Wolfgang Eggert - Erst Manhattan dann Berlin

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Heimatland und verbrachten zweitausend Jahre im Exil, wo sie von einer Rückkehr nurmehr träumen konnten. In heutiger Zeit haben sie ihren Staat zurückgewonnen, doch dieser ist immer noch winzig und mit begrenzten Ressourcen versehen, und die ihm eigene Zerbrechlichkeit wirft die Frage auf, ob ihre halsstarrige Natur nicht wieder ihr nationales Leben in Gefahr bringt.“ Das „Bar-Kochba Syndrom“ Der israelische Historiker Yehoshafat Harkabi, ein pensionierter General, hebt hervor, daß die Historiker Hadrian als Rom’s weisesten Kaiser betrachten, und daß von all seinen Untertanen allein die Juden ihm Ärger bereiteten. Harkabi beziffert die jüdische Bevölkerung am Vorabend des Bar-Kochba-Aufstandes weltweit mit 1,3 Millionen, und schätzt, daß lediglich die Hälfte dieser Anzahl den Krieg überlebte. Da die römische Rechtssprechung Juden und anderen erlaubte, ihre Religion auszuüben, vertritt Harkabi die Auffassung, daß nicht Religion sondern Nationalismus der Auslöser des Krieges war. Er befürchtet nun, daß die Israelis eines Tages unvorsichtig genug sein könnten, diese Katastrophe zu wiederholen. Vor allem alarmiert Harkabi die in Israel heute verbreitete Praxis, nicht nur den Bar-Kochba-Aufstand sondern auch den Massenselbstmord von Masada zu neuem Leben zu erwecken, indem beide Geschehnisse in eine Mythologie nationaler Größe verklärt werden. Er bezeichnet dieses Phänomen als das „Bar-Kochba-Syndrom“, welches die Juden zu verrückten und unter Umständen tödlichen Katastrophen hinreißen könnte. Ungeteilte/Nicht geteilte Werte Vor kurzem hat das American Jewish Committee eine Reihe von TV-Werbungen geschaltet, in denen Israel als freie, demokratische Gesellschaft gepriesen wird, welche Amerikas Werte teilt. Diese Formulierung trifft aber nur einen Teil der Wahrheit. In Bezug auf die Freiheit der Religion und die Trennung von Kirche und Staat, sind Israels Werte doch recht unterschiedlich beschaffen. Viorst beschreibt diesen Unterschied: „Der Trend in den westlichen Demokratien ist es in den vergangenen Jahrhunderten gewesen, Kirche und Staat voneinander zu trennen. Israel aber ist genau den entgegengesetzten Weg gegangen. Israel akzeptiert den Orthodoxen Judaismus als einzige offizielle Staatsreligion. Israel hat einen Chefrabbiner, der als Beamter vom Staat bezahlt wird. Tatsächlich verfügt das Land über zwei Chefrabbis, einen Aschkenasim und einen Sepharden – beides Orthodoxen. Es unterhält durch die öffentliche Hand alle orthodoxen Rabbiner und deren Synagogen. Es finanziert auf allen Ebenen die religiöse Erziehung, die von Orthodoxen Beauftragten durchgeführt wird. Es berechtigt einem System Orthodoxer Gerichtshöfe, die Anwendung Halachischen Rechts in privaten Belangen zu beaufsichtigen. Es legt außerdem bei Einbürgerungen Orthodoxe Standards an und befreit Studenten vom Militärdienst, wenn diese an Orthodoxen Talmudschulen lernen.“ Heute haben religiöse Zionisten die Auffassung angenommen, Gott erwarte weniger Hingabe zur Torah als zu dem Land, das Israels Armee erobert hat. Ihre Theologie stammt von Rabbi Abraham Isaac Kook (dem Vater von Zvi Yehuda Kook), welcher lehrte, die Juden könnten durch die Besiedlung des Landes die Wartezeit auf den Messias verkürzen. Diese Doktrin blieb weitgehend unbeachtet – bis zum Sechs-Tage-Krieg, als sie die Ideologie des religiösen Zionismus wurde. Kurz nach dem 1967er Krieg gründeten 72 bedeutende Intellektuelle – viele von ihnen Mainstreamzionisten – die „Land Israel Bewegung“. In einem stark verbreiteten Manifest legten sie alle historischen Differenzen beiseite, um einen Nationalismus zu proklamieren, der sich dem Himmlischen Imperativ verpflichtet fühlt: „Der Sieg der israelischen Armee im Sechs-Tage-Krieg verortete das Volk und den Staat in eine neue und schicksalhafte


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