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Vorwort der Redaktion

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Eltern, liebe Lehrerinnen und Lehrer, liebe Schulgemeinde,

im Roman „Die Vermessung der Welt“ erzählt Daniel Kehlmann das Leben der beiden Jahrhundertforscher Joachim Gauß und Alexander von Humboldt, die beide auf gänzlich verschiedene Weise die Welt durchdringen. Während Gauß zu Hause bleibt und mit der Kraft seines Geistes die Welt durchmisst, bereist Humboldt, getrieben von einer unstillbaren Neugier, bekannte und vor allem unbekannte Teile der Erde. Auf einer dieser Reisen kommt die Expeditionsgruppe auf Sprachen zu sprechen:

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„Geschichten wisse er keine, sagte Humboldt […]. Auch möge er das Erzählen nicht. Aber er könne das schönste deutsche Gedicht vortragen, frei ins Spanische übersetzt. Oberhalb aller Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein. Alle sahen ihn an. Fertig, sagte Humboldt. Ja wie, fragte Bonpland. Humboldt griff nach dem Sextanten. Entschuldigung, sagte Julio, das könne doch nicht alles gewesen sein.“

Haben Sie ein Lieblingsgedicht? Ein Lieblingswort? Falls ja, versuchen Sie diese einmal in eine andere Sprache zu übersetzen oder zu erklären, was genau Sie an diesem Wort berührt. Gar nicht leicht, nicht wahr? Auf den reinen Inhalt beschränkt, verliert „Wandrers Nachtlied“ von Goethe jedenfalls sämtlichen Zauber. Sprachen sind eine seltsame Angelegenheit – Menschen haben den Drang zu sprechen, miteinander zu kommunizieren und sich auszudrücken; Sprache verbindet. Gleichzeitig schafft Sprache Grenzen, Missverständnisse und Ausgrenzungen; mit Sprache lässt sich Politik machen. Am LLG ist das Thema Sprache vielfach präsent. Selbstverständlich kann man hier Fremdsprachen erlernen (sogar so außergewöhnliche wie Russisch!), auf einem Austausch fremde Länder bereisen oder in der langen Lesenacht in Büchern schmökern. Das alles zielt auf die Verständigung untereinander, darauf, dass Sprache ihren kommunikativen Zweck erfüllt. Das ist sicher wichtig und eine Hauptaufgabe von (Schul-)bildung. Doch Sprachen können so viel mehr sein. Wenn man richtig in eine Sprache eintaucht, eröffnet sich eine neue Welt. Wilhelm von Humboldt (der Bruder des Naturforschers oben!) hat den Gedanken formuliert, dass das Erlernen einer Fremdsprache das „Gewinnen eines neuen Standpunktes“ sei, der dem Lernenden nicht nur neue Vokabeln, sondern v.a. eine neue Weltsicht und Perspektiven auf sich selbst gebe. Sprache sind Welten, die es zu entdecken gilt. Mit diesem Leitgedanken ist dieses Heft konzipiert worden. Es soll Perspektiven öffnen auf die unterschiedlichen Sprachen am LLG, auf Kontakte zwischen Menschen und Kulturen. Uns erscheint es gerade in den heutigen Zeiten, in denen eher Grenzen gezogen als überbrückt werden, besonders wichtig, die Vielfalt zu betonen, die unsere Schule und auch unser Land besonders auszeichnet. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre – vielleicht versuchen Sie danach einmal, ihr Lieblingsgedicht in eine andere Sprache zu übersetzen?

Opladen, im Juni 2020

Im Namen der Redaktion, Stefan Brochhagen Redaktionssitzung wärend der Corona-Pandemie. Mit dabei sind Monika Schramm, Sabine Eilers, Stefan Menge, Dr. Claudia Menge, Stefan Brochhagen, Dorothee Bell und Carsten Lohausen (nicht im Bild:Tobias Dannenberg, Kerstin Brill)

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