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„Mensch & Meer“ und ein Schiffswrack aus dem Mittelalter

Die neue Ausstellung zur ,Bremer Kogge‘ im Deutschen Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven Autorin: Dr. Marleen von Bargen

Das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven – Leibniz-Institut für deutsche Schifffahrtsgeschichte nimmt mit seinem Forschungs- und Ausstellungsprogramm „Mensch & Meer“ einen neuen Kurs auf. Erster sichtbarer Ausdruck der umfassenden Neuausrichtung des Museums ist die Ausstellung rund um die ,Bremer Kogge‘, die im März 2017 eröffnete. Hier wurde umgesetzt, was in den kommenden Jahren auch für alle weiteren Ausstellungsflächen des Museums realisiert werden wird: ein integratives Konzept, das neue Forschungsfragen, neue Sehgewohnheiten sowie neue Vermittlungsformen und barrierefreie Elemente berücksichtigt.

Schiffe und das weite Meer. Wer beides liebt oder mehr darüber erfahren möchte, ist im Deutschen Schiffahrtsmuseum – Leibniz-Institut für deutsche Schifffahrtsgeschichte (DSM) richtig. Das Museumsgebäude mit seinem Museumshafen und insgesamt knapp 8.000 m2 Ausstellungsfläche liegt in Bremerhavens touristischem Zentrum der „Havenwelten“ direkt am Weserdeich in Nähe der Nordseeküste. Die Flotte von Museumsschiffen und die dampferartige Form des Hauptgebäudes, entworfen von dem Architekten Hans Scharoun (1893 – 1972), geben erste Hinweise darauf, was hier zu finden ist: eine bedeutende Sammlung schiffahrtsgeschichtlicher Objekte und Archivalien, die Zeugnis ablegen von der wechselvollen Geschichte der Beziehung zwischen dem Menschen und dem Meer sowie den Schiffen, die materieller Ausdruck dieser Beziehung sind.

Die Sammlung des DSM ist Grundlage für die Umsetzung eines neuen Forschungsund Ausstellungsprogramms, das im Jahr 2014 unter dem Motto „Mensch & Meer“ verabschiedet wurde. Ein interdisziplinär arbeitendes internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erforscht mit Blick auf aktuelle Fragestellungen die Geschichte der vielfältigen Meeresnutzungen mitsamt den eingesetzten Technologien; es es untersucht die unterschiedlichen Interessen, die Menschen auf das Meer führten und die Rolle, die Schiffe dabei spielten. Eng damit verbunden sind Fragen nach der Wahrnehmung und den Zuschreibungen, die Schiffe und das Meer in unterschiedlichen Zeiten und Zusammenhängen erfahren haben. Das DSM zeigt mit seinen Forschungen die Bedeutung der Schifffahrt für unser Leben auf und damit die gesellschaftliche und politische Relevanz maritimer Geschichte vom Mittelalter bis in die jüngere Gegenwart.

Als integriertes Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft will das DSM diese Forschungen in seinen Ausstellungen für ein breites öffentliches Publikum mit den verschiedensten Bedürfnissen sicht- und erlebbar machen. Unter diesen Prämissen erfolgt sukzessive eine grundlegende inhaltliche Überarbeitung und Neugestaltung der gesamten Ausstellungsflächen.

Die umfassende Neukonzeption ermöglicht, Anforderungen an Barrierefreiheit von Beginn an in die Planungen einzubeziehen und in das Ausstellungskonzept zu integrieren. Die Maßnahmen zur Barrierefreiheit umfassen dabei sowohl den baulichen Bereich als auch die inhaltliche Ebene zur Vermittlung des Bildungsangebotes für unterschiedliche Personengruppen. Diese Maßnahmen wurden im ersten neukonzipierten Ausstellungsbereich des DSM, in der sogenannten Kogge-Halle, umgesetzt. Ein Inklusionsbeirat, bestehend aus dem Landesbehindertenbeauftragen der Freien Hansestadt Bremen sowie aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Institutionen wie des Magistrats der Stadt Bremerhaven, der Lebenshilfe Bremerhaven e.V. und des Bundesverbands Museumspädagogik e.V., stand dabei beratend zur Seite.

Auf über 1.000 m2, die sich über drei Ebenen erstrecken, werden Besucherinnen und Besucher der Kogge-Halle in die Welt der mittelalterlichen Seefahrt versetzt. Das Hauptexponat der Ausstel- lung ist die ,Bremer Kogge‘ von 1380, ein Schiffswrack aus der Hansezeit, das 1962 in der Weser zufällig bei Baggerarbeiten gefunden wurde. Der Fund, die Bergung sowie der Wiederaufbau und die Konservierung des Wracks im Deutschen Schiffahrtsmuseum waren herausragende Ereignisse, gehört das Wrack doch zu den am besten erhaltenen Schiffsfunden des europäischen Mittelalters. Die Kogge-Halle wurde in den 1970er Jahren eigens für das Wrack errichtet, das inmitten der Halle steht. Die erste und zweite Etage sind galerieartig angelegt, so dass die ,Bremer Kogge‘ aus sämtlichen Perspektiven zu besichtigen ist. Neben dem Wrack selbst, sind diverse originale Beifunde und einzelne Bestandteile des Schiffes ausgestellt. Auf jeder Etage laden interaktive HandsOn- und Tastmodelle zum Mitmachen ein. Damit sie leicht zu erkennen sind, wurden sie farblich einheitlich gekennzeichnet. Einzelne Inhalte können über Hör- oder Medienstationen vertieft werden. Infografiken helfen dabei, komplexere Inhalte über eine bildliche Darstellung verständlich zu machen. Die Ausstellungstexte sind in deutscher und englischer Sprache verfasst. Für Blinde und Sehbeeinträchtigte sind die Tast- und Hands-On-Modelle zusätzlich mit Braille- und Blindenschrift versehen. Auf jeder Etage gibt es einen taktilen Lageplan, der bei der Orientierung hilft. In der gesamten Kogge-Halle führt zudem ein taktiles Leitsystem durch die Ausstellung. Zu den baulichen und gestaltungstechnischen Elementen der Barrierefreiheit zählen neben dem taktilen Leitsystem auch die Ausstellungsmöbel, die mit dem Rollstuhl unterfahrbar sind. Die Verortung der Vitrinen und Tische im Raum ist nach den Vorgaben rollstuhlgerechter Durchgangsbreiten konzipiert worden. Auf allen Ebenen gibt es Sitzgelegenheiten. Alle Etagen sind mit einem Fahrstuhl zu erreichen.

Oben: Ein Tastmodell der Kogge, wie sie im fertiggestellten Zustand ausgesehen haben könnte.

Rechts: Die ,Bremer Kogge‘ vom Heck aus gesehen mit Blick auf den Bug. Fotos: Marleen von Bargen © DSM

Auf allen drei Ebenen der Kogge-Halle werden unterschiedliche Geschichten rund um die ,Bremer Kogge’ erzählt, die aktuelle Forschungsfragen aufgreifen. Im Erdgeschoss erfahren die Besucherinnen und Besucher etwas über den Schiffbau im Mittelalter, über die verwendeten Materialien und die Gewerke, die am Schiffbau der Hansezeit beteiligt waren. Auch die Objektgeschichte des Wracks wird thematisiert und gezeigt, wie es von einem archäologischen Fund zu einem Museumsobjekt wurde. Hier wird zudem über die neusten Methoden der präventiven Konservierung informiert, die angewandt werden, um das Schiff für zukünftige Generationen zu bewahren. Wer mag, kann selbst beim Scannen mit dem Faro-Arm Hand anlegen.

Das Plankenmodell zum Berühren wurde von der Werkstatt des DSM hergestellt. Es zeigt exemplarisch einen der wichtigsten Arbeitsschritte im Holzschiffbau: die Abdichtung der Plankengänge mittels Kalfaterung.

Im Mittelgeschoß können sich die Besucherinnen und Besucher über die unterschiedlichen Interessen informieren, die mit hansezeitlichen Schiffen wie der ,Bremer Kogge‘ im Mittelalter verbunden wurden. Seeraub spielt hier ebenso eine Rolle wie die Hanse und die Handelstätigkeit der Hansekaufleute, die mit Koggen ihren Wohlstand erwarben. Es werden die neuesten Forschungsergebnisse zu den Handelsbeziehungen Bremer und Hamburger Kaufleute nach Island und den Färöer-Inseln präsentiert, die Stockfisch, Schwefel und Gerfalken mit nach Hause brachten. Eine Riechprobe verdeutlicht, wie es an Bord unter Deck bei den Stockfischen wohl gerochen haben mag.

Rechts unten: Blick in die Ausstellung im Mittelgeschoss der Kogge-Halle.

Links: Stockfisch war ein wichtiges Handelsgut Bremer und Hamburger Hansekaufleute. Das Bild zeigt die Replik eines Stockfisches, die berührt werden kann.

Linke Seite und rechts oben: Auf dem Ausstellungstisch zum Island-Handel Bremer und Hamburger Hansekaufleute gibt es neben einem Stockfisch zum Berühren auch eine Stockfisch-Riechprobe.

Fotos: Marleen von Bargen © DSM

Oben und unten: Ein Computerspiel im Bereich „Navigation“ lädt dazu ein, selbst eine Kogge zu steuern.

Rechts: In der Seekiste sind Gegenstände zu entdecken, die zur persönlichen Habe eines Seemannes im Mittelalter gehörten. Die Stoffproben zum Berühren wurden vom Fasermaterial bis hin zur Garndicke und Garndrehung erhaltenen Stoffresten aus dem Nord- und Ostseeraum des 14. Jahrhunderts nachempfunden.

Fotos: Marleen von Bargen © DSM

Konnten die Frachtschiffe der Hansekaufleute auch über den Atlantik fahren und wie wurden sie navigiert? Was für Fähigkeiten und Instrumente mussten die Seeleute dafür mitbringen? Auch diese Fragen werden aufgeworfen.

Ein Computerspiel lädt insbesondere Kinder und Jugendliche ein, ihr seemännisches Können unter Beweis zu stellen und eine Kogge sicher von A nach B zu navigieren.

Ausgehend von der ältesten Schiffstoilette der Welt, die bei der Kogge gefunden wurde, erfährt man im Mittelgeschoß zudem etwas über das Leben an Bord. Eine Hörstation mit Berichten von Reisenden aus dem Spätmittelalter informiert über die unterschiedlichen Personen auf mittelalterlichen Schiffen, über ihre Reisemotivation, über Krankheit, Zeitvertreib und Alkoholgenuss.

Oben: Die Medienstation „Bremer Stadtmodell“ informiert mit Hörtexten, zeitgenössischen Quellen und Bildmaterial über den Einfluss, den mittelalterliche Frachtschiffe auf das städtische Leben im Mittelalter nahmen.

Unten: Glasbecher, um 1900, mit eingravierter Darstellung eines Hanseschiffes. Der Glasbecher ist ein Beispiel für die Abbildung von Koggen auf Alltagsgegenständen. Fotos: Marleen von Bargen © DSM

Eine Medienstation zeigt, welchen Einfluss hansezeitliche Frachtschiffe wie die ,Bremer Kogge‘ auf das städtische Leben im Mittelalter nahmen. Am „Bremer Stadtmodell“ wird anhand von digitalen Quellen, Fotos, historischen Bildern und Hörtexten erläutert, wie beispielsweise das Böttchergewerbe vom Bau der Frachtschiffe profitierte oder was für eine Rolle der Hafen und die Kirche für eine Hansestadt wie Bremen spielten.

Im Obergeschoß steht die Darstellungsund Wahrnehmungsgeschichte der Kogge im Mittelpunkt. Betreten Besucherinnen und Besucher die oberste Galerie, erfahren sie etwas darüber, wie die Kogge im 19. Jahrhundert als nationales Symbol für die Seemachtspolitik des Deutschen Kaiserreichs in Szene gesetzt wurde und darüber, wie die Kogge später als Marke, etwa für die Lebensmittelindustrie oder Fußballvereine, Eingang in unser alltägliches Leben bis heute gefunden hat.

Als zusätzliches Angebot wurde im DSM ein Medienguide entwickelt, der zu den zentralen Themen und Exponaten der Ausstellung führt. Wahlweise kann ein Tablet an der Kasse entliehen oder eine entsprechende App auf das eigene Smart- phone heruntergeladen werden. Die Führung ist in deutscher, englischer oder in Leichte Sprache wählbar und, je nach Wunsch, als geschriebener oder gesprochener Text. Eine weitere Option, die der Medienguide bietet, ist eine Führung für Blinde oder Sehbeeinträchtigte. Mithilfe eines verbalen Leitsystems werden sie zu den Tast- und Hands-On-Modellen geführt und können sich auf diese Weise die Ausstellung möglichst autonom erschließen. Der Medienguide wird künftig im Rahmen der Neugestaltung der übrigen Ausstellungsflächen im DSM ausgebaut und weiterentwickelt werden. Gegenwärtig erarbeitet ein Team aus den verschiedensten Bereichen des Museums zusammen mit einem Gestaltungsbüro eine weitere neue Ausstellung, die das Thema „Schiffe und maritime Technologien im 20. und 21. Jahrhundert“ behandelt.

Deutsches Schiffahrtsmuseum

Leibniz-Institut für deutsche Schifffahrtsgeschichte

Hans-Scharoun-Platz 1

27568 Bremerhaven

Telefon: 0471 48207-0 www.dsm.museum

Koblenz – „ …wie in einem Zauberspiegel.“

Rheinlandschaften von Johannes Jakob und Anton Diezler

3. Juni – 8. Oktober 2017

Unter dem Motto „… wie in einem Zauberspiegel“ zeigt das Mittelrhein-Museum Koblenz in Kooperation mit dem Siebengebirgsmuseum Königswinter und der Sammlung RheinRomantik Bonn das umfassende Werk des in Koblenz-Ehrenbreitstein gebürtigen Künstlers Johannes Jakob und dessen Sohn Anton Diezler (auch Ditzler). Die Diezlers haben sich nicht nur als deutsche Landschaftsund Vedutenmaler des Biedermeiers einen Namen gemacht; sie gelten auch als Vorreiter für die später als „Rheinromantik“ bezeichnete Stilrichtung. Mit rund 50 Gemälden und 20 Grafiken, die von zahlreichen privaten Leihgebern zusammengetragen wurden, bietet die Ausstellung neben fulminanten Rheinpanoramen auch einen aufschlussreichen Blick auf die Welt des Biedermeiers, wie sie von den Zeitgenossen wahrgenommen werden wollte. Anlässlich der Ausstellung ist ein Begleitband zum Werk von Johannes Jakob und Anton Diezler erschienen, 175 Seiten mit zahlreichen Abbildungen

Mittelrhein-Museum, Zentralplatz 1, 56068 Koblenz, www.mittelrhein-museum.de, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10:00 bis 18:00 Uhr, Foto: Anton Diezler, Boppard,1839 © Slg. RheinRomantik Bonn

Koblenz – Mut zur Freiheit: Informel aus der Sammlung Anna und Dieter Grässlin

23. Juni – 1. Oktober 2017

Das Mittelrhein-Museum zeigt erstmals die bedeutende Sammlung des Unternehmerehepaars Anna und Dieter Grässlin aus St. Georgen. Die Sammlung erschließt mit hochkarätigen Werken das breite Spektrum der informellen Ausdrucksformen: Malerei, dreidimensionale Objekte sowie Druckgrafik und Zeichnung. Mit über hundert Exponaten von zwölf Künstlern aus den Jahren 1946 bis 1974 veranschaulicht die Ausstellung somit die Vielgestaltigkeit des Informel. Ausgehend von Bildern Jean Fautriers und Wols, die als Wegbereiter dieser künstlerischen Haltung in die Kunstgeschichte eingingen, präsentiert der Rundgang Werke von Peter Brüning, Carl Buchheister, K.F. Dahmen, K.O. Götz, Gerhard Hoehme, Erich Hauser, Emil Schumacher, Bernard Schultze, K.R.H. Sonderborg und Fred Thieler.

Mittelrhein-Museum, Zentralplatz 1, 56068 Koblenz, www.mittelrhein-museum.de, Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10:00 bis 18:00 Uhr, Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017

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