moritz #71 (Juni 08)

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THEATER

feuilleton

Wie Laub

„Weiße Rose“ von Udo Zimmermann und Wolfgang Willaschek Zwei Mauern stehen schon da, die anderen beiden Zellwände bildet das Publikum. Und das ist ziemlich nah; so nah, dass es in den 75 Minuten manchmal nicht leicht fällt, das Leiden der beiden Geschwister zu ertragen. Es geht um Hans (Bryan Rothfuss) und Sophie Scholl (Eva Resch), Studenten und Mitglieder der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Im Februar 1943 werden sie beim Verteilen von Flugblättern in der Münchner Universität ertappt. Wenige Tage später findet ein Schauprozess statt, in dem sie zum Tode verurteilt werden. Noch am gleichen Tag wird das Urteil vollstreckt. Dass ein Musiktheater, das sich diesem Stoff widmet, eine angenehme Abendunterhaltung ist, kann folglich nicht erwartet werden. Handlung unnötig Handlung hat Udo Zimmermann in seiner Kammeroper für zwei Personen und 15 Instrumentalisten kaum vorgesehen. Was hat man auch zu tun, eine Stunde vor dem Tod, eingesperrt in einer Zelle? Stattdessen hat Wolfgang Willaschek, der das Libretto entwarf, neben den Tagebuchaufzeichnungen der Protagonisten auch Bibelzitate und Texte von Bonhoeffer, Rözewicz und Fühmann eingearbeitet. Entstanden sind 16 Szenen, ausgefüllt mit Gedanken an den Tod, die Freunde und an schöne Momente ihres kurzen Lebens sowie fiktive Gespräche zu Gott und den Eltern. Panische Angst und Verzweiflung wechseln mit resignativer Ruhe, untermalt von zarten Flötentönen bis hin zum Militärmarsch. Taumeln, Beten, Schreien, Weinen Das Zusammenspiel der Darsteller untereinander und mit der spärlichen Bühnenausstattung funktioniert perfekt und hinterlässt seine Wirkung. Der Boden ist mit bunten Blättern bedeckt, die sich in den Texten wieder finden: „Einmal noch fällt alles von mir ab wie Laub“. Die Stühle werden zu vergitterten Fenstern, Kirchenbänken und Podesten, von denen das Unrecht des Naziregimes

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Warten auf das Fallbeil.

proklamiert wird. Am Boden liegt das Laub ihrer Träume und an den Seiten stehen die Mauern der Realität. Die Szenen fließen ineinander über, Augen und Ohren hängen an den Protagonisten und folgen ihnen beim Taumeln, Beten, Weinen und Schreien, durch Wäl-

der, Felder und das Leben, das sie nicht mehr haben werden. Denn nach allen Träumereien und Wünschen kehrt dann doch das Wissen um den nahenden Tod zurück und Sophie Scholl fragt am Ende: „Sterb’ ich durch den Strick oder durch das Fallbeil?“ lah

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