sam. Sachsen-Anhalt-Magazin Ausgabe Juli 2013

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BERICHTE AUS WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT

An Tagen wie diesen Eine Welle der Solidarität – Sachsen-Anhalt trotzt der Flutkatastrophe Seite 6

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Aus meiner Sicht

Erneut hat Sachsen-Anhalt ein Rekordhochwasser erlebt. Zum zweiten Mal in elf Jahren. In den zurückliegenden Tagen war ich als Reporterin unterwegs in den Hochwassergebieten. Ich

habe Menschen getroffen, deren Existenz bedroht, deren Ei-

gentum zerstört ist. Bilder brennen sich ein in die Erinnerung: eine verwaiste Schubkarre neben noch nicht aufgetürmten

Sandsäcken vor einem gefluteten Haus in Mukrena. Entkräf-

tete Rehe mitten in einer Ortschaft. Blumentöpfe, in einem Wohnzimmer schwimmend.

Bei aller Zerstörung habe ich auch Gemeinschaft gespürt, die Schlimmeres verhinderte. Unermüdlich schippten freiwillige

Helfer gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten, Bereitschaftspolizisten und THW-Mitarbeitern Sand in Säcke. Alte Leute hat-

ten sich Stühle mitgebracht und hielten sitzend die Säcke auf.

Die beeindruckendste Rettungsaktion gab‘s in Fischbeck, wo

den Fluten, Landwirte und Unternehmer stellten Technik und

ge Schiffsführer steuerten drei Lastkähne durch die reißende

Unzählige junge Menschen stapelten Säcke zum Schutz vor ihre Arbeitskraft in den Dienst der Gemeinschaft. Hochschulen setzten den Lehrbetrieb aus; ungeachtet der Sparpläne waren

Tausende Studierende Tag und Nacht an den Sandsackfüllsta-

tionen zu treffen. Viele Helfer kamen von weither: aus dem Ruhrgebiet, Baden-Württemberg, Niedersachsen.

Sie alle hatten nur ein Ziel: die Katastrophe aufzuhalten. Vie-

lerorts ist das gelungen. Mancherorts war die Natur stärker. Dörfer mussten evakuiert werden. In Groß Rosenburg leitete

ein Feuerwehrmann aus Breitenhagen die Rettung Einge-

die Elbe ein riesiges Loch in den Deich gerissen hatte. Muti-

Strömung an die Bruchstelle, setzten sie auf Grund. Die Bundeswehr sprengte die Böden weg und warf mit Hubschrau-

bern Sandsäcke ab. Weil sie nicht mehr wegkamen wegen der enormen Kraft des Wassers, wurden die Schuten in unmittelbarer Nähe der Schiffer gesprengt. Er dachte, die Welt gehe unter, gesteht Rüdiger Bolsmann. Er war am nächsten dran mit

seinem Kraken und konnte sich nur noch auf den Boden wer-

fen. Für Tausende Menschen in der Altmark waren die Schiffer die letzte Hoffnung und sind heute Helden.

schlossener. Als Menschen nicht mehr in Gefahr waren, holte

43  000 Menschen mussten vorübergehend ihr Heim verlas-

tung Tiere aus dem Überflutungsgebiet. Dass sein eigenes

Jerichow traf ich den Landwirt Klaus Behrendt aus Ferchland,

Gerrit List mit seinen Helfern von Feuerwehr und Wasserret-

Haus bis zur Dachkante geflutet war, verdrängte Gerrit List. Er half. Genau wie der Fischer Gernot Quaschny, der einen wei-

ten Bogen um sein eigenes überflutetes Grundstück machte, wenn er sich als einziger mit dem Boot auf den Weg nach Ho-

hengöhren machte, um eingeschlossene Einwohner mit Lebensmitteln und Wasser zu versorgen. In Scharlibbe kämpften

Mitarbeiter der Agrargenossenschaft tagelang um das Leben von 8 000 Schweinen, wenig weiter in Kabelitz harrten Melker bei ihren Kühen aus. Die vielen Tiere hätten in kurzer Zeit nicht

in Ausweichquartiere gebracht werden können wie die Tiere

sen, lebten in Sporthallen oder bei wildfremden Menschen. In

der für zwei Kollegen in Steinitz Hilfe organisierte. Er telefo-

nierte alles heran, was einen Viehhänger hatte, organisierte

Notunterkünfte für 350 Kühe. „Wir Bauern halten zusammen“, kommentierte Klaus Behrendt. Nicht nur die Bauern haben zusammengehalten, sondern alle. Geeint durch ein gemeinsames Ziel, setzten die Menschen ungeahnte Kräfte frei und

trotzten dem Wasser. Aus Fremden wurden Freunde, eine Ge-

meinschaft. Das Wir-Gefühl dominierte für ein paar Wochen in unserem Land. Hoffentlich bleibt es uns lange erhalten.

aus dem Bernburger Tierpark, die vorübergehend Asyl in Halle, Aschersleben und Leipzig fanden. Trotz 24-stündiger Rettungsaktion ertranken 30 von ihnen.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

Annette Schneider-Solis, Redakteurin

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In diesem Heft

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Special

Das Hochwasser 2013 Die aktuelle Flut schuf Rekorde. Sie aktivierte auch eine Solidarität, die Mut gemacht hat………………… 6

Interview

Natur hat gesagt, was viel und was wenig ist Im Gespräch mit Burkhard Henning, Direktor des Landesbetriebs für Hochwasserschutz ……………… 11

Innovationen

Dampf gegen den Klimakiller Genial gekoppelt: Sichere Energieversorgung mit Plus für Umwelt und Minus bei Kosten….12 Tradition

Wirtschaft

Saniert: Um Klassen besser SALEG macht Schule in Sachen PPP – Schauplatz Internationale Grundschule Barleben...…………….18

Tourismus

Grüne Oasen in neuem altem Glanz Das Gartenträume-Netzwerk lässt Parkanlagen in ihrer einstigen Pracht erblühen……………………...22

Logistik

Goliath will von David lernen China sieht in Sachsen-Anhalt einen wichtigen Ideengeber für Bau und Logistik.…….28

Erfolgsgeschichte

Drittes Leben für einen Kettenschlepper Im Magdeburger Wissenschaftshafen liegt ein seltener Zeuge der historischen Elbschifffahrt....32

Technologie

Mehr Sicherheit für alle Fahrer In der etropolis Motorsportarena werden Retter für Europas Rennstrecken trainiert…………..…………36

Visionen

Aufgaben jenseits von Wind und Sonne Klemens Gutmann über die Energiewende, die zahlreiche neue Funktionen mit sich bringt.......38

Das Wasser traf die Entscheidungen

Seite 6

Beim Umgang mit Superlativen empfiehlt sich Sparsamkeit. Doch das zurückliegende Hochwasser war voll davon. Anders war es kaum zu beschreiben. In Magdeburg kletterte der Elbe-Pegel auf 7,47 Meter – so hoch wie noch nie. In Fischbeck in der Altmark bricht ein Deich. Drei versenkte Frachtkähne sollen das Loch stopfen – eine einmalige Aktion. Das Wasser hat Trauer, Wut und Verzweiflung hinterlassen. Die Hilfsbereitschaft unter den Menschen konnte sie aber nicht aufweichen.

Foto: Christian Wohlt

Welthauptstadt der Homöopathie Der homöopathische Weltärzteverband hat seinen Hauptsitz von Genf nach Köthen verlegt.……………15

Foto: Jens Wolf

Das Land der 1 000 Gärten und Parks Seite 22 Zu den historischen kulturellen Wegmarken Sachsen-Anhalts gehören nahezu 1 000 Gärten und Parks. 43 der bedeutendsten und schönsten bilden das denkmalpflegerisch-touristische Netzwerk „Gartenträume – Historische Parks in Sachsen-Anhalt“. Die ausgewählten Gartenanlagen umfassen die ganze Bandbreite der Gartenkunst – vom mittelalterlichen Klostergarten in Drübeck über Barockgärten und Landschaftsparks vergangener Zeiten bis zu dem noch im Entstehen befindlichen Landschaftspark Goitzsche bei Pouch im Landkreis Bitterfeld.


In diesem Heft

5

Gesundheit

Entspannender Lernstoff für Muskeln und Gelenke ROCKWOOL Mineralwolle GmbH gibt ihr Gesundheitsmanagement in gute Hände….....40

Goliath lernt von David Seite 28 China will das Leben der Zukunft gestalten. Das boomende Land wächst und wächst. Bislang hat es sich eher weniger Gedanken darüber gemacht, dieses Wachstum bewusst und sinnig zu steuern. Bei seiner Suche nach Ideengebern und Partnern sind die Asiaten auch in Sachsen-Anhalt fündig geworden. Themen wie Logistik, Stadtentwicklung, nachhaltiges Bauen und Demografie stehen im Mittelpunkt einer wachsenden Kooperation.

Umwelt

Dem Klimawandel einen Schritt voraus Forscher des UFZ untersuchen Auswirkungen der Erderwärmung im Langzeitversuch…….......43

Impressum: HERAUSGEBER SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Geschäftsführer: Michael Scholz, Wolfgang Preuß KONTAKT SAM. Sachsen-Anhalt-Magazin Verlag GbR Schilfbreite 3, 39120 Magdeburg Tel. 0391 63136-45, Fax 0391 63136-47 info@st-magazin.de www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de REDAKTIONSLEITUNG Christian Wohlt redaktion@st-magazin.de

Deutschlands einziger Kettenschleppdampfer

Seite 32

Bis 1948 verkehrten auf der Elbe Kettenschleppdampfer. Mit Maschinenkraft zogen sie sich an einer Kette im Fluss stromaufwärts. Eines solcher Schiffe, die „Gustav Zeuner“, rostete jahrzehntelange am Magdeburger Elbufer ihrem Verfall entgegen. Ein Bild zum Jammern, fanden nicht nur Freunde der historischen und aktuellen Elbschifffahrt. Im Magdeburger Arbeitslosen-Projekt GISE fand sich ein Partner für die historisch detailgetreue Rekonstruktion des Dampfers.

Foto: Sven Paproth

Klimawandel im Fokus

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Seite 43

Wie sehen unsere Landschaften am Ende dieses Jahrhunderts aus? Antwort auf diese Frage suchen Wissenschaftler des UFZ Halle. In einem weltweit einmaligen Langzeitexperiment untersuchen sie in Bad Lauchstädt die Auswirkungen des Klimawandels auf das Ökosystem. Dafür entstand eine Gewächshausanlage, in der sich unterschiedliche Klimabedingungen nachstellen lassen. Wie also reagieren Bestäuber, Pflanzen, Pflanzenfresser und Mikroorganismen im Boden unter veränderten Bedingungen. Und vor allem: wie beeinflussen sie sich dabei gegenseitig. Nie zuvor wurde das so genau untersucht wie in Bad Lauchtstädt.

ANZEIGEN Tel. 0391 63136-45 anzeigen@st-magazin.de TITELFOTO Christian Wohlt DRUCK Harzdruckerei GmbH, Wernigerode Schutzgebühr: 4,00 EUR Das Magazin und alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Der Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit schriftlicher Genehmigung und Quellenangabe gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder wird keinerlei Gewähr übernommen. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge stehen in der Verantwortung des jeweiligen Autors. 5. Jahrgang 2013 ISSN 1868-9639


Foto: Jens Wolf

6 Special


Special

Das Hochwasser 2013 – die Hilfsbereitschaft wuchs mit jedem Zentimeter Die aktuelle Flut schuf Rekorde. Sie aktivierte auch eine Solidarität, die Mut gemacht hat Von Sabrina Gorges Ein Hochwasser noch nie da gewesenen Ausmaßes ist durch Sachsen-Anhalt geschwappt. Deiche brachen, Häuser wurden überflutet und Dörfer sowie Stadtteile evakuiert. Die Entscheidungen traf das Wasser. Nur die Hilfsbereitschaft der Menschen

kilometer Land erobert hat. Dörfer, Wälder, Wiesen und Äcker  – alle verlieren den Wettlauf gegen die Zeit. Insgesamt stehen

in Sachsen-Anhalt rund 1 650 Quadratkilometer unter Wasser. Das ist mehr als die Hälfte der Fläche des Saarlands.

konnte es nicht aufweichen. Eine Momentaufnahme. Wer vor dem 10. Juni Fischbeck aus dem Stegreif auf der Land-

karte zeigen konnte, war entweder alteingesessener Altmärker oder ein Geografiegenie. Dann wurde Fischbeck zum Inbegriff

der Hochwasserkatastrophe. Der Ort im Norden Sachsen-An-

halts erlangte durch einen Deichbruch traurige Berühmtheit. Keine Nachrichtensendung, bei der die 600-Seelen-Gemeinde keine Erwähnung fand. Kein Tag, an dem Fernsehteams nicht

versucht haben, so nah wie möglich an das Dorf heranzukom-

men. Keine Stunde, in dem Fischbeck nicht ein bisschen mehr in den Elbefluten versunken ist. Und keine Sekunde, in der Helfer

nicht im Akkord und bis zur Erschöpfung gearbeitet haben, um das Loch im Deich zu stopfen und die Überflutung Fischbecks und weiterer Orte zu verhindern.

Tagelang versuchen Bundeswehrsoldaten und Experten aus dem Krisenstab der Landesregierung, der Wassermassen Herr zu wer-

den. Luftaufnahmen zeigen schonungslos die ganze Dramatik. Sie dokumentieren, mit welcher Wucht das aufschäumende

Wasser durch den Riss strömt und an der Deichbruchstelle nagt. Ein Nachrichtenmagazin vergleicht dieser Tage die Elbe mit ei-

nem Monster, das schluckt, ohne zu kauen. Sie hat auch an dem Deich genagt und den Riss Stück für Stück vergrößert. Am Ende

ist er fast hundert Meter lang. Mehr als 8 000 Menschen flüchten vor dem Wasser, das sich in der Region mehr als 150 Quadrat-

In Halle erreichte das Hochwasser der Saale den

höchsten Stand seit 400 Jahren. Die Skulpturen, die auf der Kröllwitzer Brücke, die sonst hoch über dem Fluss thronen, standen im Wasser.

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Am 15. Juni wandelt sich die traurige Berühmtheit Fischbecks in eine freudige. Im Krisenstab fällt der Entschluss, die Deichbruch-

stelle mit einem „Experiment“ zu schließen. Einmalig, mutig, hoffnungsvoll. Drei Schiffe werden an den Deich manövriert, teil-

weise gesprengt und so zum Sinken gebracht. Die Bundeswehr

wirft außerdem Panzersperren, Betonringe und mit Felsbrocken gefüllte Riesensandsäcke in und neben den Frachtkähnen ab. Es entsteht ein „Wrack-Deich“. Ein abenteuerlich aussehendes Provi-

sorium – das seinen Zweck erfüllt hat. Am 17. Juni steht fest: Der Durchfluss an der Deichbruchstelle konnte um 90 Prozent verringert werden. Ein erster Schritt zurück zur Normalität.

Bevor die Wassermassen der Elbe Fischbeck erreichten, versetzten sie Sachsen-Anhalts Süden und die Landeshauptstadt Mag-

deburg erst in eine Schockstarre und dann in einen Ausnahmezustand. Der Elbepegel an der Magdeburger Strombrücke kletterte am 9. Juni auf 7,47 Meter – ein trauriger Rekordwert! Der Durchschnittswert liegt bei 1,90 Meter. Sirenengeheul und

helfende Hände überall – der Damm der Hilfsbereitschaft war ungebrochen. Rund 23  000 Menschen mussten allein in Mag-

deburg ihre Häuser verlassen. Zurück blieben ganze Stadtteile, in denen das Wasser teilweise hüfthoch stand, und aus denen

über Tage das Leben verschwunden war. Es war ein Kraftakt, dem sich keiner bisher stellen musste und den alle gemeinsam bewältigt haben.

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Special Nach dem Bruch eines Elbe-Deichs bei Fischbeck im Landkreis Stendal strömten Wassermassen mit ungeheurer Wucht ins Hinterland.

Luftaufnahmen wie diese zeigten in den Tagen der Flut die Ausmaße

der Flächen, die sich das Wasser genommen hatte. Mit einer spektakulären Schiffs-Sprengung konnte die Lücke weitgehend geschlossen werden.

Tausende Menschen mussten landesweit ihre Häuser verlassen. Mit der Flut setzte aber auch eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft ein.

Fotos: Christian Wohlt (2)

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Fotos: Jens Wolf (3)

Special

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Special

Erstmalig in der Geschichte Sachsen-Anhalts

wurde der Katastrophenkrisenstab des Landes einberufen.

Mit gewaltiger Kraft schlug das Wasser, wie hier an der Schleuse Niegripp, eine Fotos: Jens Wolf

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Schneise der Verw端stung.


Interview

„Die Natur hat uns gesagt, was viel ist und was wenig“ Im Gespräch mit Burkhard Henning, Direktor des Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft

Herr Henning, sie sind in der Branche das, was man wohl einen „alten Hasen“ nennen kann. Was war an dieser Flut so anders?

Burkhard Henning: Es war eindeutig die flächenmäßige Betroffenheit. Es standen allein nach dem Deichbruch bei Groß Ro-

senburg etwa 85 Quadratkilometer und bei Fischbeck rund 150 Quadratkilometer unter Wasser. Mit diesen Dimensionen waren

wir noch nie konfrontiert. Wir haben Entscheidungen getroffen, über die wir vorher nicht mal ernsthaft nachgedacht haben. wie es sie beispielsweise 2002 nicht gegeben hat. Das schaffte

die notwendigen Strukturen, um mit dieser komplizierten Lage umgehen zu können. Es war nicht alles anders, aber viel.

Beim Umgang mit Superlativen empfiehlt sich in der Regel Sparsamkeit. In den Tagen der Hochwasserkatastrophe sah man sich je-

Foto: Christian Wohlt

Auch die Verzahnung der Einsatzkräfte erreichte eine Qualität,

doch fast rund um die Uhr damit konfrontiert. Wie war das für Sie?

Burkhard Henning: Es gibt viele Bremsklötze. Man müsste da

Burkhard Henning: Superlative hat dieses Hochwasser tatsäch-

die naturschutzfachlichen Aspekte, Eigentumsfragen, die Flä-

lich genügend hervorgebracht. Die Regionen haben Nieder-

schläge erlebt, wie es die Messstationen so noch nie aufgezeichnet hatten. Daraus resultierten Pegelstände, bei denen sich die

Hydrologen die Augen gerieben haben. Ich denke, jeder bei uns im Hochwasser-Einsatzstab hat mindestens einmal Gänsehaut

bekommen. Das Hochwasser selbst war der reinste Superlativ. Man kam nicht drum herum, mit dem Phänomen zu hantieren und zu arbeiten. Die Natur hat uns gesagt: Ich bestimme, was

sehr weit ausholen. Ich will sie einfach kurz benennen. Es sind

chennutzung und natürlich die Finanzierung. Von Gutachten, Variantenberechnungen und Kartierungen mal ganz abgesehen. Und wenn wir einen Deich bauen, muss immer erst die Ar-

chäologie drübergehen. Ich denke, das zeigt deutlich, wer hier wie an den Fäden zieht – allerdings meistens nicht in die gleiche Richtung. Eine Einigung dauert oft Jahre. Aber wir können nicht warten, bis sich alle da drübergebeugt haben.

viel ist und was wenig. Wir müssen nach dieser Flut sicher auch

Wo sehen Sie momentan den dringlichsten Handlungsbedarf?

in meine zukünftige Arbeit und die Kollegen sicher auch.

Burkhard Henning: Wir müssen die Schäden aufnehmen und

Umdenken ist ein gutes Stichwort. Kaum fließt das Wasser wieder

-öffnungen zu tun. 2002 waren es 35. Leider haben uns diese

an der einen oder anderen Stelle umdenken. Das nehme ich mit

in seinen angestammten Bahnen, kommt immer sofort der Hoch-

wasserschutz auf den Prüfstand. Sie haben in einer Tageszeitung die zähflüssigen Verfahren und den Projektstau kritisiert. Sie sag-

ten: „Es ist hanebüchen, was unsere Gesellschaft sich da leistet.“ Was prangern sie konkret an?

genau beziffern. Wir haben es jetzt mit vier Deichbrüchen und vier übel zugesetzt. Schäden an Deichen sind meistens nicht

sichtbar, es passiert im Inneren. Viele glauben ja, für einen Deich wird einfach Erde zusammengeschoben. Dabei ist es ein kom-

plexes, technisches Bauwerk. Wir gehen erst visuell drüber und machen dann Baugrunduntersuchungen.

Das Gespräch führte Sabrina Gorges.

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Innovationen

Dampf machen gegen den Klimakiller GETEC-Kraftwerk liefert Energie mit Mehrwert für Menschen und Umwelt Von Ute Semkat

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Lachgas als Narkosemittel für schmerzfreies Zähneziehen populär. Zahnärzte verwenden es noch heute – manchmal auch bei Angstpatienten. In der Che-

werden muss. Jetzt zeigt der Magdeburger Energiedienstleister GETEC, dass da noch mehr geht – gut für die Umwelt und gut zur Kostensenkung bei Radici.

mieindustrie entsteht Lachgas dagegen als unerwünschtes Nebenprodukt. Denn dieses Treibhausgas ist noch dreihundert Mal schädlicher als Kohlendioxid. „Leider kann man unser Lachgas nicht einfach so in Flaschen ab-

füllen und damit handeln“, lächelt Jens Metzner auf die Nachfrage nach einem möglichen Zusatzgeschäft. Metzner ist Werkleiter bei Radici Chimica in Zeitz, wo Adipinsäure hergestellt

wird. Das weiße Pulver ist ein Ausgangsstoff für Kunststoffe, die zum Beispiel für Sportbekleidung und leichte Karosserieteile im Auto weiterverarbeitet werden. Bei der Herstellung entsteht

Lachgas, chemische Formel N2O. Weil es nicht in die Atmosphäre

entweichen soll, wird es mit einer speziellen Technik vernichtet. Aber nicht vollständig, weil der „Zerstörer“ regelmäßig gewartet

Die deutsche Tochter der italienischen Radici-Gruppe ist das

größte Unternehmen im Chemie- und Industriepark bei Zeitz. Es gibt fast 200 Menschen aus der Region Arbeit, gut qualifizierten und hoch motivierten Mitarbeitern an diesem traditionel-

len Chemiestandort. Um den Anlagenbetrieb rund um die Uhr aufrecht zu erhalten, benötigt das Werk stündlich etwa 20 bis

25 Tonnen Dampf. Doch ob der unsicheren Zukunft wegen der angekündigten Stilllegung des betagten Kraftwerks Mumsdorf schaute zeitweise die gesamte Region mit Sorge auf Radici.

Das Problem ist mittlerweile gelöst. Die Dampfversorgung erfolgt künftig in dezentraler Eigenversorgung von Radici durch

den Contractor GETEC AG. „Im Fokus standen erst einmal eine stabile wirtschaftliche Versorgung und ein kostengünstiger


Innovationen

Wärmepreis“, erklärt Werkleiter Metzner. GETEC konnte über-

bei Radici zunächst überrascht hatte. Werkleiter Metzner: „Wir

wie Vorstand Volker Schulz sagt. Das neue Industrieheizkraft-

aber gar nicht an den Gedanken getraut, dass man das Problem

zeugen, „dass wir mehr als das Standardprogramm bringen“, werk, eine Neun-Millionen-Euro-Investition, wird über 37 Megawatt installierte Feuerungsleistung verfügen und kann durch

Kraft-Wärme-Kopplung auch einen Teil des Strombedarfs im Chemiewerk abdecken. Der Wirkungsgrad der Anlage – die zwei Kessel wurden nach Plänen von GETEC ebenfalls in SachsenAnhalt gebaut – überschreitet 90 Prozent. Das zeigt, wie man

die ins Gerede gekommene Braunkohle, in diesem Fall Braun-

kohlenstaub, hocheffizient und durchaus umweltfreundlich als Energiequelle nutzen kann.

Aber im Angebot von GETEC steckte noch ein Mehrwert oder „add on“, wie Schulz sagt, womit das Heizkraftwerk zur „mul-

tivalenten Anlage“ wird. Beim Befeuern des Dampferzeugers kann gleichzeitig das klimaschädliche Lachgas aus der Adipinsäureherstellung zerstört werden. Es verbrennt zusammen mit

dem Braunkohlestaub. Ein technischer Clou, der die Manager

hatten nach einer umweltfreundlichen Lösung gesucht, uns

Lachgas auch mit einer Braunkohlestaub-Feuerung lösen kann. Dafür braucht man jemanden, der den Mut hat, das anzufassen.“

Jemanden mit der richtigen Kompetenz. Eine Arbeitsgruppe bei GETEC beschäftigt sich bereits seit mehr als zehn Jahren

mit dem wirtschaftlichen Einsatz von Festbrennstoffen in Heiz-

kraftwerken. Die patentierte eigene Brenner-, Kessel- und Regelungstechnologie für Braunkohlestaub wurde gemeinsam mit

der GETEC-Tochter Carbotechnik im bayrischen Geretsried so

weiterentwickelt, dass damit auch Produktionsabgase energe-

tisch genutzt oder umweltschonend zerstört werden können. Die erste Referenzanlage arbeitet seit zwei Jahren reibungslos bei einem Chemieunternehmen in Frankfurt am Main. Dort für

ein anderes Gas mit geringem Brennwert, welches zusammen mit Braunkohlestaub thermisch genutzt wird.

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Das Chemieunternehmen Radici Zeitz kann sich mit seinem Partner

GETEC künftig selbst mit Energie versorgen und dabei noch Geld sparen.

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Innovationen

Schwerstarbeit:

Der Erdgaskessel hängt am

Kran auf dem Baufeld. Gemeinsam mit dem

Braunkohlestaubkessel sorgt

die Anlage für eine sichere

Versorgung.

„Doch jedes Gas hat andere Eigenschaften“, so Volker Schulz.

ein paar Wochen im Jahr. Doch weil der kontinuierliche Produk-

Zwar gab es einen wissenschaftlichen Vorlauf, aber noch nirgend-

werden kann, wurde das Treibhausgas in diesen Zeiten bisher

„Uns dem Lachgas zu stellen, war ein weiterer neuer Schritt.“

wo praktische Erfahrungen mit dem Narkosegas. Der diplomierte Ingenieur spricht deshalb von einer spannenden Zeit der Ver-

suche und der technischen Erprobung, die an einer baugleichen Kesselanlage von GETEC erfolgte. Dort schaute auch Radici-Mann Metzner, selbst Ingenieur, den Fachleuten über die Schulter.

Volker Schulz wiederum ist in den vergangenen zwei Jahren wiederholt nach Novara gereist, wo 30 Kilometer westlich von Mailand eine Chemiefabrik von Radici steht. Sie produziert ebenfalls

Adipinsäure. Schulz erzählt lächelnd, wie er jedes Mal vor Betreten des Betriebsgeländes eine Prüfung beim Pförtner ablegen

musste: „Erst wenn wir die Fragen zu Sicherheitsaspekten im Betrieb, die auf einer Tafel angezeigt wurden, richtig beantwortet

hatten, ging die Schranke hoch.“ Eine Umsicht, die wohl eher bei einem deutschen Chemieunternehmen vermutet würde.

Nun wartet man in Zeitz gespannt, ob das Industrieheizkraftwerk nach dem Start Ende Juni den hohen Erwartungen gerecht

wird. Die umweltfreundliche Lachgas-Entsorgung im Dampferzeuger soll Radici viel Geld sparen helfen, wenn die eigene Zerstöranlage gewartet werden muss. Das betrifft zwar nur

Unternehmen mit Stammsitz in Italien haben seit 1990

rund 651 Millionen Euro in Sachsen-Anhalt investiert und 13 Tochtergesellschaften gegründet. Firmen aus dem Stiefel-

land gehören zu den bedeutendsten Handelspartnern der sachsen-anhaltischen Industrie und Italien zu den vier wich-

tigsten Exportländern. Das schätzen italienische Investoren: Standortvorteile wie den einfachen Zugang zu Wachstums-

märkten, optimale Voraussetzungen für Beschaffung und Absatz in Deutschland und Europa, kalkulierbare Rahmen-

bedingungen und einen hohen technologischen Standard.

tionsprozess eines Chemiebetriebs nicht einfach so abgestellt

in die Luft geblasen. Dafür muss das Unternehmen mit dem Er-

werb von Emissionszertifikaten zahlen. Radici könnte „einen bis zu siebenstelligen Kostenbetrag pro Jahr einsparen“, ungefähr eine Million Euro jährlich, hat Metzner schon einmal ausgerech-

net. Das entspricht etwa 100  000 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr für jene Menge Lachgas, die dank des GETEC-Dampferzeu-

gers vermieden werden kann. Diese Lösung lässt sich in der Nutzung ausbauen. Das wäre eine interessante Option, sollte Radici seine Produktion am Standort noch erweitern.

Für GETEC-Vorstand Schulz ist die innovative Technologie „ein Beweis dafür, dass eine umweltfreundliche Versorgung heute auch für energieintensive Produktionsprozesse möglich ist.“

Die Zusammenarbeit mit den Kunden aus der chemischen Industrie habe den Ingenieuren bei GETEC einen Innovationsschub gebracht. „Und ich glaube, wir sind mit dem The-

ma Festbrennstoffe noch nicht zu Ende.“ So wollen die Ener-

gieexperten das Potenzial biogener Brennstoffe zum Beispiel aus Bioabfällen besser erschließen und damit grüne Wärme

hocheffizient erzeugen. „Andere Contractoren müssen solche

Innovationskraft zukaufen, wir haben sie im eigenen Haus“, verdeutlicht Schulz.

Nicht umsonst hat GETEC bereits zwei Mal den „Contracting Award“ für das bundesweit effizienteste Energieerzeugungs-

konzept erhalten. Das neue Heizkraftwerk im Industriepark

Zeitz wird nach seiner Inbetriebnahme von GETEC betrieben, vom Leitstand in Magdeburg aus gesteuert und überwacht. GETEC AG entwickelt, realisiert, finanziert und betreibt Ener-

gieversorgungsanlagen bundesweit sowie im europäischen Ausland. 20 Jahre nach ihrer Gründung ist die GETEC AG Marktführer im Contractinggeschäft. n

Ö www.getec-gruppe.de


Tradition

Wir sind Welthauptstadt der Homöopathie Samuel Hahnemann begründete seine neuartige Heilmethode im anhaltischen Köthen Von Kathrain Graubaum Das anhaltische Köthen ist seit 16. März 2013 offiziell die Welt-

umhüllt das barrierefreie Treppenhaus mit Fahrstuhl und Sani-

ca Internationalis – der homöopathische Weltärzteverband – hat

Die Erben der Dessauer Schule der Moderne waren Initiator und

hauptstadt der Homöopathie. Die Liga Medicorum Homoepathiseinen Hauptsitz von Genf nach Köthen verlegt. Eine neue Plakette am einstigen Wohnhaus des Arztes Dr. Samuel Hahnemann

kündet davon. Engagierte Politiker, Touristiker, Marketingexperten

und Bürger der Stadt sehen dies als Erfolg ihres Strebens, mit der Homöopathie auch die Wirtschaftskraft ihrer Stadt zu stärken. Seit

Jahren schon entwickelt sich Köthen mehr und mehr zu einem

Wallfahrtsort für Anhänger der Homöopathie. Deren Begründer Hahnemann hatte sich 1821 hier niedergelassen. Er fand günsti-

ge Bedingungen vor, um an seiner neuen Heilweise zu forschen, deren Lehrsätze aufzuschreiben und eine Praxis zu betreiben.

Helle moderne Architektur trifft auf klassizistische Bauweise –

wenn Jan Kiese über die Treppe zu seinem Arbeitsplatz in der Europäischen Bibliothek für Homöopathie hinauf steigt, bewegt

er sich leichtfüßig zwischen den Zeiten. Gläserne Transparenz

Jan Kiese hat den

Schlüssel zur Raritätenkammer. Hier steht

ein Schrank aus dem

Nachlass eines homöo-

pathischen Arztes.

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tärräumen. Es gehört ins „Jetzt“ und trägt Bauhaus-Handschrift. maßgeblicher Impulsgeber für die landesweiten Projekte zur In-

ternationalen Bauausstellung IBA 2010; so auch für den Bau der „Europäischen Bibliothek für Homöopathie“ in Köthen.

Der Computer von Jan Kiese befindet sich in Gesellschaft von

Regalen, die vollgestellt sind mit homöopathischem Wissen aus zwei Jahrhunderten. Wie er zur Homöopathie kam? „Über die

Excel-Tabelle.“ Er lächelt in Gedanken an seine Studienzeit, als er

im Auftrag der Gesellschaft für Homöopathie- und Wissenschafts-

service seine Kenntnisse praktisch anwenden konnte. Mittlerweile ist der 28-Jährige ein Experte des Faches „angewandte Informa-

tik“. Er entwickelt und betreut im Auftrag des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte dessen IT-Infrastruktur und die der modernen Bibliothek hier vor Ort. Und ist dabei gar nicht so

wortkarg, wie man es Systemtechnikern gelegentlich nachsagt. Gern führt er Besucher in die Raritätenkammer,

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Tradition

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drückt ihnen den großen Mörser in die Hand oder zeigt den Schrank

voller Fläschchen aus dem Nachlass eines Arztes aus Hameln. Ja, zu Recht werde die Bibliothek als „Hafen des Wissens“ be-

zeichnet, meint Jan Kiese. Da sei es von starker Symbolkraft gewesen, dass die Bestände aus einem Hamburger Nachlass per Schiff elbaufwärts hierher gebracht wurden.

Wer kommt in die Bibliothek, wo doch wissenschaftliche Schrif-

ten wie vieles andere heutzutage leicht im Internet zugänglich sind? „Den homöopathisch arbeitenden und interessierten Leu-

ten ist kaum ein Weg zu weit bis zu uns“, weiß Kiese inzwischen und dass dies ganz spezielle Menschen sind. „Die kommen we-

gen des Buches, um es in der Hand zu halten, um darin zu blät-

tern, um Seite für Seite zu vergleichen, worin sich die Ausgaben unterscheiden!“

Klar, es kommen auch viele Architekturbegeisterte, die sich für

das IBA-Projekt interessieren. Besonders lieb sind dem jungen

Jan Kiese jene Besucher, die ihm Geschichte(n) erzählen können

über den klassizistischen Bau von 1829. Einst Spital des Klosters der Barmherzigen Brüder war hier zu DDR-Zeiten unter anderem eine große Tischlerei ansässig. Angestellte von damals

Hahnemanns bewahrten. Die Homöopathie war hier auch all

die DDR-Jahre hindurch nicht in dem Maße vergessen wie an-

derswo im Land. War es zunächst ein Bürgerverein, der nach der Wende das Thema Homöopathie ins Zentrum der Achtsamkeit

rückte, hatten dessen Nachfolger dann wegweisende Beschlüs-

se vermarktungsstrategischen und wirtschaftlichen Ausmaßes zu fällen. Neben Johann Sebastian Bach, der von 1717 bis 1723

Hofkapellmeister des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen war, sollte nun auch Samuel Hahnemann mit seiner Homöopathie

als touristische Marke mit Wirtschaftskraft platziert werden. Thote war einer der Akteure, die erste Kontakte zum Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte aufnahmen.

Gemeinsame Ideen und Aktivitäten gipfelten in dem IBA-Thema „Homöopathie als Entwicklungskraft“. Bei der Konzeptentwick-

lung für die Stadtplanung setzen sich Architekten mit homöopathischen Ärzten, mit Köthener Stadtvätern und Bürgern an einen Tisch. Auf ihr städtebauliches Projekt übertrugen sie als Leitmotiv den Grundgedanken der Homöopathie: Nach ganz-

heitlicher Betrachtung werden leichte Impulse zur Selbstheilung und nachhaltigen Gesundung gesetzt.

kommen und suchen nach der Stelle ihres Arbeitsplatzes; freu-

Jetzt, ein paar Jahre später, kann Oberbürgermeister Kurt-Jürgen

dessen einstigen maroden Zustand heute nur noch Fotos erin-

„Organismus“. „Ein wichtiger Impuls für den Kongresstourismus

en sich über die Wiederauferstehung eines Baudenkmals, an nern – IBA sei Dank. .

„... Was für ein Schmerz, welche Empfindung, genau beschreiben,

war es, die sich an dieser Stelle ereignet? ...-“ Würde nicht dieses Zitat an der Hauswand auf der anderen Stra-

ßenseite zum Stehenbleiben verleiten, man ginge beinahe acht-

los vorbei an dem Eckhaus Wallstraße 47. Hier hat Hahnemann von 1821 bis 1835 gewohnt und seine Praxis geführt.

Seit 2005 wird wieder eine homöopathische Praxis in den historisch so bedeutsamen Räumen betrieben. Die Ärztin Mar-

tha Schütte zog zu diesem Zweck aus dem Rheinland hierher, damals schon 78-jährig. Als sie 82 wurde, übergab sie ihrem

Schwiegersohn die Praxis. Christoph Laurentius kommt einmal in der Woche aus Berlin angereist. „Aus Idealismus“, sagt der

homöopathisch arbeitende Arzt. Zu ihm nach Köthen kommen Patienten aus einem Umkreis von etwa 150 Kilometern.

„Ja, vielleicht liegt das Vertrauen in die Homöopathie den Menschen aus der Köthener Gegend in den Genen ...“, sinniert

Hans-Werner Thote und schmunzelt. Der 75-Jährige gehörte in den 1990er Jahren zu denen, die wachsamen Auges das Erbe

Zander beobachten: Die Heilmethode funktioniert am städtischen war 2009 mit der Eröffnung der Europäischen Bibliothek für

Homöopathie gegeben“, kann der OB mit Blick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen zufrieden feststellen.

Immer mehr Fachbesucher kommen zum jährlichen „Internationalen Coethener Erfahrungsaustausch“. In der Bibliothek finden

regelmäßig Kongresse und Seminare statt. Beliebt bei homöopathischen Ärzten ist der Köthener Homöopathiesommer. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte plant, seinen

Kongress 2015 in Köthen durchzuführen. Und er will sich um die Ausrichtung des Homöopathischen Weltkongresses 2017 in Leipzig bewerben.

„Solch ein Weltkongress geht an Köthen nicht vorbei. Mit Sicherheit sind wir dann DER Wallfahrtsort“, prognostiziert Holger

Broszat von der Kultur und Marketing GmbH. Er organisiert rund um alles Nötige, damit sich Köthen als „erste Adresse“ in Sachen

Homöopathie etabliert. Auch die Individualreisenden können bei

ihm ihr Kommen ankündigen, treffen dann allerorts auf vorsorglich geöffnete Türen.

Broszat und sein Kollege Christian Ratzel haben mittlerweile ihre „weltmännischen“ Erfahrungen gesammelt und wissen die homöopathische Besucherschaft als spezielle Gäste mit

besonderen Interessen und Ansprüchen zu schätzen. In Japan, in der Schweiz und vor allem in Indien wird Hahnemann als

Begründer der Homöopathie hoch verehrt. „Viele seiner An-


Tradition

hänger wollen einmal im Leben an den authentischen Ort

kommen, wo er gelebt und gewirkt hat. Dieser Ort sind wir“, betont Christian Ratzel, der die Gäste dann durch seine Stadt

führt; auch die internationalen Journalisten und Film-Teams. „Die seriöse Berichterstattung über die Homöopathie nimmt zu“, ist seine Beobachtung.

„Das Heilvermögen der Arzneien

beruht auf ihren der Krankheit ähnlichen

und dieselbe an Kraft überwiegenden Symptomen.“ Häuser mit Paragrafen aus dem „Organon der Heilkunst“ an

ihrer Fassade weisen den Weg von der Wallstraße 47 über die

Lutzeklinik zum Schloss. Hahnemann hatte es nur ein paar

Schritte bis zu seinem Gönner, der ihm die homöopathische Forschung ermöglichte: Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen ließ eine Nervenkrankheit von ihm behandeln – wohl erfolgreich, wie es in Überlieferungen heißt.

Das Stück Weges, das Hahnemann täglich mehrmals unter die Füße nahm, haben die Marketingexperten als Hahne-

mann-Lutze-Pfad kenntlich gemacht. In Erinnerung auch an den Heilpraktiker Arthur Lutze, der ab 1846 in Köthen wirkte

und hier die weltweit erste homöopathische Klinik errichtete. Auch dieses Gebäude strahlt wieder nach seiner Sanierung. Eine kirchliche Stiftung plant hier Betreutes Wohnen. Und Oberbürgermeister Zander hat die Vision, dass an diesem Ort

die Pflege am Menschen und praktizierte Homöopathie zusammenfinden. Dann könne sich das Hahnemann-Haus Wallstraße 47 komplett museal öffnen – entsprechend den Bedürfnissen der von weit her angereisten Besucher. Köthen – das Mekka für alle Homöopathen. n

Ö www.koethen-anhalt.de

Dr. Samuel Hahnemann (1755-1843) schrieb in Köthen seine wichtigsten Werke: die erste Auflage der „Chronischen

Krankheiten“ und zwei Auflagen des Grundlagenwerkes der Homöopathie, das „Organon der Heilkunst“.

Zu Hahnemanns 50. Doktorjubiläum 1829 gründete sich in Köthen der Homöopathische Zentralverein, der VorÄrzte. Deutschlands ältester Ärzteverband hat seinen Sitz wieder in Köthen.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

Fotos: Kathrain Graubaum

gänger des Deutschen Zentralvereins homöopathischer

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Wirtschaft

Saniert: Um Klassen besser Die SALEG macht Schule in Sachen PPP Von Cornelia Heller „Aufs Land“ und doch keinen Steinwurf weit von der Landes-

Mittagssonne flutet über den großen Hof ins Gebäude, fängt sich

schule „Pierre Trudeau“ ins „einstige Bauern- und Käsedorf“

ße, purpurrote Matratze in der Bibliothek, die den Raum zu guten

hauptstadt Magdeburg entfernt zog die Internationale GrundBarleben, einer seit Jahren prosperierenden Gemeinde mit

Vorbildstatus. Einer der verlassenen historischen Vierseithöfe des Ortes, die die alte Dorflandschaft seit jeher prägen und im Dornröschenschlaf dämmern, konnte dafür zu einem modernen Ensemble saniert, ergänzt und umgebaut werden. Die Grund-

lage für das Projekt gab eine Öffentlich-private-Partnerschaft, ÖPP, besser bekannt als Public-Private-Partnership – PPP. Das Projekt wurde zu einer Erfolgsgeschichte in Sachsen-Anhalt

und markiert den Ausgangspunkt des Engagements der sachsen-anhaltischen Landesentwicklungsgesellschaft SALEG auf einem neuen Geschäftsfeld mit guter Zukunftsoption: Schulen zu sanieren und zu betreiben, die man sich in Magdeburg und Umgebung mit Staunen und Freude anschauen kann.

in den weiten Fensterflächen und fällt auf eine märchenhaft gro-

Teilen füllt. „Hier kann gelesen, entspannt und geträumt werden. Es ist auch unser Snoezelenraum“, beantwortet Schulleiterin Anke Strehlow beim gemeinsamen Rundgang fragende Blicke

auf die bequeme Lagerstatt und erntet Schmunzeln. Snoezelen, dieses Wort aus dem Niederländischen mit seiner Bedeutung

zwischen Schnuppern und Schlummern, meint auch hier einen Ort der Ruhe inmitten lebendigen Schultreibens. Schulinsider wie Franz-Ulrich Keindorff und Conny Eggert sind mit derartigen Spezifika längst vertraut. Für sie – der eine Bürgermeister, der andere Geschäftsführer der SALEG – ist der Besuch in der deutsch-

französischen, bilingualen Schule in freier Trägerschaft eher ein

Nach-Hause-Kommen. „Es fühlt sich immer gut an, hier zu sein“, meint Eggert, „zu sehen, wie alles das, was wir uns gemeinsam mit dem Elternverein, heute Stiftung, den Kindern, der Gemein-

de und Architekten in dieser damals für uns noch neuen und Foto: Peter Gercke (2)

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unerprobten öffentlichen-privaten Partnerschaft vorgenommen

hatten, Wirklichkeit geworden ist: aus einem alten, verfallenen Hofensemble eine moderne, attraktive Schule zu gestalten.“ Die Geschichte selbst begann, wie so oft, mit einem Zufall.

„Barleben hatte sich bereits im Rahmen des ersten PPP-Projekts

des Landes Sachsen-Anhalt eine Sekundarschule neu gebaut“, erinnert sich Keindorff, während wir aus den Fenstern hinaus auf

fröhlich tobende Kinder im Atrium schauen. Dabei lässt er sich

auf einem der viel zu kleinen Stühle nieder, hoch stehen seine

Knie, lässig verschränkt er seine Arme darüber. „Wenig später

ergab sich auf einer Konferenz der Kontakt zu Prof. Strothotte,

innovativer Geist und damaliger Vorsitzender des Ecole-Vereins, in dessen Trägerschaft im Jahr 2000 die Internationale Grund-

schule in Magdeburg gegründet worden war.“ Seither wurde in

einem sanierungsbedürftigen Schulgebäude im Magdeburger

Milchweg gelehrt und dringend nach Möglichkeiten gesucht, die Rahmenbedingungen für den Schulbetrieb zu verbessern.

Und so kam man ins Gespräch, tauschte sich über Schule, PPP, Barleben und Schulgebäude, über einen der alten Höfe im Ort im Neu trifft auf Alt: Das historische Herrenhaus eines

traditionellen Vierseithofes in Barleben wurde um drei

moderne Gebäudeflügel für die Schulnutzung ergänzt.

Allgemeinen und Konkreten aus, träumte, plante, suchte schließ-

lich Partner. „Offene Ohren für das Projekt fanden wir bei Conny Eggert von der SALEG, deren Mitgesellschafterin die Gemeinde Barleben ist.“ u


Wirtschaft

„Tafelrunde“ mit Schülern – Bürgermeister

Franz-Ulrich Keindorff (hinten) und SALEGGeschäftsführer Conny Eggert: „Es ist ein

großes Privileg, Schulen bauen und zu Lebensorten gestalten zu dürfen.“

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

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Wirtschaft

Fröhliches Kinderlachen lässt die Klassenzimmertür aufspringen, Jette, Tina, Tim und Alina, Johanna, Michele und Maja

strömen mit ausgelassener Atemlosigkeit hinein. Selbstver-

Investorenmodell den Um- und Neubau am historischen Vierseithof und wurde Bauherrin und Betreiberin der Schule.

ständlich und interessiert gesellen sie sich an die nierenförmi-

Auf 25 Jahre hat der Ecole e.V., heute eine Stiftung, einen

Malen beginnt. Und Bürgermeister und Geschäftsführer malen

sich mit Wohlgefallen in das Ortsbild einpasst: Das alte stra-

gen Tische. Stifte und Papier werden herangeholt, ein fröhliches mit. Eggert wertet es als großes Privileg, Schulen bauen und zu Lebensorten gestalten zu dürfen: „PPP bietet dafür eine breite

Gestaltungsfreiheit und birgt Vorteile für alle Seiten. Planung und Bau gehen zügiger voran als in öffentlichen Verfahren. Qua-

lität kommt zustande, Kostensicherheit und eine langfristige Wirtschaftlichkeit.“ In Barleben übernahm die SALEG in einem

Mietvertrag mit der SALEG für ein Haus geschlossen, das ßenbegleitende Herrenhaus samt seiner großen Toreinfahrt

wurde um drei moderne Gebäudeflügel in ortstypischem Bruchsteinmauerwerk und Buntbrandklinkern ergänzt. Den

Hof dominiert ein eingeschobener Betonkubus mit Raum für

Gemeinschaft und einer Bühne, drei abgetreppte Bankreihen biegen sich davor wie in einem Amphitheater. Im Innern ist


Wirtschaft

die Welt zu Haus. Ganz im Sinne Erich Kästners „Fliegendem

die umgebaute Werkhalle des früheren Elektromotorenwerks

gen Farben getauchten Korridore etwa nach „Lissabon“, „Lon-

eben auch eine Kita sind wichtige Standort-, Infrastruktur- und

Klassenzimmer“ öffnen sich die Räume entlang der in prächtidon“ oder „Singapur“ und geben so ein unverwechselbares

Orientierungssystem, das der kosmopolitischen Ausrichtung

der Schule mit dem Namen des früheren kanadischen Premierministers Pierre Trudeau aufs beste entspricht und allen Anspruch und Ansporn gleichermaßen ist.

Längst sind Stift und Papier gegen Kreide und Tafel getauscht, die Finger bunter und das Lachen lauter. Die Kinder mögen ihr

Haus, das spürt der Besucher. Sicher und geborgen bewegen

sie sich darin. Es ist ein guter Ort zum Lernen und Leben, einer

von mittlerweile vielen, die unter Regie der SALEG entstanden.

Beispiel: Magdeburg. „Für uns war Barleben der gute Beginn, in das Metier Schule einzusteigen“, sagt Eggert und legt sein blaues Stück Kreide zurück in die Ablage: „2008 bewarben wir

eingezogene Internationale Gymnasium der Ecole-Stiftung und Entwicklungsfaktoren für die Zukunft des Wirtschafts- und Lebensortes Barleben.“

Die Tafel ist bemalt, die Kreidestückchen kleiner. Flach flutet

jetzt die Sonne über den großen Hof in das Gebäude, in den

Musikraum und die Bibliothek. Abschied von Barleben, einer fröhlichen Kinderschar und von Anke Strehlow. Und sie gibt

dem Schulbetreiber Eggert den wohl schönsten Satz des

Tages mit auf den Weg: „Sicher kann man gute Schule auch

in einer Scheune machen, aber in einer schönen Schule noch viel besser.“ n

Ö www.saleg.de Ö www. ppp-projektdatenbank.de

uns für das PPP-Projekt der Sanierung von fünf Schulen, dem so genannten „Paket II“, der Landeshauptstadt Magdeburg und bekamen mit dem wirtschaftlich günstigsten Angebot

schließlich den Zuschlag. Freude und Motivation waren groß. Denn: Wer darf schon den Wandel der Schullandschaft einer

Stadt aktiv mitgestalten?“ Ausschließlich regionale Firmen planten, bauten und sanierten für die SALEG und in Partnerschaft mit dem städtischen Eigenbetrieb Kommunales Ge-

bäudemanagement zum vereinbarten Festpreis, in kürzester Frist und bester Qualität die teils über 100 Jahre alten Schulgebäude in der Annastraße, Leipziger Straße, in Cracau, Alt

Mit ihrer eigens dafür gegründeten Magdeburger Bau- und Schulservice GmbH steht die Landesentwicklungsgesellschaft

nun auch hier die nächsten 20 Jahre in der Betreiber- und Ver-

walterpflicht. Und kann mit jedem Tag auf beste Erfahrungen im Facility Management für zukünftige Projekte in anderen

Foto: Peter Gercke (2)

Olvenstedt und am Nordpark auf modernsten Standard um.

Kommunen und Gemeinden verweisen. „Aber noch“, wiegt

Schulhof mit vielen Möglichkeiten: Wie in einem antiken Amphi-

es noch immer, Berührungsängste abzubauen.“

Platz für Theater, Musik, Spiel und Spaß

Eggert den Kopf, „trauen sich nicht alle an PPP-Modelle. Da gilt

theater biegen sich drei abgetreppte Bankreihen zum Gebäude –

Ganz anders in Barleben. Hier gehört der Weg PPP und die

Zusammenarbeit mit externem Sachverstand längst zu den

guten Erfahrungen. Und wird weiter konsequent verfolgt. „Unter anderem im Ostfalenpark mit der Idee einer Kindertagesstätte für den Nachwuchs der jungen Wissenschaftler im dort ansässigen Innovations- und Gründerzentrum“, entwirft

Keindorff Zukunftsbilder. „ Sicher“, schränkt er ein, „es sind noch

Bild links:

Eggert. „Ein Bedarf ist da. Und Angebote wie die Internationale

Trudeau“, Schulleiterin Anke Strehlow hinten im Bild

viele Fragen offen, aber was ist schon einfach?“, nickt er zu Grund- und unsere Sekundarschule, das im vergangenen Jahr in

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

Malstunde für alle in der Internationalen Grundschule „Pierre

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Tourismus

Ein Paradies aus Eisensteinen Sachsen-Anhalt ist das Land der 1 000 Parks und Gärten Von Christian Wohlt

Sachsen-Anhalts Norden ist nicht gerade als Land der Burgen

Der „Vater“ des Gartenträume

größere Herrensitz mit dem Ehrentitel „Schloss“ schmücken. So

zender des Fördervereins

und Paläste bekannt. Deshalb darf sich in der Altmark jeder auch in Tangerhütte, das gleich zwei Schlösser, eigentlich Fab-

Projekt: Claus Mangels, Vorsit-

rikantenvillen, zu bieten hat. Das Besondere daran ist der herrliche, sie umgebende Park, der eng mit der Geschichte des Städt-

chens verbunden ist und heute sein Aushängeschild darstellt. Der Name Tangerhütte tauchte erstmals Mitte des 19. Jahrhun-

derts auf. Damals waren in der Niederung des Flüsschens Tanger, nahe des Dorfes Vaethen, eisenerzhaltige Steine gefunden wor-

den. Um sie zu schmelzen, wurde eine Hütte am Tanger gebaut. Schnell entwickelte sich das Werk zum florierenden Betrieb. Um die „Tangerhütte“ wuchs eine kleine Siedlung, die schließlich mit dem Dorf verschmolz und 1935 Stadtrecht erhielt. Tangerhütte darf sich somit „Jüngste Stadt der Altmark” nennen. Die

Besitzer des Werkes gelangten zu Wohlstand und ließen Ende des

19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die beiden einst prächtigen

und dem „Neuen Schloss”, um die herum eine ausgedehnte

Parkanlage nach Pücklerschen Grundsätzen angelegt wurde.

Der künstliche Wasserfall

ist ein Markenzeichen des

Stadtparks in Tangerhütte

Foto: Sven Paproth

Villen errichten. Die Einheimischen sprechen vom „Alten Schloss”

Der Tangerhütter Stadtpark hat eine Fläche von rund 22 Hektar. Er wartet mit zahlreichen seltenen Gehölzen und mancher

Überraschung auf. Ein Mausoleum, das bis in die 1970er Jahre die Gebeine der Fabrikantenfamilie beherbergte, die Pergola am

Schwanenteich und der künstliche Wasserfall sind sowohl Blick-

fänge als auch architektonische Meisterleistungen. Einmaliges

Zeugnis technischer und künstlerischer Kreativität der Hüttenwerker ist der Kunstgusspavillon, der extra für die Weltausstellung 1889 in Paris gefertigt wurde. In den 90ern des 20. Jahr-

hunderts restauriert, ist er das Markenzeichen des Tangerhütter

Stadtparks. Zu DDR-Zeiten recht verwildert, wurde das Areal in den zurück liegenden Jahren, weitgehend den ursprünglichen

Plänen entsprechend, wieder hergestellt. Ein Megaprojekt für die finanziell chronisch klamme Kommune. Foto: Christian Wohlt

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Tourismus

Möglich wurde es durch eine in dieser Form wohl einzigartige

ten in Naumburg, die zwischen 2009 bis 2011 rekultiviert und

in Sachsen-Anhalt“ umfasst 43 grüne Oasen zwischen dem

Schlossgärten, mit rund 107 Hektar einem der größten und mit

Initiative. Das Landesprojekt „Gartenträume – Historische Parks kleinen Ort Krumke im Norden und der einstigen Residenzstadt

Zeitz im Süden des Landes. Der damit verbundenen großzügigen Förderung ist es zu verdanken, dass die Anlagen denkmalschutz-

gerecht wieder hergestellt, erhalten, gepflegt und touristisch vermarktet werden. Nur selten ist die Geschichte einer Stadt so eng mit der eines Parks verbunden wie in Tangerhütte. Aber jede

der Gartentraum-Stationen kann eigene Geschichten erzählen. Claus Mangels kennt sie alle. Wenn der Vorsitzende des För-

dervereins über das Projekt, dessen Anfänge bis ins Jahr 1999 zurück reichen, berichtet, blüht er auf. Mit besonderem Enthu-

siasmus schwärmt er vom jüngsten Projektkind, den Domgär-

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

neu gestaltet wurden, sowie vom Ensemble der Blankenburger der Entstehung um 1668 einem der ältesten in Sachsen-Anhalt. Seit dem 17. Jahrhundert war der Harzort Nebenresidenz der

Herzöge zu Braunschweig-Lüneburg. Anfang des 18. Jahrhun-

derts wurde die Grafschaft Blankenburg zum Reichsfürstentum

und damit zu einer kleinen selbständigen Residenz ausgebaut. Aus dieser Zeit sind das Große und Kleine Schloss (hier ist die Bezeichnung durchaus wörtlich zu nehmen), sowie die Grund-

struktur des Schlossparks mit dem Tiergarten, der Orangerie, dem Fasanengarten, dem Terrassengarten und dem Berggarten erhalten geblieben. Von der einstigen Pracht war lange Zeit

nicht viel zu spüren. Erst durch das Gartentraum-Projekt erblühte die Anlage zu neuem altem Glanz. u

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24

Tourismus

So unterschiedlich wie die Regionen des Landes, so unterschiedlich sind die Parks und G채rten. Barocken Glanz vermittelt Schloss Hundisburg mit seinem Park, von industriellem Reichtum k체ndet die Fabrikantenvilla im Tangerh체tter Park.


Foto: Christian Wohlt

Fotos: Michael Uhlmann (2)

Tourismus

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

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Tourismus

Foto: Christian Wohlt

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Idylle pur lässt sich bei einem Bummel durch den historischen Schlosspark Ballenstedt erleben.

Geboren wurde die Idee nach der Bundesgartenschau in Mag-

Bandbreite der Gartenkunst - vom mittelalterlichen Klostergarten

Areal stand. Das Ziel: Das frühere Gartenschaugelände sollte

Zeiten bis zu dem noch im Entstehen befindlichen Landschafts-

deburg, als die Frage nach einem Nachnutzungskonzept für das nicht nur zu einer modernen Parkanlage entwickelt, sondern

auch mit den anderen Parks und Gärten im Lande vernetzt wer-

in Drübeck, über Barockgärten und Landschaftsparks vergangener park Goitzsche bei Pouch im Landkreis Anhalt-Bitterfeld.

den. Immerhin hat Sachsen-Anhalt mit nahezu 1 000 Gärten

Bis auf das weltberühmte Dessau-Wörlitzer Gartenreich und

risches und kulturelles Erbe zu bieten, das es zu nutzen galt.

kaum erschlossen und überregional weitgehend unbekannt.

und Parks ein deutschland- und europaweit einmaliges histo-

„Viele Anlagen waren anfangs alles andere als ein Gartentraum, eher ein Alptraum“, erinnert sich Mangels. Doch nicht nur er

erkannte, welcher Schatz in ihnen schlummerte. Beim Landes-

wirtschaftsministerium rannten die „Garten-Träumer“ mit ihrem Anliegen offene Türen ein.

Inzwischen wurde der Traum zur Realität. Seit 2006 gehört das Projekt „Gartenträume“ zu den vier touristischen Markensäulen

des Landes. Die ausgewählten Gartenanlagen umfassen die ganze

das Sangerhäuser Rosarium waren alle anderen touristisch Rund 50 Millionen Euro wurden investiert, um die Parks und

Gärten aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Lokalpolitiker vor Ort (die meisten Anlagen sind in kommunalem Besitz) und

zahlreiche ehrenamtliche Helfer setzen sich für das Projekt ein. Maßgeblichen Anteil an der Erfolgsgeschichte haben Sponsoren wie Lotto Sachsen-Anhalt, die Allianz-Umweltstiftung, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, die Stiftung Umwelt, Naturund Klimaschutz Sachsen-Anhalt und nicht zuletzt die Sparkassen des Landes.


Tourismus Stationen des Landesprojekts Gartenträume – Historische Parks und Gärten in Sachsen-Anhalt“ „Die Sparkassen in Sachsen-Anhalt engagieren sich als regional

ausgerichtete Kreditinstitute insbesondere für die Stärkung des

1.

Schloss und Schlosspark Krumke, Osterburg

sellschaftliches Leben der Menschen in den Kommunen bis in

3.

Stadtpark Tangerhütte

regionalen Wirtschaftsstandortes und für ein vielseitiges ge-

die kleinste Gemeinde. Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung schließt das Engagement vor Ort ein“, begründet

Projektkoordinator Klaus Westphal die Förderung. Die örtlichen Sparkassen arbeiten darüber hinaus auf verschiedenen Ebenen

mit den Trägern der „Gartenträume“ zusammen, sei es beim eh-

renamtlichen Engagement oder bei der gemeinsamen Umsetzung von weiteren Projekten. Jüngstes Beispiel: Zum Saisonstart

2013 helfen die Sparkassen durch ihr Sponsoring, ein einheit-

liches Informationstafelsystem für die Gartenträume-Parks zu schaffen. „Wir freuen uns, damit einen wesentlichen Beitrag zur weiteren touristischen Vermarktung dieses weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts einmaligen Vorhabens zu erbringen, mit

dem Besucher und Gäste wichtige Hinweise zu den Gartenanlagen und Parks aber auch zur Region erhalten. Somit schließt sich der Kreis des regionalen Engagements“, so Klaus Westphal.

Kreise ziehen die Gartenträume aber auch über die Landes-

grenzen Sachsen-Anhalts hinaus. Das Projekt war nicht nur das erste landesweite dieser Art in Deutschland, sondern ist

im Rahmen des Gartennetz Deutschland e.V. beispielgebend

für viele andere Initiativen, berichtet Mangels. Auch internatio-

nal machen Sachsen-Anhalts Parks und Gärten von sich reden. Inzwischen bestehen Kontakte zwischen dem Gartenträumeverein und ähnlichen Initiativen in Österreich, Litauen, im Elsass

und in der polnischen Region Masowien. Im vergangenen Jahr wurden die Wörlitzer Anlagen, das Europa Rosarium Sanger-

hausen und die Barocken Gärten Blankenburg mit dem „Green Flag Award“, dem aus Großbritannien stammenden Quali-

tätssiegel für Parks und Gärten, ausgezeichnet. „Die sachsen-

anhaltischen Parks können sich mit den bekannten englischen Gärten messen. Dass im bundesweiten Vergleich aus SachsenAnhalt mit drei Anlagen die meisten Preisträger kommen, zeigt

das großartige Engagement unserer Parkeigentümer. Ihrem Anspruch, den Gästen beste Qualität zu bieten, werden sie gerecht“, ist Vereinsvorsitzender Claus Mangels begeistert. n

Ö www.gartentraeume-sachsen-anhalt.de

2. 4. 5.

6. 7.

Wallanlagen Gardelegen

Herrenhaus und Gutspark Briest, Tangerhütte Gutshaus und Gutspark Seggerde Schloss und Schlosspark Harbke

Schloss und Barockgarten Hundisburg, Landschaftspark Althaldensleben

8.

Herrenkrugpark und Elbauenpark an der Elbe, Magdeburg

11.

Schloss Wendgräben mit Park, Möckern

9.

12. 13.

Stadtpark Rotehorn an der Elbe, Magdeburg Kloster und Klostergarten Drübeck

Schloss und Schlossgärten Wernigerode

14. Landschaftspark Spiegelsberge, Halberstadt 15.

Schloss und Schlossgärten Blankenburg (Harz)

17.

Roseburg, Rieder

16. Stiftsgärten, Quedlinburg 18.

Schloss und Schlosspark Ballenstedt

19. Gärten und Parks in Aschersleben

20. Landschaftspark Degenershausen 21.

Schloss und Schlossgärten Stolberg

22. Europa-Rosarium Sangerhausen 23. Schloss und Schlosspark Köthen

24. Schloss und Schlossgarten Mosigkau, Dessau-Roßlau

25. Kühnauer Landschaftspark, Schloss und Schlossgarten

Großkühnau, Dessau-Roßlau

der Elbe, Dessau-Roßlau

26. Schloss Georgium, Georgengarten und Beckerbruch an 27.

Schloss und Park Luisium, Dessau-Roßlau

28. Sieglitzer Berg an der Elbe, Vockerode 29. Wörlitzer Anlagen

30. Schloss und Schlossgarten Oranienbaum 31.

Schloss und Schlosspark Reinharz

32. Irrgarten im Gutspark Altjeßnitz

33. Landschaftspark Goitzsche, Pouch 34. Schloss und Schlosspark Ostrau 35. Reichardts Garten, Halle (Saale)

36. Amtsgarten an der Saale, Halle (Saale) 37.

Botanischer Garten, Halle (Saale)

38. Schloss und Park Dieskau

39. Historische Kuranlagen und Goethe-Theater

Bad Lauchstädt

41.

Schloss und Schlosspark Burgscheidungen an der Unstrut

40. Dom, Schloss und Schlossgarten Merseburg an der Saale 42. Dom und Domgärten Naumburg

43. Schloss und Schlosspark Moritzburg, Zeitz

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Logistik

Das Leben der Zukunft gestalten: Goliath will von David lernen

Die Wirtschaftsgroßmacht China blickt nach Sachsen-Anhalt. Interessiert sind die Asiaten am Transfer von Wissen

Von Sabrina Gorges

China boomt. Das bevölkerungsreichste und viertgrößte Land der Erde ist hungrig – vor allem nach Know-how. Nützliche Fähigkeiten und Wissen über prozedurale Vorgänge sollen auch aus Sachsen-Anhalt kommen. Vor allem in Sachen Logistik und Bauwesen

dig für Raumordnung, Verkehr und Tourismus. „Es ging um eine

erste Markterschließung und das Abklopfen der Rahmenbedin-

gungen“, bringt es Zander auf den Punkt. „Wir haben kein Geld nach China getragen. Ganz im Gegenteil: Dort will man unser

kann sich Goliath von David noch was abschauen.

Know-how und darauf sind wir stolz.“

China ist ein Riese. Ein echter Goliath. Die Volksrepublik giert

Längst den Fuß in der Tür

na selbst noch ein David. Ein wirtschaftlicher Winzling, der nun

Die Grundlage bildet ein Kooperationsabkommen zwischen der

schaft profitiert von diesem Wachstum. Verflechtungen mit

terzeichnet wurde. Beide Partner vereinbaren darin, sich in Zu-

nach Ressourcen und Wissen. Bis vor ein paar Jahren war Chiauf dem Weg ist, eine Weltmacht zu werden. Die deutsche Wirt-

dem viergrößten Land der Erde werden angestrebt, weil es die

eigene Konjunktur ankurbelt. Das deutsche Exportvolumen in die asiatische Volksrepublik ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Vorjahr auf vorläufig 66,6 Milliarden Euro angestiegen, 2009 betrug es nur etwa die Hälfte. China ist in-

zwischen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde und dem

Spitzenreiter USA dicht auf den Fersen. Seine Fühler streckt das

Land auch nach Sachsen-Anhalt aus. Im Fokus der Asiaten: die Themen Logistik, Stadtentwicklung, nachhaltiges Bauen und der Umgang mit dem Megatrend Demografie.

Konkret intensivieren die Verantwortlichen aus Sachsen-Anhalt

gerade die Zusammenarbeit mit der Provinz Fujian. Ein Landes-

Provinz Fujian und Sachsen-Anhalt, das vor etwa einem Jahr unkunft in den Bereichen Bau, Verkehr und Landesentwicklung zu unterstützen. Höchste Zeit, dieses allgemein gefasste Ziel mit

Leben und konkreten Ansätzen einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu füllen. „Wir haben ja längst den sprichwörtlichen Fuß

in der Tür“, sagt Zander. „Trotz der großen Entfernung und der

Größenunterschiede sind wir auf Augenhöhe und gut beraten, das Interesse der Chinesen an allem, was Wachstum, Effizienz

und Nachhaltigkeit nach sich zieht, zum beiderseitigen Vor-

teil zu nutzen.“ Unternehmen wolle die IHK freilich nicht nach China treiben, aber als Vermittler fungieren. „Wir wollen unser

Netzwerk nutzen und einfach schauen, was wir anschieben und vorantreiben können“, sagt Zander.

teil im Südosten Chinas, der das ostdeutsche Bundesland bei

Das „Zugpferd“ IBA hat immer noch viel Kraft

sechsmal größer als Sachsen-Anhalt. Auf einen Quadratkilome-

Die Chinesen sind „heiß“ auf die Ergebnisse der 2010 zu Ende

wird mit rund 36,3 Millionen angegeben – in Sachsen-Anhalt

in Sachsen-Anhalt“, den Umgang der hiesigen Experten mit den

allen Zahlenvergleichen deutlich aussticht. Fujian ist ungefähr ter wohnen fast 300 Menschen. Die Gesamtbevölkerungszahl sind es gerade einmal 2,3 Millionen. Und doch ist man in der Volksrepublik auf das kleine, deutsche Bundesland aufmerksam

geworden. Mitte Mai reiste eine achtköpfige Delegation von Magdeburg aus zu einem Arbeitsbesuch in die Provinz Fujian und nach Shanghai. Mit dabei waren Thomas Webel, Sachsen-

Anhalts Minister für Landesentwicklung und Verkehr sowie Siegfried Zander, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Magdeburg und zustän-

gegangenen Internationalen Bauausstellung (IBA) „Stadtumbau

Themen „Landflucht“ und „Urbanisierung“ und peilen langfristig auch Kooperationen auf dem Hochschulsektor an. Auch Energieeffizienz spielt in der chinesischen Baubranche eine immer grö-

ßere Rolle, ebenso wie logistische Dienstleistungen und ihre Verzahnung. Minister Thomas Webel sieht sich, ähnlich wie Siegfried

Zander, in der Rolle des „Türöffners“. „Ich bin kein Wirtschaftsminister, aber natürlich sehr daran interessiert, den geschlossenen Vertrag mit der Provinz Fujian mit Leben zu füllen.“

u


Logistik

Die Delegation aus Sachsen-Anhalt zu

Besuch auf der Messe

f端r Kreatives Design in Fuzhou. Gerhard

Bertram und Siegfried Zander von der IHK

Magdeburg, Minister Thomas Webel und Hergen Hanke von

der Umschlags- und Handelsgesellschaft

Haldensleben mbH (von li. nach re.) in-

formierten sich auch

端ber Neuigkeiten aus

der Transport- und

Logistikbranche.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

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30

Logistik

Immerhin legte er anlässlich der 5. Internationalen Fachmesse

für Logistik, Telematik und Transport vom 5. bis 7. Juni 2012 in Shanghai den Grundstein. „Wir haben laut getrommelt, aber

schnell festgestellt, dass man dort schon längst auf SachsenAnhalt aufmerksam geworden war“, erinnert sich Webel.

Einen entscheidenden Beitrag dazu leistete der „Barcelona FAD

Award“ für die IBA, der im Februar 2011 verliehen wurde. Ein kleiner Stein, der große Wellen schlug. „Die IBA hat nicht nur in

Sachsen-Anhalt für spürbare Veränderungen gesorgt, sondern auch die positive Außenwirkung erhöht“, betont Webel.

Greift das „Laubengangmodul“ in der Volksrepublik? Läuft alles nach Plan, könnte in der fernen Volksrepublik schon bald das sachsen-anhaltische „Laubengangmodul“ Schule machen. Das Pilotprojekt wurde im März dieses Jahres in Halle

gestartet. Mit ihm soll der Nachweis gelingen, dass es auch in Häusern des industriellen Wohnungsbaus möglich ist, ausschließlich in den oberen Etagen barrierefreie Zugänge in die

Wohnungen zu schaffen. Sogenannte Laubengänge, also außen liegende Erschließungs- und Wandelgänge, machen es mög-

lich. Kombiniert mit einer ebenerdigen Außenaufzugsanlage müssen oben liegende Wohnungen „in der Platte“ nicht mehr

zwangsweise verlassen werden, weil Treppensteigen vor allem für Senioren nicht mehr möglich ist. Und: Für den Vermieter

halten sich die Investitionen in Grenzen, weil nur ein Teil des Bestandes bedarfsgerecht umgebaut werden muss. Eine intelligente Lösung – und eines von vielen IBA-Ergebnissen. Die

werden übrigens mittlerweile vom Kompetenzzentrum Stadt-

umbau verwaltet und nach Möglichkeit realisiert. „Ich wünsche mir eine lebhafte Zusammenarbeit zwischen dem Kompetenzzentrum, der IHK und den Machern in China“, sagte Webel.

„Stadtumbau ist auch dort ein viel diskutiertes Thema.“ Und es gibt weitere Ansätze: Magdeburg fungiert als Beispiel für das auch in China sehr aktuelle Thema „Leben am Fluss“ und SachsenAnhalt bringt sich als Projektpartner in die Umgestaltung eines mehr als 200 Jahre alten Gebäudes im alten Ming-Viertel Fuz-

leben am Mittellandkanal zählt zu den fünf wichtigsten Häfen in

tivwerkstatt entstehen. „Wieder sind es unsere Erfahrungen im

vor allem Technologietransfer vor, verliert aber auch das große

hous ein. Dort, in der Provinzhauptstadt Fujians, soll eine Krea-

barrierefreien Bauen, die wir hier einfließen lassen“, sagt Webel. In China steckt diese Art des Bauens noch in den Kinderschuhen.

Hafen Haldensleben als Vorbild für kombinierten Verkehr Auf dem Logistiksektor hat der Hafen Haldensleben nun die Brücke nach China geschlagen. Die dortige Umschlags- und Han-

delsgesellschaft mbH (UHH) will künftig mit der Hafen-Gruppe in Fuzhou zusammenarbeiten. Der trimodale Standort Haldens-

Sachsen-Anhalt. Die jetzt geschlossene Zusammenarbeit sieht

Ganze nicht aus den Augen. „Das Hafen-Management in Fuzhou kann seine Kunden darüber informieren, welche Möglichkeiten und Vorteile der Transport auf Sachsen-Anhalts Wasserwegen von Hamburg ins Binnenland bringt“, sagt Webel. Viel zu viel laufe

derzeit noch über den Hafen Rotterdam, was oft länger, teurer und damit ineffizienter ist. Auch die Tatsache, dass Haldensleben sich als „Full-Service-Hafen“ einen Namen gemacht hat, punktet bei den Chinesen. Die Experten der UHH kümmern sich von der Zollabfertigung in Hamburg, über den Transport vom See- zum Bin-


Logistik

nenhafen bis hin zur Entladung, Lagerung und Weitertransport

praktisch um alles – wenn es gewünscht ist. Dem vehementen

politischen Streben in Sachsen-Anhalt, künftig mehr Verkehr von

Minister Thomas Webel erläutert einem Mitarbeiter des Bauministeriums der Provinz Fujian das Prinzip

der „Laubengangmodule“ an Gebäuden.

der Straße aufs Wasser zu verlagern, kommt das sehr entgegen. Wie geht es nun in und mit China weiter? Siegfried Zander ist

motiviert. „Wir haben eine Einladung zu einer Baumesse im Juni

nächsten Jahres erhalten. Es geht darum, ein Passivhaus vorzustellen. Damit gehen wir den Weg weiter und erschließen uns neue Aktionsgebiete.“ In der IHK wird die Messeteilnahme derzeit

geprüft. Allgemein stehen die Zeichen auf Kontinuität. Nicht umsonst hat sich die Delegation vor ein paar Wochen mit den Worten „Wir kommen wieder!“ vom Riesen China verabschiedet. n

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Ö www.mlv.sachsen-anhalt.de Ö www.magdeburg.ihk.de

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Erfolgsgeschichte

Elbe in Ketten Das dritte Leben eines ausgedienten Schleppschiffs Von Rainer Lampe „Hätten wir gewusst, was uns erwartet, wir hätten wohl die

in Magdeburg, bei der Sanierung von historischen Land-

es war ein verwegenes Unterfangen. Doch wer das Ergebnis

meisten Zeugen des Magdeburger Maschinenbaus im Tech-

Finger davon gelassen“, sagt Dr. Reinhard Kuhne. In der Tat, bestaunt, sagt sich: „Gut, dass die sich da rangewagt haben“. Das sieht Kuhne ja längst auch so.

Der promovierte Ingenieur ist Chef eines ungewöhnlichen Un-

ternehmens namens GISE. Den Namen kennen viele in Magdeburg, ohne zu ahnen, wofür das Kürzel steht: Gesellschaft

für Innovation, Sanierung und Entsorgung mbh. Bei der GISE

maschinen, beim Radwegebau, bei der Rekonstruktion der

nikmuseum. Ohne die Leute von der GISE wäre Magdeburg

um manche Attraktion und viele Sehenswürdigkeiten ärmer. Wenn das alte Schiffshebewerk in diesem Sommer wieder in Betrieb geht, wenn die Hubbrücke über die Elbe wieder begehbar wird, hat auch die GISE ihren Anteil.

arbeiten nur Leute ohne Job, und immer nur befristet, bis ihre

Statt Kajüten Badekabinen

ältere und schwer vermittelbare Menschen, also vorwiegend

Das wagemutigste Projekt war unbestritten die detailge-

Kuhne sieht das anders. Er erlebt es anders. Die Leute von der

Elb-Kettenschleppdampfers, der „Gustav Zeuner“. Ketten-

Fördermaßnahme ausläuft. Besonders Frauen, Jugendliche, jene, denen die meisten Arbeitgeber nicht viel zutrauen.

GISE haben schon die tollsten Sachen gemeistert, Aufgaben, an denen selbst Spezialisten scheiterten. Beim Ausbau der

geschichtsträchtigen Festung Mark und der Lukasklause

treue Rekonstruktion und Restaurierung eines ausgedienten schlepper stehen für eine ganz spezielle Epoche der Elbschiff-

fahrt. Die „Zeuner“ gilt damit als einzigartiges technisches Denkmal für Erfindergeist und Ingenieurskunst.


Erfolgsgeschichte

1894 wurde die „Gustav Zeuner“ als erster Kettenschleppdamp-

Schiffbauer-Rat aus Bremerhaven

gebaut. Von 1895 bis 1931 verkehrte sie auf der Elbe. Weitere

Vier Jahre dauerte das Unterfangen, bis zu 30 Mitarbeiter waren

schon technisch überholt. Die „Zeuner“ wurde in Magdeburg-

der alten „Zeuner“ gab es eigentlich nur noch den Schiffsrumpf,

fer der zweiten Generation dieses Schiffstyps in Dresden-Übigau Schiffe fuhren bis 1945, die Kettenschiffahrt war da längst

Fermersleben an Land geholt. In ihrem zweiten Leben trug sie die Kabinen einer Elb-Badeanstalt, später öffnete eine Gaststätte auf ihrem Deck. Dann war es vorbei mit dem Baden in

der Elbe. Der alte Kahn rostete vor sich hin, sehr zum Ärgernis für die große Schar der Freunde der historischen und aktuellen Elbschifffahrt.

Die Idee, die „Gustav Zeuner“ zu restaurieren, ist uralt. „Auch

wir hatten den Dampfer ja schon lange im Blick“, räumt Dr.

Kuhne ein. Wieder einmal stellte das Schicksal die Weichen: Das Grundstück an der Elbe, auf der die „Zeuner“ stand, wurde verkauft, der neue Besitzer wollte den Dampfer weg

haben. Die bisherige Besitzerin suchte nach einer Lösung. Und die ARGE Jobcenter Magdeburg GmbH war an einem nachhaltigen Projekt, gerade mit Blickrichtung auf Jugend-

liche, interessiert. Die Anfrage ging weiter zur GISE – ob sie

sich solch ein Wagnis zutraue. „Wir haben uns tief in die Augen geschaut, lange überlegt – und Ja gesagt.“ Von der

Landeshauptstadt wurde mit dem Wissenschaftshafen der zukünftige Standort des Museumsschiffes bestimmt.

monatlich damit beschäftigt. Aber: welches Unterfangen? Von

und der war verrostet und teilweise zerstört. Die Schiffsruine war vollgemüllt. Es gab keine Zeichnungen, keine Konstrukti-

onsunterlagen, keine Schiffbauspezialisten. Nach langer Suche

fand sich einer in Bremerhaven, ein Pensionär, der von der Idee so begeistert war, dass er im ersten Jahr der Rekonstruktion einmal die Woche nach Magdeburg düste.

Der Rumpf als Ganzes war weder zu Wasser noch über Land zu transportieren. Die Idee, den Schiffskörper in 15 Segmente zu zer-

legen, konnte mit Pensionärs-Hilfe umgesetzt werden, da er die Erfahrung hatte, wo der Schneidbrenner anzusetzen war, um die Teile auch später wieder zusammenfügen zu können. Bauleiter

war Harry Warzecha, ein alter Thälmannwerker. Ohne ihn wäre es wohl nichts geworden. „Der hat sich hier ein Denkmal gesetzt.“

Ein Konstruktionsbereich wurde begründet, die Bauunterlagen

der „Zeuner“ wurden quasi zum zweiten Mal erarbeitet. An die 40 junge Leute – von der ARGE Jobcenter Magdeburg „delegiert“  – sollten die Schiffselemente entrosten. Das ist pure Hand-

arbeit, und die geht an die Substanz. „Wir haben sie in einen Bus gesetzt, sind nach Bremerhaven gefahren, und dort haben wir ihnen gezeigt: so läuft das auch in einer Werft. Was wir von ihnen verlangen, ist keine Strafarbeit, das ist Tagwerk für Entroster. u

Erst Kettenschlepper, dann Badeanstalt mit Gaststätte, später nur noch ein rostendes Schiffswrack  – die „Gustav Zeuner“ im Mai 2005 am Elbufer bei Magdeburg-Fermersleben.

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Erfolgsgeschichte

Von der „alten“ Gustav

Zeuner“ gibt es nur wenige Bilder. Dieses Foto erwies

sich als wertvolle Vorlage

bei der Rekonstruktion des

Schiffes, denn am rostenden Schiffslaib erinnerte nur

noch wenig an den Kettenschlepper von einst.

Die „Zeuner“ ist das einzige nahezu vollständig erhalten gebliebene Relikt der

Kettenschifffahrt auf der Elbe. Das Schiff war von

1895 bis 1931 auf der Elbe im Einsatz und befindet

sich heute als Museumsschiff im Handelshafen Magdeburg.

Die Fahrt zeigte Wirkung: „Die Jungs haben einen guten Job

Wie lange noch? Keiner weiß es. Als nächstes möchten die GISE-

Truppe war voller Eifer dabei“, sagt Kuhne. Bummelei, Faulheit, er-

am Hafenbecken entlang durch den jetzigen Wissenschaftshafen

gemacht, keiner hat gemurrt, die Arbeit verweigert, die ganze höhter Krankenstand – nichts von alledem.  „Keinerlei Probleme.“

„Das war hier Maschinenbau pur“ Verwundert das? Die Aufgabe war die reinste Herausforderung. „Die Älteren konnten beweisen, dass sie wirklich viel draufhaben. Die Jungen haben eine Menge dazugelernt von den Alten, keiner wollte sich ja eine Blöße geben.“ Die Fachkräfte, nach denen viele

Firmen schreien, meint Kuhne, die gibt es. „Wir hatten sie. Ohne sie wäre das nie was geworden mit der Zeuner. Das hier, das war Maschinenbau pur. Oft mussten unsere Leute improvisieren und

mit der Abdichtung des Decks in Eigenleistung sogar die Ver-

fehlungen der eingebundenen Fachfirma, einer Jachtwerft aus Dresden, ausbügeln.“

Über 20 Prozent der „Hartz-4er“, die die „Zeuner“ wieder aufbau-

ten, konnten in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden. „Eine gute Quote“, weiß Kuhne aus jahrelanger Erfahrung.

Dank der Förderung durch Jobcenter und Landeshauptstadt sowie des Einsatzes ortsansässiger Firmen liegt die neue, alte „Gustav Zeuner“ seit gut zwei Jahren im alten Handelshafen von Magde-

burg, in der Nähe von rekonstruierten Schiffskranen und Schiffen. Das Museumsschiff öffnet sich mehrmals die Woche für Besucher.

Leute hier auch noch eine Draisine einsetzen, mit der Touristen zur „Zeuner“ pendeln können. An diesem Hafen-Standort wurden letztlich alle Segmente zusammengefügt. Der Dampfkessel der „Zeuner“ ist bauidentisch nachgebaut worden, die Dampfmaschinen und andere Teile des Innenlebens sind baugleich oder

bauähnlich. Zusammengesucht überall in Deutschland, einsatzbereit gemacht in Magdeburg. Die Kapitänskajüte soll bald

noch nach historischem Vorbild nachgestaltet werden, auch die Mannschaftskabinen, eventuell auch die Kombüse.

Dass die GISE so erfolgreich operiert, funktioniert nur im Zu-

sammenspiel mit der Magdeburger Stadtverwaltung und dem hiesigen Jobcenter. Diese Besonderheit zeichnet Magdeburg

aus. Andere Städte scheuen solch Engagement und den finan-

ziellen Aufwand. Für die Stadt Magdeburg zahlt sich das Geld aber vielfach aus. Sie ist attraktiver für Einwohner und Gäste geworden. Größte Nutznießer sind allerdings wohl jene, die seit

langem vergebens auf Jobsuche waren, so lange, bis sie an sich selber zweifelten. Wenigstens für einige Monate erfahren sie

hier wieder, was sie wirklich drauf haben. Sie könnten es immer und überall beweisen – wenn man sie nur ließe…. n

Ö www.kettendampfer-magdeburg.de Ö www.gise-md.de


Wir sind

Sachsen-Anhalt

Foto: Jonny Soares

„Wir lieben Sachsen Anhalt, wegen der Menschen, die dort leben, der guten Getränke, des guten Essens und des frühen Aufstehens!”

Eine Gemeinschaftsaktion von Sachsen-Anhalt-Magazin und radio SAW. www.sachsen-anhalt-magazin-verlag.de www.radiosaw.de www.wir-sind-sachsen-anhalt.de

Die Gruppe Silly, wurde 1978 in (Ost-)Berlin gegründet und mit der Sängerin Tamara Danz populär. Mit Anna Loos als Frontfrau feiert die Band seit 2006 neue Erfolge. Silly nahm am Bundesvision Song Contest 2010 für Sachsen-Anhalt teil und belegte dort den zweiten Platz.


Technologie

Foto: Sven Paproth

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Formel-1-Feeling in Oschersleben Retter für Europas Rennstrecken werden in der Börde geschult Von Annette Schneider-Solis „Rote Flagge! Rote Flagge! Abbruch! Abbruch!“ Mit Nachdruck

Bergung von Rennfahrern nach einem Unfall. Dafür sind spezielle

sport Arena gab es einen Unfall. Auf einem der Monitore zoomt

cation Centern weltweit erwerben können: in Le Mans in Frank-

ruft der Rennleiter in sein Mikrofon. Auf der Strecke in der Motor-

sich die Kamera an einen Reifenstapel in der Dreifachkurve gleich

hinterm Start. Drei Autos hat es erwischt. Eines liegt auf der Seite, eines auf dem Dach, eines steht noch. Sofort läuft die Rettungsmaschinerie an.

Das alles ist nur eine Übung, der Abschluss des aktuellen Ausbil-

dungslehrgangs im Extrication Center. Extrication steht hier für die

Kenntnisse nötig, die die Helfer an der Strecke in den drei Extri-

reich, in Singapur und eben in Oschersleben. Dass das seit drei Jahren so ist, geht auf die Initiative des Magdeburgers Dr. Michael Scholz zurück. Der Orthopäde und Anästhesist ist Verbandsarzt

des Deutschen Motorsport Bunds und Leitender Rennarzt der

Formel I. Auch an seiner Heimatstrecke in Oschersleben führt er

ab und zu noch die Regie übers medizinische Personal. Wenn es


Technologie

seine Zeit zulässt, denn Michael Scholz ist eigentlich ständig un-

nicht mehr atmet. Dann müssen wir schneller sein.“ Für solche

als Mitglied der Medizinischen Kommission des internationalen

ben trainiert werden.

terwegs, als Rennarzt an den wichtigsten Rennstrecken der Welt, Verbands für den Autorennsport, die FIA.

„In Oschersleben haben wir sehr gut ausgebildetes Rettungspersonal“, erzählt Scholz. „Als die FIA-Funktionäre bei einem Besuch

gesehen haben, wie wir hier arbeiten, entstand die Idee, hier ein

Extrication Center aufzubauen. Damals gab es nur Le Mans, und das musste dringend entlastet werden.“

An der Ausbildung nehmen Rettungskräfte von allen deutschen Rennstrecken und aus dem Ausland teil, diesmal aus Österreich und der Slowakei. Die Helfer sind vor allem erfahrene Notärzte und

Rettungsassistenten. In Oschersleben werden sie wie die Fahrer der Medical Cars und Streckenposten mit den Besonderheiten bei der Rettung Schwerstverletzter aus Rennwagen ausgebildet. Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn bei den verunglückten Fahrern Verletzungen an der Wirbelsäule vermutet werden.

„Es ist relativ leicht, die Fahrer aus Formel-1-Boliden zu bergen“, erklärt Michael Scholz anhand des Boliden, der für die Übungen

in der Box steht. „Dort haben die Rettungskräfte Platz und heben den Fahrer einfach samt Sitz heraus.“

Schwieriger wird es bei GT-Fahrzeugen. Die sind so vollgestopft

mit Technik, dass die Retter auf engstem Raum agieren müssen. Dabei müssen sie extrem vorsichtig sein, um dem Verletzten nicht zusätzlich Schaden zuzufügen.

In der Box stehen verschiedene Fahrzeugtypen, an denen geübt

wird. Die Rettungsteams bestehen jeweils aus einem Notarzt und fünf Assistenten. Die Ausbilder kommen von allen großen Rennstrecken in Deutschland und verfügen über jahrelange Erfahrung an der Strecke. Sie geben Hinweise, erklären, beobachten, stoppen die Zeit.

Die Teams haben gewechselt. Das Extrication Team vom Nürburg-

ring postiert sich startbereit um einen VW Lupo. Das Auto ist wirklich nicht groß, aber für die Retter noch weit komfortabler als ein

GT-Fahrzeug. Das „Unfallopfer“ hat den Helm aufgesetzt und hin-

term Lenkrad Platz genommen. Der Ausbilder gibt das Startsignal. Die Retter wissen genau, was zu tun ist, jeder hat seinen Platz. Zwei

Assistenten reißen die Beifahrertür auf, der Notarzt kniet neben der offenen Fahrertür, spricht den Fahrer an. Immerhin: er reagiert. Ein

zweiter Assistent beugt sich über den Notarzt zu dem Fahrer hinein. Der Notarzt stützt mit den Händen den Hals des Fahrers, der Assistent hinter ihm nimmt vorsichtig den Helm ab. Von hinten reicht

einer der Assistenten ein KED ins Auto, ein Stützkorsett für die Wirbelsäule. Vorsichtig wird es zwischen Rücken und Fahrersitz gescho-

ben. Mitsamt Korsett wird der Fahrer aus dem Auto herausgehoben und auf eine Trage gelegt. Der Ausbilder schaut auf die Stoppuhr. Er

ist zufrieden. Weniger als fünf Minuten haben die Helfer gebraucht. „Es gibt auch Situationen“, kommentiert Michael Scholz, „in de-

nen bleibt nicht soviel Zeit. Wenn ein Auto brennt oder der Fahrer

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Fälle gibt es ebenfalls spezielle Szenarien, die auch in OschersleDrei Tage lang dauert eine Ausbildung am Extrication Center in der Magdeburger Börde. Am Ende gibt es für alle Beteiligten ein Zertifikat, das die Inhaber berechtigt, in Extrication Teams bei allen Ren-

nen der FIA eingesetzt zu werden. Alle zwei Jahre muss das Zertifikat erneuert werden.

Die Rettungsübung mit allen Beteiligten am Ende des Drei-TageLehrgangs ist ein Alleinstellungsmerkmal von Oschersleben. Dabei

stellt sich heraus, wie gut alle Räder des Getriebes ineinandergreifen. Nach dem Abbruch durch den Rennleiter sind die Streckenposten als erste am Unfallort. Sie sprechen den Fahrer an, verschaffen sich

schnell einen Überblick und ordern per Funk Verstärkung. Wenige

Sekunden später stoppen die Wagen von zwei Extrication Teams. Notarzt Dr. Paris Kontokostas läuft von einem der verunglückten Wagen zum nächsten. Zwei der Verunglückten sind lebensgefähr-

lich verletzt, einer schwer. Der Schwerverletzte muss warten, denn

es sind nur zwei Teams mit zwei Ärzten vor Ort. Ein Vorderlader wird herangeholt, soll den Reifenstapel von einem der Autos heben. In

dem Moment bricht der Leiter der Streckensicherung die Übung ab. Falk Conrad ruft die Helfer zusammen. „Ich habe die Übung ab-

gebrochen, weil sie so nicht erfolgreich gewesen wäre“, erklärt er den Umstehenden. „Da war zu schlecht koordiniert. Und warum

muss denn schwere Technik geholt werden? Den Reifenstapel hätte man auch per Hand bewegen können.“ Falk Conrad gibt wei-

tere Hinweise. „Vor allem muss hier jemand den Hut aufhaben“,

sagt er bestimmt. „Ich habe beobachtet, wie jeder, der ankommt, erstmal hilfesuchend umher geschaut hat, wen er ansprechen kann! Das darf nicht sein.“

Das Problem bei dieser Übung: die Teams kommen von verschie-

denen Rennstrecken und sind nicht eingespielt. „Das darf man aber nicht merken“, sagt Falk Conrad nachdrücklich. „Im Ernstfall fragt auch keiner danach.“

Alles auf Anfang. Die Unfallopfer steigen wieder in ihre Fahrzeuge, Beobachter und Helfer beziehen ihre Position. Die gleiche Übung. Diesmal klappt es. Alles läuft fast optimal. Man sieht: hier sind Pro-

fis am Werk. Vom Befreien der Fahrer bis hin zur Erstbehandlung im Medical Center, wo die Unfallopfer von den dortigen Ärzten

und Assistenten übernommen werden, ist eine reibungslose Rettungskette aufgebaut.

Es ist eine eindrucksvolle Schau. Doch wie realistisch sind sol-

che Unfälle an der Rennstrecke? „Unfälle mit vielen Verletzten

sind nicht so häufig, aber sie kommen vor“, sagt Michael Scholz. „Sicher bauen wir hier einige Schwierigkeiten ein, aber im Ernstfall müssen wir darauf vorbereitet sein.“ n

Ö www.motorsportarena.de

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Visionen

Die Energiewende – Neue Aufgaben jenseits von Wind und Sonne Von Klemens Gutmann, Geschäftsführer der regiocom GmbH und Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Sachsen-Anhalt

Die Energiewende hat eine Reihe weithin bekannter Auswir-

gibt es einen separaten Markt für die sogenannte Regel-

Atomkraftwerke ist sicher gut für wahlweise Herz oder Hirn,

Mit der Leipziger Strombörse EEX ist eine europaweit agie-

kungen auf Herz, Hirn und Geldbeutel. Die Abschaltung der aber schlecht für den Geldbeutel. Die Windmühlen und Solarzellen sind gut für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt damit verdien(t)en, darunter viele Sachsen-Anhalter.

Gleichzeitig sind sie schlecht für diejenigen, die die EEG-Umlage

mit der Stromrechnung bezahlen müssen, also alle Sachsen-

Anhalter. Insgesamt weniger erfreulich für Herz, Hirn und für

den Geldbeutel ist der Netzausbau hin zu stärkeren Nord-SüdVerbindungen, zu mehr intelligenten Zählern und zu mehr

energie, mit der die Spannungsstabilität sichergestellt wird. rende Handelsplattform mit 120 Mitarbeitern entstanden. Mehrere Systemhäuser bieten aufwändige Handelslösungen für diese Börse und für das Management der nun komplex

strukturierten Beschaffungsportfolios. Ein größeres Stadtwerk muss in sein Portfoliomanagementsystem im Allgemeinen

mehrere hunderttausend Euro investieren, bei den Konzernen sind es Millionen.

dezentraler Erzeugung. Der Netzausbau wird sich wenn, dann

Die neuen dezentralen Einspeiser sind nur zum Teil steuerbar

Form, er könnte eine der nicht allzu vielen Dinge sein, bei de-

man mit Hilfe von Wetterprognosen einige Tage in die Zukunft

erst langfristig lohnen. Dann aber möglicherweise in deutlicher nen die nachfolgende Generation eine echte Rendite vom infrastrukturellen Erbe der dann Altvorderen hat.

Kaum bekannt: Die Energiewende hat eine beträchtliche Zahl an neuen Aufgaben und Geschäftsfunktionen erzeugt, die es vor

15 Jahren überhaupt noch nicht gab. Diese sind heute in Deutschland Alltag und geben da vielen hundert und in der Summe auch

Tausenden Menschen Arbeit und Brot  – ein Brot, das jedoch aus

dem Effizienzgewinn des Energiesystems als Ganzem heraus

erwirtschaftet werden muss. Der Artikel führt eine Reihe dieser neuen Geschäftsfunktionen auf, skizziert die damit verbundene Wertschöpfung und nennt Beispiele für diejenigen, die diese Nische besetzen und damit von der neuen Funktion profitieren.

Wir blicken dazu auf den gesamten Weg des Stroms, vom Kraftwerk über die Netwerke bis hin zum Hausanschluss:

Schon vor ihrer Erzeugung ist jede Kilowattstunde vielfach

und oft unkalkulierbar. Für Windräder und Solaranlagen kann planen. Hinzu kommt, dass das deutsche Stromnetz über Jahrzehnte von einer begrenzten Zahl von Großkraftwerken versorgt

wurde, die Zahl und Lage der Dezentralen (meistens Wasser-

kraft) veränderte sich nur langsam. Seit 15 Jahren wächst die Zahl der Windräder und Photovoltaikanlagen sprunghaft und schwer planbar.

Die Wetterdienste (DWD, Meteoconsult etc.) vermarkten völlig

neue Prognosedienste, die speziell auf die Bedürfnisse der Netzbetreiber ausgerichtet sind.

Die Ablesung und Abrechnung von mehreren hunderttausend Einspeiseanlagen ist eine Herausforderung an die bestehenden

Abrechnungssysteme. Spezialisierte IT-Unternehmen, unter ih-

nen die regiocom GmbH, liefern Systeme zum Management der großen Menge an Einspeisedaten und Abrechnung der Einspei-

sung. Besonders kompliziert ist die korrekte Umwälzung der EEG- und KWK-Umlagen.

verplant und mehrfach gehandelt worden. Früher plan-

Der Gesetzgeber hat eine sogenannte „Marktrollentrennung“

nungsnetz vergleichsweise „einfach“ seinen Bedarf und be-

(Kraftwerke, Einspeiser gemäß EEG und KWK, Regelenergie-

te ein regionales Verteilnetz, ein Hoch- oder Höchstspanstellte dementsprechend bei den Kraftwerken. Heute wird

dies über einen komplexen Marktmechanismus geregelt. Großkraftwerke bieten ihre Erzeugung zeit- und leistungsbezogen in Form von Bändern oder Paketen an der Leip-

ziger Strombörse an. Für unvorhersehbare Spitzenlasten

umgesetzt. Hier gibt es zum einen die verschiedenen Erzeuger erzeuger), die Netzebenen (4 Höchstspannungsnetze, Hoch-

spannung, Mittelspannung und Verteilnetz), die Lieferanten, die eigentlichen Geschäftspartner des Energiekunden und die Messstellenbetreiber – diese mit der kleinsten Rolle im ganzen Spiel: die effiziente Beschaffung der Verbrauchsdaten.


Visionen

Zwischen den 900 Stromnetzen und 700 Gasnetzen, den über

1 700 Lieferanten sowie den Messstellenbetreibern findet ein immenser Datenverkehr statt. Monatlich wird für jeden der etwa 56 Millionen Hausanschlüsse ein Bestandsabgleich durchgeführt

und eine Netzrechnung erstellt, geprüft und bezahlt. Das Wech-

seln der Vertragsbeziehung in dieser „wohlorganisierten Kakophonie“ des Datenaustausches ist nicht immer einfach.

Auch hier haben sich Softwarespezialisten und Dienstleister erfolgreich etabliert. Einige von Ihnen kommen aus den neuen

Bundesländern, so die SIV aus Rostock und Robotron aus Dresden. Auch regiocom ist erfolgreich mit einer Spezialanwendung aktiv.

Netzentgelte werden in einem komplizierten Antragsverfahren

ermittelt. Die Bundesnetzagentur erhebt dazu von großen und

mittleren Netzbetreibern in umfangreichstem Maße Daten. Für ein typisches Gasnetz werden gut und gerne 200 bis 300 Parameter erhoben, für sämtliche Netzsegmente und in umfangrei-

chen Zeitreihen. Der Bericht eines solchen Netzes kann gut und gerne 100  000 und mehr Einzelwerte beinhalten.

Auch hierfür hat sich ein spezialisiertes Software- und Dienstleis-

tersegment herausgeschält. In großen Netzunternehmen gibt es ganze Abteilungen, die sich ausschließlich mit der neuen Aufgabe des „Regulierungsmanagements“ beschäftigen. Die regiocom ist mit ihrer Lösung rcUTIL hier marktführend vertreten.

Die neuen Bundesländer und im besonderen Sachsen-Anhalt

profitier(t)en von der Energiewende nicht nur in Sachen Wind-

mühle und Solarpanel, sie sind auch bei Systemlösungen und

spezialisierten IT-Dienstleistungen vorne mit dabei. Kein Seg-

ment, in dem nicht Unternehmen aus Sachsen-Anhalt an der Spitze mitmischen – allen voran der Hallenser SAP-Spezialist GISA

mit 500 Mitarbeitern und die Magdeburger regiocom GmbH, die allein in Sachsen-Anhalt über 1 500 Mitarbeiter beschäftigt. Mit

der Leipziger EEX ist ein weiterer Mittelpunkt des liberalisierten

Energiemarktes nur einen „Steinwurf“ weit von der Landesgrenze entfernt.

Diese neuen Geschäftsfunktionen sind per se erst einmal Over-

head, zusätzliche Gemeinkosten. Sie dienen der Verwaltung und werden auf die Kilowattstunde – ergo: den Verbraucher und Ge-

schäftskunden – umgelegt. Inwieweit und an welcher Stelle sie

den Energiemarkt effizienter und umweltfreundlicher machen, wird sich erweisen. Wenn der erhoffte Effizienz- und CO2-Gewinn

eintritt, dann lohnt sich auch der beträchtliche zusätzliche Overhead. Gut in jedem Fall, dass Unternehmen aus Sachsen-Anhalt vorne mit dabei sind. n

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Gesundheit

Personalchefin Ilona Fleck bespricht mit Mitarbeitern den Zeitplan für die Rückenschule.

Rückenschule mit entspannendem Lernstoff für Muskeln und Gelenke

Die ROCKWOOL Mineralwolle GmbH Flechtingen betreibt Betriebliches Gesundheitsmanagement

Von Kathrain Graubaum „Legen Sie sich mit dem Bauch und den Oberschenkeln auf

managements der AOK Sachsen-Anhalt von der ROCKWOOL

Arme nach vorn und die Beine bis in die Zehenspitzen strecken.

Betriebsangehörigen wieder ein (gutes) Gefühl für den eigenen

den Ball. Lassen Sie den Ball leicht unter sich kreisen. Jetzt die Nun das rechte Bein anheben – entspannen Sie sich.“ Uff. Nach

der ersten halben Stunde Rückenschule spüren die Teilnehmer

Muskeln, von denen sie gar nicht wussten, dass es sie gibt. Physiotherapeutin Monika Engelbrecht aus Haldensleben scherzt

aufmunternd. Sie ist im Rahmen des Betrieblichen Gesundheits-

Mineralwolle GmbH Flechtingen engagiert worden, um den

Körper zu vermitteln. Wer nämlich weiß, welche Muskeln und

Stellen in seinem Bewegungsapparat während der Arbeit über

Gebühr beansprucht werden, verstehe den gezielten Ansatz der Übungen, erklärt die Therapeutin. Nach Gesprächen mit der

Personalleiterin Ilona Fleck hat sie ein eigens auf den Betrieb


Gesundheit

ausgerichtetes Übungs-Konzept entwickelt. Beide freuen sich, dass schon zwei Kurse für die Rückenschule ausgebucht sind.

Personalchefin Fleck war 1977 als junge Frau in den kaufmän-

nischen Bereich des Betriebes gekommen. Mit vielen der heute 270 Mitarbeiter ist sie entsprechend lange und gut bekannt.

Sie kennen auch noch das „Früher“, das war in den 1980er DDR-Jahren. Da hatte sich der Flechtinger Betrieb des einstigen

Zementkombinats Dessau auf die Produktion von Mineralwolle umgestellt. Seit 1991 gehört der Flechtinger Betrieb dem welt-

weit agierenden ROCKWOOL-Konzern. „Zum Glück“, ist Perso-

nalleiterin Fleck noch heute froh. Sie hatte in der NachwendeZeit auch andere Kauf-Interessenten erlebt, die mit Sicherheit den Produktionsstandort geschlossen hätten.

Auch bei der ROCKWOOL Mineralwolle GmbH Flechtingen hat

die demografische Falle zugeschnappt. Der Altersdurchschnitt

im Betrieb liegt mittlerweile bei 45 Jahren. „Da kommt es trotz guter Arbeitsbedingungen eben doch zur steigenden Zahl

krankheitsbedingter Ausfälle“, musste die Personalchefin ge-

„Ich habe mich daran erinnert, dass uns schon in den 1990er Jahren die AOK ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement

vorgestellt hat“, sagt die Personalchefin und dass dies – den

geringen Krankenstand vor Augen – damals nicht ganz oben stand auf der innerbetrieblichen Prioritäten-Liste. „Ja, so ist der Mensch nun mal. Er denkt nicht an Prophylaxe, wenn’s ihm gut

geht…“, sagt Ilona Fleck und dass sich jetzt aber die Herz-Kreis-

lauf-Erkrankungen häufen und jene, die mit dem Bewegungsapparat zusammenhängen.

Sie griff also zum Telefon und machte einen Termin mit Ver-

tretern der AOK. Vor einem Jahr, im April 2012, unterschrieben beide Seiten eine Vereinbarung zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Darin sind Ziele vereinbart, die bis 2014 erreicht

sein wollen. Und zwar nachhaltig. „Wir müssen uns den de-

mografischen Veränderungen stellen“. Wer weiß besser als die

Personalchefin, dass attraktive Arbeitsbedingungen geschaffen

werden müssen – nicht nur für die älter werdende Belegschaft. Im Wettbewerb um junge Fachkräfte hat ein Betrieb mit „gesunder“ Unternehmensphilosophie Vorteile auf dem Markt.

rade in den letzten zwei Jahren erfahren. Auch an sich selbst

Wo also sind bei der Steinwolle-Herstellung in Flechtingen die

Arbeiten am Computer. Ilona Fleck verschafft sich allerdings

analysierten AOK-Experten zunächst die Arbeitsplätze und

registriert sie die typischen Verspannungsschmerzen durch das Ausgleich: im Winter auf ihrem Laufband zu Hause und jetzt

beim Walken im Wald. Allerdings ist sie da eher die Ausnahme. Hier wie anderswo gehen die meisten Betriebsangehörigen

der Generation 40plus kaum aus eigenem Antrieb sportlichen Aktivitäten nach.

gesundheitsgefährdenden Stellen? Um dies herauszufinden, machten einen Rundgang durch den Betrieb.

Am Anfang der Produktionsabfolge werden Basaltgestein und andere Rohstoffe bei über 1 000 Grad geschmolzen. Die Schmelze läuft dann auf eine Spinnmaschine mit extrem hohen Umdrehungen und wird dadurch zerfasert.

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Bei Gabelstaplerfahren

werden Nacken und Schulter einseitig belastet.

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Gesundheit

Ein starker Luftstrom sprüht sie in eine Sammelkammer. Durch

Aus der Befragung der Mitarbeiter und deren Begleitung

Vlies, das in der „Härtekammer“ bei über 200 Grad ausgehär-

in der Putzträgeranlage ergeben und bei den Gabelstap-

Hinzuführung von Bindemitteln entsteht aus der Masse ein tet wird. Heraus kommt ein Dämmmaterial, das dem Kunden in unterschiedlichsten Formen und großer Sortimentsbreite

angeboten werden kann. Auf der Konfektionierungsanlage

entstehen unter anderem Montageplatten für den Schiffbau, Platten zur Außendämmung von Hauswänden oder für die

Schornsteinisolierung. Auch begehbare Dachplatten mit zementöser Deckschicht werden hier hergestellt.

zum Arbeitsplatz hätten sich Gefährdungsschwerpunkte

lerfahrern, erzählt Ilona Fleck. Letztere müssen ein Großteil des Weges rückwärts fahren. Beim Zurückschauen über die

Schulter werden Nacken und Schulter auf Dauer einseitig belastet.

In der Putzträgeranlage werden die Platten für die anschließende Wärmebehandlung umgepackt. Die Abteilung ist

eine der wenigen im Produktionsprozess, wo noch Muskelkraft beansprucht wird. Rumpfbeugehaltungen unter Last

gehen mit seitlichen Körperneigungen und -verdrehungen

einher. Beim Einsortieren werden die Arme über Kopfhöhe gestemmt und die Handgelenke stark beansprucht.

„Während seiner Bewegungs- und Ergonomie-Analyse

konnte der Begutachter auch individuell unterschiedliche Arbeitstechniken beobachten“, sagt Ilona Fleck. Bei einem

Mitarbeiter zum Beispiel sahen die Arbeitsabläufe ganz leicht aus. Der hatte sich schon selbst entlastende Techniken zugelegt. Mit diesem Kollegen soll ein Video zur

positiven Anschauung für die Mitarbeiter gedreht werden. Neben der fachlichen Anleitung zu kräfte- und rückenschonenden Techniken sind vom Bewegungs- und Ergonomie-

berater auch spezielle Einzelanfertigungen von Hubtischen empfohlen worden.

Im Gespräch mit den Gabelstaplerfahrern kam heraus, dass

ihnen eine gelbe Linie auf dem Fußboden bzw. Spiegel unter der Hallendecke die Orientierung erleichtern würden. Emp-

fohlen wird außerdem ein mehrmaliger Arbeitswechsel

während der Schicht. Wenn nämlich ein Gabelstaplerfahrer zeitweise mit der stehenden Tätigkeit des Anlagenfahrers tauscht, könnte seine körperliche Belastung zeitlich verringert werden. Fotos: Kathrain Graubaum (3)

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Recken und Strecken – Physiotherapeutin Monika Engelbrecht (Mitte stehend) zeigt den ROCKWOOL-Mitarbeitern Techniken zur Stärkung der Muskulatur und zur Entlastung des Bewegungsapparates.

In der nächsten Zeit gehen alle müden, gestressten und

verspannten Muskeln nach der Arbeit in die Rückenschule. Physiotherapeutin Monika Engelbrecht hat sich die Arbeitsplätze genau angesehen, damit jeder Muskel seinen indivi-

duellen Unterricht mit bedarfsgerechten Übungsabfolgen bekommt. Gute Entspannung! n

Ö www.aok.de/sachsen-anhalt Ö www.aok-business.de/sachsen-anhalt


Umwelt

Dr. Martin Schädler inmitten eines Haferfelds auf einer Versuchsparzelle.

Dem Klimawandel einen Schritt voraus Auswirkungen der Erderwärmung werden in Bad Lauchstädt untersucht

Von Annette Schneider-Solis Martin Schädler schreitet durch die Reihe der neu errichteten

Doch auf den zweiten Blick erkennt der Besucher, dass Wände

de Blicke nach links und rechts. Frisches Grün sprießt auf den

können. Noch aber sind sie offen. In ihnen wächst auf den

Experimentalanlage in Bad Lauchstädt. Dabei wirft er prüfen-

Parzellen. Jeweils fünf solcher Parzellen bilden einen Block, insgesamt zehn Blöcke stehen auf dem Gelände. Auf den ersten

Blick wirkt die Anlage, als habe man die Glasfassade vergessen.

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

und Dächer einzelner Parzellen separat verschlossen werden

jeweils 16 mal 24 Meter großen Feldern Hafer. Fünfzehn Zentimeter hoch sind die Pflänzchen zum Sommerbeginn. u

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Umwelt

„Mit der GCEF beginnt eine neue Ära von Langzeitversuchen am traditionellen Forschungsstandort Bad Lauchstädt“, erklärt Hartmut Möllring (Minister für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt) zum Start der Freilandversuchsanlage in Bad Lauchstädt.

Diese Anlage werte Sachsen-Anhalts Forschungslandschaft auf,

In der nächsten Parzelle wird wie in der Ökolandwirtschaft

hung im Juni.

Gerste und Leguminosen ab. Es darf auch nicht mit Pflanzen-

sagte Wissenschaftsminister Hartmut Möllring bei der Einwei-

Die Freilandversuchsanlage, die das Helmholtz-Zentrum für

Umweltforschung in Bad Lauchstädt errichtet hat, ist keine

gewöhnliche Gewächshausanlage. In der Global Change Expe-

rimental Facility soll das wahrscheinlich weltgrößte Klimaexperiment durchgeführt werden. Die Wissenschaftler um Martin

Schädler wollen untersuchen, wie die Klimaveränderungen

bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf die vom Menschen ge-

bestellt. Hier ist die Fruchtfolge anders, wechseln sich Weizen, schutzmitteln gearbeitet werden. „Wir werden hier mit der Hacke ausrücken“, erzählt Martin Schädler und stellt noch die Pläne für die drei anderen Parzellen vor. „Dort wird Gras ausge-

sät.“, erklärt der promovierte Biologe. Auf einer Parzelle wird eine Futtergrasmischung stehen, die intensiv, auf der zweiten eine Wildwiese, die extensiv, und auf der dritten eine Wiese, die extensiv bewirtschaftet und von Schafen beweidet wird.

nutzten Ökosysteme wirken. Der Hafer soll erst einmal nur die

„Die Pflanzen wachsen jeweils unter verschiedenen Klima-

Parzellen so weit wie möglich vergleichbar sind. Im Herbst wer-

entsprechen den wichtigsten Vorhersagen der Klimaforscher.“

Bodenverhältnisse angleichen, damit die Bedingungen in den

den hier die ersten Versuchspflanzen ausgesät. In jedem Block

werden in den fünf Parzellen die gleichen Pflanzen angebaut: in einer Parzelle wird die konventionelle Landwirtschaft ihren

Platz haben mit den Fruchtfolgen Raps, Weizen und Gerste.

bedingungen“, erklärt Martin Schädler. „Die Bedingungen Verschiedene Prognosen liegen vor, aber in einem gleichen sie

sich: Sie sagen höhere Temperaturen und vor allem im Frühjahr weniger Niederschläge voraus. Um diese Bedingungen herzu-

stellen, werden einzelne Parzellen nachts geschlossen, so dass


Umwelt

Mithilfe von Infrarot-Spektroskopie werden Treibhausgase über dem Versuchsfeld gemessen.

sich die Luft in ihnen nicht so stark abkühlen kann. Auch Nieder-

und härter werden. Doch was bedeutet das für die Pflanzenfres-

Eine Beregnungsanlage stellt sicher, dass das Wasser bei Bedarf

werden sich voraussichtlich verändern. Nährstoffflüsse werden

schläge können gezielt von den Parzellen ferngehalten werden. in die Parzellen zurückgeführt werden kann. So lässt sich jedes nur denkbare Niederschlagsszenario nachstellen.

Die Wissenschaftler wollen nun untersuchen, wie die Arten

unter den veränderten Bedingungen miteinander interagieren. Wenigstens über einen Zeitraum von 15 Jahren. Das wurde, weiß Martin Schädler, bislang nur ansatzweise erforscht. „Es gibt

Wechselwirkungen zwischen den Arten, die uns interessieren. Was ist mit den Bestäubern, was mit den Pflanzenfressern, wel-

ser, was für die Symbiosen im Boden? Auch die Prozesse dort

andere sein, deshalb werden Bodenchemie und Bodenphysik

untersucht. Dabei interessiert die Wissenschaftler, wie sich die Biomasse und die Erträge verändern, wie sich die Zusammen-

setzung des Graslands entwickelt, aber auch, wie die Unkräuter

reagieren. Möglich ist auch, dass sich neue Arten ansiedeln, vorzugsweise Arten aus wärmeren Gefilden. Vielleicht werden sich Pflanzen auch genetisch verändern, mutmaßt Martin Schädler.

che Prozesse spielen sich im Boden im Wechselspiel mit Tieren

„Interessant wird auch sein, welche Rolle Pilze spielen“, blickt

wandel, doch wie spielen sie dabei zusammen? Was geschieht,

Myzelien verbinden, den fadenartigen Geflechten der Pilze

und Mikroben ab?“ Jede einzelne Art reagiert auf den Klimawenn etwa der Raps blüht, aber die Bestäuber noch nicht

soweit sind? „Dann blüht die Pflanze umsonst“, schlussfolgert

Martin Schädler. Es ist bekannt, dass sich Pflanzen auf längere Trockenperioden einstellen, indem sie mehr Zellulose ausbilden

SACHSEN-ANHALT-MAGAZIN 10/13

der Biologe voraus. „Wir wissen, dass sich Pflanzen mit den

unterm Boden. Sie helfen ihnen dabei, bei Trockenheit besser Wasser und Nährstoffe aufzunehmen und sich gegen Insekten zu schützen. Die Pflanze wiederum wirkt als Energiepumpe, gibt über ihre Wurzeln Energie in den Boden.“

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Umwelt

Foto: Sven Paproth (4)

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Die Anlage mit einer Gesamtfläche von fast sieben Hektar (etwa 10 Fußballfelder)

umfasst zehn Experimentierblocks mit jeweils fünf Parzellen. In ihnen werden unterschiedliche Landnutzungstypen unter dem sich ändernden Klima getestet.

Zusätzlich zum Langzeitexperiment werden einzelne Prozesse

schaftler kommen aus unterschiedlichen Fachrichtungen und

Versuche mit unterschiedlichen Artengemeinschaften und

zur Bewirtschaftung unterbreiten, aber auch wirtschaftliche

auch ganz detailliert unter die Lupe genommen. Dazu gehören eingewanderten Arten.

können anhand ihrer Untersuchungen konkrete Vorschläge Schlussfolgerungen beziffern.

In dem Langzeitexperiment wollen die Wissenschaftler vom

„Was hier geschieht, ist Grundlagenforschung“, verdeutlicht

die Symbiosen bei allen Landnutzungsarten gleich bedeutend

Projekts zu übernehmen, hat er seine Stelle an der Uni Marburg

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung herausfinden, ob

sind, wo die Schaltstellen sitzen. Auf den Grasflächen werden um die 50 Pflanzenarten ausgesät. Ein eingespieltes Nahrungs-

netz, wie es auf heimischen Wiesen wächst. Wird es besser in der Lage sein, sich auf Klimaveränderungen einzustellen? Die Ergebnisse werden nicht nur Landwirte interessieren. Sie sind auch für Politik und Naturschutz interessant. Die Wissen-

Martin Schädler. Um die wissenschaftliche Koordinierung des aufgegeben, als ihn sein ehemaliger Kollege vom UFZ in Halle rief. Er musste nicht lange überlegen, um den Schritt zurück in

die Heimat zu gehen. „Wer hat schon so etwas?“ beschreibt er mit dem Arm einen Bogen über sein Imperium. n

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