Schulleitung als Leadership

Page 1


Olaf Kรถster-Ehling

Schulleitung als Leadership


beiträge zur sozialästhetik band 16

schriftenreihe der montag stiftung jugend und gesellschaft herausgegeben von karl-heinz imhäuser


Olaf Kรถster-Ehling

Schulleitung als Leadership

projektverlag.


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Diese Dissertation wurde von der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Mai 2018 angenommen.

ISSN 1611-1893 ISBN 978-3-89733-451-9 © projekt verlag, Bochum/Freiburg 2018 www.projektverlag.de Grafiken: Büro Freiheit, Köln Umschlaggestaltung: labor b designbüro, www.laborb.de


Beiträge zur Sozialästhetik Mit den Beiträgen zur Sozialästhetik werden aktuelle Arbeiten und Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Fragestellungen vorgestellt, in denen es um die Vertiefung und Erweiterung der Qualität des menschlichen Lebensalltags in seiner Vielfalt geht. Die Schriftenreihe veröffentlicht Projekte und Beispiele inspirativer und kreativer Praxis sowie darauf bezogene Beiträge aus Theorie und Forschung, die im Verantwortungsbereich der Stiftung konzipiert und verwirklicht wurden. Die Beiträge kommen aus pädagogischen und sozialen Aufgabenstellungen, aus der Gestaltung von Lern-, Arbeits- und Wohnwelten, aus künstlerischen Bereichen der Musik und der bildenden Kunst.

Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft Die 1998 gegründete Stiftung will aktiv eine positive Gestaltung des gesellschaftlichen Miteinanders anregen, betreiben und fördern. Sie versteht sich als Ort der Vernetzung und des Austausches von Konzepten und Projekten zur Verringerung von Benachteiligung, die gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft, Bildung und Erziehung durchgeführt werden. Unter dem Leitgedanken „Veränderung durch Handeln“ will die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft positiv auf das Zusammenleben unserer Gesellschaft Einfluss nehmen. Die übergreifenden Leitmotive sind Mitverantwortung, Hilfsbereitschaft und soziale Aufmerksamkeit. Das hierbei zugrunde liegende Menschenbild geht von der Begabung eines jeden Menschen aus: Jeder Mensch ist begabt, variiert und gestaltet auf seine eigene und einzigartige Weise das Ganze des Seins und wird so selbst zu einem kreativen Baustein dieser Ganzheit.



Inhalt Vorwort des Herausgebers ............................................................................. 11 Schulleitung als Leadership: Bedingungen, Möglichkeiten und Konsequenzen .... 13 1 Die Schulleitungsqualifizierung in Nordrhein-Westfalen ................................ 23 1.1 Schulleitungshandeln: Aufgaben, Rollen und Kompetenzen ..................... 23 1.1.1 Gegenwärtige Bedingungen von Schulleitungshandeln .................... 23 1.1.2 Aufgaben der Schulleitung ............................................................ 29 1.1.3 Rollen und Funktionen schulleiterlichen Handelns .......................... 32 1.1.4 Individuelle Voraussetzungen, Fähigkeiten und Kompetenzen .......... 36 1.2 Darstellung der Schulleitungsqualifizierung in Nordrhein-Westfalen ......... 42 1.2.1 Der Runderlass ............................................................................ 43 1.2.2 Ergänzungen und Kritik ................................................................. 45 1.3 Durchführung der Schulleitungsqualifizierung: Das Curriculum und die vier Module ............................................................................ 50 1.3.1 Ziele und didaktisch-methodische Vorgehensweise ......................... 51 1.3.2 Die vier Module im Einzelnen ......................................................... 54 1.3.3 Kurzkritik der Module .................................................................. 60 1.4 Das Eignungsfeststellungsverfahren in Nordrhein-Westfalen (EFV) ........... 65 1.4.1 Das Prüfverfahren ........................................................................ 65 1.4.2 Beobachtung und Bewertung ........................................................ 67 1.4.3 Das Eignungsfeststellungsverfahren als Voraussetzung zur Bewerbung für eine Schulleitungsstelle ..........................................69 1.5 Fazit zur Schulleitungsqualifizierung in Nordrhein-Westfalen.................... 71 2 Die Schulleitungsqualifikation in Finnland .................................................... 75 2.1 Finnlands Schulsystem ......................................................................... 76 2.1.1. Einheitliche Bildung für alle ........................................................... 77 2.1.2 Bildungsautonomie ...................................................................... 83 2.1.3 Hoch qualifiziertes Lehrpersonal ................................................... 84 2.1.4 Kontext und Geschichte des finnischen Schulsystems ...................... 89 2.1.5 Kulturelle Faktoren ..................................................................... 101 2.2 Schulleitungshandeln im finnischen Schulsystem .................................. 109 2.2.1 Bedingungen von Schulleitungshandeln in Finnland ........................ 110 2.2.2 Schulleitung – Aufgaben und Arbeitszeitverteilung ......................... 119 2.2.3 Führungsaufgaben der Schulleitung: Principal’s leadership ............. 124 2.2.4 Individuelle Voraussetzungen ...................................................... 129 2.3 Darstellung der Schulleitungsqualifikation ............................................. 132 2.3.1 Einführungsprogramme .............................................................. 133 2.3.2 Das „Certificate in Educational Administration“ (15 ECTS) ................ 135 2.3.3 Das „The Principal Preparation Programme“ (25 ECTS) ....................136 2.3.4 Die acht Module des „Principal preparation programme“ ................ 141 2.4 Fazit: Schulsystem und Schulleitungsqualifikation in Finnland ................ 144

7


3 Zwischenbetrachtung ............................................................................... 151 3.1 Die Mängel des deutschen Schulsystems – Ursachen und Problemfelder .. 154 3.1.1 Schule als lernende Organisation ................................................. 159 3.1.2 Aufgeteilte Führung .................................................................... 166 3.1.3 Kooperation und Netzwerkarbeit ................................................. 168 3.2 Herausforderungen für das deutsche Schulsystem: Lernen im 21. Jahrhundert .................................................................................. 171 3.2.1 „21st Century Skills and Competences“ .......................................... 171 3.2.2 Normative Aspekte – DeSeCo und BNE ......................................... 180 3.2.3 Inklusion ................................................................................... 187 3.3 Maßnahmen und Lernformen zur Umsetzung eines normativ gehaltvollen Bildungsbegriffs .............................................................. 190 3.3.1 Normativer Bildungsbegriff im organisatorischen Bereich ............... 191 3.3.2 Normativer Bildungsbegriff im didaktischen Bereich ...................... 199 3.3.3 Normativer Bildungsbegriff im personellen Bereich ....................... 209 3.4 Schulleitung im 21. Jahrhundert: Leadership ......................................... 216 4 Schulleitung als Leadership ......................................................................221 4.1 Formal-historische Rekonstruktion des Leadership-Begriffs .................... 222 4.2 Schulleitung als Leadership I: Die deutsche Debatte .............................. 234 4.3 Schulleitung als Leadership II: Transaktionale und transformationale Führung ........................................................................................... 245 4.3.1 Transaktionale und transformationale Führung ............................. 246 4.3.2 Transaktionale und transformationale Führung im Schulbereich .......251 4.3.3 Instructional Leadership ............................................................. 262 4.4 Schulleitung als Leadership III: Aufteilung von Führung .......................... 267 4.4.1 Formale Aufteilung von Führung ................................................... 270 4.4.2 Informelle Aufteilung von Führung ............................................... 273 4.4.3 Formale und informelle Führungsaufteilung im Bereich Schule ........ 277 4.5 Schulleitung als Leadership IV: Netzwerkarbeit und System Leadership ... 287 4.5.1 Bildungsnetzwerke und Bildungslandschaften ................................ 288 4.5.2 System Leadership ..................................................................... 295 4.6 Schulleitung als Leadership: Zusammenschau der Aspekte und Konsequenzen für die Schulleitungsqualifizierung ................................. 305 4.6.1 Zusammenspiel der Führungsmomente ........................................ 306 4.6.2 Anforderungen an Schulleitungspersonen und Schulleitungsqualifizierung........................................................... 311 5 Die Zukunftswerkstatt in Bonn ...................................................................317 5.1 Methode einer Zukunftswerkstatt ......................................................... 318 5.2 Vorbereitung der Zukunftswerkstatt in Bonn.......................................... 322 5.3 Durchführung und Ablauf der Zukunftswerkstatt in Bonn ........................ 328 5.4 Ergebnisse der Zukunftswerkstatt in Bonn .............................................331

8


5.4.1 Zwischen behördlichen Anforderungen und schulischen Bedürfnissen agieren ...................................................................332 5.4.2 Blick nach außen/Netzwerke ........................................................335 5.4.3 Selbstführung ............................................................................ 336 5.4.4 Verteilte Führung (Blick nach innen) ............................................. 341 5.4.5 Systemische Führung (Blick auf das Ganze) .................................. 342 5.4.6 Konfliktmanagement (Umgang mit Widerständen und Dilemmata) ........................................................................ 347 5.4.7 Gelungene Kommunikation und Transparenz ................................. 348 5.4.8 Führung und Entscheidung...........................................................352 5.5 Auswertung der Zukunftswerkstatt in Bonn .......................................... 354 5.5.1 Interpretation .............................................................................355 5.5.2 Befragung der Teilnehmenden der Zukunftswerkstatt zu gutem Schulleitungshandeln: Abgleich mit Ergebnissen der Zukunftswerkstatt ...................................................................... 368 5.5.3 Abgleich mit den Ergebnissen der Arbeit: Schulleitung als Leadership in der Praxis...............................................................373 6 Schulleitung als Leadership – Konsequenzen für eine gute Schulleitungsqualifizierung ....................................................................... 381 6.1. Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit ........................................ 381 6.2 Inhalte einer möglichen guten Schulleitungsqualifizierung: Berufsbild Schulleitung ...................................................................... 384 6.3 Aufbau einer möglichen guten Schulleitungsqualifizierung ..................... 395 6.3.1 Grundausbildung........................................................................ 396 6.3.2 Praxisanteil ............................................................................... 399 6.4 Möglichkeiten der Beratung von amtierenden Schulleitungen: Beispiel regionaler Schulleitungsarbeitskreis .................................................... 407 6.5 Schlusswort ...................................................................................... 415 Literatur ................................................................................................... 419 Anhänge ................................................................................................... 435

9



Vorwort des Herausgebers Die Welt befindet sich in einem rasanten und tiefgreifenden Wandel. Die Erwartungen an die nähere Zukunft sind in den Augen vieler bestimmt von Unbeständigkeit und Schwankungen, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit. Diese Begriffe beschreiben heute und für absehbare Zeit auch die Rahmenbedingungen von Führung in Organisationen. Führungskräfte stehen dabei vor einer paradoxen Aufgabe. Ihnen wird die Verantwortung für die Organisationsgestaltung zugeschrieben, die sie aber oft gar nicht gezielt steuern können. Dennoch müssen sie unter diesen Bedingungen Sinn stiften, das Verstehen des auf Dauer gestellten Wandels organisieren sowie Klarheit und Agilität in die Welt bringen. Organisationen müssen unter den Rahmenbedingungen der Gegenwart entwicklungsfähig gebaut sein, was spezifische Anforderungen an die Führungsverantwortlichen und ihre Kompetenzen stellt. Aber obwohl das Gefühl weit verbreitet ist, dass wir gegenwärtig in einer Transformationsphase leben, neigen wir in vielen Handlungsbereichen dazu, neue Probleme mit den uns bekannten und vertrauten Werkzeugen zu bearbeiten. Wir bemerken, dass unsere Routinen zunehmend versagen, aber in Ermangelung gesicherter Alternativen halten wir an den in der Vergangenheit tauglichen Bewältigungsversuchen fest. Auch Bildungseinrichtungen, die im Kontext von Digitalisierung, Inklusion und mit ganztägigen Bildungsangeboten im Zusammenspiel unterschiedlicher Professionen agieren, sind von den beschriebenen Rahmenbedingungen betroffen. Olaf Köster-Ehling analysiert mit seiner Arbeit die für Schulleitungen notwendigen Kompetenzen und den Veränderungsbedarf in der Ausbildung zukünftiger Führungskräfte inklusiver ganztägiger Bildungseinrichtungen als Schlüsselfiguren der laufenden Wandlungsprozesse. Er zeigt auf, was getan werden muss, um sie für die Herausforderungen in Zeiten von Transformation und Wandel zu wappnen und sie als Anführer des Wandels zu befähigen. Denn die bewährten Methoden der Aus- und Weiterbildung von Schulleitungen sind Werkzeuge, die nur wenig hilfreich sind, um die Herausforderungen aktiv gestaltend zu bewältigen, denen sich Bildungseinrichtungen und ihre Leitungsverantwortlichen stellen müssen. Olaf Köster-Ehling arbeitet dabei vier Merkmale von Schulleitung als Leadership heraus. Diese bezeichnen Gestaltungsprinzipien inklusiver ganztägiger Bildungseinrichtungen als entwicklungsfähige Organisationen unter den Rahmenbedingungen der Gegenwart und der Zukunft: 1. Schulleitung als Leadership gelingt dort, wo die Führungspersonen im Bewusstsein ihrer eigenen Führungsfunktion in der Lage sind, von einem übergeordneten Blickwinkel heraus der Diversität und Komplexität ihrer 11


Aufgaben, Funktionen und Zuständigkeiten Rechnung zu tragen und ihre je unterschiedlichen Verhaltensweisen zu einer kohärenten und konsistenten Einheit zu bündeln. 2. Schulleitung als Leadership ist wesentlich auf die aktive, freiwillige und konstruktive Beteiligung und Kooperation aller angewiesen, die an und mit Schule tätig sind. 3. Schulleitung als Leadership entfaltet sich im lokalen Netzwerk als SystemLeadership, das die Bildungsbemühungen der gesamten Region bündelt. Dazu müssen die je gefundenen Lösungen inner- und auch außerhalb der Schule den jeweils betroffenen Gesprächspartner/-innen gegenüber überzeugend vertreten werden. 4. Schulleitung als Leadership ist auf die Aufteilung von Führung und Führungsverantwortung angewiesen. Sie verlegt Entscheidungsprozesse auf eine breitere Ebene jenseits hierarchischer Prozeduren. Das entlastet die Leitungen und fördert die Motivation der Lehrkräfte und des weiteren Personals zu einem kooperativen, engagierten Verhalten und sinnstiftender Mitarbeit am übergeordneten Ganzen. Für alle, die mit Führungsaufgaben in der Dynamik der aktuellen Transformation unserer Bildungseinrichtungen betraut sind oder die sich als zukünftige Schulleitungen hierfür qualifizieren wollen, bietet dieses Buch eine Quelle an Impulsen und Anregungen. Es zeigt insbesondere am Vergleich der deutschen Situation zum finnischen Modell der Ausbildung von Schulleitungen den Zielhorizont der notwendigen Veränderung auf. Und es zeigt, was und wie das zu Verändernde hierzulande angepackt und umgesetzt werden kann und muss! Karl-Heinz Imhäuser, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft

12


Schulleitung als Leadership: Bedingungen, Möglichkeiten und Konsequenzen Ziel dieser Arbeit ist es, einen umfassenden Begriff von Schulleitung als Leadership zu entwickeln und genau zu explizieren. Dieser Begriff erfreut sich innerhalb der deutschen Schulleitungsdebatte in jüngster Zeit einer größeren Aufmerksamkeit (vgl. u. a. die Arbeiten von Bonsen, Dubs, Huber, Rolff, Schratz), nicht wenige Autoren aber lassen eine genauere Erörterung des Konzepts selbst vermissen. Dieses Manko soll mit der vorliegenden Arbeit behoben werden, hier sollen die einzelnen Aspekte, Bedingungen, Möglichkeiten und Konsequenzen aufgezeigt werden, die ein Verständnis von Schulleitung als Leadership mit sich bringt. In Deutschland ist das Thema „Schulleitung“ schon länger Bestandteil der bildungswissenschaftlichen Debatte, betont wird immer wieder, wie eminent wichtig der Einfluss der Schulleitung für den Erfolg und die Entwicklung von Schule ist. Dabei hat man sich zum Großteil von einem Verständnis verabschiedet, das Schulleitung vor allem als „Leitung“ im Sinn des administrativverwaltenden Tuns aufgrund einer formalen, in der Systemorganisation abgesicherten Position sieht. Vor allem in jüngeren Arbeiten wird stattdessen ein Begriff von Schulleitung favorisiert, der auf Führung im Sinn eines inhaltlich gestaltenden Denkens und Handelns Bezug nimmt, das zahlreiche Einflüsse auf die Ausrichtung und Organisation der betreffenden Schule, ihre Ziele, die Art und Weise des Arbeitens im Kollegium und last but not least das Lernen der Schüler/-innen ausübt. Daran anschließend nimmt innerhalb der wissenschaftlichen Literatur die Debatte um die Ziele von Schulleitungshandeln und die Art und Weise ihrer Erreichung und Kontrolle einen großen Raum ein, in unterschiedlichsten wissenschaftliche Disziplinen und im Rekurs auf verschiedenste Paradigma setzen die einzelnen Theorien unterschiedliche Schwerpunkte. Dass die Ziele von Schule und Schulleitung sich in jüngster Zeit verstärkter Aufmerksamkeit erfreuen, liegt an den veränderten Anforderungen, denen sich die schulische und außerschulische Bildung von Kindern und Jugendlichen ausgesetzt sieht: Um auf die immer komplexer werdenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts adäquat vorzubereiten, lässt sich Bildung längst nicht mehr auf die Vermittlung fachbezogenen Sachwissens beschränken, sondern impliziert immer auch die Schulung zahlreicher anwendungsbezogener und sozialer Fähigkeiten wie das Vermögen zur Konzentration, ein gutes Maß an Selbststeuerung, Kooperationsbereitschaft und Verantwor-

13


tungsübernahme. Angesichts dieser neuen Bildungsnotwendigkeiten wird die Schule verstärkt in die Verantwortung genommen und werden die Forderungen nach ihrer Innovation zunehmend lauter – ein Merkmal, das viele aktuelle Debatten und Ansätze vereint. Zu fragen ist dabei, welche Elemente von Schulentwicklung wie stark zu berücksichtigen sind, wo Schulentwicklung anzusetzen hat und wie sie sich am besten umsetzen lässt. Die vorliegende Arbeit zeigt auf, warum und mit welchen Konsequenzen ein Ansatz bei der Schulleitung hier am vielversprechendsten ist. Gerade im Zuge von Schulentwicklungsmaßnahmen kommt der Schulleitung als „Change agent“ eine Schlüsselrolle zu, sie hat sich für plausible und überzeugende Ziele und Werte einzusetzen und den Prozess ihrer Entwicklung und praktischen Umsetzung zu initiieren, zu begleiten und zu steuern. Parallel zu den Forderungen nach einer Veränderung schulischen Arbeitens werden von staatlicher Seite aus zahlreiche Maßnahmen initiiert, die sich zum einen auf Inklusion und die Integration von Migranten richten, zum anderen von Bildungsvergleichsstudien wie PISA oder internationalen Bildungsreformen wie Bologna angeleitet werden. Schulentwicklung sieht sich also generell zwei unterschiedlichen Forderungen ausgesetzt: die Schaffung gleichberechtigter Lernbedingungen und Partizipation auf der einen und ein verstärkter Fokus auf Leistungsorientierung und ein gutes Abschneiden innerhalb der internationalen Konkurrenz auf der anderen Seite (Hinz u. a. 2013). Erfahrungen aus anderen Ländern innerhalb und außerhalb Europas zeigen, dass sich diese beiden Forderungen keinesfalls ausschließen müssen – im Gegenteil legen Länder wie Finnland die Vermutung nahe, dass gute Lernresultate gerade das Ergebnis integrativer und inklusiver Unterrichtsformen sind. Durch diese Erfahrungen und international-vergleichende Untersuchungen (wie den Bericht von Muñoz 2006) hat in Deutschland vor allem die Diskussion um die Schaffung inklusiver Lernbedingungen neuen Aufwind erhalten. Schule muss und soll verändert und neu gestaltet werden – und wer diesen Aufruf ernst nimmt, stellt fest, dass alle Bereiche von Schule und Lernen davon betroffen sind: Hinsichtlich der Unterrichtsentwicklung (UE) verlangen neue Lerninhalte und Konzepte nachhaltiger und zeitgemäßer Bildung eine deutliche Abkehr vom klassischen Frontalunterricht und eine Hinwendung zu neuen, praxisorientierten Lernformen, die u. a. die Kooperation der Schüler/-innen und das gegenseitige Lernen voneinander fördern. Diese neuen Lehr- und Lernformen und -inhalte lassen sich jedoch nur mithilfe entsprechend ausgebildeter und auch motivierter Lehrer/-innen umsetzen, die zu fächer- und klassenübergreifenden Unterrichtsformen bereit und in der Lage 14


sind, im Team zu arbeiten. Was also die Personalentwicklung (PE) anbelangt, so sind die Lehrenden durch Maßnahmen der Schulentwicklung in anderen und zusätzlichen Bereichen gefordert, wesentlich jedoch in ihrer Bereitschaft und Fähigkeit zur Flexibilität und zur Kooperation und Kommunikation mit Schüler/-innen, Kolleg/-innen und Eltern. Nicht jeder Lehrende kann oder will diesen Ansprüchen nachkommen, hier würde eine größere Personalautonomie für die einzelnen Schulen einen wesentlichen Vorteil bringen, – eine bildungspolitische Forderung, die keineswegs neu ist. Zudem steht die Lehramtsausbildung stark in der Kritik, alternative Lehr- und Unterrichtsformen nicht genügend zu integrieren. Wesentliche Punkte aller Schulentwicklungsbemühungen betreffen die schulische Organisationsentwicklung (OE) – sowohl innerhalb der Einzelschule als auch über sie hinaus. Generell gilt es, Schule als eine lernende Organisation zu begreifen (Fullan 1999; Senge 1996), d. h. als Institution, die sich in ihrer inneren Verfassung und ihren Zielen beständig an den Wandel der äußeren Bedingungen und Möglichkeiten ihres Existierens anpasst. Schulentwicklung beginnt also bei jeder einzelnen Schule und kann je nach ihrer kontextualen Eingebundenheit unterschiedlichen Akzenten folgen. Generell gilt es, bei allen Veränderungen und Innovationen Schule selbst als ein Modell dafür zu sehen, wozu sie ausbildet (Rosenbusch 2005): Die Werte und Paradigmen, denen Schulentwicklung folgt, sollten im schulischen Alltag selbst, in der Kultur der Schule und im schulischen Arbeitsklima Anwendung finden. Allem voran ist hier die Bereitschaft und Fähigkeit zu Kooperation belangt – je innerhalb der Lernenden, der Lehrenden und zwischen beiden. Diese Forderung nach allseitiger Kooperation verdeutlicht, dass sich Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung nur als ein holistisches Ganzes begreifen lassen – als Zusammenschluss einander voraussetzender und einander bedingender Momente. Sie alle zeigen, wie wesentlich Schulentwicklung auf ein gemeinsames Bemühen und Bestreben aller am Schulgeschehen direkt oder indirekt Beteiligten angewiesen ist, um an Schulen – und anderen kooperierenden Bildungs-, Unterstützungs- und Betreuungsinstitutionen – jene qualitativ hochwertige, umfassende und nachhaltige Bildung zu realisieren, die die Kinder und Jugendlichen auf die zunehmend komplexer werdenden Anforderungen eines Lebens im 21. Jahrhundert vorbereitet. Vor diesem Hintergrund sind Schulleitungen mit neuen Aufgaben konfrontiert, die sich nicht mehr im Modus eines „top down“ anweisenden und kontrollierenden Verhaltens bewältigen lassen. Das klassische Schulleitungsmodel, dem zufolge die Schulleitungsperson von staatlicher Seite (in Form von Bildungsplänen, Personal- und Raumzuteilungen, etc.) Anweisungen 15


empfangen, diese umzusetzen, die Umsetzung allein zu verantworten haben und dabei über nahezu keinen oder nur geringen Gestaltungsraum verfügen, hat deutlicher denn je seine Grenzen erreicht. Genauso schwierig ist es heutzutage, in der Lehrerschaft allein ein ebenso ausführendes Organ zu sehen, das den Bildungsauftrag befolgen muss, ohne die eigenen oder die Vorstellungen und Belange der Schüler/-innen zu berücksichtigen. Schulleitung ist im Kontext entwicklungswilliger und -fähiger Schule vielmehr als ein interaktives Phänomen zu begreifen, das „bottom up“ auf die prinzipielle Kooperation aller Ebenen ausgelegt ist und umfassend die Belange, Möglichkeiten und Bedürfnisse aller Betroffenen berücksichtigt. Um diesen kooperativinteraktiven Charakter und die unterschiedlichen Ausprägungen hervorzuheben hat sich der Begriff des Leadership etabliert. Leadership – so lässt sich aus diversen Arbeiten zusammenfassend extrahieren (vgl. u. a. Northouse 2015; Böhmer 2014; Bass 2008) – meint ein Führungsverhalten, das  eher als ein Prozess zu verstehen ist, denn als Paradigma oder fixes Gerüst, welches alles Tun und Lassen anleitet.  von der wechselseitigen Akzeptanz und Anerkennung von Führenden und Geführten lebt, also essenziell und umfassend kooperativ ausgerichtet ist.  innerhalb unterschiedlicher Situationen verschiedenen kontextualen und individuellen Anforderungen und Belangen zu genügen hat, also je nach Anwendungsfall unterschiedlich ausgeprägt sein und verschiedenste (prinzipielle und untergeordnete) Ziele verfolgen kann.  Ziele nicht im Alleingang, sondern in Abstimmung und Beteiligung aller Betroffenen setzt und umsetzt.  nicht allein auf eine Person ausgerichtet ist, sondern im Zusammenschluss mehrerer Personen als Führungsteam realisiert werden kann und Zuständigkeiten wie auch die damit verbundenen Verantwortlichkeiten an unterschiedliche Beteiligte delegiert und verteilt.  die Geführten zu Eigeninitiative, Selbstständigkeit und auch Verantwortungsübernahme motiviert.  grundsätzlich erlernbar ist, also nicht auf besonderen charakterlichen Ausprägungen einer Person fußt. Deutlich tritt an dieser Stelle die Verbundenheit und wechselseitige Abhängigkeit der einzelnen Momente von gelingendem Leadership zutage: Wenn sich Schulleitung – oder Führung allgemein – nicht mehr auf eine Person beschränkt, sondern – in welcher Form von Kooperation, Delegation oder Partizipation auch immer – mehrere Personen oder Personengruppen involviert, dann ist eine klare Definition der Ziele von Führung unbedingt notwendig. 16


Diese Ziele divergieren je nach dem Kontext der zu führenden Organisation oder Schule, sie sind in hohem Maß von den je lokal gegebenen sozialen Bedingungen und verfügbaren (materiellen wie auch personellen) Ressourcen abhängig, von regionalen Handlungsnotwendigkeiten und -beschränkungen geprägt. Gleichzeitig müssen diese Ziele von Führenden wie auch von allen Geführten als Ziele anerkannt und umgesetzt werden, hier ist ein deutliches Maß an Kommunikation, Kompromissbereitschaft, Flexibilität und ein starker Wille zur Zusammenarbeit aller Beteiligten mit- und untereinander vonnöten. Ein kooperatives Verhalten wiederum, die Zusammenarbeit möglichst aller auf allen Ebenen lässt sich nicht einklagen, sondern nur motivational befördern, und hier tritt ein wesentliches Element von Schulleitung als Leadership zutage, das in der Fachliteratur unter dem Titel „transformational Leadership“ viel Aufmerksamkeit erfahren hat. Den Kern des Konzepts bildet die Vorstellung, dass die Geführten durch das Vorbild der Führenden und die gemeinsam vereinbarten Ziele der Organisation „transformiert“, also „verwandelt“ werden, d. h. sich aus eigener Überlegung und freiem Willen heraus jenen Werten und Zielvorgaben anschließen, die für die Arbeit der Organisation oder Institution leitend sind. Zu fragen ist im Anschluss, welche Werte und Ziele sich hier als prinzipielle, situations- und kontextunabhängige Maßstäbe allen schulischen Denkens und Handelns eignen. In der vorliegenden Arbeit wird die Ansicht vertreten, dass es die unbedingte und nachhaltige Sicherung und Verbesserung der Qualität von Lehre und Lernen ist, die als Leitbild aller schulischen Arbeit gelten sollte. Schule und Schulentwicklung zielen darauf, die Schüler/-innen auf ihr späteres Berufs- und Arbeitsleben vorzubereiten, und um den damit verbundenen zunehmend differenzierten, komplexen und umfassenderen Anforderungen genügen zu können, ist eine qualitativ hochwertige und nachhaltige umfassende Bildung – und mit ihr die Qualität und Weiterentwicklung von Lehre und Lernen – von allererster Bedeutung. Die neuen Aufgaben, die diese erweiterte Bildungsanforderungen und mit ihnen die Notwendigkeit zu allseitiger Kooperation für Schulleitungen mit sich bringen, sind immens: Zum einen gilt es sowieso, das alltägliche operationale und administrative Geschäft zu bewältigen, die Lehr-, Ferien- und Stundenpläne der Lehrkräfte zu koordinieren, Klassenaufteilungen vorzunehmen etc. Des Weiteren hat Schulleitung die Kommunikation nach innen wie nach außen – sprich mit den Lehrkräften wie mit der Schüler- und Elternschaft – zu pflegen, die Kooperation mit außerschulischen Betreuungs- und Unterstützungsinstitutionen zu organisieren und Projekte oder andere nicht-alltägliche Anlässe wie Prüfungstage, Schulfeste oder Sportveranstaltungen zu planen und durchzuführen. Die Schulleitung ist erster und letzter Ansprechpartner für Konflikte auf 17


allen Ebenen und last but not least liegt es an ihr, die strategische Ausrichtung der Schule und ihre langfristigen Ziele im Austausch mit möglichst vielen an der Schule Beteiligten festzulegen. Wie sollen Schulleiter/-innen, die mit über 50 Wochenstunden sowieso schon überlastet sind, all diesen Aufgaben nachkommen können? – Indem sie sie zum Teil abgeben, Führung also in aufgeteilter Form realisieren. Grundsätzlich bieten sich zwei Modelle an: die formale Aufteilung von Führung und Führungsverantwortung, die offiziell fest im organisatorischsystemischen Aufbau der jeweiligen Schule festgeschrieben ist und sich nach Funktions- oder Aufgabenbereichen richtet, und die informelle Zu- oder Verteilung von Führung und Verantwortung, die situativ aus unterschiedlichen Kontexten erwächst und in diesem Sinn mitunter als „emergente Führung“ bezeichnet wird. Hier kann Führung potenziell von jedem Mitglied des Kollegiums wahrgenommen werden, im engeren Sinn wird die Möglichkeit bezeichnet, innerhalb verschiedener Bereiche, z. B. im Rahmen von Projekten oder Arbeitsgruppen, als führender Kopf zu agieren, die jeweiligen Prozesse verantwortlich zu leiten und zu steuern. Insgesamt ist die Aufteilung von Führung nicht nur von entlastender, sondern auch von stark motivierender Wirkung: Wer Zuständig- und Verantwortlichkeiten übernimmt, erfährt immer auch eine Ausweitung der eigenen Handlungsspielräume und einen Zuwachs an Autonomie, kann eigenständig und nachhaltig Schule selbst gestalten. Innerhalb beider Modelle findet eine deutliche Enthierarchisierung von Führung statt, sie ist von der „Aura von Gesamtverantwortung und Weisungsbefugnis“ (Huber 2013d, 28) befreit und beruht eher auf Sach- denn auf Amtsautorität. Damit gerät der Führungsbegriff zu einem nur funktionalen Konzept, das nicht an eine bestimmte Position(smacht) gekoppelt ist, sondern vielmehr auf einer besonderen Art von Expertise beruht. Diese Expertise stellt die wichtigste Voraussetzung für die gelingende Etablierung von Formen der Führungsaufteilung dar, insofern gilt es zum einen, Konzepte von Führungsaufteilungen zum Gegenstand der deutschen Schulleitungsqualifizierungen oder alternativer Fort- und Weiterbildung für Schulleitungen zu machen, zum anderen müssen entsprechende Schulungen in die Lehramtsausbildung integriert, resp. alternative Aus- und Fortbildung für Lehrende angeboten werden. Last but not least impliziert Schulleitung als Leadership die Öffnung der Einzelschule zum lokalen und regionalen Umfeld hin, die externe Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Schulen, der Jugendhilfe, Bildungsinstitutionen, Vereinen und auch – gerade im Hinblick auf Ganztagsangebote und inklusive Lern- und Unterrichtsformen – mit sozialen Betreuungs-, För18


der- und Unterstützungseinrichtungen. Es sind nicht allein neue Bildungsinhalte und Lernformen, die hier treibend sind, sondern vielmehr die Erkenntnis, dass sich eine Verbesserung der Lernbedingungen für Kinder und Jugendliche oft nicht allein schulisch erreichen lässt, sondern auch Aspekte involviert, die jenseits der Schule angesiedelt sind. Hier hat der Gedanke der Bildungslandschaften seinen Ursprung, der Zusammenarbeit mehrerer Institutionen innerhalb einer geografischen Region mit dem Ziel, möglichst viele Elemente aus der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen so zusammenzuführen, dass diesen ein gutes, umfassendes und nachhaltiges Lernen für möglichst alle Schüler/-innen je nach ihren individuellen Fähigkeiten und Ressourcen ermöglicht wird. Kurz gefasst: Schulleitung als Leadership sieht sich generell unterschiedlichsten und partiell widersprüchlichen Erwartungen ausgesetzt und agiert innerhalb hochkomplexer Arbeitsfelder in diversen und sehr divergenten Rollen. Im schlimmsten Fall mag man dies von vornherein als eine unmöglich zu bewältigende Aufgabenkonstellation betrachten, im besten Fall als einen sehr schwierigen Balanceakt zwischen Innovation und Tradition, Flexibilität und Kontinuität und Beschränkung. Um diesen Balanceakt zu meistern, brauchen die einzelnen Schulleiter/-innen im Alltag nicht nur viel Sachverstand, hohe kommunikative Kompetenzen, Kooperations- und Koordinationsvermögen, Organisations- und Verhandlungsgeschick sowie großes Maß an Um- und Weitsicht. Darüber hinaus verlangt ein gutes Schulleitungshandeln immens starke Nerven und eine gut gesicherte eigene Persönlichkeit, die es den Führungspersonen erlaubt, einerseits flexibel auf äußere Umstände und unterschiedlichste Belange zu reagieren, anderseits souverän, effizient und effektiv an der Verwirklichung der Ziele von Schulentwicklung zu arbeiten und jenes Mindestmaß an Kontinuität zu vermitteln und zu sichern, das zur gelingen Bewältigung von Wandlungsphänomenen basal notwendig ist. Nun befinden sich gerade deutsche Schulleitungen in einer besonderen Lage, sie agieren innerhalb eines Spannungsfelds, das dem Aufbau und der Struktur des hiesigen Bildungssystems geschuldet ist: Einerseits gilt es, gerade im Namen einer nachhaltigen Sicherung der Qualität von Lehre und Lernen und zur praktischen Umsetzung eines aktuell adäquaten Bildungskonzepts in der Zusammenarbeit mit den eigenen Lehrkräften sowie mit externen Anbietern, Eltern und Sozialbehörden ein kooperatives Verhalten an den Tag zu legen, auf die Interessen der Betroffenen einzugehen, sich offen für Neuerungen und flexibel in deren Umsetzung zu zeigen. Andererseits aber sind den eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und Kompetenzen im

19


sehr hierarchisch strukturierten staatlichen Subsystem Schule enge Grenzen auferlegt: von Haftungsfragen angefangen, über Lehrpläne, gesetzliche Arbeitszeitregelungen und Urlaubsansprüche bis hin zu jenen Qualitätsberichten, die seit dem Pisa-Schock regelmäßig von den Regierungsbehörden erwartet werden. Diese Zwischenstellung zwischen dem „top down“ behördlicher Anforderungen, Steuerungs- und Kontrollinstrumente und der Notwendigkeit zur allseitigen Kooperation „bottom up“ stellt deutsche Schulleitungen vor besondere Herausforderungen. Mit ihnen – und angesichts der dringlichen Aufforderung zur Schulentwicklung – steht die Ausbildung von Schulleiter/-innen auf dem Prüfstand: Sind die hiesigen Qualifikationsprogramme in der Lage, ihr Klientel, sprich angehende und auch bereits amtierende Schulleitungspersonen adäquat auszubilden? – Dass hier vehemente Zweifel anzumelden sind, zeigen u. a. die Erörterungen des ersten Kapitels der vorliegenden Arbeit. Anhand einer Darstellung der nordrhein-westfälischen Schulleitungsqualifizierung sowie einer ausführlichen Erläuterung der Anforderungen an und der Bedingungen von Schulleitungshandeln in Deutschland macht dieses Kapitel die Rückständigkeit und die Defizite der deutschen Praxis deutlich. Wie gänzlich anders und besser die Lage in Finnland bestellt ist, führt das zweite Kapitel dieser Arbeit vor, in dem das dortige Bildungssystem und die Qualifikationsprogramme für Schulleitungen im Einzelnen dargelegt werden. Im Anschluss an einen Vergleich beider Länder, der die deutschen Mängel noch einmal sehr genau hervorhebt, werden im dritten Kapitel die vielfältigen Anforderungen beschrieben, denen eine zeitgemäße, umfassende Bildung von Kindern und Jugendlichen zu gehorchen hat. Im Rekurs auf diese Anforderungen lässt sich ein umfassender, normativ gehaltvoller Bildungsbegriff entwickeln, der als Leitkonzept der weiteren Überlegungen dient und verdeutlicht, dass die Sicherung und die Verbesserung qualitativ hochwertigen Lehrens und Lernens gegenüber allen anderen Zielen von Schule und Schulentwicklung eine klare Priorität besitzen. Wie aber muss Schulleitungshandeln strukturiert und inhaltlich gefasst sein, um eben ein solches Lernen und mit ihm eine bestmögliche Lehre zu gewährleisten? – Das vierte Kapitel wird zeigen, dass dies nur durch die Etablierung einer Führungspraxis möglich ist, die allgemein als Leadership bezeichnet wird. In diesem Kernstück der vorliegenden Arbeit werden im Anschluss an eine formal-historische Rekonstruktion des Leadership-Begriffs selbst fünf Merkmale herausgearbeitet, die Schulleitung als Leadership maßgeblich auszeichnen. Nachdem diese Merkmale in einer Zusammenschau auf ihre Wechselwirkungen und mutualen Abhängigkeiten hin dargelegt und die sich ergebenden Konsequenzen für die Schulleitungsqualifizierung aufgezeigt werden, gilt das fünfte Kapitel der 20


empirischen Überprüfung der bislang theoretisch entwickelten Konzepte. Hier kann auf die Ergebnisse eines Workshops zum Thema „Schulleitung als Leadership“ zurückgegriffen werden, der in Form einer Zukunftswerkstatt im September 2017 in Bonn stattfand und dessen Teilnehmer/-innen allesamt dem Schulleitungsbereich entstammten. Diese Expertenrunde bestätigte die grundlegenden Überlegungen der vorliegenden Arbeit und konnte wertvolle Hinweise für die praktische Umsetzung von Schulleitung als Leadership geben. Den Abschluss der vorliegenden Erörterungen bildet eine Zusammenführung aller Ergebnisse im sechsten Kapitel, u. a. wird dort in Anlehnung an das finnische Vorbild der Entwurf einer idealen Qualifikation für Schulleitungen vorgestellt, die – so wird gezeigt werden – auf den Umgang mit den zahlreichen Ansprüchen und Beschränkungen dieser Profession wesentlich besser vorbereiten kann als die gegenwärtig in Deutschland verfügbaren Programme. Insgesamt orientiert sich die gesamte Argumentation an fünf Thesen, die im Verlauf der Arbeit herausgearbeitet, erörtert und genau begründet werden: 1) Schulleitung als Leadership ist eine Voraussetzung dafür, ein zeitgemäßes und normativ anspruchsvolles Bildungskonzept zu realisieren, Schulentwicklung zu betreiben, Inklusion und Ganztag zu realisieren und neue Lehr- und Lernformen und -methoden zu etablieren. 2) Schulleitung als Leadership ist wesentlich auf eine kommunikative und kooperative Schul- und Führungskultur angewiesen, die kollektive Entscheidungsfindungen und Zielsetzungen befördert und sich innerhalb der personalinteraktiven Dimension von Schule durch verschiedene Modi der Führungsaufteilung realisieren lässt. 3) Schulleitung als Leadership impliziert ein transformationales Führungsverhalten, d. h. Führungspersonen, die als „Change agent“, als Vorbild und Vorreiter ihre Mitarbeiter/-innen durch transparentes, kommunikatives und kooperatives Verhalten zu Eigenständigkeit, Teamarbeit und Verantwortungsübernahme motivieren. 4) Schulleitung als Leadership ist nur im Netzwerk möglich, in der Kooperation sowie gegen- und wechselseitigen Unterstützung und Beratung mehrerer Schulen und Schulleitungen mit- und untereinander. 5) Schulleitung als Leadership wird in den bisherigen Aus- und Weiterbildungsstrukturen für (angehende) Schulleitungen nicht oder nur wenig berücksichtigt und verlangt einen deutlichen Wandel der Angebote der Schulleitungsqualifizierung und der Lehramtsausbildung.

21


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.