von Höhlen in Dolomitund Kalkgestein.

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Linke Seite: Höhlenbär-Schädel Fränkische Schweiz Rechte Seite, links: Geologie Plateosaurus engelhardti Rechte Seite, rechts: Ichthyosaurus Altdorf Schwarzer Jura Fotos: © Gabriele Prasser
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Vorgeschichtliche Exponate aus Stein-, Bronze und Eisenzeit nehmen einen großen Raum im Museum ein. Seit den 1890er Jahren wurden notwendige Grabungen in der Umgebung Nürnbergs von den NHG-Mitgliedern unter der Leitung von Dr. Sigmund von Forster nach der damals neuen „Cohausenschen Methode“ durchgeführt, die außer der reinen Fundausbeute auch eine systematische und noch heute überprüfbare Auswertung der Fundumstände ermöglichte. Im Vergleich zu anderen Grabungen jener Zeit ergab sich dadurch zwar weniger Fundmaterial, aber zuverlässigere wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Funde wurden in der sogenannten „Urnenflickerei“ gewaschen, zusammengesetzt und für das Museum hergerichtet und beschrieben.

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Linke Seite, oben: Eisenzeitlicher Wagen Rechte Seite, unten: Jäger Mittelsteinzeit Fotos: © Hans Trauner Linke Seite, unten: Neandertaler Rechte Seite, oben: Keramik Jungsteinzeit Fotos: © Gabriele Prasser

Einzigartig ist die umfangreiche Ausstellung nabatäischer Exponate aus dem jordanischen Petra. Beginnend mit den 1960er Jahren unter Dr. Dr. Manfred Lindner gab es jährlich Grabungen oder Surveys im Stadtgebiet von Petra und darüber hinaus, nur durch Corona unterbrochen. Nächstes Jahr ist wieder eine Grabung in Umm Saisaban geplant.

Die Grabfassade des Löwentrikliniums wurde für das Museum als Biklinium nachgebaut. Wunderschön die Eierschalen-Keramik und Schmuckfragmente.

Linke Seite, oben: Petra Detail – Giebel des Löwentrikliniums BD 452

Linke Seite, links unten: Nabatäer Nachbau Grabfassade Biklinium auf Basis des Löwentrikliniums in Petra

Linke Seite, rechts Mitte: Petra Detail – Löwen am Löwentriklinium BD 452

Linke Seite, rechts unten: Nabatäisches EierschalenGeschirr

Rechte Seite: Petra Löwentriklinium BD 452

Fotos: © Gabriele Prasser

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Den größten Raum nimmt die Ethnologie auf 600 m2 ein

Im Südsee-Bereich werden Besiedelung, Entdeckungsgeschichte, Navigation, Schiffbau und Fischfang gezeigt: kulturelle Vielfalt, dargestellt am Beispiel der Händlerkultur der Tami-Inseln und der Fischerinnen am Sepikfluss Neuguineas. Zu sehen sind Flussboote, Masken, Boots- und Hausmodelle, Figuren, Kriegs- und Hausgerät.

Linke Seite, oben: Neuguinea, Tami-Inseln, Tagomasken Linke Seite, unten: Ahnenstatuen Sepik-Fluss Neuguinea Rechte Seite: "walap"-Auslegerbootsmodell, Marshall-Inseln

Fotos: © Gabriele Prasser

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MUSE

Multimedialer Sessel

Der Sahara-Bereich zeigt den Form- und Farbenreichtum des nomadischen Lebens in der Wüste am Beispiel einer Familie aus Südmarokko und der Tuareg: Zeltkultur, Salzgewinnung und -handel, Karawanentransport, Schmiedekunst, Lederbearbeitung.

Agrarisch geprägte Kulturen West- und Zentralafrikas werden dargestellt mit Speicher, Hausrat und Ackergeräten. Masken, Statuen, Musikinstrumente, Stoffe und Gelbgussprodukte zeugen von handwerklichem und künstlerischem Können und verweisen zugleich auf die reiche Geschichte dieser Region. Auch Auswirkungen der Globalisierung werden thematisiert.

Mittendrin im Sounderlebnis!

Tauchen Sie ein in Geschichten, Musik oder Medienkunst – der multimediale Lounge-Sessel MUSE verbindet bequemes Sitzen mit ausgezeichnetem Klang. So wird jeder Ausstellungsbesuch zum auditiven Erlebnis.

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Foto: Westafrika Kraftfigur Nkisi Nkondi © Gabriele Prasser

Der Costa-Rica-Bereich besteht aus einer Sammlung vorkolumbischer Gegenstände. Eindrucksvolle Werkzeuge, Figuren, Gefäße, Jade und Reste von Goldschmuck sind zu sehen.

Aus Sibirien wird das Volk der Nivchi um 1900 vorgestellt, ein Fischer- und Sammlervolk an der Amur-Mündung und dem Nordteil der Insel Sachalin, mit Sommerund Winterhaus, Schamanen, Bärenkult, Pelztierjagd und Bekleidung aus Fischleder und Fellen.

Inwieweit die Raubkunstdebatte die umfangreiche ethnologische Sammlung der NHG betrifft, wird sich zeigen. Geplant

ist, den Erwerbskontext im Rahmen eines Provenienz-Forschungsauftrags offenzulegen. Dabei ist im Endeffekt jedes einzelne Stück zu prüfen. Beispielhaft stellen sich zusätzlich folgende Fragen: Sind Hausmodelle, die extra für Europa hergestellt wurden, Raubgut? Kann ein Abelamgiebel aus den 1970er Jahren problematisch sein? Was ist mit der Nivchi-Sammlung, die in den 1920er Jahren angekauft wurde und deren zweiter Teil heute in St. Petersburg steht?

Für die sich eventuell an die ProvenienzErkenntnisse anschließenden Restitutionsfragen orientiert sich der Verein grundsätzlich an den Handlungsempfehlungen/dem Leitfaden des Deutschen Museumsbundes.

Museumspädagogik

Das museumspädagogische Team bietet individuelle Führungen für jede Altersstufe und Workshops für Schulklassen und andere Gruppen. Anfragen unter: paedagogik@nhg-nuernberg.de

Neue Wege – der Audioguide

Im letzten Jahr erfüllte sich der lang gehegte Wunsch, die Exponate und ihren Kontext über eine individuell aufrufbare Audio-Guide-Führung zu erläutern. Die Entscheidung fiel auf den Abruf über QRCodes auf dem eigenen Mobilgerät des Besuchers. In Deutsch, Englisch und für Kinder. Es wird außerordentlich gut angenommen. Besonders die Kinderführung ist für alle (sic!) Altersklassen ein Hit.

Naturhistorisches Museum Nürnberg

Marientorgraben 8 90402 Nürnberg

Tel. 0911 - 227970

info@nhg-nuernberg.de paedagogik@nhg-nuernberg.de www.nhg-museum.de

AUDIOGUIDE NATURHISTORISCHES MUSEUM NÜRNBERG

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Linke Seite: Sibirien Nivchi Fellmantel Foto: © Gabriele Prasser

SMART MUSEUM SOLUTIONS

Ein paar Klicks und der perfekte Museumstag ist gebucht

Axess SMART RESERVATION begeistert sowohl Museumsbesucher als auch Museumsbetreiber. Der Besucher bucht online sein Ticket, den gewünschten Audioguide oder eine Führung. Kontaktlos und ohne Wartezeit werden die Tickets und Reservierungsbestätigungen vor Ort an der Axess PICK UP BOX 600 abgeholt. Der Museumsbetreiber hat jederzeit den Überblick über all seine Verkaufskanäle, die Auslastung durch Reisegruppen oder die Verfügbarkeit von Audioguides. Gruppenreservierungen können vom Reisevernstalter oder anderen Partnerunternehmen direkt in das System eingegeben werden. teamaxess.com

Neue Dauerausstellung „Spuren im Backstein“

Ordensjubiläum wird Anlass für Neugestaltung des Museums im Kloster Jerichow

Autorin: Lisa Firlus

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Foto: Die romanische Klosteranlage liegt am Rande der Stadt Jerichow unweit der Elbe. © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Das Kloster Jerichow liegt im idyllischen Norden des Jerichower Landes an der Grenze zur Altmark in Sachsen-Anhalt. Schon von Weitem sind die hohen Türme der Stiftskirche in den grünen Elbauen zu bestaunen. Als ältester Backsteinbau Norddeutschlands ist das Kloster Jerichow einer der beliebtesten Standorte der Straße der Romanik. Von hier aus verbreitete sich die wiederentdeckte italienische Bauweise und prägt das Erscheinungsbild der Region bis heute. Die Kirche und Räume im Erdgeschoss der Klausur sind noch immer in ihrer romanischen Ausprägung erfahrbar. Der Klostergarten ist mittelalterlichen Vorbildern nachempfunden und ergänzt die Anlage mit Obstwiesen und Hoch- und Flachbeeten. Heute kann das Kloster auf eine über 875 Jahre alte bewegte Geschichte zurückblicken.

Das Wirken der Prämonstratenser

1144 bestätigte der deutsche König Konrad III. die Gründung des Prämonstratenser-Stifts in Jerichow aus den Besitzungen der Grafen von Stade. Noch im selben Jahr zogen die ersten Chorherren aus dem Kloster Unser Lieben Frauen aus Magdeburg in das ehemalige slawische Fischerdorf und bildeten damit einen der ersten Missionsstützpunkte östlich der Elbe. Der Mangel an Natursteinen und reiche Lehm- und Schlickvorkommen in den Elbauen begünstigten die Verbreitung der Backsteinbauweise von Jerichow aus. Auch der Orden hinterließ seine Spuren im Backstein und verwandelte das Stift in ein Zentrum der Wirtschaft und des Wissens. Doch politische Konflikte und eine hohe Verschuldung schwächten das Kloster und trugen – gemeinsam mit der Reformation – zu seiner Auflösung im Jahr 1552 bei. Ein Versuch der geistlichen Wiederbelebung scheiterte an den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Fortan wurde die Klausur ununterbrochen wirtschaftlich als Domäne genutzt, bis die Anlage 2004 zu einem Museum umfunktioniert wurde.

Linke Seite, oben: Durch die Nutz- und Schaugärten lebt der Anbau von alten Pflanzen, die schon im Mittelalter Verwendung fanden, wieder auf.

Foto: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Linke Seite, unten: Gegenwart trifft auf Vergangenheit: Ein Prämonstratenser beim Besuch des Museums.

Foto: © Kathrin Singer

Rechte Seite: Der Backstein verleiht der Kirche eine außergewöhnliche Atmosphäre. Foto: © Achim Bötefür

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Die neue Dauerausstellung „Spuren im Backstein“

Insgesamt können die Prämonstratenser seit 2021 auf ein 900-jähriges Ordensbestehen zurückblicken. Zu diesem Anlass eröffnete das Kloster Jerichow im Rahmen des Korrespondenzortprojekts des Zentrums für Mittelalterausstellungen „Das Erbe der Prämonstratenser“ mit Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland im November 2021 eine neue Dauerausstellung. Auf 400 Quadratmetern wird im Obergeschoss des Ostflügels der Klausur vor allem das regionale Wirken der Chorherren in und um Jerichow veranschaulicht.

Neben eindrucksvollen Exponaten, wie dem Brandenburger Evangelistar (frühes 13. Jahrhundert, Faksimile), laden Medienstationen Groß und Klein dazu ein, sich interaktiv mit der Wirtschaft des Klosters und seiner Baugeschichte zu befassen. So wird auf vielfältige Weise die Besichtigung der Kirche und Klausur mit dem Besuch der Ausstellung verknüpft. Schließlich ist der in großen Partien Stil rein erhaltene Gebäudekomplex das prachtvollste Ausstellungsstück. Die Ausstellung greift somit Themen auf, die bei einer Besichtigung der Klausur und Kirche ohne eine Führung nur schwer vermittelt werden können, wie beispielsweise die Bedeutung der Skriptorien und Bibliotheken, die Ordensgeschichte oder die Klosterwirtschaft. Durch die ganzheitlich zweisprachige Gestaltung in Deutsch und Englisch ist die Ausstellung für ein breites Publikum zugänglich.

Rechte Seite, oben: Die neue Dauerausstellung im ehemaligen Dormitorium ist offen und modern gestaltet. Linke Seite, unten: Illustrationen auf den Glasscheiben setzten die bauhistorischen Exponate in ihren Kontext. Fotos: © Kathrin Singer

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Minimalistisch – Multimedial –Modern

Eine besondere Herausforderung bei der Konzeption stellte die schlechte Quellenlage zum Kloster Jerichow dar. Im Zuge mehrerer Plünderungen und politischer Konflikte ging das gesamte Stiftsarchiv, die Bibliothek und das mittelalterliche Inventar verloren. Heute sind nur vereinzelte Urkunden mit Jerichower Ursprung als Abschriften aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Dementsprechend wenig Wissen existiert über die mehr als 400 Jahre des Wirkens der Prämonstratenser in Jerichow. Lediglich die Gründung und Auflösung des Stifts sind gut nachzuvollziehen.

Da Objekte, die tatsächlich im Mittelalter von den Chorherren im Kloster Verwendung fanden, nicht mehr erhalten sind, musste auf verschiedene Alternativen zurückgegriffen werden. Zur Veranschaulichung des geistlichen Wirkens der Prämonstratenser in und außerhalb des Klosters dienen Leihgaben liturgischer Geräte aus umliegenden Kirchengemeinden, über welche das Kloster Jerichow nachweislich Patronatsrechte besaß. Andere Objekte wiederum stehen symbolisch für einzelne Themenbereiche. So versinnbildlicht ein Schwert aus dem 12. oder 13. Jahrhundert die kriegerischen

Auseinandersetzungen, die der Gründung des Stifts vorausgegangen sind. Der Mangel an Exponaten, die direkt im Bezug zum Kloster Jerichow stehen, stellte aber auch eine Chance dar. Durch die daraus folgende minimalistische Gestaltung kommt jedem einzelnen Objekt und Text besondere Aufmerksamkeit zu.

Linke Seite: Der weiße Habit, das Gewand der Prämonstratenser, besteht aus insgesamt sechs Kleidungsstücken.

Foto: © Kathrin Singer

Rechte Seite: Liturgische Bücher des PrämonstratenserOrdens aus dem 17. und 18. Jahrhundert schweben scheinbar in der Luft. Foto: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

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Um möglichst alle Interessen zu bedienen, wurde auf multimediale Elemente gesetzt. Im Eingangsbereich erklärt ein kurzer Animationsfilm die komplexe Geschichte der Region, in der sich die Prämonstratenser 1144 niederließen – vom Fischerdorf im 7. Jahrhundert bis zum Baubeginn des Klosters 1148 in einer Minute.

Ein über drei Meter langer Panorama-Touchscreen ist der Klosterwirtschaft gewidmet. Die illustrierte Landschaft enthält interaktive Elemente. Beim Tippen auf verschiedene Tiere oder Hochbeete erfährt man Näheres zu einzelnen wirtschaftlichen Teilbereichen. Eine Karte zeigt erstmals die enormen geografischen Ausmaße des Einflussbereichs und der Besitztümer des Jerichower Stifts und lässt es so in einem neuen Licht erscheinen.

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Den Bereich zur Architekturgeschichte ergänzt ebenfalls eine Medienstation. Hier kann der bauliche Fortschritt, der in drei Phasen eingeteilt wird, nachempfunden werden. Verschiebt man die Zeitleiste, ändern der Grundriss und der dazugehörige Aufriss der Kirche und Klausur entsprechend ihre Form. Bauliche Besonderheiten werden durch pulsierendes Rot hervorgehoben und erlauben beim Anklicken einen genaueren Blick hinter die Backsteinmauern.

Linke Seite: Eine interaktive Illustration des Klostergeländes mit Umgebung lädt zum spielerischen Lernen ein.

Rechte Seite: Die Grund- und Aufrisse der einzelnen Bauphasen des 12. und 13. Jahrhunderts lassen die Theorie der Bauforschung greifbar werden.

Unten: Leuchtende Illustrationen der Elblandschaft empfangen den Gast beim Betreten der Ausstellung. Eine Animation wird auf den Boden projiziert.

Fotos: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

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Digitale Schnitzeljagd mit Storch Nikolaus

Kinder und Junggebliebene können zudem die Ausstellung, Kirche und Klausur mit der Klosterquiz-App als digitale Schnitzeljagd erkunden. Auf dem Gelände sind Fragen versteckt, die mit dem eigenen Smartphone erst gefunden und dann beantwortet werden müssen. Optisch sind die Stationen allerdings nicht auszumachen. Sie sind lediglich auf einer Karte eingezeichnet, die ihren ungefähren Standort angibt. Kleine versteckte Sender (Beacons) übermitteln permanent in kurzen regelmäßigen Zeitintervallen Bluetooth-Signale. Sobald sich ein Endgerät dem Beacon in einem bestimmten Abstand nähert und das Signal empfängt, taucht automatisch die entsprechende Frage auf dem Display auf und kann beantwortet werden. Die Beacons selbst bleiben unberührt im Verborgenen. Die Lösungen der Fragen lassen sich bei genauerer Betrachtung der Umgebung eigenständig herausfinden, beispielsweise durch Lesen der Informationstafeln, Zählen oder Schätzen. Begleitet werden die Spielerinnen und Spieler von unserem eigens dafür entwickelten neuen Maskottchen des Klosters, dem Storch Nikolaus. Er verrät, ob die eingegebene Lösung korrekt ist oder nicht und freut sich über richtige Antworten. Die Frage wird dann beim Spielfortschritt als beantwortet markiert und weiter geht die Suche nach der nächsten Station. So wird die Klosterbesichtigung zu einem spaßigen Erlebnis für die gesamte Familie.

Oben: Storch Nikolaus begleitet die Kinder bei ihrer digitalen Schnitzeljagd durch die Anlage.

Unten: Beacons wie dieser sind im Verborgenen für das Funktionieren der App verantwortlich.

Fotos: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

AUDIOGUIDE KLOSTER JERICHOW

www.museum.de/m/2818

Kloster Jerichow

Am Kloster 1

39319 Jerichow

Tel. 039343 - 285

museumskasse-jerichow@kulturstiftung-st.de

www.kloster-jerichow.de

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Tote im Museum?

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Autorin: Dr. Claudia Klein

Eine Frage der Würde

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Das Herzogliche Museum Gotha. Foto: © Marcus Glahn

Benin-Bronzen, koloniales Erbe, Human Remains: Die Frage, wie Kunstwerke, ethnologische Objekte oder sogar Menschenknochen in die Sammlungen gekommen sind, beschäftigt derzeit die Museumswelt. Auch im thüringischen Gotha sucht ein interdisziplinäres Team Antworten auf diese Fragen und zeichnet dabei ein Stück Kolonialgeschichte nach.

Neue Wege in der Kunst- und Wissensvermittlung

In den barocken Kunstkammern fing es an: das Staunen über die Dinge dieser Welt, das Bewundern von Kunst und Natur. Heute heißt das: Begegnung, Mitgestaltung, Selbstentfaltung – die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha begreift ihre Museen als offene Entwicklungs- und Erfahrungsorte. Für sie ist Museum mehr als das, was in den Vitrinen liegt.

Wer mehr über das Forschungsprojekt wissen will: friedenstein.eu/human-remains

Linke Seite, unten links: Archivschränke im Perthesforum. Foto: © Frank Wiegand

Rechte Seite, oben: Die Fassade des Gothaer Depotgebäudes. Foto: © Frank Wiegand

Linke Seite, unten rechts: Kristina Scheelen-Novácek und Adrian Linder. Foto: © Anton Andrén

Mehrere Sicherheitsschleusen und ein Labyrinth von Treppen und Gängen – wer im Gothaer Perthesforum an sein Ziel gelangen will, muss sich auskennen. In dem riesigen Depotgebäude lagern die 1,15 Millionen Sammlungsobjekte der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Entstanden aus einer fürstlichen Wunderkammer, ist sie heute eine der wichtigsten Museumssammlungen in Mitteldeutschland.

Doch es sind nicht nur „Objekte“ darunter. Irgendwo in den oberen Stockwerken des Perthesforums steht ein verschlossener Schrank. Sein Inhalt: 33 Menschenschädel, die ab den 1860er Jahren nach Gotha ge-

langt sind. Sie kamen aus Borneo und Java, heute Indonesien, damals eine niederländische Kolonie.

Wer diese Menschen waren, wie sie gestorben sind und warum ihre Schädel nach Europa kamen – das wollen die Gothaer Forscher nun herausfinden.

Vergessene Traditionen

„Mitte des 19. Jahrhunderts war Gotha berühmt für seine ethnographische Sammlung, die sogar in den ersten Reiseführern gepriesen wurde“, berichtet Adrian Linder. Er ist Ethnologe und Leiter des Gothaer

Forschungsprojekts. „Daher lag es nahe, dass Europäer, die aus Borneo oder Java zurückkehrten, ihre Mitbringsel dem hiesigen Herzog anboten. Darunter waren Waffen, Tierskelette, Vogelbälge, andere Naturalien und eben auch Menschenschädel.“

Kristina Scheelen-Novácek, die als Anthropologin die Schädel untersucht, ergänzt: „Das 19. Jahrhundert, das war die Zeit, als die Wissenschaft an Menschenrassen glaubte. Außerdem meinte man, aus der Form eines Schädels auf Charaktereigenschaften, Talente oder besondere Fähigkeiten schließen zu können. Darum interessierte man sich brennend für die Form von Schädeln.“

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Rege Sammlungstätigkeit

Und so gelangten unzählige Menschenschädel aus allen Teilen der Welt in die europäischen Museumssammlungen – zu Studienzwecken. Sie wurden von Händlern, Militärs, Missionaren, Reisenden und Ärzten mitgebracht und dann von den Kuratoren angekauft. Die Währung, in der diese heiße Ware bezahlt wurde, erstaunt. Adrian Linder: „Die Einlieferer wurden mit Orden bezahlt. An die 45.000 Exemplare des Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Hausorden waren im Umlauf: Ritterorden erster und zweiter Klasse sowie einige wenige Komturorden. Diese Auszeichnungen waren

sehr begehrt und bildeten ein effektives und kostengünstiges Mittel zur Vermehrung der wissenschaftlichen Sammlungen. In den Korrespondenzen finden sich regelrechte Verhandlungen, welche Sammlungsschenkungen welche Ordensverleihungen nach sich zögen.“

Und da die Einlieferer meist mit mehreren Fürstenhöfen in Kontakt standen, lässt sich bis heute ein echtes Netzwerk rekonstruieren, in dem Sammler und Überbringer miteinander handelten. Die Fürsten sammelten die Schädel, die Überbringer die Orden.

Primitiv? Wild? Unwichtig?

Und die Menschen, zu denen die Schädel einst gehört hatten? Sie sind und bleiben in vielen Fällen unbekannt. In der Gothaer Sammlung konnten jedoch bereits mehrere Lebensgeschichten rekonstruiert werden –ein glücklicher Umstand.

Adrian Linder: „Wir kennen in etwa der Hälfte der Fälle die Namen der Menschen, deren Schädel nach Gotha gebracht wurden. Mindestens vier Schädel stammen von Aufständischen gegen die Kolonialmacht, die 1860 gefangengenommen und gehängt wurden. Kurz zuvor war auf Borneo ein

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Linke Seite, oben: Inventarbuch mit Einträgen der Schädel-Einlieferungen. Foto: © Thomas Fuchs

Rechte Seite, oben: Adrian Linder im Staatsarchiv Gotha Foto: © Claudia Klein

Rechte Seite, unten: Inventarbuch „Journal der Säugetier-Sammlung“. Foto: © Thomas Fuchs

Kolonialkrieg ausgebrochen, der BanjarKrieg, der fast ein halbes Jahrhundert dauerte und von beiden Seiten mit großer Grausamkeit geführt wurde.“

Das ist bis heute an den Schädeln sichtbar. Kristina Scheelen-Novácek hat zahlreiche Spuren von Gewalteinwirkung gefunden: „Zum Beispiel ist bei zwei Schädeln, die von nachweislich hingerichteten Menschen stammen, ganz deutlich zu sehen, dass ein scharfer, spitzer Gegenstand in die Schädelbasis hineingestochen wurde, vielleicht ein Speer. In den Augenhöhlen habe ich außerdem Puppen von Insekten gefunden, die sich kurz nach dem Tod dort eingenistet hatten. Wir vermuten also, dass diese Schädel aufgespießt und zur Schau gestellt wurden.“

Andere Schädel stammen offenbar aus Militär- oder Gefängnisspitälern von Batavia, heute Jakarta. An ihnen sind Spuren von Skorbut, Anämie und anderen Mangelerkrankungen zu erkennen. Die Menschen dort müssen unter großen Leiden gestorben sein. Ihre Schädel wurden dann vor Ort präpariert und nach Europa gebracht. Um das Einverständnis dieser Menschen oder ihrer Angehörigen hat sich sicherlich niemand Gedanken gemacht.

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Ausstellen? Erforschen?

Zurückgeben?

Wie umgehen mit den Human Remains, den sterblichen Überresten dieser Menschen, die als Sammlungs-„Objekte“ nach Europa gekommen sind? Das Forschungsteam ist sich einig: Es geht darum, den Menschen, von denen diese Schädel stammen, ihre Identität und Würde zurückzugeben. Dazu gehört die Erforschung ihres Schicksals vor und nach dem Tod, und dazu gehört auch ein sorgfältiger und transparenter Umgang mit diesem schwierigen Thema.

Tobias Pfeifer-Helke, der Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, resümiert: „Wir haben es hier eindeutig mit einem Unrechtskontext zu tun. Das darf nicht verschwiegen werden. Daher haben wir

vom ersten Moment des Projekts die Vermittlung mitgedacht und versucht, eine breitere Öffentlichkeit für dieses hochaktuelle Thema zu interessieren. Zeigen oder ausstellen werden wir die Schädel jedoch bewusst nicht. Und bei der Frage einer Rückgabe werden wir die Empfehlungen abwarten, die der Abschlussbericht des Forschungsprojekts ausspricht.“

Die wichtigsten Ergebnisse der Gothaer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sind schon jetzt online zugänglich. [siehe Infokasten auf S. 32] Im Frühsommer wird eine eigene Publikation erscheinen, die über alle Aspekte des Forschungsprojekts informiert.

Oben: Die beiden Türme

Stiftung Schloss Friedenstein Gotha Schlossplatz 1

99867 Gotha Tel. 03621 - 82340 service@stiftung-friedenstein.de stiftungfriedenstein.de friedenstein.eu

Provenienzforschung?

Was ist das genau?

Anastasia Yurchenko arbeitet seit 2020 für die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha. Sie ist Kunsthistorikerin und hat sich auf die Provenienzforschung spezialisiert. Das Magazin museum.de hat sie zu ihrem Beruf befragt.

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von Schloss Friedenstein Foto: © Marcus Glahn Das Projekt wird gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Foto: Anastasia Yurchenko © Lutz Ebhardt

Provenienzforschung – ein Wort, das gerade in aller Munde ist. Was bedeutet das genau?

Das ist eine Frage, die immer wieder und in den unterschiedlichsten Kontexten neu gestellt und immer wieder neu beantwortet wird. Es gibt keine universelle oder eindeutige Antwort auf die Frage, denn jede Provenienzforscherin, jeder Provenienzforscher versteht seinen Beruf auf seine eigene Weise. Für manche Kolleg:innen geht es darum, eine möglichst lückenlose Kette von Besitzern bzw. Eigentümern eines Kunstwerks zu rekonstruieren, also die „Biographie“ eines Kunstwerks oder eines Sammlungsobjekts nachzuzeichnen: von seiner Erschaffung bis zum heutigen Zeitpunkt.

Andere Kolleg:innen rücken die ethischen Aspekte der Provenienzforschung mehr in den Vordergrund und versuchen, das Unrecht, das im Laufe dieser Geschichte geschehen ist, aufzuspüren und auszugleichen. Denn Provenienzforschung ist eine ehrenvolle Aufgabe, bei der man immer auf der Seite des Schwächeren steht, sei es bei der Erforschung kolonialer Kontexte, jüdischen Besitzes oder kriegsbedingter Verlagerungen. Kurzum, Provenienzforschung versucht, diejenigen zu unterstützen, denen Willkür oder Ungerechtigkeiten geschehen sind.

Diese ethische Komponente, die ist mir wirklich wichtig. Provenienzforschung beschränkt sich nicht auf das sachlich-neutrale Aktenstudium, sondern es geht um Menschen und ihre Schicksale. Deswegen haben wir für das Projekt mit den Schädeln aus Indonesien auch einen akteurszentrierten Ansatz gewählt, also einen Zugang zum Thema, bei dem die handelnden Personen im Vordergrund stehen und erforscht werden sollen. Das ist also ganz und gar keine trockene Materie, sondern wirklich eine Arbeit mit und für Menschen.

Die Frage ist doch auch: Wer macht Geschichte? Machen es die Menschen oder sind sie nur Teile in einem Räderwerk der Geschichte?

Natürlich bewegten sich die Menschen in festen Rahmen wie dem NS, der Kriegs- oder Kolonialzeit usw. Aber die einzelnen Menschen hatten sogar in einem totalitären System einen Handlungsspielraum, den sie auf die eine oder andere Art genutzt haben. Daher frage ich in meiner Arbeit immer nach der individuellen Verantwortung: Wo war der Mensch? Was hat ihn bewegt? Warum hat er so gehandelt?

Also, Provenienzforschung ist keine akademische Übung, sondern etwas, was man mit Leidenschaft tut, um die Welt besser zu machen und begangenes Unrecht an den Tag zu bringen.

Und diese Orts- oder Besitzerwechsel, die können in den unterschiedlichsten historischen Kontexten geschehen sein, nicht wahr?

Ja, genau. Provenienzforschung betrifft nicht nur die Kolonialzeit. Beispielsweise wurden nach dem Zweiten Weltkrieg viele Kunst-

werke durch die sowjetischen Trophäenbrigaden aus Gotha in die Sowjetunion abtransportiert. Ein großer Teil wurde schon 1958 zurückgegeben, einige sind aber in russischen Museen geblieben. Den Verbleib dieser Werke zu erforschen, das ist auch ein wichtiger Teil meiner Aufgabe.

Die Situation hat sich seit den Nachkriegsjahren jedoch geändert: 1998 hat die Duma, das Parlament der Russischen Föderation per Gesetz erklärt, dass diese Kunstwerke nun das Eigentum des russischen Staates sind. Das ist seitdem die rechtliche Lage und das müssen alle Beteiligten respektieren.

Aber welchen Sinn hat die Provenienzforschung dann noch? Wenn die Kunstwerke doch gar nicht zurückgegeben werden dürfen?

Es geht ja in erster Linie nicht nur um Rückgaben, sondern um Forschung. Die Provenienzforschung ist weiterhin möglich, und zwar auf wissenschaftlicher Ebene. Die verschwundenen Werke können gesucht, identifiziert, dokumentiert und somit sichtbar gemacht werden! Und da tun sich komplexe Linien auf. Jedes Werk hat ein eigenes Schicksal, das rekonstruiert werden muss. Eine Riesenaufgabe!

Daher hat die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha eine Kooperation mit dem Puschkin-Museum in Moskau und der Eremitage in Sankt Petersburg angestoßen, bei der gemeinsam geforscht und die Geschichte transparent gemacht werden soll. Das ist eine Kooperation, bei der russische und deutsche Forscher:innen in sehr guter und kollegialer Atmosphäre miteinander arbeiten. Wir verstehen uns als Anwälte der Kunstwerke und unser Ziel ist es, dass diese nicht ein zweites Mal verlorengehen, indem sie vergessen werden.

Welche Rolle kann die Provenienzforschung in der aktuellen Debatte um die Nachwirkungen des Kolonialismus in unseren Museen spielen?

Eine große! Jetzt und in der Zukunft. Doch nicht nur in unseren Museen, sondern auch in der ganzen Gesellschaft. Ich würde mir wünschen, dass diese Debatte die Menschen neugierig macht, ihren Blick zu ändern oder ihr Bewusstsein zu schärfen: Wo bin ich in der Geschichte? Und was können wir jetzt tun? Und wie kann ich meine individuelle Verantwortung übernehmen?

Jede und jeder kann jederzeit aktiv handeln, auch proaktiv, und so eine Kultur der Verantwortung befördern.

Denn wir leben mit den Konsequenzen unserer Geschichte, dennoch haben wir jederzeit die Möglichkeit, den Fortgang dieser Geschichte zu ändern.

Das Gespräch wurde im Januar 2022, vor dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine geführt. Momentan und bis auf Weiteres ruhen alle offiziellen Kontakte zu russischen Museen. Dennoch versucht die Stiftung, die Kulturschaffenden in der Ukraine zu unterstützen und den Kontakt zu oppositionellen Kreisen in Russland nicht abbrechen zu lassen.

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Der GlasRatgeber: Nachhaltige Fassadengestaltung

Folge 6: In Zukunft wird das Thema Vogelschutz immer wichtiger

Autorin: Rebecca Mückenheim

Bei der Planung neuer Museen müssen viele bauliche Aspekte berücksichtigt werden. Neben Wärmedämmung, Schall- oder Sonnenschutzfunktion rücken im modernen Bauen auch immer mehr die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz in den Fokus. Große Glasfassaden bieten eine Menge Vorteile, diesen anspruchsvollen Herausforderungen zu begegnen, denn Glas ist sehr flexibel einsetzbar und lässt sich je nach architektonischen Ansprüchen an Optik oder an die technischen Gegebenheiten ganz individuell einsetzen und gestalten.

In den Bereichen Architektur und Fassadenbau heiß diskutiert ist mittlerweile das Thema Vogelschlag an Glas. In Ausschreibungen für Neubauten oder Sanierungen spielt Vogelschutz immer öfter eine Rolle. Der Bund für Umwelt und Naturschutz, BUND, schätzt, dass jährlich über 18 Millionen Vögel mit Glas kollidieren*. Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum Beispiel kann sich Vegetation in der Nähe von verglasten Flächen im Glas spiegeln und dem heranfliegenden Vogel suggerieren, er bewege sich in Richtung eines schützenden Baumes. Da unterschiedliche Vogelarten verschiedene Flughöhen bevorzugen, spielt es keine Rolle, ob sich das Fenster im Erdgeschoss eines Privathauses oder im obersten Stock eines Bürogebäudes befindet – die Gefahr einer Kollision besteht, wenn sich Bäume, Büsche oder der Himmel in der Fassade spiegeln.

Was lässt sich nun gegen die Spiegelungskollisionen tun und wie lassen sich Vögel schützen? Immer wieder sieht man schwarze Greifvogelsilhouetten-Aufkleber auf verglasten Flächen, aber diese haben

leider keinen erwähnenswerten Nutzen. Der Naturschutzbund Deutschland, NABU, erklärt, dass Vögel darin keine Feinde erkennen und oft sogar neben solchen Aufklebern mit dem Glas kollidieren. Außerdem seien die Aufkleber besonders in der Dämmerung nur schlecht auszumachen**.

Möglichkeiten, Vogelschlag an Glas zumindest zu reduzieren, sind nachträglich auf die Scheibe aufgeklebte Punktemuster oder bereits im Herstellungsprozess veredeltes Glas mit Siebdruck. Hierbei gilt jedoch: Alles, was der Vogel sehen kann, sehen wir auch. Dies kann mitunter störend für unsere Augen sein, wenn wir bei der Arbeit im Büro oder beim Museumsbesuch ständig auf Punkte oder Streifen schauen, die nicht transparent sind und den Blick nach draußen erheblich beeinträchtigen können.

Bei Gebäuden im Sektor von Kunst und Kultur spielt das Design und die Optik in noch höherem Maße eine Rolle als bei Hotels oder Bürogebäuden, die meist eher funktional konstruiert sind. Oft soll architektonisch nach außen bereits vermittelt werden, was BesucherInnen im Inneren des Museums erwartet. Die Form und die Fassade von Museen und anderen Kulturbauten sind oft als Statement zu verstehen. Neben dem Design als Vermittlungsebene einer Botschaft gibt es aber auch die Möglichkeit, im Bereich Tier- und Umweltschutz ein Statement zu setzen, wenn das richtige Vogelschutzglas zum Einsatz kommt. Die Pilkington Deutschland AG bietet ein neuartiges Vogelschutzglas an, das sich sowohl aus ästhetischen als auch aus tierschutzrelevanten Gründen bestens für großflächige Fassadenanwendungen eignet.

Das Vogelschutzglas besitzt ein einzigartiges transparentes Streifenmuster, das für den Menschen im Innern des Gebäudes kaum sichtbar ist, von Vögeln im Außenbereich allerdings erkannt wird. Es wurde in der Vogelwarte in Hohenau (Österreich) geprüft und hat den WIN-Test erfolgreich bestanden – ein strenger Prozess, der das Verhalten von Vögeln misst, die auf Glas-Reflexionen zufliegen.

Das Vogelschutzglas ist nach individuellen Bedürfnissen mit einer Vielzahl von weiteren Funktionen kombinierbar. Neben Sicherheitseigenschaften sowie Wärmedämm- und Sonnenschutzfunktion lassen sich verschiedene Aufbauten realisieren. Eine optimale Wirksamkeit des Vogelschutzglases kann durch die Kombination mit so genanntem Antireflexionsglas (entspiegeltes Glas) erreicht werden. Wenn Sie mehr über das Thema Vogelschutzglas wissen möchten, schreiben Sie uns einfach eine Nachricht an marketingDE@nsg.com!

* https://www.bund-nrw.de/themen/ vogelschlag-an-glas/

** https://www.nabu.de/tiere-undpflanzen/voegel/helfen/01079.html

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Autor: Lars Blümle
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Das
Heimatmuseum, im Herzen des Teilortes Altenheim, der Gemeinde Neuried. Foto: © Gerhard Gmeiner

Das Ried

„Wo der Vater Rhein bei dem Fort Schwarzhoff das südliche Terrain der ausgedehnten starken Reichsfestung Straßburg durchströmt und seine vielen Altwasser recht – (die ihm durch starke Dämme abgewonnenen) – fruchtbaren Marschfelder bespülen, – wo die verkehrsreiche Rheinstraße … die gesegneten Fluren und Dörfer des sogenannten Rieds durchzieht, … liegt … der gegen diesen (Rhein) sich weit ausbreitende gleichsam in einen Wald von Obstbäumen gefüllte große Pfarrort Altenheim“. So beschreibt der einstige Hauptlehrer Karl Friedrich Reinmuth 1895 die Lage des Dorfes Altenheim. Von dieser, vom Rhein geprägten, Landschaft, mit seinen Feuchtwiesen und den ausgedehnten Auwäldern, sowie deren Bevölkerung, erzählt das Heimatmuseum der Gemeinde Neuried.

Die Fruchtbarkeit des Bodens, in Zusammenspiel mit den klimatischen Bedingungen, boten ideale Voraussetzungen für den Hanf- und später den Tabakanbau. Nach der zehrenden Zeit des 30jährigen Krieges, brachte dies wirtschaftlichen Erfolg und Reichtum in die Region. Bis heute ist der Ackerbau wichtiger Bestandteil des Riedes. Auch der traditionsreiche Tabak wird noch angepflanzt, auch wenn er inzwischen seinen einträglichen Stellenwert verloren hat.

Linke Seite, oben: Typisch für das Ried, Altrheinlauf mit Auwäldern

Foto: © Jürgen Rudolf

Linke Seite, unten: Das Heiatmuseum Neuried

Rechte Seite, oben: Getreidesäcke mit unterschiedlichen Symbolen

Rechte Seite, Mitte: Alte Ackergerätschaften

Rechte Seite, unten: Historische Aufnahmen

Fotos: © Gerhard Gmeiner

Vom Schulgebäude zum Museum

Aus der Zeit des Aufschwungs stammt auch das Gebäude des Heimatmuseums. Im Jahr 1777 musste das alte Schulhaus einem größeren Neubau weichen. Die Gemeinde konnte es sich leisten, ein stattliches Fachwerkhaus in Auftrag zu geben. Insgesamt 37 Eichen für die Errichtung wurden angewiesen. Dazu „20 Wagen Riegelsteine vom alten Schloss in Rohrburg, Ziegel und Kalk aus Dinglingen, Sand aus Kehl, Bretter von der Flösserzunft in Neumühl, Leimen und ‚Wücklen‘ aus Rohrburg und 100 Bosen Stroh aus der Pfarrscheuer“. 60 Jahre lang wurde das Schulhaus als solches genutzt, ehe der Platz für die wachsende Schülerzahl nicht mehr ausreichend war. Im Laufe des 18. Jahrhunderts beherbergte das Gebäude zwischenzeitlich die Kinderschule und wurde dann zum ersten Altenheimer Rathaus.

Später befanden sich eine Wohnung und Schalterräume der Sparkasse darin. 1865 kam eine Gemeindescheune mit Farrenstall hinzu. Letztlich sollte das Gebäude zum Heimatmuseum werden. Die Gemeinde stellte es dem Historischen Verein als Ausstellungs- und Arbeitsraum zur Verfügung und ist seither Träger der Einrichtung. 1987 konnte das Museum feierlich eingeweiht werden. Bis heute wird es rein ehrenamtlich geführt und betrieben.

Keine Raritätensammlung

Unter der Federführung von Dorfarzt Dr. Wilhelm Marx und dem damaligen Schuldirektor Werner Kopf entstand in der Freizeit der Mitglieder ein Kleinod, das bis heute dem Leitspruch von Dr. Marx folgt: „Dies soll keine Rariätensammlung und kein Kuriositätenkabinett sein, sondern wir wollen das Leben und die Lebensumstände darstellen, wie sie die Riedbevölkerung in früherer Zeit vorgefunden hat.“

Nach diesem Credo, dreht sich im Museum fast alles um Land und Leute. Der Landwirtschaft, mit dem schon erwähnten Hanf- und Tabakanbau, sind große Teile gewidmet. Aber auch das Handwerk mit seinen Zünften, erwähnenswert hier die Fischerzunft, findet seinen Platz.

Oben: Panoramaaufnahme der Handwerkerausstellung

Linke Seite, unten links: Tabakbündel

Linke Seite, Mitte rechts: Spindeln

Linke Seite, unten rechts: Mehrfarbiges „Kelsch“ aus Hanfleinen

Rechte Seite, unten: Kunkelstab und Umspuler

Fotos: © Gerhard Gmeiner

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Blick in das Fritz-Boehle-Zimmer. Foto: © Gerhard Gmeiner

Eine Besonderheit bildet die Ausstellung zum Künstler Fritz Boehle (1873-1916), der in Frankfurt lebte, den es aber immer wieder in seine Heimat zog. Der in Emmendingen geborene Maler besuchte gerne die Verwandtschaft in Altenheim und ließ sich hier zu einigen Werken inspirieren. Zwei beeindruckende Originale befinden sich im Besitz des Museums und zeigen Dorfszenen aus dem Ried. Auf Boehles Bildern ist auch die regionale Riedtracht zu sehen, die

in Teilen der des benachbarten, französischen Elsass, sehr ähnlich ist. Im Dachgeschoss des Museums wird auf diese Kleidung und deren Bedeutung eingegangen. So auch auf die Tracht der ledigen Mädchen, oder einem Paar in der Hochzeitsausstattung. Zum Historischen Verein gehört, passend dazu, eine Trachtengruppe an, die diese Tradition aktiv pflegt und immer wieder an Kreistrachtenfesten, oder Festzügen zu Jubiläen, teilnimmt.

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Werke des Künstlers Fritz Boehle

Auf über 600 m² Heimatgeschichte

Im Laufe der Jahre wurde das Heimatmuseum stetig erweitert, um der Fülle an Ausstellungsstücken Raum zu geben. Zuletzt kamen die Stallungen und die Gemeindescheune hinzu und komplettieren das Museum. Nachdem der letzte gemeindeeigene Ziegenbock, die letzten Zuchtbullen und Zuchteber ausgedient hatten, wurden die restlichen Gebäude von der Gemeinde und Vereinsmitarbeitern aufwendig renoviert, so dass heute über 600 m² Ausstellungsfläche zur Verfügung stehen.

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Damit die Einrichtung nicht nur stummer Zeitzeuge bleibt, ist es dem Verein wichtig, das Museum mit Leben zu füllen. Immer wieder finden unterschiedliche Veranstaltungen statt, die zum festen Bestandteil des Dorflebens geworden sind. Ein beliebter Treffpunkt ist zum Beispiel das Jahreszeiten-Café, bei dem es neben leckeren Kuchen und Torten, auch spezielle Aktionen für Kinder gibt.

Linke Seite, oben: Impression vom Museumsfest

Unten: Geschirr und Küchengeräte

Fotos: © Gerhard Gmeiner

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Eine Reise wert

Das Museum ist aus vielerlei Hinsicht eine Reise wert, aber Neuried hat noch mehr zu bieten. Neben zahlreichen regionalen Vermarktern, bildet die besondere Lage in der Ortenau einen exponierten Ausgangspunkt zu vielen Ausflugszielen. Nicht weit entfernt lockt Freiburg mit seinen Gassen und dem Münster genauso, wie die nahegelegene Freiheitsstadt Offenburg. Die liebliche Vorbergzone des Schwarzwaldes lädt zu Tagesausflügen ein, wie auch die Vogesen auf französischer Seite mit seinen zahlreichen Burgen und den reizvollen Dörfchen entlang der elsässischen Weinstraße. Und natürlich, das nahegelegene Straßburg, das man problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen und entdecken kann.

Oben: Ausgediente Schränke wurden auch früher umgenutzt

Unten: Nahe Altenheim gefundene römische Münzen weisen auf die frühe Besiedelung hin (nicht in der Ausstellung zu sehen)

Fotos: © Gerhard Gmeiner

Heimatmuseum Neuried

Kirchstraße 32

77743 Neuried

Tel. 07807 - 5094486

Heimatmuseum-Neuried@online.de www.heimatmuseum-neuried.de

AUDIOGUIDE HEIMATMUSEUM NEURIED

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www.museum.de/m/3964
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Das Hanf Museum in Berlin

Cannabis als Rohstoff, Medizin und Genussmittel kennenlernen

Autor: Steffen Geyer

Die Hauptstadt bietet Museumsfreunden mit mehr als 170 Häusern ein überreiches Angebot. Deutschlands einzige Dauerausstellung über die Kulturpflanze Hanf (Cannabis) finden Besucher im ältesten Teil Berlins. Seit 1994 residiert das Hanf Museum am Rande des historischen Nikolaiviertels – Rotes Rathaus und Alte Münze sind nur einen Steinwurf entfernt.

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Dienstälteste Bildungseinrichtung über Cannabis

Das Hanf Museum spannt einen weiten Bogen – von der ersten Verwendung der Pflanze vor mindestens 12.000 Jahren, über ihre kulturprägende Bedeutung und die menschengemachte globale Verbreitung, das Hanfverbot des 20. Jahrhundert, bis zur aktuellen Diskussion über ihre Legalisierung. Das ist viel, gehört das Hanf Museum mit seinen rund 250 m2 doch zu den kleineren Einrichtungen, indes gelingt der Spagat, durch eine klare thematische Trennung der Räume.

Apropos Räume. Die wurden in den 80er Jahren in der DDR für das Handwerksmuseum geschaffen. Das Hanf Museum schreibt die museale Geschichte des Ortes seit 1994 fort. Mit seinen 27 Jahren ist es eines der traditionsreichsten, ehrenamtlich organisierten Museen der Stadt. Sein Inhalt macht es in ganz Deutschland einzigartig – nirgendwo sonst kann man sich so umfangreich über Cannabis als Rohstoff, Medizin und Genussmittel informieren.

Anders als seine Geschwistermuseen in Amsterdam, Barcelona und Bologna stellt

das Hanf Museum in Berlin die Bedeutung der Pflanze Cannabis als Rohstoff in den Mittelpunkt. „Damit tragen wir zwei Fakten Rechnung“ erklärt Museumsgründer Rolf Ebbinghaus „der immensen, jahrtausendelange Bedeutung von Hanffasern und -schäben für die menschliche Kultur und dem erheblichen Informationsdefizit unserer Besucher in diesem Bereich.“

Wie verbreitet der Hanfanbau noch vor 100 Jahren war, beweist das Hanf Museum zu Beginn der Ausstellung, für die Interessierte 45-60 Minuten einplanen sollten, mit einer langen Liste von Gemeinden, Straßen und Gewässern die ihren Namen der Cannabisnutzung verdanken.

Linke Seite, oben: Cannabispflanze im Growroom des Hanf Museum

Linke Seite, unten: Außenansicht Hanf Museum zur Aktion „Berlin leuchtet“

Rechte Seite, oben: Museumsgründer Rolf Ebbinghaus Rechte Seite, unten: Hanffasern in verschiedenen Qualitäten

Fotos: © Steffen Geyer

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Was Großvater noch wusste –Bauen mit Hanf

Cannabis klingt heute für Viele nach Rausch und Reggea, aber das war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts anders. Das Hanf Museum hat sich zur Aufgabe gestellt, die durch das Hanfverbot entstandenen Wissenlücken zu schließen. Das beginnt damit, den Besuchern zu zeigen, dass die berauschenden Blüten nur einen kleinen Teil der Pflanze bilden. Schließlich war es der bis zu 4 Meter lange Stiel, der den Hanf zur wichtigsten Kulturpflanze des Menschen machte.

Die Stengel vereint zwei ganz unterschiedliche „Werkstoffe“. Das sind zum Einen die Hanffasern, die die textile Menschheitsgeschichte prägten. Sie umschließen den Stiel wie ein Korsett oder die Stahlträger ein modernes Hochhaus. Im inneren Teil des Stiels befinden sich die Schäben. Das Kernmark der Hanfpflanze erinnert an getrockneten Zelluloseschaum, Pappmaschee. Es ist leicht, durch seine Sprödigkeit einfach zu verarbeiten und dämmt hervorragend. Eigenschaften, die den Hanf zu einem der wichtigsten Baustoffe machten.

Im Hanf Museum können die Besucher mit wenigen Schritten Jahrtausende Bauhandwerk überbrücken – vom klassischen Lehmziegel, dem bis zu 80 Prozent Hanf-Schäben zugesetzt werden können, bis zum neuzeitlichen Hanf-Spritzbeton, leichter, feuerfester und besser isolierend als die cannabisfreie herkömmliche Variante. Hanfbaustoffe, das begreift man in der Ausstellung im Wortsinne, stehen vor einer Renaissance. Nur der durch die Rauschhanfverbotsbürokratie künstlich aufgeblasene Preis steht dem im Wege. Neuester Trend auf dem Naturstoffbaumarkt – gemahlene Schäben werden mit dem natürlichen Klebstoff Lignin verpresst und sind im Anschluss ein vollwertiger Ersatz für Holz.

Mit Hanf in ferne Länder

Mindestens 10.000 Jahre nutzen die Menschen die Cannabispflanze für Schnüre, Seile und Stoffe. Das Hanf Museum zeigt die Arbeitsschritte die vom Hanffeld zur fertigen Kleidung führen und illustriert die historische Bedeutung der Hanftextilien mit Grafiken sowie Ausstellungsgegenständen vom Spinnrad bis zur Perücke.

Segelschiffe bestehen, so lernt man es im Hanf Museum, fast ausschließlich aus Holz und aus Hanf. Segel, Seile, Säcke, Dichtun-

gen – von der Kleidung der Matrosen bis zum Logbuch des Kapitäns sind erstaunlich viele Teile eines Schiffs „beweglich“. Dieser textile Anteil musste regelmäßig gewartet werden. Bis zur Blüte des Kolonialismus im 19. Jahrhundert waren Seefahrer daher darauf angewiesen, an Ankerplätzen genug Hanf für Reparaturen vorzufinden. Dafür wurde nicht nur fertiges Material mit geführt, sondern säckeweise Hanfsamen, die an Ankerplätzen ausgesät wurden. Die in nur 100 Tagen voll ausreifende, genügsame Pflanze machte es möglich, den Bedarf an Fasern direkt vor Ort zu decken. So trugen Seefahrer die Hanfpflanze bis in die entlegensten Winkel des Planeten. Sie wächst heute beinahe überall.

Selbst der beste Hanfstoff geht irgendwann kaputt. Abfall sind Textilien aus Cannabis dann aber lange noch nicht. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dem größten Teil der Lumpen in der Papiermühle neues Leben eingehaucht.

Ob die Reden Cäsars oder Gutenbergs Bibel – den größten Teil der Menschheitsgeschichte kennen wir nur, weil damals nicht auf Holzpapier geschrieben und gedruckt wurde. Hanftextilien waren lange die am häufigsten genutzte und, dank ständig verfügbarer Altkleider, die mit Abstand billigste Rohstoffquelle für Papier.

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Hanf – im wahrsten Sinne beschreibbar

Die verbotene Volksmedizin

Alle Anwendungen der Hanffasern und -schäben haben eines gemeinsam – ihnen fehlt das Potenzial für eine berauschende Wirkung. Die berauschenden Substanzen, wegen denen Cannabis in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein zwielichtiges Image gegeben wurde, finden sich in den weiblichen Blütenständen. Mehr als 60 sogenannter Cannabinoide sind bekannt. Zwei davon stehen besonders im Fokus der medizinischen Forschung: das berauschend wirkende Tetrahydrocannabinol, kurz THC, und das selbst nicht psychoaktive Cannabidiol, kurz CBD. THC wirkt entkrampfend, schmerz- und fieberlindernd, hemmt Entzündungen und hat antivirale und antibakterielle Eigenschaften. Es findet Anwendung bei chronischen Schmerzen, Multipler Sklerose, in der Krebstherapie und bei vielen anderen Leiden. CBD wird u.a. bei Epilepsie, Schlafproblemen, Hauterkrankungen und bei Verdauungsproblemen verordnet.

Mitte: Ohne Cannabis keine Hochseeschifffahrt

Rechte Seite, unten links: Moderne Cannabismedizin aus drei Kontinenten

Rechte Seite, unten rechts: Historische Cannabismedizin, Anfang des 20.Jh

Fotos: © Steffen Geyer

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Pfeifenkultur und internationale Rauschgewohnheiten

Da Hanf unter dem Damoklesschwert „Rauschgift“ stigmatisiert ist, wundert es nicht, dass sich das Hanf Museum auch der „verfemten Seite“ der Pflanze widmet. Allerdings mit einem überraschenden Kniff. Statt der Kifferklischees unserer Tage geht die Ausstellung der Frage nach, wie viel „Hanfkultur“ es vor dem Verbot gab. Dies geschieht mit einer eindrucksvollen Petersberger Hängung, die dutzende Darstellungen von Cannabiskonsumenten aus allen Gegenden der Welt vereint. Hier hängt die aus der Frankfurter Paulskirche bekannte Germania neben Gustave Courbets Selbstbildnis mit Pfeife, und Abstraktes aus dem 20. Jahrhundert neben osmanischen Abbildungen und ihrer Jahrhunderte währenden Cannabiskultur.

Wie vielfältig der Genuss berauschenden Cannabis selbst heute in den Kulturen der Welt ist und welchen Einfluß er auf religiöse Rituale hatte, präsentiert das Hanf Museum in einem weiteren Raum.

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Im Durchschnitt halbjährig wechselnde Sonderausstellungen runden die erstaunlich vielseitige Dauerausstellung im Hanf Museum ab. Aktuell präsentiert dort eine Forschungsgruppe der Hochschule für Technik Berlin aus neuartigen Hanfstoffen gefertigte Prototypen von Wasserfilter bis Turnschuh.

Last but not least lädt das Hanf Museum zu einem Besuch in den hauseigenen Hanfshop ein, der einen Einblick in die bunte Vielfalt bereits heute legaler Cannabisprodukte bietet. Allein Haschisch und Marihuana sucht man hier (noch) vergebens. Aber das soll sich gemäß Koalitionsvertrag der Ampelregierung ja bald schon ändern können.

Linke Seite, oben: Petersberger Hängung im Hanf Museum (Ausschnitt)

Linke Seite, unten: Kopf einer Hanfpfeife, Ausstellung „Wiener Meerschaum“

Rechte Seite, oben: Hanf- und Souvenirladen im Hanf Museum

Fotos: © Steffen Geyer

Hanf Museum

Mühlendamm 5

10178 Berlin-Mitte

Tel. 030 - 242 48 27 info@hanfmuseum.de www.hanfmuseum.de

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Gemeinde Wiernsheim

Im Wiernsheimer Kaffeemühlenmuseum trifft Geschichte auf Muse

Autorin: Ilona Prokoph

Wohltuend zieht der Duft nach frischem Kaffee in die Nase, sobald sich die Türen zum Wiernsheimer Kaffeemühlenmuseum, das im Jahr 2011 im ehemaligen Pfarrhaus eingerichtet wurde, öffnen. Das denkmalgeschützte Pfarrhaus stammt aus dem Jahr 1711 und wurde eigens zur Einrichtung des Museums durch die Gemeinde erworben und mit Bundes- und Landesmitteln saniert. Es ist mittlerweile das größte Kaffeemühlenmuseum in Deutschland.

Träger des Museums ist die Gemeinde Wiernsheim. Und das kam so: Den Grundstock der Sammlung legte das Vermächtnis des Wiernsheimer Unternehmers und Ehrenbürgers Rolf Scheuermann (1930 bis 2013), der der Gemeinde über 1200 Exemplare noch zu Lebzeiten gestiftet hat. Er und der langjährige Wiernsheimer Bürgermeister Karlheinz Oehler setzten damals die Idee zum Museum um. Bei der Einweihung nahm Rolf Scheuermann noch persönlich teil und begründete im Jahr 2009 seine Rolf-Scheuermann-Stiftung, in der Karlheinz Oehler als Privatperson auf Lebenszeit im Stiftungsvorstand sitzt und die Vereine in Wiernsheim und in Mühlacker-Lomersheim unterstützt.

Die jüngeren unter uns können mit dem Begriff Kaffeemühle wohl wenig anfangen. Im Prinzip war eine Kaffeemühle eine Kaffeemaschine von Hand. Denn hinter dem System steht vereinfacht ausgedrückt ein kleiner oder ein großer Kasten mit Kurbel. In der Mühle werden die Kaffeebohnen manuell gemahlen und kommen als Kaffeepulver in einer Schublade wieder heraus. So funktionieren auch heute die modernen Kaffeemaschinen, nur elektrisch und in einem etwas größeren Rahmen mit mehr Möglichkeiten.

Durch weitere Spenden und Zukäufe konnte das Wiernsheimer Kaffeemühlenmuseum seinen Bestand mittlerweile auf rund 2500 Exemplare aus dem 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert erweitern. Das älteste Exponat der Sammlung stammt aus dem Jahr 1720. Und so unterschiedlich die Vielfalt an Kaffee seit dem Jahr 1645 – als das erste Kaffeehaus Europas in Venedig öffnete – war und immer noch ist, so groß ist auch die Variation an Kaffeemühlen. Und gerade das zeichnet das Wiernsheimer Kaffeemühlenmuseum mit seinen über 1.000 Exponaten aus. Denn die Kaffeemühlen waren in der Zeit des 18. bis zum 20. Jahrhundert weit mehr als nur

Geräte des täglichen Küchenalltags. Sie sind als Schaustücke auch Zeitzeugen der adligen und großbürgerlichen Haushalte, gefertigt mit großem kunsthandwerklichem Geschick unter Verwendung verschiedener erlesener Materialien, von Holz bis zu goldverziertem Stahl.

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Rechte Seite, oben: Das Kaffeemühlenmuseum

Foto: © Alexander Freimüller

Linke Seite, unten: Kaffeemühlen aus der Gründerzeit

Rechte Seite, unten: Besondere Einzelstücke

Fotos: © Christine Bauer

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Linke Seite, oben: Schmuckmühlen Linke Seite, unten: Kuriositäten aus Holz Rechte Seite: Hochtzeitsmühle; Geschenk an die Brautleute Fotos: © Christine Bauer

Unter den Kaffeemühlen in drei Stockwerken, die bequem mit dem Aufzug erreicht werden können, findet der Besucher im Museum Kommoden- und Säulenmühlen, Trapezmühlen, Würfelmühlen, Sechseckmühlen, Dreifußmühlen, sowie speziell angefertigte Einzelstücke, wie Hochzeitsmühlen mit eingraviertem Namen der Brautpaare. Denn so, wie Steinmetze ihre Kunst an mittelalterlichen Kathedralen deutlich

machten, haben sich auch die Produzenten von Kaffeemühlenunikaten mit ihrem Meisterzeichen in den Mühlen unsterblich gemacht.

Museumscafé

Zu Beginn oder aber am Schluss landet der Besucher des Kaffeemühlenmuseums im museumseigenen Café. Im Ambiente

erlesener Mühlen lässt sich der Museumsbesuch dort in gemütlicher Atmosphäre bei einer Vielzahl von Kaffeevariationen und bei einem Stück Kuchen resümieren und vertiefen und bringt vielleicht sogar eigene Erinnerungen der Besucher an Kaffeemühlen zuhause bis in die 1950er Jahren zum Vorschein. Und an sonnigen Tagen lädt der große Garten des Museums zum gemütlichen Verweilen ein.

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Trauzimmer

Das 1711 erbaute Gebäude beinhaltet nicht nur eine der größten Sammlungen Deutschlands von Kaffeemühlen, sondern punktet auch mit einem der schönsten Trauzimmer in Baden-Württemberg. Seit September 2011 geben sich dort zahlreiche Brautpaare, auch von außerhalb gerne ihr Ja-Wort.

Linke Seite, oben: Der Kräutergarten mit Gartencafé

Linke Seite, Mitte: Museumscafé

Rechte Seite, oben: Jagdmühlen aus Holz mit Intarsien aus dem 19. Jahrhundert

Rechte Seite, unten: Trauzimmer im Dachgeschoss

Fotos: © Christine Bauer

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95 Foto: Wandmühlen
© Christine Bauer

Museumsshop

Im Museumsshop gibt es vieles zu erwerben, um ein Stück Kaffeegeschichte mit nach Hause zu nehmen. Denn Kaffee gehört in Deutschland auch heute noch zu den beliebtesten Getränken. Weniger bekannt ist allerdings die Geschichte des Kaffees selbst und seine Herstellung. Und viele junge Menschen haben noch nie eine Kaffeemühle gesehen. Das verwundert auch angesichts der modernen Kaffeevollautomaten, die auf Knopfdruck die gewünschte Tasse Genuss liefern.

Der im Jahr 2013 kurz vor seinem 83. Geburtstag verstorbene Rolf Scheuermann war Eigentümer einer Kaffeeautomatenfirma, die auch heute noch besteht. Er erstand seine erste Kaffeemühle auf einem Flohmarkt, die seine große Leidenschaft für die Mühlen begründete. Im Laufe der Jahre kamen so über 1300 Exemplare zusammen. Rolf Scheuermann ging es bei seiner Sammelleidenschaft nicht um Quantität, sondern um die qualitative Exklusivität seiner Kaffeemühlen. Im Jahre 2011 schenkte er seine ganze Sammlung seiner Heimatgemeinde Wiernsheim, die in der Nähe von Pforzheim liegt.

Oben: Älteste Mühlen in der Ausstellung; Zwingenmühle aus Eisen von 1720

Mitte: Museumshop

Fotos: © Christine Bauer

Unten: Stifter Rolf Scheuermann

Foto: © Ralf Küpperts

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Die Kaffeemühlen

Im Jahre 1673 eröffnete in Bremen das erste deutsche Café. Anfangs wurden die Kaffeebohnen noch mit einem Mörser zerkleinert und erst im 17. Jahrhundert wurde die erste Kaffeemühle benutzt. Die Sammlung des Wiernsheimer Kaffeemühlenmuseums beginnt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit unterschiedlichen Techniken. Da gibt es die Handmühlen, die während des Mahlvorgangs in der Hand gehalten wird. Zwingenmühlen werden mit einer Schraubzwinge am Tisch befestigt und Schoßmühlen werden zwischen die Beine geklemmt. Als Besonderheiten stehen die Wand- und Hochzeitsmühlen, die beispielsweise einem Brautpaar zur Hochzeit geschenkt wurden. Im Kaffeemühlenmuseum gibt es viel Erstaunliches zu entdecken. Denn jede Mühle ist auf ihre Weise einzigartig und erzählt eine Geschichte. Auch Besucher ohne große Erwartungen werden in den faszinierenden Bann dieser kleinen Kunstwerke hineingezogen.

Und sonst so

Sonderführungen mit Ausflugsgästen, Busreisen, Schulklassen, sowie große Hochzeiten im Trauzimmer des Museums gehören zum Alltag des Kaffeemühlenmuseums. Im Schnitt haben sich die Besucher auf rund 12 000 pro Jahr eingependelt.

www.museum.de/m/5796

Kaffeemühlenmuseum

Marktplatz 21

75446 Wiernsheim

Tel. 04044 - 915 60 50 info@kaffeemuehlenmuseum.de www.kaffeemuehlenmuseum.de

2 4.– 26. November 2022

KULTURGUT VERBINDET

Partner: www.mutec.de

AUDIOGUIDE KAFFEEMÜHLENMUSEUM
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Das Museum Théo Kerg in Schriesheim

Autorin: Dr. Julia Behrens

Schriesheim ist eine beschauliche Stadt mit 15.000 Einwohnern. Sie liegt an der Badischen Weinstraße am Rande des Rheintals. Hinter ihrem hübschen Ortskern erhebt sich der Vordere Odenwald mit pittoresken Weinhängen und der Ruine der mittelalterlichen Strahlenburg. Heidelberg und Mannheim sind – im Süden und Westen gelegen – nur einen Steinwurf entfernt.

Haus von überregionaler Strahlkraft

Tatsächlich würde wohl niemand vermuten, dass mitten in Schriesheims verwinkelter Altstadt bedeutende Kunst der Moderne und Gegenwart zu finden ist. Doch kommunaler Weitsicht und ehrenamtlichem Engagement sei Dank, besitzt der Ort ein Kunstmuseum von überregionalem Rang: Das 1989 eingeweihte Museum Théo Kerg, das dem gleichnamigen Künstler aus Luxemburg gewidmet ist und mit einer gelungenen Melange aus weitgereistem Œuvre und lokaler, historisch gewachsener Architektur erstaunt.

Das urige Fachwerkgebäude diente ehemals als Scheune, bevor es renoviert und so umgewidmet wurde, dass es einen geeigneten und dauerhaften Rahmen für die

Zeichnungen, Grafiken, Bilder und Objekte Théo Kergs darstellte. Dabei entschied man sich, die originäre Anmutung des Hauses auch im Inneren zu erhalten. Initiiert wurde das Projekt von dem Schriesheimer Sammlerehepaar Neumann, das mit dem Künstler gut befreundet war und sich für die Schenkung eines erheblichen Teils seines Nachlasses an die Stadt einsetzte. Kerg machte selbstbewusst zur Bedingung, dass dafür ein eigenes Museum entstehen sollte.

Erfolgreicher Maler aus Luxemburg auch in Frankreich und Deutschland zuhause

Théo Kerg (1909-1993) war ein renommierter Maler, Bildhauer und Glasgestalter und gilt als einer der wichtigsten modernen Künstler seines Heimatlandes. Er wurde

1909 in Luxemburg geboren, war aber auch in Frankreich und Deutschland zuhause. Ende der 20er Jahre studierte er an der École des Beaux-Arts und an der Sorbonne in Paris, anschließend an der Kunstakademie Düsseldorf bei Paul Klee und Oskar Moll. Nachdem die Nationalsozialisten beide Lehrer 1933 entlassen hatten, kehrte Kerg nach Luxemburg zurück und war dort für mehr als ein Jahrzehnt als freischaffender Künstler, Werbegrafiker und Kunstlehrer tätig.

Sein frühes, klares Bekenntnis zur Abstraktion und seine Kontakte nach Paris brachten ihm 1934 die Mitgliedschaft in der internationalen Künstlergruppe abstraction-création ein, zu der unter anderem Piet Mondrian, Theo van Doesburg, Sophie Taeuber-Arp und Sonia Delaunay gehörten.

Aus dieser Zeit stammt das älteste Exponat, das im Erdgeschoss des chronologisch sortierten Museums zu sehen ist: Kergs Siebdruck Graphisme, den er 1934 für ein Mappenwerk der Gruppe geschaffen hatte. Als äußerst dynamisches, gitterartiges Gefüge – mit spielerischer Eigenwilligkeit der Linien und Formen und einer differenzierten Oberflächenbehandlung – deutet die Arbeit bereits auf spätere Wesenszüge in Kergs Kunst hin. Ähnlich wie die benachbarten, in Blau, Rot und Gelb gehaltenen Kompositionen aus den frühen 50er Jahren, in denen sich gewisse materielle Verdichtungen ankündigen.

Linke Seite, oben: Ansicht von Schriesheim an der Bergstraße. Foto: © Stadt Schriesheim

Linke Seite unten: Liegt versteckt im Ortskern: Das städtische Museum Théo Kerg, das vom Kulturkreis Schriesheim e.V. ehrenamtlich verwaltet wird

Foto: © Tom Feritsch

Rechte Seite, oben: Théo Kergs Siebdruck Graphisme von 1934. Foto: Dorothea Burkhardt © Carlo Kerg

Rechte Seite, unten: Eine interessante Verbindung von originalem Bestand und White Cube findet sich im Erdgeschoss des Museums

Foto: Dorothea Burkhardt © Stadt Schriesheim

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Die Entwicklung eines eigenen Stils

Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er unter schwierigen Umständen in Luxemburg verbrachte, lebte Kerg wieder in Paris. Mittlerweile hatte er geheiratet und war Vater zweier Kinder geworden. Er illustrierte Bücher bedeutender Literaten und stellte mit Größen wie Matisse, Braque und Picasso aus. Im Laufe der 50er Jahre fand er zu einer charakteristischen, künstlerischen Sprache, indem er seiner Malerei eine neue Tektonik und Objekthaftigkeit verlieh.

Der Beginn dieser Phase lässt sich gut im Treppenaufgang zum Obergeschoss des Museums nachvollziehen: Pastos aufgespachtelte Farbe sowie Sand führen jetzt zu einer bewegten, reliefhaften Oberfläche und damit zu einem bildimmanenten, ausdrucksvollen Wechsel von Licht und Schatten – wie in der Arbeit Morgen in einem Zen-Garten von 1956/57. „Man soll keinen Gegenstand in meinen Bildern sehen, sondern man soll dem Rhythmus, der Dynamik, der Struktur, der Farbe nachgehen“ empfahl Kerg und taufte diesen Stil Taktilismus.

Linke Seite: Kergs Arbeit Morgen in einem Zen-Garten von 1956/57 gilt als sein erstes taktilistisches Werk

Foto: Dorothea Burkhardt © Carlo Kerg

Rechte Seite: Das Obergeschoss mit gelber Sonnenstele (1962-63) im Vordergrund

Foto: Dorothea Burkhardt © Stadt Schriesheim

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Die raumgreifende Haptik, die in dem Begriff anklingt, wird in allen nun folgenden Exponaten aus den 60er Jahren spürbar. Einige sind nicht nur in sich plastisch. Sie breiten sich auch in Form abenteuerlicher Rahmen oder Ständer aus verkohltem Holz an den Wänden des Obergeschosses aus.

Dabei harmonisieren sie mit dem Fachwerk des Ausstellungsortes.

Wieder andere werden gleich zu freistehenden Objekten und Installationen. Sie sind von Zahlen, Zeichen und Buchstaben durchzogen, die als gestalterische Mittel

zahlreiche Assoziationen freisetzen. Häufig finden sich inhaltliche Bezüge zum Universum – zu Sternen, Meteoren und Planeten. Deren Symbolik verbindet sich teils mit gesellschaftskritischen und politischen Themen, wie in der Arbeit Schwarze Sonne von Hiroshima (1960-1967).

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Das geschundene Bild

Parallel dazu war Kerg Gastprofessor an der Werkkunstschule in Kassel, stellte in den USA und ganz Europa aus und wurde als bedeutender Künstler der Nachkriegsmoderne mit zahlreichen Preisen geehrt. Im Laufe der Jahre reagierte er zunehmend sensibler auf das jeweilige Zeitgeschehen und sprengte die Grenze zwischen Malerei und Plastik auf ungewöhnliche, gelegentlich auch etwas plakative Weise. Das zeigt sich vor allem im Dachgeschoss des Museums, wo Werke aus den letzten drei Jahrzehnten seines Schaffens präsentiert werden. Dort fällt sofort Das gehenkte Gedicht von 1960-63 ins Auge, eine blutrote Skulptur am Galgen. Sie wirkt wie ein Torso aus schrundigen, versehrten Lettern und steht für die Kreativität, die von gesellschaftlichen Normen stranguliert wird. Aspekte von Zerstörung manifestieren sich ebenfalls in großen zerschnittenen oder durchbohrten Leinwänden aus den 70er Jahren, in denen die physische Gewaltanwendung im Werkprozess zum Ausdruck existentieller Ängste und Gefühle gefriert. Die Nähe zur Arte Povera und Lucio Fontana ist dabei unübersehbar. Weniger düster sind künstlerische Äußerungen, die Kerg den Dichtern Kleist oder Kafka widmet. Leichter kommen auch seine späten Arbeiten daher. Hier lösen sich viel verwendete Attribute von der Leinwand und schweben autark durch den Raum, wie der überdimensionierte Pfeil in Evasion von 1983-84.

Rechte Seite: Verwitterte, vertikal installierte Bahnschwellen umgeben Das Gehenkte Gedicht von 1960-1963 im Dachgeschoss

Foto: Dorothea Burkhardt © Stadt Schriesheim

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Ostgiebel der um 1520 erbauten Heiliggrabkapelle. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Das Klosterstift zum Heiligen Grabe in der Prignitz und sein Museum

Autorin: Sarah Romeyke

Beschaulichkeit im nördlichen Brandenburg

Von Hamburg oder Berlin über die Autobahn kommend, verrät dem Besucher von weitem nichts, dass ihn in Heiligengrabe mehr als eine trutzige Dorfkirche erwartet. Vielmehr dürfte der Neuankömmling etwas verstört die dampfenden Schornsteine einer großen Fabrik wahrnehmen, die das Land mit Parkettfußböden versorgt. Immerhin grüßt den Reisenden von den makellosen Wänden der Industriearchitektur wie eine Verheißung ein spätgotischer Stufengiebel mit der Aufschrift „Kloster Stift zum Heiligengrabe“.

Hier deutet sich an, dass der Name Heiligengrabe mehr ist als eine herkömmliche Dorfbezeichnung. Er bedeutet vielmehr eine geradezu literarische Wegleitung zum Wesenskern des Ortes. Bald bemerkt der Reisende, dass hier ein Refugium mit backsteinernen Zeugnissen der Vergangenheit vielversprechend seine Schätze, seine Geschichte und Geschichten offenbart. Schon von weitem geht der Blick auf die Heiliggrabkapelle mit ihrem berühmten Giebel aus dem frühen 16. Jahrhundert und zugleich auf die Westfassade der Kirche,

die mit ihrer Gestalt auf den Giebel der Kapelle antwortet. An die Kirche schmiegt sich der alte Friedhof des Stifts, hier liegen die Stiftsdamen und Äbtissinnen der letzten drei Jahrhunderte begraben. An die Kirche grenzen die Gebäude der Abtei, gotisch im Kern, aber von vielen Generationen um- und ausgebaut, so manches Mal abgebrannt und wiedererrichtet. Noch heute befinden sich hier die Verwaltungsräume des Kloster Stifts, die Diensträume der Äbtissin und eine öffentlich zugängliche theologische und historische Bibliothek.

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Eingang zum Klostergelände. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe
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Anmutig liegen weitere Gebäude des Stifts verstreut inmitten einer weiträumigen Gartenanlage. Der barocke Damenplatz mit seinen Fachwerkhäusern und blühenden Vorgärten lässt den ruhigen Fluss des Lebens früherer Generationen von Stiftsdamen noch erahnen, ebenso die Quirligkeit der Mädchen aus dem preußischen Adel, die hier seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Schule gingen. Stiller wird es im Innenhof der Abtei, auf den man aus den spitzbogigen Fenstern des Kreuzgangs blickt. In einer Ecke ragt als Trumm der sogenannte Kaiserturm auf, den Wilhelm II. 1907 von seinem Hofbaumeister Ernst von

Ihne entwerfen und mit Staatsmitteln errichten ließ – als beredtes Zeugnis dafür, dass man sich einst auch im fernen Berlin dem evangelischen Damenstift und den hier unterrichteten Töchtern des preußischen Adels mehr als verpflichtet fühlte.

Vom Kreuzgang kommend betritt man die Stiftskirche, einen hohen einschiffigen, kreuzgewölbten Raum. Erst kürzlich wurde die spätmittelalterliche Ausmalung der Gewölbe wieder freigelegt, wobei Lilien, Mariendisteln sowie eine riesige, das gesamte Gewölbe überspannende Passionsblüte zum Vorschein kamen. Man bekommt

wieder eine Ahnung von der einst reichen Ausstattung der Kirche, die 1719 einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen war, darunter auch der Nonnenchor, auf dem einst mehr als 70 Konventualinnen Platz fanden. Heute steht die Schlichtheit des Kircheninnern in einem angenehmen Kontrast zu den wenigen noch erhaltenen Ausstattungsstücken früherer Jahrhunderte, zu denen die barocken Epitaphien im Chor der Kirche oder die imposante barocke Orgel über der Westempore zählen, deren Klang sogar Johann Sebastian Bach einst bei seiner Durchreise nach Hamburg erprobt haben soll.

Linke Seite: Grabmal der Äbtissin Maria Magdalena Rosina von Quitzow (1726–1802)

Rechte Seite, oben links: Klosterhof mit sog. Kaiserturm

Rechte Seite, unten rechts: Kreuzgang im Ostflügel der Abtei mit Eingang ins Museum

Fotos: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Rechte Seite, oben rechts: Ein Geschenk des Kaisers: Kachel „Heilige Cäcilie“ im Treppenturm aus der Majolikafabrik Cadinen. Foto: Dietmar Rabich © Kloster Stift zum Heiligengrabe

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Das Stift Heiligengrabe ist ein einzigartiges Ensemble, nicht zuletzt weil es als die besterhaltene Klosteranlage in ganz Brandenburg gilt. Die Sicherung und Wiederherstellung seiner umfangreichen Bausubstanz sind in den vergangenen Jahrzehnten unter großen finanziellen Anstrengungen vorangetrieben worden – ein Engagement, das 2016 mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz gewürdigt wurde.

Fiktion und Wirklichkeit

Das Kloster Stift zum Heiligengrabe ist vor allem aber ein christlicher Ort mit bewegter politischer Geschichte. Viele Jahrhunderte haben hier seit dem Mittelalter ihre mannigfaltigen, mitunter auch verstörenden Spuren hinterlassen. Letzteres betrifft vor allem die wohl erst um 1500 herbeigedichtete Gründungslegende des Klosters, die mit Blick auf die Hoffnung eines reichen Wallfahrtsgeschäfts einen jüdischen Hostienfrevel erfand. Ganz nach dem Muster von dergleichen fingierten Hostienschändungen soll auch in Heiligengrabe ein durchreisender Jude die Hostie gestohlen, zerstückelt und dann angstvoll vergraben haben, als sie anfing zu bluten. Der Jude, so heißt es in der Geschichte, gab alles zu und wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Doch die Wunderhostie scheint in Heiligrabe nie den Erfolg bei den Wallfahrern gehabt zu haben, wie etwa die im benachbarten Wilsnack – am Vorabend der Reformation gab es für solche kruden Blutwundergeschichten offenbar keinen Platz mehr. Übriggeblieben sind von dieser Legende aber mehrere, 1532 entstandene Tafelbilder mit den Szenen dieser heute so absonderlich anmutenden Geschichte. Trotz ihres verleumderischen Kerns sind die Tafeln auch heute noch wichtige kulturhistorische Zeugnisse, deren Bedeutung weit über Heiligengrabe hinausweist. Dieser Bedeutung ist sich das Kloster Stift bewusst und steht in der Verantwortung, diese Bildzeugnisse den heutigen Besuchern zeitgemäß und kritisch zu vermitteln.

Linke Seite, oben: Oberer südlicher Kreuzgang mit Portal zur ehemaligen Nonnenempore

Linke Seite, unten: Barocke Orgel von David Baumann 1725 erbaut

Rechte Seite: Blick in die Stiftskirche mit floralen Gewölbemalereien

Fotos: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

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Entrée des Museums mit den sieben erhaltenen Tafeln zur Klostergründungslegende von 1532. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe
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Skulpturen eines Moses, zweier Apostel und eines „Christus triumphans“ von der barocken Kanzel der Klosterkirche, um 1700. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Doch auch die Heiligengraber Gegenwart ist spannend und voller Facetten. Das religiöse Leben im Stift, das heute von einem Konvent von 9 Stiftsfrauen und einer Äbtissin getragen wird, begleiten vielfältige Aktivitäten, die der Verpflichtung des Stifts auch für die Mitgestaltung des kulturellen Lebens in der Region gewidmet sind.

Museum mit Tradition

Nicht zuletzt ist es das Museum im Klosterstift, das diese Aufgaben übernimmt. Dieses hat sogar schon eine längere, bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückreichende Tradition. Einst gehörte Heiligengrabe nämlich zu den wichtigsten vorund frühgeschichtlichen Museen in ganz Brandenburg, begleitete Ausgrabungen in der Prignitz und war eine Anlaufstelle für die einheimische Bevölkerung, die immer wieder spektakuläre Funde von ihren Äckern dem Museum übereignete.

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Neben den archäologischen Objekten zeigte das Museum aber auch eine kulturhistorische Ausstellung, verstand es sich doch seit seiner Gründung 1909 auch als Ort der Bildung für alle Schichten der Bevölkerung. Weniger stand dagegen die eigene Geschichte, die des Klosters, im Fokus. Durch Kriegseinwirkungen stark in Mitleidenschaft gezogen, wurde das Museum 1946 aufgelöst, doch verschwand es nie aus der Erinnerung.

1992 wurde es mit einer anderen Zielstellung wieder ins Leben gerufen. Zunächst waren es die landesweit vielbeachteten Sonderausstellungen, wie die 2001 gezeigte

Schau „Preußens FrauenZimmer“, die das Leben im Stift im 18. Jahrhundert in den Blick nahm, oder die 2005 eingerichtete Präsentation „Von blutenden Hostien und widerspenstigen Nonnen“, die den turbulenten Ereignissen rund um die Einführung der Reformation gewidmet war. 2007 richtete das Stift dann erstmals eine ständige Ausstellung ein, die nunmehr ganz der Geschichte des Klosters und Damenstifts gewidmet war. Nach einem Standortwechsel 2017 wurde das Museum in erweiterter Form in den Räumen der Abtei neu eröffnet und gibt nun einen umfassenden und spannenden Überblick über die mehr als 700 Jahre währende Geschichte Heiligengrabes.

Linke Seite, oben: Blick in die aktuelle Dauerausstellung mit den Porträts der Äbtissinnen des Klosters im 19. und 20. Jahrhundert

Foto: Lorenz Kienzle © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Linke Seite, unten: Klosterladen in der alten Lindeiner-Kurie

Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

www.museum.de/m/45036

Finanziert wurde der Audioguide mit Mitteln des Förderprogramms „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Kloster Stift zum Heiligengrabe

Stiftgelände 1

16909 Heiligengrabe

Tel. 033962 - 808-0

info@klosterheiligengrabe.de

www.klosterstift-heiligengrabe.de

116 AUDIOGUIDE KLOSTER STIFT ZUM HEILIGENGRABE
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Raumkunst –Made in Darmstadt

Zeitgleich mit der Anerkennung der Mathildenhöhe Darmstadt als UNESCO Welterbestätte im Sommer 2021 ist im Museum Künstlerkolonie die neue Dauerausstellung „Raumkunst – Made in Darmstadt“ fertiggestellt worden.

In dieser neuen Sammlungspräsentation werden die blühende Schaffenszeit der Künstlerkolonie Darmstadt und ihre einzelnen Protagonisten vorgestellt. Die Ausstellung beleuchtet hierbei die bahnbrechenden Ideen und die internationale

Strahlkraft, die von der Architektur sowie den Werken der freien und angewandten Kunst der Künstlerkolonie-Mitglieder zwischen 1901 und 1914 ausgegangen sind. Anknüpfend an die um 1900 europaweit verbreitete Kunstgewerbe- und Le-

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Die neue Dauerausstellung im Museum Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe Darmstadt Autorin: Nora Mohr

bensreformbewegung waren die von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein nach Darmstadt berufenen Künstler bestrebt, die Grenzen von Kunst und Leben aufzuheben. Sie entwarfen Möbel, Kunst- und Gebrauchsgegenstände nicht

als Einzelstücke, sondern als Ensembles, die mit der gesamten Innenausstattung zu „Raumkunst“ verschmelzen sollten.

„Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst!“ – mit diesem Motto hatte Großherzog Ernst Ludwig die Künstlerkolonie Darmstadt 1899 gegründet. Zwischen 1901 und 1914 lebten und arbeiteten auf der Mathildenhöhe insgesamt 23 Architekten, Designer und Künstler. Aus München, Paris oder Wien wurden sie durch den kunstsinnigen und zugleich wirtschaftspolitisch außergewöhnlich engagierten Großherzog nach Darmstadt berufen.

Bereits 1892, als der weltgewandte Großherzog, Enkel der englischen Königin Victoria, mit 23 Jahren den Thron bestieg, begann er mit einer umfassenden Modernisierungspolitik, zu der Maßnahmen zur Verbesserung der Industrie, des Städtebaus und der Wissenschaft ebenso gehörten wie die Förderung der Künste.

Durch das Vorbild der Arts-and-CraftsBewegung angeregt, beauftragte Großherzog Ernst Ludwig 1897 unter anderem die englischen Künstler Mackay Hugh Baillie Scott und Charles Robert Ashbee mit der Neugestaltung von Räumen im Neuen Palais in Darmstadt. Nach einem gelungenen Auftritt auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 konnte die Künstlerkolonie mit ihrer ersten Ausstellung auf der Mathildenhöhe unter der Schirmherrschaft von Ernst Ludwig im Jahr 1901 die Residenzstadt zu einem international bedeutenden Zentrum der Moderne küren. Es handelte sich um die erste internationale Bauausstellung auf Dauer und erhielt eine weltweite Resonanz in unterschiedlichen Medien.

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Linke Seite: Institut Mathildenhöhe Darmstadt Foto: © Gregor Schuster
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Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Foto: © Gregor Schuster

Die sieben Gründungsmitglieder – darunter

Peter Behrens, Hans Christiansen und Joseph Maria Olbrich – erhielten ein festes Einkommen und sollten als Gegenleistung Entwürfe ,Made in Darmstadt‘ in künstlerischer Freiheit für regionale, aber auch internationale Firmen anfertigen. In diesen Kooperationen wurde ein neues ästhetisches Leitbild entwickelt, das Funktionalität, Einfachheit und serienmäßig hergestellte Waren mit neuen Vertriebswegen verband. Dadurch konnten moderne künstlerische Impulse mit wirtschaftsstrategischen Interessen verknüpft werden, um insbesondere die lokale kunstgewerbliche Industrie von den Aufträgen profitieren zu lassen. Ziel war es, auf den Gebieten Kunst, Architektur und Kunstgewerbe den Geschmack der

Öffentlichkeit zu bilden, Arbeitsplätze zu schaffen und die Industrie mittels modernen Designs international wettbewerbsfähig zu machen.

Im Zentrum der im Museum Künstlerkolonie eingerichteten Dauerausstellung stehen die vier großen Baukunstausstellungen, die 1901, 1904, 1908 und 1914 auf der Mathildenhöhe stattgefunden haben. Zu diesen Anlässen entstanden eine Vielzahl wegweisender Raumkunstwerke, die nicht nur in Darmstadt, sondern auch darüber hinaus auf den großen internationalen Kunstschauen der Zeit präsentiert wurden. Die Gesamtkunstwerker Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens, Hans Christiansen, Albin Müller, Edmund Körner und Emanuel Josef

Margold entwickelten für ihre Interieurs ein allumfassendes Gestaltungskonzept, in dem Formelemente, Linienführung sowie Farbklänge von Möbeln, Wandgestaltung, Gebrauchs- und Ausstattungsgegenständen einen harmonischen Gesamteindruck erzeugten.

Linke Seite, oben: Südansicht des Ernst Ludwig-Hauses/ Museum Künstlerkolonie Darmstadt © Bildarchiv Foto Marburg, Foto: Norbert Latocha Linke Seite, unten sowie rechte Seite: Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Fotos: © Gregor Schuster

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Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Foto: © Gregor Schuster

Auf der ersten Künstlerkolonie-Ausstellung „Ein Dokument deutscher Kunst“ im Jahr 1901 wurden sieben Wohnhäuser, ein zentrales Ateliergebäude sowie mehrere temporäre Bauten – darunter ein Theatergebäude – im Sinne dieser Einheit aller Kunstgattungen als frei zugängliche Musterbauten präsentiert. Sämtliche Details der Inneneinrichtungen entwarfen die Künstler selbst: von Möbeln, Teppichen und Vorhängen über Skulpturen und Gemälde, Gläser und Besteck.

Auch auf der zweiten KünstlerkolonieAusstellung 1904 wurde das einzig hierfür neu errichtete Wohngebäude, die Dreihäusergruppe, in diesem Sinne ausgestattet. Entworfen wurde das Wohnhausensemble von Olbrich als Beispiel künstlerisch gestalteter Eigenheime für die „gut bürgerliche Moderne“.

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Fotos: Institut Mathildenhöhe Darmstadt © Gregor Schuster

Ziel der 1908 eröffneten Hessischen Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst war es wiederum, einen Überblick über „die hessischen Kunstleistungen der Gegenwart“ zu zeigen, für den auch die vom Großherzog berufenen KünstlerkolonieMitglieder ihren Beitrag leisteten. Auch in diesem Kontext entstanden eine Reihe wegweisender Raumkunstwerke, unter anderem im Zusammenhang mit dem Bau und der Ausstattung von Arbeiterhäusern.

Im Rahmen der letzten KünstlerkolonieAusstellung 1914 orientierte sich der leitende Architekt Albin Müller verstärkt an aktuellen Wohnraumbedürfnissen und errichtete eine dreigeschossige Miethäusergruppe, in der ebenso moderne wie kostengünstige Inneneinrichtungen zu bewundern waren. Es war das erste Mal in der Geschichte von Architekturausstellungen, dass ein solcher Gebäudekomplex mit voll ausgestatteten Musterwohnungen gezeigt wurde.

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Internationale Aufmerksamkeit erlangte das Gestaltungskonzept der Künstlerkolonie Darmstadt deshalb, weil ihm eine innovative Idee zugrunde lag: Im Sinne des modernen Wohnens wurden die von den Künstlern gestalteten Raumensembles in den speziell für die Schauen konzipierten Häusern präsentiert. Die vollständig eingerichteten Eigenheime, die ansonsten von den Künstlern und ihren Familien bewohnt wurden, konnten von den Besucherinnen und Besuchern – während der Dauer der Ausstellung – besichtigt und deren Ausstattungsgegenstände zudem käuflich erworben werden.

In mehreren thematischen Kapiteln und entlang der verschiedenen zeitgenössischen Großausstellungen werden die Raumkunstwerke ,Made in Darmstadt‘ in der Sammlungspräsentation vorgestellt. Mit der Rekonstruktion des Speisezimmers von Peter Behrens, das 1902 für das Berliner Warenhaus Wertheim entstanden ist, zeigt sich am eindrücklichsten, wie alle Elemente einer ursprünglichen Zimmerausstattung aufeinander abgestimmt waren.

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Fotos: Institut Mathildenhöhe Darmstadt © Gregor Schuster
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Trotz der unterschiedlichen Handschriften der 23 Künstlerkolonie-Mitglieder, die auf der Mathildenhöhe unter dem Einfluss verschiedener Reformbewegungen gearbeitet haben, stellen das Architekturensemble und seine Raumausstattungen mit einer unerschöpflichen Vielfalt an Kunstgegenständen am Beginn des 20. Jahrhunderts ein beispielloses Gesamtkunstwerk dar.

Die Gründung der Darmstädter Künstlerkolonie umfasste so nicht nur das einmalige

Ereignis des Zusammenschlusses künstlerisch-reformerischer Ideen. Es handelte sich darüber hinaus um eine ganzheitliche Architekturausstellung auf Dauer, die primär aktuellen Aufgaben und Themen des Wohnens in Verbindung mit der Erneuerung des Kunsthandwerks gewidmet war.

Die breite Resonanz auf die erste Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt 1901 und ihre internationalen Ausstellungserfolge sorgten dafür, dass die Darmstädter Bei-

träge vorbildhaft für die Entwicklung des Kunstgewerbes, aber auch für die Rezeption innovativer Präsentationsformen ,Made in Darmstadt‘ wurden.

Linke Seite oben: Institut Mathildenhöhe Darmstadt

Foto: © Gregor Schuster

Linke Seite, unten: Mathildenhöhe Darmstadt, Luftaufnahme

© Bildarchiv Foto Marburg, Foto: Ingo E. Fischer

Institut Mathildenhöhe Darmstadt

Olbrichweg 15

64287 Darmstadt

Tel. 06151 - 132808

mathildenhoehe@darmstadt.de

www.mathildenhoehe.eu

Facebook, Twitter, Instagram: @mathildenhoehe

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