DELIRIUM N°03

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Herbst 2014 N째03

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Editorial Doch bestimmten Wendungen wird grosses Vertrauen entgegengebracht. Ähnlich wie der Patellarsehnenreflex Freude macht; nach dem Stolpern und nach dem rettenden Einsatz der Nerven wird zurückgeblickt und gedacht: «Ja, das war jetzt wohl ein Glück, dass da nichts passiert ist.» Zu verstehen, was sich dort in den Muskeln, Sehnen und Nerven durch den ganzen Körper und wieder zurück gezogen hat, ist nicht vielen von ihnen gegeben. Manchmal wird mehr gewusst, manchmal weniger. Wie seltsam muss es demjenigen Körper vorkommen, der von sich gerettet wird, ohne zu merken, was passiert ist. Alleweil bieten uns dann so manche Wendungen Zuflucht, wenn im Gespräch die Luft knapp wird. So konnte ich es schon erleben, wie ein adretter Herr, der sich eben noch voller Lust ins Gespräch vertiefte, nun ganz abwesend darin, das Zuhören vergisst. Auf die erwartungsvolle Miene des seinen Ärger über einen Streit mit einer abwesenden Drittperson kundtuenden Mädchens, das von ihm die gebührende Zustimmung fordert, gibt er zur Antwort: «Ja, das Leben ist schon schwer.» Damit hat er zumindest die Haltung gewahrt – und vielleicht auch das Interesse, sodass ihm durchaus ein Stein vom Herzen fallen könnte. In der Form ist solch ein Satz zwar vergleichbar mit der Fasson einer Hose aus dem Sortiment eines grossen schwedischen Kleidungsproduzenten, aber jemand von gutem Geschmack offenbart sich ungeachtet des Ursprungs seiner Hose. So manch ein Literaturwissenschaftler (und manch anderer Leser) spricht in ganz lyrischer Schwärmerei davon, wie dieser oder jener Schriftsteller die Sprache doch völlig neu erfunden habe, aber bei genauem Bedenken wird diese Aufgabe wohl keinem auch noch so verhassten Geschöpf gewünscht werden. Überhaupt ist es fraglich, wieso man Sprache neu erfinden sollte, wenn man doch so manche kleine und feine Wendung zur freien Verfügung hat, die ein ums andere Mal wiedergekäut werden kann. Insofern wünsche ich den Leserinnen und Lesern ein grosses Vergnügen und viel Freude beim Blättern in diesem Magazin und mögen sie sich bloss nicht zu sehr auf Neues freuen.

Editorial

SAMUEL PRENNER

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Mit freundlicher Unterst端tzung Universit辰t Z端rich Seminar f端r Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL)

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Inhalt L I T E R AT U R | K R I T I K

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Notizen zur Zweifelhaftigkeit des literarischen Programms DOMINIK HOLZER

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Das Herz der Finsternis oder Dann gute Nacht, Schubertherz!

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Hörig

Dazuge-hörig

TATIANA HIRSCHI

ORLANDO SCHNEIDER

MAREIKE HAASE

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Der Kannibale JÁNOS MOSER

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27, 28

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Der halb richtige Schluss

kapri, weltendrehen

Simulation eines Kommentars

SAMUEL PRENNER

MICHELLE STEINBECK

DEMIAN BERGER

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Genealogien

Jede Odyssee führt in den Wald

MERET BACHMANN

CONRADIN ZELLWEGER

R E I N R E DE N

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Doppelt verklärte Literatur

Vor dem Laden ist ein Schild

DALIBOR SUCHANEK UND DOLORES ZOE

MICHELLE STEINBECK

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Die Besserwisser

MANUEL MÜLLER

ALBRECHT FÜLLER UND FABIAN SCHWITTER

V E R A NSTA LT U NG E N

Inhaltsverzeichnis

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55

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In and out


…und er hör t e r e d f u a in e s g n u J sein Strasse rumplatschen e e n h c S n e d e t r ö h d un auf dem Holunder und es langweilt e ihn schon, dieses sein Jungsein, er wusst e haargenau, dass ie w r, a w e lb e s s a d es jedes andere… 6


Notizen zur Zweifelhaftigkeit des literarischen Programms Odysseusbitches, willkommen im Delirium, Mütter bleicher Verlockungen Jason träumt, und hängt mit seinen immergleichen Abschiedsgedichten an meinen falschen Titten Willkommen im Delirium, Betonengel, Willkommen in der Hölle, ihr Sebaldwixer, betrunken selbstgesetzgebende, zeilenstrolchende Mönche mit grenzenlos unvollendeten Schuberterektionen Fickt die Nacht nur, bis sie blutet, Schubert singt euch ins Forellendasein Ja, entrückte, liebevolle Tagebuch- und Briefeschreiber Ja doch, nehmt sie, bis sie blutet, Schwanzzerreiter, ihr Tänzer auf den griechischen Amphoren, Reitet weiter, reitet Schwänze, bis ihr schwarz seid Das singt mein weisses, haariges Ithakaherz mit the voice of a black woman Oh Jason, tanze mir, vom drögen Oszillieren zwischen Form und Stoff, Ja, Jason, träume mir, von Langeweile, Dichtkunst und vom schwankend hohen Maste Deines Lyrikbootes Willkommen Leser, deine Seele gehört schon lange mir Und höre Was sie mir ins rote Öhrchen singt: Beinahe, beinahe, beinahe Willkommen im Delirium, ihr Möchtegerne, Kritiker und Streber, Schreiberlinge und ihr anderen Euch gehör ich allen zu Esst mein Herz aus, Wixt euch eins auf Sebald und dann gute Nacht Die Luft riecht auch bei euch Nach Holunder und nach Facebook. Gefragt sind künstlerische Antworten auf die bereits angeregten Diskussionen in den Ausgaben N°01 und N°02. So gewinnst du: Hannes sattelt Götterverlassne Männer Frauen nicht? Willkommen im Delirium, ihr Medealecker! Esst mein Schubertherz Und dann gute Nacht Willkommen Freunde des Guten und Schönen Willkommen, oh Änäispenetranten Willkommen im Delirium, oh Hipsteranuspenetranten Vollendet ihr mein Schubertherz

Literatur

Sonst vollendet es mein dummes Jünglingsherz Und stürzt mich wieder in den alten Dichterschmerz.

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Literatur

Er ging die Strasse lang und hörte nichts und dachte: Das ist es also jetzt, das ist dieses Jungsein, das mich bald nicht mehr hat, das ist es jetzt, dieses ungesunde Jungsein, das ist nun also dieses vergängliche Jungsein, von dem die Dichter sprechen, wenn sie alt sind, und er ging weiter auf dieser Strasse und dachte nichts und hörte eine Nachricht, schaute nach, sein Vater, der Musikwissenschaftler war, hatte ihm eine SMS geschrieben: Hallo, du, wie geht es dir, lass mal von dir hören, und er hörte sein Jungsein auf der Strasse rumplatschen und hörte den Schnee auf dem Holunder und es langweilte ihn schon, dieses sein Jungsein, er wusste haargenau, dass es dasselbe war, wie jedes andere, und er sagte seinem Jungsein: Ja, ich höre die Flocken fallen, aber ich denke nicht, dass es das Echo der Glocken im Tal ist, es ist ja alles so scheissprofan, und eine fette Flocke fiel ihm ins Aug, genau als er das dachte, und er fluchte und es war kalt und er wusste, dass das Schneien das Seufzen der Wolken ist, who cares, dann rief er seinen guten Freund John an, der nicht mehr wirklich jung war, mit dem er also auch kein Jungsein teilen musste, und sie gingen in eine Bar und betranken sich gottlos und als er zu einem Lied zu tanzen anfing, in dem ein weisser, überaus vulgärer, vollkommen ideenloser Rapper sagte: Fickt die Nacht nur, bis sie blutet, da merkte er, dass er jetzt wirklich heimgehen musste, und er ging dann auch wirklich, und es war ihm alles egal ausser die SMS von seinem Vater, der Musikwissenschaftler war, er sass auf dem Klo und wusste nicht, was zurückschreiben, und schlief ein und als er aufwachte, kam ihm das Lied wieder in den Sinn, und war immer noch auf dem Klo und dann schrieb er vollkommen betrunken, was ihm in etwa noch geblieben war vom Lied: Lieber Papa, wer vollendet dir dein Schubertherz? Ja, was einem alles so in einer Schneenacht halt begegnet, nicht, dann gute Nacht. Ich vermisse dich, dein Jason. DOMINIK HOLZER

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Kritik

Das Herz der Finsternis oder Dann gute Nacht, Schubertherz!

sich seinen Weg über eine spiegelnde Oberfläche aus Namen und sexuell-expliziten Beleidigungen. Diese Beleidigungen gelten nicht nur dem Leser, da er durch das «Willkommen Leser» zum Teil der Oberfläche gemacht wird, sondern umfasst zugleich alle «Möchtegerne, Kritiker und Streber, / Schreiberlinge und ihr anderen». Die gehäuften Willkommensgrüsse lassen das Bild einer Manege entstehen, in der, begleitet von euphorischen Fanfaren und bunten Lichtern, der Zirkusdirektor den Beginn der Vorführung ankündigt, sodass

Der titelgebende Verweis auf Sebastien Fanzuns

sich die Erwartung eines bunten und vielfältigen

gleichnamigen Essay aus delirium N°02 fordert nahezu

Nach-, Neben- und Durcheinanders an Attraktionen

obligatorisch die Prüfung von Dominik Holzers Text

herausbildet. Das wiederholte «Willkommen»-geheis-

auf die Richtung des zugrunde liegenden Programms

sen-Werden wirkt dabei wie der Gesang der Sirenen,

ein: Zeigt sich hier der Wille zur Gestalt? Und wie gross

denen Odysseus auf seiner Reise begegnet und die

ist die Übereinstimmung zwischen Form und Bedeu-

zwar schöne Lieder singen (Form), deren eigentliche

tung? Der Text gliedert sich in zwei Teile, wobei erst

Absicht (Inhalt) jedoch eine tödliche ist.

der zweite Teil – analog der Aufgabe, die eine Kritik

Ein Bilderregen prasselt nieder. Wir lesen vom

zu erfüllen hat – die Einordnung des ersten Teils er-

lyrischen Ich, das dazu auffordert, sein Herz auszu-

möglicht. Dadurch wird die unauflösliche Verquickung

essen, dem die Seele des Lesers schon lange gehört

zwischen Form und Inhalt erkennbar, gleichzeitig die

und das in Anklang eines Zeugmas allen ‹Möchte-

Unkontrollierbarkeit von Bedeutungen vor Augen

gernen, Kritikern und Strebern, Schreiberlingen und

geführt und deren Herr-werdung via Formgebung

anderen› in einer dadurch erzeugten Gleichzeitigkeit

versucht.

«zu(ge)hört». Durch das Hören im Akt des Lesens ent-

Erster Text

steht ein Ge-hören, ein Sich-zu-eigen-Machen. Das Sich-zu-eigen-Machen impliziert auch ein Sich-Ein-

Dass ein Gedicht immer auch Verdichtung impli-

verleiben, also ein «Ausessen», zu dem der Leser aufge-

ziert, zeigt der erste Text überdeutlich, quasi nicht nur

fordert wird. Ähnlich wie Jason, der auf seinem Lyrik-

mit dem Zaunpfahl, sondern mit einem ganzen Latten-

boot wie Odysseus übers Meer treibt (oder getrieben

zaun winkend. Der Form nach als Gedicht in Erschei-

wird), können auch wir nicht anders, als schwankend

nung tretend, verweist dieser Text explizit auf seine

durch die Verse zu schweifen und dabei dem Gesang

Dichte, indem er (fast) alle Texte der zweiten Ausgabe

des lyrischen Ichs zu lauschen, das bereits im Besitz

von delirium nennt und damit auf engstem Raum

unserer Seele ist.

komprimiert.

Doch dann folgt eine jähe Zäsur, die den Leser aus

Willkommen!

dem Bilderfluss und dem Textinneren heraus- und hinaufreisst auf eine Meta-Ebene. Dies geschieht

Das erste Wort des ersten Verses zieht uns schon

durch das Zitat der Aufforderung zur Produktion von

mitten hinein in die griechische Sagenwelt («Odysseus-

«künstlerische[n] Antworten auf die / bereits ange-

bitches») und in den folgenden Rausch bzw. Kon-

regten Diskussionen in den / Ausgaben N°01 und N°02»

text des Gedichts («Delirium»). Sofort hören wir von

von delirium. Darauf folgt der Verweis auf das Wie des

Jason und reihum erfolgt die Begrüssung einer bun-

Gewinnens, durch den der Leser flugs am Fuss gepackt

ten Publikumsvielfalt, eingeladen zum Spektakel, das

und zurück zum lyrischen Ich gezerrt wird, das sich

sich aus der Zusammensetzung verschiedener Figuren

an der zurechtgebogenen Homonymie einer der Auto-

und Zitate vergangener delirium-Texte zu ergeben ver-

rennamen probiert und aus Hannes Sättele ein «Han-

spricht: «Mütter bleicher Verlockungen», «Betonengel»,

nes sattelt» macht. Diese Zäsur wirkt wie eine Erklä-

«Sebaldwixer», «zeilenstrolchende Mönche», «Tagebuch-

rung oder gar Rechtfertigung für den vorgängigen

und Briefeschreiber» u.v.m.

Gedichtabschnitt – wie eine grosse Fussnote, die je-

Der Leser ohne Vorkenntnis der intertextuellen

doch bewirkt, dass das Leseerlebnis unterbrochen wird,

Anspielungen auf vergangene delirium-Texte kratzt

der Bilderfluss ins Stocken gerät und das Gedicht den

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künstlichen Beigeschmack einer Auftragsarbeit erhält.

Bewusstseins-Strom in Form eines einzigen, unend-

Als könnte es nicht aus sich selbst heraus bestehen und

lich langen Satzes (so unendlich wie Schuberts Unvoll-

wäre ohne diesen Einschub unverständlich. Aus Angst

endete und letztlich ironischerweise mit dem unvoll-

vor einer möglicherweise zuschreibbaren Schwäche

endeten Schubertherz und dem danach folgenden

oder Unfähigkeit für sich selbst zu stehen? Oder ver-

Fragezeichen erst zu einem Ende gelangend) wird die

steht sich das Zitieren dieser Aufforderung als Teil des

Tonalität der Kurzgeschichte Auerbach von Sebastien

Gedichts, so als sei alles, was delirium umfasst, zugleich

Fanzun aus delirium N°02 nachahmend umkreist. Die-

schon künstlerischer Ausdruck?

ser «Er», der sich schliesslich als Jason herausstellt,

In noch grösserer Dichte erfolgt im Anschluss da-

geht eine Strasse entlang und hört nichts, bis er durch

ran ein vierfacher Willkommensgruss des lyrischen Ichs

die SMS seines Vaters aus seinen Gedanken herausge-

an «Medealecker», «Freunde des Guten und Schönen»,

rissen wird. In der Folge gruppieren sich alle seiner

«Änäispenetranten» und «Hipsteranuspenetranten».

weiteren Sinneswahrnehmungen ausschliesslich um

Nach so vielen Willkommenheissungen warten wir

das Hören herum, was an das Gedicht von Elsbeth

gespannt auf den Beginn der Vorstellung. So wirkt

Zweifel aus delirium N°02 und ihre darin wiederholte

das Gedicht im Ganzen wie ein Prolog – verharrt je-

Aufforderung «und höre» erinnert:

doch in diesem Stadium. Es wird erneut zum Verzehr des Herzens, jedoch nun spezifisch des ‹Schubertherzens›, aufgefordert, um es zu vollenden. Und erst

«[…] und er hörte sein Jungsein auf der Strasse rumplatschen und hörte den Schnee auf dem Holunder

in den letzten drei Versen erscheint ein Paarreim, der

und es langweilte ihn schon, dieses sein Jungsein,

Form und Stoff nun als Quintessenz des Mäanderns

er wusste haargenau, dass es dasselbe war, wie jedes

zwischen ebendiesen miteinander eindeutig zu einem

andere […]»

‹tatsächlichen› Gedicht verbindet, wobei diese Verbindung ins Kitschige abgleitet und damit das Gedicht

Nun hört Jason also das Jungsein auf der Strasse,

als solches karikiert, indem «Jünglingsherz» und

die fallenden Flocken, das Seufzen der Wolken

«Dichterschmerz» zusammenfinden.

und das Lied des ideenlosen Rappers. Und wieder erfolgen intertextuelle Anspielungen auf vergangene

O(h)rientierungslos

delirium-Texte.

Nachdem die Nacht gefickt wurde, wird sie im Verlauf des Gedichts zwei Mal gut gewünscht. Und

indem das vorgängige Gedicht kontextualisiert wird

die «grenzenlos unvollendeten Schuberterektionen»

als von einem weissen, vulgären und ideenlosen Rapper

schliessen zum «Schubertherz» und dessen Vollendung

stammend. So erfährt es eine Einordnung – wie sie

auf. Nebst dem Delirium und Jason stellen die Nacht

auch eine Kritik leistet – und nimmt den Leser an die

und Schubert die zentralen und wiederkehrenden

Hand. Seine vormalige Orientierungslosigkeit wird be-

Motive des Gedichts dar, zwischen denen Wort- und

endet, weil Form und Inhalt des Gedichts nun wie ein

Textbausteinnetze in losem Zusammenhang aufge-

zusammengehöriges Ganzes wirken.

spannt werden. Wir fühlen uns wie die Fliege im Spin-

Teile des Gedichts finden ihr Echo in der Erzählung

nennetz – hängen vielleicht auch am seidenen Ariadne-

wieder: Das Delirium stellt sich hier als Betrunkensein

faden – und delirieren tatsächlich, insofern als dass

dar. Die ‹götterverlassnen Männer› finden sich im ‹gott-

uns beim Lesen schwindlig geworden ist, da wir kom-

losen› Besäufnis von Jason und John. Auch die Odyssee

plett die Orientierung verloren haben. Und so findet

spiegelt sich im Herumirren Jasons auf der Strasse

sich die Odyssee, auf die im Gedicht gleich zu Beginn

und der Einsicht in die Notwendigkeit zur Heimkehr,

verwiesen wird, gespiegelt in der Leseerfahrung: Wir

die indirekt durch das SMS-Schreiben an den Vater

wissen nicht mehr, wo wir sind, und auch nicht, wo es

bzw. überhaupt den Gedanken an ihn und die Hin-

hingehen soll.

wendung zu ihm stattfindet. Auch die Aufforderung zu «künstlerische[n] Antworten» könnte aus der SMS

Zweiter Text Gehörlos

Kritik

Im Text selbst ist die Kritik als Akt implizit enthalten,

des Vaters, der darum bittet, ‹etwas von sich hören zu lassen›, gelesen werden, und die künstlerische Antwort

Wir gehen eine Seite weiter und landen mit-

darauf aus der SMS, die Jason schreibt und die – genau

ten in einem Prosatext. Nun ist von einem «Er» die

wie das Gedicht – mit dem Schubertherz und dem Gute-

Rede, der über sein Jungsein reflektiert. In einer Art

Nacht-Wünschen schliesst.

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Kritik

Zum Ende der Erzählung hin sucht Jason auch den

Grenzen jedoch horizontal und vertikal und aus der

buchstäblichen Ort des Abschlusses und Beendens des

Nähe (Kritik) und Ferne (Leser) vielgestaltig und viel-

Verdauungsvorgangs auf – das WC (schliesslich wurde

gestaltend aus. Ein wenig erschlagen ob der Fülle der

ja im Gedicht zuvor ein Herz ausgegessen, das irgend-

Bezüge und der Unterschiedlichkeit, in der sie herge-

wann ausgeschieden werden muss). Somit findet auch

stellt werden, bleibt die Kritikerin zurück. Mit tausend

das ‹Ausdrücken› in Form der Hervorbringung von

Bildern bzw. angerissen Szenen im Kopf, dabei aber –

literarischen Produktionen, das im Essay Verbuggte

ein wenig wie Jason seinen Vater – den einen einzigen,

Literatur von Cédric Weidmann aus delirium N°02 durch

dafür vertieften Bezug vermissend, da der Erzähltep-

die Metapher des Sitzens auf der Kloschüssel darge-

pich in seiner Dichte (Dicht-ung) zwar Halt bietet, dies

stellt wird, ein Echo. Jason schläft jedoch auf dem WC

jedoch auf Kosten grosser Maschen tut. Durch diese

sitzend ein – ‹produziert› vermutlich somit nichts in

würde man dann doch gern ins Offene und in die für

dieser körperlichen Hinsicht eigenes – und wacht auf,

das Zu-eigen-Machen oder Sich-zugehörig-Machen not-

um sich an Teile des Rap-Lieds zu erinnern – re-produ-

wendigen, interpretationsweiträumigen Leerstellen

ziert somit nur bereits Gewesenes. Eine Verdoppelung

fallen.

desjenigen Produktionsvorgangs, der massgebend und grundlegend für das Entstehen der Texte war.

Un/vollendung Das Verfehlen des Austauschs zwischen Vater und Sohn knüpft an die Homonymie in «unerhört» an –

Die Aufteilung des Texts auf zwei Seiten trägt entscheidend zu seiner Wirkung bei. Jeder Textteil für sich allein stehend könnte nicht halb so viel Spannung erzeugen, wie sie der wechselseitige Bezug erst herzustellen vermag. Auch dies ist als Metapher lesbar für die Spannung zwischen Text und Kritik – und die Kraft

Literatur entsteht aus dem Erzählen einer unerhörten

des Dritten, das im Dazwischen entsteht. Das eine

Begebenheit. Dominik Holzers Geschichte erzählt je-

fliesst hemmungslos, das andere lenkt in geordnete

doch von einem Nicht-Wahrnehmen zwischen Vater

Bahnen. Das eine wühlt auf, wenn kontextunwissend

und Sohn und damit einem «Un-erhörten» im Sinne des

konsumiert, während das andere auffängt, verständlich

akustischen Unvermögens. Im Zustand der Trunken-

und verstehbar macht und dem Leser ermöglicht, (einen)

heit – also im Delirium, verortet somit zugleich im

Sinn zu erschliessen – wenngleich dieser immer auch

Alkoholrausch wie im Magazin – lässt Jason von sich

in der Färbung derjenigen Brille erscheint, die der

hören, reproduziert aber nur Textfetzen, die aufgrund

Kritiker beim Blick auf den Text getragen hat.

der Form der SMS in einem beschränkten Erklärungs-

Künstlerische Antwort?

spielraum wie trunkenes, freies Assoziieren wirken. Das Von-sich-hören-Lassen erfolgt somit nur in der

Die ausführlichsten ‹künstlerischen Antworten›

Form (SMS) und der Tätigkeit (sich melden via SMS),

erhalten die Kurzgeschichte Auerbach von Sebastien

jedoch ohne tatsächlichen Inhalt (Stoff).

Fanzun und das Gedicht Jason träumt von Andreas Fischer. Beide werden gleichsam der aristotelischen

Zwischen Form und Inhalt

Aussage entsprechend «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile» miteinander zu einem neuen,

Wie Dolores Zoe in der zweiten Ausgabe in ihrer

gemeinsamen Dritten verbunden. Dies in Form einer

Replik auf delirium N°01 schreibt, sei «Oszillieren

Vater (Musikwissenschaftler, Schubert-Bezug) und

zwischen Form und Stoff» für den Kritiker nur der erste

Sohn (Jason) Beziehung, womit der Bezug zu ver-

von zwei Schritten, dem das Gewahr-Werden der eigenen

gangenen Texten auf der inhaltlichen (in der Geschichte

Kritikerhände beim «Nachtasten der dichterischen

als Vater und Sohn) und auf der Form-Ebene (Gedicht:

Gestaltungskraft» folgen sollte, um sich dabei der

Jason – Prosa: Auerbach-Text-Form) herzustellen ver-

«Selbstbestimmung der Dichterin oder des Dichters»

sucht wurde.

bewusst zu werden. Diese Selbstbestimmung in Form

Die künstlerische Antwort auf Diskussionen aus

einer Selbstgesetzgebung kann natürlich nur einge-

den vorangegangenen delirium-Ausgaben beschränkt

schränkt oder beschnitten erfolgen, insofern als dass

sich im Gedicht – liest man es als für sich und allein

die vorliegende literarische Produktion die Form der

stehend – auf die blosse Nennung und Aneinander-

‹künstlerischen Antwort› auf vergangene Diskussionen

reihung von Texttiteln und Wortfolgen bzw. Satzteilen

haben soll. Innerhalb dieser lotet Dominik Holzer die

bereits erschienener Texte. Anstatt vertieft inhaltlich

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den Faden vergangener Texte aufzunehmen, um z.B. Geschichten fortzusetzen, ergötzt sich der Autor wiederholt an Homonymien: die Dichte in der Dichtung des Gedichts, das Delirium als Rausch des Ichs und Medium des Autors, die Unvollendetheit des Herzens und der Sinfonie Schuberts.

Zusammenspiel von Form und Bedeutung Die Frage danach, wie Form und Bedeutung in Anlehnung an Fanzuns Essay Zur Zweifelhaftigkeit des literarischen Programms tatsächlich zusammenspielen, lässt sich mit einer Formulierung aus ebenjenem Essay beantworten. Das darin entworfene Bild entspricht jenem, das beim Lesen des Texts entstand: «[Die Literatur] ergreift ihren Gegenstand und stürzt sich, ihren Gegenstand stets eng umschlungen haltend, zusammen mit ihm in den reissenden Strom der Bedeutungen.» Tatsächlich entfaltet sich eine Assoziationskette im Gedicht, dessen Bedeutung sich wandelt durch die Erklärung in der anschliessenden Erzählung: Nimmt der Leser das Gedicht als in sich geschlossen an (zunächst ohne Kenntnis der anschliessenden Aufklärung), erscheinen «Odysseusbitches», «Schwanzzerreiter» und «Medealecker» als reine Provokation, ja vielleicht sogar Verstörung, die aufgehoben wird durch die Kontextualisierung als Rap-Text.

Das unvollendete Herz Dass die Frage danach, wer dem Vater das Schubertherz vollenden wird, unbeantwortet den Schlusspunkt gemeinsam mit der darin angedeuteten unerhörten Beziehung zwischen Vater und Sohn in der verzögerten und aneinander vorbeiführenden SMS-Kommunikation bildet, erscheint fast wie eine Aufforderung zum fortgesetzten «Delirieren» im delirium. Scheherazade gleich sollte auch das Erzählen, Kritisieren und Diskutieren im delirium nie zu einem Ende gelangen, da sich Texte und Kritiken in konstanter und wiederholter Wechselund Rückbezüglichkeit erst zu jenem Neuen und Dritten entwickeln können, das den programmatischen Anspruch von delirium erfüllt, einen inspirierenden und inspirierten Ort für konstanten Austausch und Dialog in der literarischen Szene Zürichs darzustellen.

Kritik

MAREIKE HAASE

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…Und sche nk Gehör ich d ir…

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Hörig Besingen könnt ich dich bis ans Ende des Tages. Doch was da erklingt, es bleibt Vages. Wahrhaftig – doch blickst du dir nie ins Gesicht. Wirst du auch nie – doch hörbar werden, vielleicht. Meermündig, unhörbar Elliptische Echolalie Rabenschwarz beinah das Haar Einmal mehr erinnernd, Todesfern. Spiel mir die Duftnoten – bring sie zu Gesicht Zeichne die Topographie deines Körpers, Ortlos, formvoll. Eine stumme Sprache sprechend Bis das Lied erkaltet in den Niederungen Wo wir liegen, umschlungen ein um das andre Mal Wo es sinnend singend versinkt. wese an wese aus, wag es, vages Spiel mir die Hohepriesterin und das Rad

Literatur

am Wagen.

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Literatur

Meine Ruhe ist die Ruhe einer vibrierenden Saite Dreh dich doch mal auf die andere Seite Dein Rücken ist immer hinter dir, unentrückt. Mein Körper erinnert sich an dich Die eine stumme Sprache spricht Die immer wieder Laut wird. Und schenk Gehör ich dir so kann ich sein Da ist das Wort nicht mein und das ist es nirgends und da bin ich Ortlos. So kann ich sein da ich höre nicht gehöre, mir nichts gehört und find dich so hörend ganz betörend Und werd ganz ungehörig hörig – Meermündig, unerhört Echo gen unverklungen – Rauschen – Zähmen wir noch unsere Zungen? Einmal mehr erklingt Todesfern Die Note, von deinem Rippenbogen umspannt Bleibt unbenannt. TATIANA HIRSCHI

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Kritik

Dazuge-hörig? Texte beziehen sich bekanntlich, bewusst oder unbewusst, auf vorhergehende Texte, doch ein literarisches

durch das Gedicht. Um sich nun nicht in ein verwirrendes Netz von lyrischem Ich und Du der beiden Gedichte zu verstricken, werden sich diese Begriffe, wenn nicht anders erwähnt, fortan auf Hirschis Gedicht beziehen.

Erzeugnis soll stets auch für sich selbst stehen können.

Wie soll man sich das lyrische Ich des Gedichts und

Wir kennen das: Die unentbehrliche Frage nach dem

höre vorstellen? Das einzig denkbare Resultat muss ein

Weg, auf welchem der Versuch zu einem Verstehen von

«Vages» bleiben und so wird durch das ganze Gedicht

Literatur zustande kommen kann oder soll. Im Fall von

Hörig immer wieder von Neuem versucht, das lyrische

delirium liegt es dem Kritiker nahe, sich als Methode

Du zu «besingen» und irgendwie fassbarer zu machen.

von der textimmanenten Lektüre ab- und der Intertex-

Deutlich ist diese Annäherung zum Beispiel in den

tualität zuzuwenden: Denn der Bezug zwischen den

Beschreibungen und Entwicklungen von Körper und

Ausgaben und der daraus entstehende Diskurs ist, wie

Stimme zu beobachten und so wird der Fokus der Kritik

wohl die meisten LeserInnen wissen werden, in diesem

vor allem auf diesen Aspekten liegen. Ferner sind Be-

Magazin Programm. So ist Tatiana Hirschis Gedicht

züge des lyrischen Ich zu den Vorgängertexten erkenn-

Hörig offensichtlich auf Elsbeth Zweifels und höre

bar und stützen den vergleichenden Ansatz dieser

sowie auf die dazugehörige Kritik von Hannes Sättele

Kritik.

aus delirium N°02 bezogen. Es scheint daher auch sinn-

Entwicklung der Körperlichkeit

voll, dass sich diese Kritik an den Vorgängern des Gedichts orientieren wird.

Die Instanzen Bei der ersten Lektüre von Hörig entsteht un-

Bereits in der zweiten Strophe erscheint ein Gesicht, das sich nie selbst sehen wird. Vielleicht weil es nicht sehen kann, da es sich um die Physiognomie des Gedichts selbst handelt. «Rabenschwarz beinah das

weigerlich der Eindruck, es handle sich um eine Form

Haar» könnte eine durch die Typografie angeregte

von Liebesgedicht oder besser, um die Schilderung

Assoziation beschreiben, da die Schrift durch das sie

eines zärtlichen Verhältnisses zwischen einem Ich und

umgebende Weiss nie ganz rabenschwarz erscheint

einem Du. Doch nirgends wird so recht deutlich, wer

und diese hier auf das Haar des lyrischen Du über-

oder was die Stelle dieser beiden bereits in der ersten

tragen wird. So entsteht aus der Materialität des

Zeile exponierten Instanzen einnehmen soll. Mit einem

Gedichts langsam eine Gestalt: «Todesfern» ist sie,

Blick auf die dem Gedicht vorangehenden Texte will

weil sie eben im Entstehen begriffen ist. Das Du wird

ich eine Möglichkeit der Besetzung dieser Personal-

aufgefordert, «die Topographie [s]eines Körpers» zu

pronomen vorschlagen: In Ein überlebender Mythos

zeichnen, der zwar nirgends verortet werden kann

von Hannes Sättele wird der Leser des Gedichts vom

(wie in der zehnten Strophe auch das lyrische Ich),

lyrischen Ich zum Hören aufgefordert und verliert sich

aber doch bereits Form angenommen hat. Darauf folgt

immer stärker in der vom Gedicht hervorgerufenen

in der fünften Strophe das umschlungene Liegen. Bis

Welt. Zu Beginn noch in einer einsamen Zweisamkeit

hier ist also zu beobachten, dass sich das lyrische Du

mit dem lyrischen Ich, zieht sich dieses, gemeinsam

langsam aus seinen Teilen zusammensetzt, bis die Um-

mit der poetischen Bildhaftigkeit des Gedichts, bis zur

armung und somit die Vereinigung der Körper ermög-

vollständigen Abwesenheit zurück und überlässt den

licht wird. Kaum Gestalt angenommen, wird das lyri-

Leser in seinem neu erlangten Zustand sich selbst.

sche Du zu einem Transformationsprozess aufgefordert,

Dieser Zustand ist der eines neuen Hörens, durch den

in welchem es «die Hohepriesterin / und das Rad / am

ein «unvermittelter Bezug zu Dingen [...] auch jenseits

Wagen» spielen soll. Nur zum Spiel werden zum letzten

der gedichteten Welt» hergestellt werden kann. Bei dem

Mal «spirituelles Heil und gesellschaftliche Annehm-

soeben hervorgehobenen Aspekt dieser Kritik knüpft

lichkeit», als die vermeintlichen Glücksversprecher in

Hirschi an: Das angesprochene Du ist das lyrische Ich

Sätteles Kritik, vorgetäuscht. Weiter interessant scheint

aus Elsbeth Zweifels Gedicht, während das lyrische

mir, dass es in der neunten Strophe der Körper ist, der

Ich von Hörig das und höre-lesende Subjekt verkörpert.

sich erinnert. Dies zeigt, dass die Erinnerung hier in

Diese Behauptung soll so nicht im Raum stehen

der gegenständlichen Welt stattfindet und nicht in

bleiben, sondern verlangt nach einer Legitimation

der gedichteten. Doch kann diese Welt durch das neu

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erlangte Hören «immer wieder Laut» und dadurch ver-

Stille der «uns gemeinsam vereinsamten Welt» evoziert

gegenwärtigt werden. Ansonsten rückt die Körper-

wird. Auch die Stelle «Und schenk Gehör ich dir» der

lichkeit in der zweiten Hälfte des Gedichts zugunsten

zehnten Strophe zeigt einen deutlichen Bezug zu der in

der Klanglichkeit stärker in den Hintergrund, bis bei-

Zweifels Gedicht mehrfach wiederholten Aufforderung

des in der letzten Strophe noch einmal gegenüberge-

an den Leser, er solle hören. Gerade in dieser Strophe

stellt wird, was auch die Relevanz dieser zwei Aspekte

kommt das Glück, welches dieses Hören auszulösen

deutlich macht.

vermag, deutlich zum Vorschein: Das lyrische Ich ist nicht mehr vom Wort abhängig und scheint «ortlos» in

Stimme und Klanglichkeit

einer ruhevollen Stimmung zu verweilen.

Stimme und Klanglichkeit vollziehen in Hirschis Gedicht eine etwas unscharfe bzw. «vage» Entwicklung. Zu Beginn spricht das lyrische Ich vom Besingen und

Wir haben es hier mit einem sehr vielschichtigen

Erklingen und bereitet den Leser dadurch gleichsam

Gedicht zu tun. Diese Schichten konnten keineswegs

als Einleitung auf das Gedicht vor. Darauf wird die

vollständig berücksichtigt werden und vieles musste

Möglichkeit aufgestellt, dass die Stimme des lyrischen

unerwähnt bleiben. Grundsätzlich konnte jedoch fest-

Du «vielleicht» einmal hörbar wird, doch bleibt sie vor-

gestellt werden, dass Hirschi sich nicht bloss in freier

erst «unhörbar», nämlich in Form einer «Elliptischen

Assoziation von den Vorgängern inspirieren liess. Viel-

Echolalie»: Ein wortwörtliches Wiederholen von un-

mehr zeigt sich die ganze Entwicklung des Lesers, wie

vollständigen Sätzen, wie man die zwei logopädischen

ihn Sättele beschreibt, in ihrem Gedicht mehr oder

Fachbegriffe verknüpfen könnte. Nachdem das Nach-

weniger chronologisch nachvollzogen und an gewis-

sprechen – als Symptom einer Sprachstörung – unhör-

sen Stellen ausgedehnt. Es scheint ganz, als hätte Sät-

bar blieb, erklingen in der vierten und fünften Strophe

teles Gedichtauslegung – ob diese zutrifft oder nicht,

«Duftnoten» und ein «Lied». Gleichzeitig wird die

ist belanglos – eine neue Tür aufgestossen, in welche

«stumme Sprache» gesprochen, die wiederum die

Hirschi eingetreten ist. Ihr Gedicht ist also durch und

unhörbare Echolalie in Erinnerung ruft. Nachdem

durch ein intertextuelles und ihre Methode ist inter-

die Musik wieder verklungen ist, wird die Ruhe des

textuelles Schreiben. So könnte man auch hier in Fa-

lyrischen Ich in der achten Strophe als eine «vibrie-

bian Schwitters Worten sagen: «Damit ist die Aufgabe

rende Saite» verbildlicht. Das Prinzip ist auch hier ein

von delirium mehr als erfüllt». Und doch finde ich, ist

ähnliches: Eine Saite klingt und bewegt sich, wenn sie

an dieser Stelle die Frage angebracht, was mit der Auto-

vibriert, wird an dieser Stelle im Gedicht aber als Ruhe

nomie des einzelnen Gedichts geschehen ist? Kann

dargestellt. Durch diese Ruhe und durch das Gehör-

dieses ohne die vorausgehenden Texte bestehen? Zu

Schenken in der zehnten Strophe kann das lyrische Ich

prüfen wäre das durch eine erneute, unvoreingenom-

«sein», kann sogar «ortlos» sein. So beschreibt Hirschi

mene Auslegung des Gedichts. Ich bin mir allerdings

das neue Hören, welches die Texte vor ihr bereits in

– trotz des durchaus ergiebigen Verhältnisses zu den

anderer Form darstellten. Doch was will sie in der da-

Intertexten – nicht sicher, ob Hörig sich von seinen Vor-

rauf folgenden Strophe mit der schon fast nervig über-

gängern loslösen könnte. Für das auf Intertextualität

triebenen Folge von «höre – gehöre – gehört – hörend – betörend – ungehörig hörig» aussagen? Soll dies das «Zähmen der Zungen» sein, das nicht mehr gelingt? Jedenfalls «betört» die Strophe nicht durch Musikalität, sondern steht eher als Fremdkörper im Gedicht.

Die Vorgängertexte und das Gedicht Zwei sehr markante Bezüge zu den Vorgängertexten möchte ich zum Schluss noch anführen, um die aufgestellte These nochmals zu stützen. Deutlich ist die semantische Nähe von den «Niederungen» in der fünften Strophe zum «tal» aus und höre zu erkennen. In Verbindung mit der Umarmung verweist diese Strophe zuKritik

Intertextuelles Schreiben

dem auf eine Stelle in Sätteles Kritik, in welcher die

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basierende delirium indessen könnte dies produktive Fragen aufwerfen. ORLANDO SCHNEIDER


h c o n a d s e r a w r e d i e L … … e d n E u nicht z

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Der Kannibale Man hätte nicht sagen können, dass seine Lesungen besonders aufregend waren, bevor der Kannibale kam. Das heisst, vielleicht regte er sich ab und zu auf, weil er bei einer Textpassage husten musste oder weil es beim Apéro Rotwein statt Weisswein gab oder weil die Oliven nicht gut schmeckten oder weil die Sitze unbequem waren, aber sonst war das alles für ihn schon längst Routine geworden. Er kam in den Raum, durchschritt nickend das Publikum, setzte sich an den Tisch – der in Zürich, Basel oder Bangkok ohnehin überall gleich aussah –, rückte das Mikrofon zurecht, nahm einen Schluck Wasser, räusperte sich, raschelte mit den Blättern und begann zu lesen. Manchmal sass er auch schon eine Stunde früher da und plauderte mit dem Mann, der die Lesung moderierte – meist ein älterer Literaturkritiker mit Schnauz und Brille – um zu erfahren, welche langweiligen Fragen ihm gestellt werden würden. Er hatte sich schon einmal überlegt, einen Text über Literaturkritiker zu schreiben, war sich aber nicht sicher gewesen, ob das bei dem literaturkritischen Publikum so gut ankommen würde. Jedenfalls standen seine Empfindungen so ganz im Gegensatz zu denjenigen des Publikums, das bei jedem zweiten Wort aaachte und ooohte. Wie konnten die Leute so mitgerissen sein, obwohl sie denselben Text schon zigmal gehört hatten? Hätte er sich nicht so über diese Tatsache geärgert, sie hätte sich bestimmt für eine witzige Anekdote geeignet, aber so erklärte er auf die Frage hin, wie er es geschafft habe, der Gesellschaft schonungslos den Spiegel vors Gesicht zu halten, jedes Mal bloss bescheiden, dass er es eben anscheinend irgendwie geschafft habe und froh darüber sei, dass sein Buch so grossen Anklang fände. Nur einmal hatte er sich während der Diskussionsrunde zu einem frechen Scherz hinreissen lassen, doch das war früher gewesen, als er noch jung und unerfahren war und sein allererstes Buch frisch in den Regalen stand. Heute sah es anders aus. Er hatte längst begriffen, dass man es als Schriftsteller mit solchen Sprüchen höchstens auf die dritte oder vierte Seite des Blicks oder einer anderen Boulevardzeitung schaffte, was auch nicht die Welt war und eher ätzend als toll. Auch das sollte sich ändern, als er den Kannibalen traf. Freilich spürte er zunächst wenig von dieser Veränderung, zumal er ja noch nicht wusste, mit wem er es zu tun hatte. Der Kannibale sass unerkannt im Publikum, klatschte nach Abschluss der Lesung ein wenig lauter als die anderen oder trampelte mit den Füssen. Das war nicht aussergewöhnlich. Es gab eben an Lesungen ab und zu Leute, die lauter klatschten als andere, und es gab auch solche, die mit den Füssen trampelten, weil sie den Schlusssatz oder den Anfangssatz oder einen Satz in der Mitte besonders gut gefunden hatten. Auch, dass der Kannibale bei jeder Lesung dabei war, fiel ihm nicht sonderlich auf, denn es gab eben Leute, die immer dabei waren. Früher hatten ihm solche Leute noch geschmeichelt, nun kannte er nur noch die Hälfte von ihnen, und er bemühte sich auch nicht mehr sie kennenzulernen, ja, er hatte überhaupt genug vom Kennenlernen. Erst, als das mit dem Mineralwasser passierte, wurde er stutzig. Als lesungserprobter Dauergast hatte er es sich angewöhnt, vor jeder Lesung ein Fläschchen Mineralwasser zu kaufen und es in die Jackentasche zu stecken. Die Fläschchen kaufte er sich im Supermarkt in der Stadt; sie waren nichts Besonderes, aber er mochte das Besondere ohnehin nicht, und sie erfüllten ihren Zweck. Wenn nämlich das Leitungswasser, das ihm der Literaturkritiker vorsetzte, mal wieder scheusslich schmeckte – und das tat es oft – nahm er einfach das Fläschchen aus der Tasche und trank einen Schluck.

Literatur

Kritische Stimmen hatten sich auch schon darüber lustig gemacht. Ob Leitungswasser

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Literatur

oder Mineralwasser, das würde doch keine Rolle spielen, sagten sie, und überhaupt, wie kann jemand in Sachen Wasser so pingelig sein? Für ihn hatte das jedoch nichts mit Pingeligkeit zu tun. Es war vielmehr ein Lebensstil. Als er jedenfalls an diesem einen Abend zur Lesung in Köln kam – ein wenig verspätet und wegen des Regens durchnässt –, sah er es: Auf dem Tisch stand ein Fläschchen Mineralwasser. Wie angewurzelt blieb er stehen, und seine Hand löste sich von seinem eigenen Fläschchen in der Jackentasche. Er fiel aus dem Konzept; schon erreichten ihn die ersten fragenden Blicke des Literaturkritikers. Dann fasste er sich, umrundete den Tisch und setzte sich vor das Publikum. Während der Literaturkritiker die einführende Rede begann, starrte der Autor immer wieder auf das Fläschchen. Es war halb leer getrunken, doch der Deckel war verschlossen. Das Wasser schwappte noch ein wenig hin und her, so, als ob es jemand erst vor Kurzem hastig auf den Tisch geknallt hätte. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm hoch, obwohl es eigentlich keinen Anlass dazu gab. Dann hatte der Literaturkritiker eben von seiner Gewohnheit erfahren und dafür gesorgt, dass ein Fläschchen auf den Tisch kam. Oder jemand aus dem Publikum hatte sich erbarmt… hastig schweifte sein Blick über die Leute in der vordersten Reihe. Er hatte diese Leute schon lange nicht mehr angesehen. Sie kamen ihm seltsam fremd vor. War der Dritte von links nicht sein Verleger? Und die vierte Frau von rechts, diese Frau im Pelz, wie hiess sie noch mal? Und der Mann, der direkt vor ihm sass? Etwas an ihm schien besonders verdächtig. Er trug kleine, goldene Ohrringe, hatte eine runzelige Stirn und grosse Ohrläppchen. Seine Augen funkelten, und über sein ganzes Gesicht zog sich ein breites Grinsen. Und diese Zähne… diese spitzigen Zahnreihen. Er sah aus wie ein Kannibale. Ein Schauer fuhr ihm über den Rücken. Hatte dieser Mann das Fläschchen auf den Tisch gestellt? Der Literaturkritiker hatte seine Einführungsrede bald beendet. «Angeekelt findet man sich im Zoo-Geschäft, wo zum Teil die Grundeigenschaften menschlichen Daseins weit auseinanderklaffen, noch bevor sie überhaupt begonnen haben», sagte er abschliessend und das Publikum raunte anerkennend. Dann richteten sich alle Blicke auf den Autor. Er rückte das Mikrofon zurecht, nahm zögerlich einen Schluck Wasser, raschelte mit den Blättern und begann zu lesen. «Diese totale innere Leere», begann er. Dann folgte eine traurige Geschichte über ein Mädchen, das in den Sumpf des Verbrechens gerät und in einer Jugendstrafanstalt landet. Es versucht sich gegen die jugendlichen Mithäftlinge durchzusetzen, gerät aber immer mehr ins Hintertreffen und wird schliesslich eines Morgens von den Wachmännern tot in der Zelle gefunden. «Dieses pure Böse», schloss er mit dunkler Stimme. Die Wirkung, die der Text auf das Publikum hatte, war wie immer gross. Zunächst erklang das Rascheln von Taschentüchern, dann vereinzeltes Schluchzen. Daraufhin begannen einige, zu klatschen, und bald war der Saal erfüllt von ergriffenem, tosendem Applaus. Für ihn hatte das alles jedoch keine Bedeutung mehr. Alles, worauf er sich konzentrierte, war der Kannibale, der direkt vor ihm sass. Wie alle anderen klatschte der Mann, doch sein Klatschen übertönte alles. Zusätzlich trampelte er mit den Füssen auf den Boden und rief immer wieder Dinge wie «Ich werde dich fressen! Hörst du, ich werde dich fressen!» Unausweichlich stieg in ihm Verachtung für diesen Mann hoch. Er war sich mittlerweile sicher, dass er es gewesen war, der das Mineralwasser auf den Tisch gestellt hatte. Eine anmassende Frechheit. Leider war es da noch nicht zu Ende. Bei jeder weiteren Lesung, die er hielt, sass der Kannibale in der vordersten Reihe und grinste. Und jedes Mal stand eine Mineralwasserflasche auf dem Tisch. Zu allem Übel hinzu rückte der Kannibale mit dem Stuhl von Mal zu

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23


Literatur

Mal näher, sodass ihn der Literaturkritiker zuletzt streng, aber freundlich zurechtweisen musste, was den Mann jedoch nicht beeindruckte. Von da an war für ihn klar: Der Kannibale musste weg. Nur wie? Er durfte sich bei seinen öffentlichen Auftritten nicht zu viel erlauben, oder sein Ruf wäre ruiniert. Er musste ihm dennoch auf irgendeine Weise dezent klar machen, dass er ihn nicht in seiner Nähe wünschte. Nach schlaflosen Nächten kam ihm endlich die Lösung. Sie war einfach, aber hoffentlich wirkungsvoll: Ab sofort würde er keinen einzigen Schluck mehr vom präparierten Mineralwasser trinken, sondern demonstrativ sein eigenes Fläschchen benutzen. Der Saal war bereits voll, als er ihn am nächsten Abend betrat, und der Kannibale sass wie immer in der vordersten Reihe. Bei seinem Gang durch das Publikum würdigte er ihn keines Blickes. Auch nicht, als er sich an den Tisch setzte und die Flasche San Pelegrino vor sich sah. Stattdessen wandte er sich sofort dem Literaturkritiker zu und setzte einen so interessierten Blick wie möglich auf. Dieser sprach gerade über die «Aneinanderreihung psychischer Fantasien» – was das auch immer mit seinem Buch zu tun haben sollte. Dann sprach der Kritiker von «anspruchsvollen Lesern mit Mitgefühl, Menschlichkeit und Courage». Am liebsten hätte er laut aufgelacht. Doch es blieb ihm keine Zeit mehr dazu, denn schon ruhten alle Blicke auf ihm und warteten darauf, dass er ihnen das lieferte, was sie wollten. Sein neuer, noch unveröffentlichter Bestseller behandelte ein Leben, das eigentlich nur Liebe suchte in dieser Wegwerfgesellschaft, gerade weil man sich nichts zu sagen hatte. Auf solche Themen, das wusste er, sprangen die meisten an. Für einen kurzen Augenblick, einen winzig kleinen nur, blickte er während des Lesens auf. Das war ein Fehler gewesen. Wie hatte der Kannibale das geschafft? Er hing regelrecht über dem Tisch. Ein leises Lachen drang zwischen seinen spitzen Zähnen hervor, während sein Speichel auf die Buchseiten tropfte. Der Autor zuckte zurück. Zitternd kramte er nach dem Mineralwasser in der Tasche. Jetzt oder nie. Er öffnete den Deckel und trank. Und … es wirkte! Das Gesicht des Kannibalen verzog sich zu einer gequälten Grimasse und Tränen kullerten ihm über die Wangen. Abwechselnd blickte er auf die San Pelegrino-Flasche und auf diejenige in den Händen des Autors. Tatsächlich. Der Kannibale fühlte sich hintergangen. Für einen Moment sah es sogar so aus, als ob enttäuschte Liebe im Spiel wäre und nicht nur Fressgelüste – und wer mochte sagen, vielleicht hatte Liebe tatsächlich mit Essen zu tun, ging sie doch durch den Magen? Schwerfällig stand der unheimliche Mann auf und verliess den Saal, leise schluchzend, mit hängenden Schultern. Als die schwere Tür zukrachte, wurde es still. Der Autor mochte diese Formulierung nicht besonders, obwohl – oder gerade weil – er sie schon so oft verwendet hatte, aber: ihm fiel ein Stein vom Herzen. Für die folgenden Textpassagen liess er sich Zeit. Die Gefahr war gebannt und er musste nicht mehr um sein Leben fürchten. Die entspannte Art, wie er nun mit dem Text umgehen konnte, zeigte auch über die Lesungen hinaus ihre Wirkung: So wurde das Buch zum grössten seiner bisherigen Erfolge und brach alle Verkaufsrekorde. Nur ein einziges Mal noch – doch das wusste der Autor nicht – hatte der Kannibale versucht, seine Gunst zu erringen. Da er sich lange Zeit Gedanken gemacht hatte und zum naheliegenden, wenn auch nur halb richtigen Schluss kam, die Abweisung müsse mit der schlechten Mineralwasserflasche zusammenhängen, die er dem Autor hingestellt hatte, bemühte er sich in einem letzten Anlauf, es wieder recht zu machen. Statt San Pelegrino

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kaufte er ein Valser und liess die Flasche zufällig im Hotelzimmer liegen. Anbei legte er einen Brief, in dem er sich für die San Pelegrino-Flasche entschuldigte und die Vorzüge von Valser pries. Doch der Autor würde die Flasche nie sehen: noch am selben Abend musste er überstürzt zu einer Buchmesse abreisen und er achtete nicht auf den Tisch, auf dem das Fläschchen stand.

Literatur

JÁNOS MOSER

25


Kritik

Der halb richtige Schluss

seiner Herrscherfamilie widerfährt, doch Psammenit bleibt stumm. Kein Zucken geht durch ihn. Als Drittes schleppt sich sein Gefolge vorbei, und als der gefallene Herrscher einen alten und armen Mann aus den Reihen seiner Diener erkennt, da gibt Psammenit alle Zei-

– An einer der Lesungen, welche von den Redak-

chen der Trauer zu erkennen. Herodot erzählt diese

toren von delirium veranstaltet wurde, sagte ein Autor

Geschichte nicht darauf hin, dass der Ägypterkönig bei

eines literarischen Beitrages, er danke seiner Kritikerin

seinen Angehörigen stoisch bleibt. Vielmehr arbeitet

für ihre Ausführungen. Er habe sich in dieser Kritik

die Geschichte auf den Ausbruch der Trauer hin. Um

sehr verstanden gefühlt. Der vorliegende Text ist in der

dies zu erreichen, muss zunächst eine Gewohnheit

Überzeugung geschrieben worden, dass solche Sätze

etabliert werden, um danach zur Abweichung zu

als Antwort auf eine Kritik unmöglich sind, ja, dass es

kommen. Das letzte Moment, welches das Unerklär-

sogar an blanken Unsinn grenzen muss, so etwas zu sa-

liche der Geschichte ist, ist auch dasjenige Moment,

gen, und dass entweder die Kritikerin, der Autor oder –

welches erratisch von aller Wiederholung, Gewohnheit

viel wahrscheinlicher – beide schrecklich missverstan-

und vom Alltäglichen entfernt ist.

den wurden. «Leider war es da noch nicht zu Ende.» – Am Ende «Man hätte nicht sagen können, dass seine Lesungen

der Erzählung steht die Pointe. Man erkennt das Ende,

besonders aufregend waren, bevor der Kannibale kam.»

denn es wird darauf hingearbeitet. Das ist alles doch

– Es gibt die verbreitete Vorstellung, einer der schreibt,

sehr klassisch.

müsse etwas erlebt haben, um davon erzählen zu können. ‹Etwas erlebt›: In der diffusen Formulierung

«‹Dieses pure Böse›» – Einer erklärt einem Andern,

steckt eines der Mysterien des Autors, an welchem die

wie Kritik funktioniert: «Es gibt eine einfache und

Zuhörer seiner Lesungen nur zu gern Anteil hätten.

gleichzeitig bestechend effiziente Form von Kritik. Es

Sie stellen ihm Fragen, als gäbe es dort etwas zu offen-

braucht dazu nicht viel, keine besonderen Fähigkeiten

baren, träfen sie doch nur das Zauberwort. Was meinen

oder dergleichen. Du musst nur den richtigen Aus-

denn die Leute, wenn sie nach diesem Erlebten fragen?

schnitt desjenigen, was du kritisieren willst, an der

Es ist dieselbe Überzeugung, welche dem gängigen

richtigen Stelle wiederholen. Das Zitat selbst ist

Satz «Wenn einer eine Reise tut, hat er was zu erzählen»

eigentlich schon die Kritik.» «Das Zitat selbst ist eigent-

zugrunde liegt. Jene, dass Erzählen etwas Ausserge-

lich schon die Kritik», wiederholt der Andere für sich,

wöhnliches Darstellen heisst. Der Alltag lässt sich nicht

wie er es zu tun pflegt, um das Gespräch zu verstehen.

erzählen. Eine klebrig gefestigte Überzeugung, wie eine Gewohnheit eingenistet – nicht in den Köpfen

«[S]ie waren nichts Besonderes, aber er mochte das

(Forschung hat ergeben, dass in den Köpfen nur Hirne

Besondere ohnehin nicht» – Im Französischunterricht

sind) – aber in vielem Fragen, Reden und Schreiben.

wird vermittelt: Für die Dinge, welche man in der Vergangenheit aus Gewohnheit tat oder immer noch tut,

«Es war vielmehr ein Lebensstil.» – Herodot

verwendet man das imparfait. Sollte sich aber etwas

schreibt eine Geschichte: Psammenit der Ägypter-

Unvorhergesehenes zutragen, dann verwendet man

könig wird von Kambyses dem Perserkönig besiegt und

das passé composé. So wird auch eine Geschichte voll-

gefangen genommen. Der abgesetzte Herrscher soll

endet. Indem man diese Dinge zusammenstellt.

nun gedemütigt werden. Man bindet ihn neben eine Strasse, über welche der persische Triumphzug führt.

«‹Diese totale innere Leere›» – Es gibt eine schwarz-

Zunächst tritt die Tochter des Psammenit an ihm

weisse Filmaufnahme. Ein Mann sitzt auf einer weis-

vorbei. Sie ist schäbig bekleidet, ihr Schicksal als

sen Gartenbank auf der Wiese. Rechts neben ihm

Dienstmagd steht fest. Psammenit lässt aber seine

schwanken die Äste eines Baumes ins Bild. Er hat die

Tochter wortlos und ohne ein Zeichen der Trauer

Beine übereinandergeschlagen, sein Arm liegt ausge-

vorüberziehen. Als Nächstes zieht sein Sohn auf

breitet auf der Lehne der Bank. Er sagt: «Ich bin kein

dem Weg zur Hinrichtung an ihm vorbei. Das ganze

Geschichtenerzähler. Geschichten hasse ich im Grund.

Volk der Ägypter jammert ob des Schmerzes, der

Ich bin ein Geschichtenzerstörer, ich bin ein typischer

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Geschichtenzerstörer. In meiner Arbeit, wenn sich irgendwo Anzeichen einer Geschichte bilden oder wenn ich in der Ferne irgendwo hinter einem Prosahügel die Andeutung einer Geschichte auftauchen sehe, dann schiess ich sie ab.» Dieser Mann, der schreibt, tut dies nicht auf eine besondere Pointe hin. Er versucht, den Alltag zur Literatur zu machen. Seine Texte sind geprägt von Protagonisten, die ihren Gewohnheiten nachgehen, sie sitzen in Museen und betrachten Bilder, oder aber pflegen es, zu spazieren. Solche Kniffe verhindern, dass eine Geschichte zu ihrer Vollendung kommt. Man fragt sich, wie ernst man solche Angriffe aufs Geschichtenerzählen nehmen soll. Man fragt sich auch, ob man überhaupt noch wie Herodot eine Geschichte erzählen kann.

Kritik

SAMUEL PRENNER

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g u n e g e i d n ‌wann habe ‌ n e l e i p s u z e uns streich

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kapri wir stehen oben am fels in kapri weisse reichenschiffe ziehen durchs blau und wir denken versuchen uns vorzustellen wie wir das sehen würden wären wir goethe oder aus seiner zeit weil wir kamen mit dem flugzeug da kommt eine uralte den weg heraufgeschlurpft wie nasse wollfäden ziehen die jahre an ihren gliedern bis sie in sich zusammenfällt und sie fängt an bellissima madonnina bellissima madonnina bellissima madonnina wir hören die maschine des todes dröhnen und wir sind jung und gehen und wie wir über die felsen rutschen kommt aus den bäumen eine stimme geflogen wie ein matratzenverkäufer ein zirkusrufer durchs megafon eine messe von zuoberst auf dem berg und ich denke an die alte vor dem altar wie sie lauscht und es ist ihr requiem das da durch felsen und sträucher übers meer

Literatur

scheppert

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Literatur

weltendrehen wir sind im haus und die andern sind draussen sie spielen uns einen streich sie rennen auf der erde so schnell – drehen wie am hebel der spiel dose so dass das lied davon rennt – dass wir im haus umkippen und der vogelkäfig kippt

wir rufen

seht! sie haben die richtung der welt

gedreht und wir fallen im haus übereinander

und die vögel sind im käfig erstarrt weil das haus in der eiswüste und die vögel im käfig sind verbrannt weil das haus von eis zu heisswüste

kugelt

wir machen das fenster schnell wieder zu wann haben die genug uns streiche zu spielen

wir hocken im schrank

den vogelkäfig mit tüchern verwickelt und warten

und irgendwann dreht die welt wieder normal und es eist und heisst nicht mehr durch den türspalt und die andern kommen zur tür herein und lachen MICHELLE STEINBECK

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Kritik

Simulation eines Kommentars Vorbemerkung

Sie liest die Dichtung als Vertiefung und Verlängerung der Vorbemerkungen, und transformiert diese damit zum Gegenstand der Analyse selbst. Eine solche Kritik verweigert sich der Idee von Literaturkritik – womit sie die im Modell delirium schon angelegten Simulationstendenzen fortschreibt.

Nach dem von Adorno konstatierten Selbstver-

Lektüre

ständlichkeitsverlust alles dessen, was die Kunst betrifft, hat jedes künstlerische Gebilde, das diese Be-

Das Erste, was an Michelle Steinbecks Gedicht

zeichnung verdient, sich selbst und sein Verhältnis zum

weltendrehen auffällt, ist dessen antithetische Struktur,

gesellschaftlichen Ganzen mitzuverhandeln. Ebenso

die bereits in den ersten Zeilen mit der Innen-Aussen-

hat sich eine Literaturkritik, die ihrem Anspruch ge-

Dichotomie bzw. der Opposition wir - die andern expo-

recht werden will, zu fragen, welchen Anspruch der pu-

niert wird: «wir sind im haus und die andern / sind

blizistische Rahmen, innerhalb dessen sie sich aktua-

draussen / sie spielen uns einen streich». Fortgeführt

lisiert, überhaupt noch zulässt. Und hier beginnt die

wird diese Struktur mit weiteren Gegensatzpaaren, die

Schwierigkeit. Denn ein Ziel von delirium, nämlich Pro-

sich um die semantischen Pole Passivität (wir, drin-

duktion und Kritik in einem Heft zusammenzubringen,

nen im Haus) und Aktivität (sie, spielend draussen auf

scheint mir anachronistisch zu sein. Diese Idee lässt

der Erde) gruppieren: Gefangenschaft («vogelkäfig») vs.

sich als Versuch verstehen, die tendenzielle Auflösung

Freiheit («spielen», «rennen»); Sprechen und Kontemp-

und Zersetzung von Literatur in ihrem Kern abzuwen-

lation («wir rufen seht!») vs. Tun und Aktion («sie ha-

den durch die Wiedererrichtung einer heilen Kunst-

ben die richtung der welt / gedreht»); Starrheit («die vö-

Welt, die noch nicht unmittelbar in politische und öko-

gel sind im käfig erstarrt») vs. Dynamik («weil das haus

nomische Verwaltung genommen ist. Obgleich sich

von eis zu heisswüste

kugelt»); Ernst («wann ha-

ein solches Unternehmen der Intention nach gegen die

ben die genug») vs. Unernst («uns streiche zu spielen»).

Fiktion einer absoluten Autonomie von Kunst stellt, in-

Die Verben «warten» und «spielen» in der sechsten und

dem sie dem Literarischen seine gesellschaftliche Re-

der ersten Strophe bilden gleichsam die Klammer um

levanz zurückzugeben sucht, zehrt sie daher selbst von

diese antithetische Ordnung (die dann in der siebten

diesem Mythos. Man könnte von einer Simulation des

Strophe aufgelöst wird: «die andern kommen zur tür

Literaturbetriebs im Kleinen sprechen, wobei sich der

herein / und lachen»). Die Antithetik provoziert eine

Simulationscharakter auf die Verfahren der Literatur-

allegorische Lektüre, die im Gedicht eine poetologi-

kritik überträgt: sei es auf die benjaminsche Mortifi-

sche Reflexion über die Stellung von Lyrik zu ihrer Um-

kation der Werke als «Umbildung der Sachgehalte zum

welt, zu ihrem andern sichtet: Verhandelt wird der Ge-

Wahrheitsgehalt», sei es auf die kunstrichterliche Aus-

gensatz von Kunst («wir»: die Schreibenden) und Welt

breitung von Gelehrsamkeit, oder sei es auf eine lite-

(«sie»: die Nichtschreibenden), von Artistik und Leben

raturwissenschaftlich fundierte Lyrikanalyse. Stets

– allerdings im Zeichen einer eigentümlichen Inversi-

bleibt der Verdacht, dass alle Kritik, so ernst sie ge-

on oder «Welten-Drehung»: Nicht mehr drinnen, in der

meint, bloss simuliert sei. Diesem Missstand ist viel-

Kunst-Welt, wird gespielt, sondern draussen, in der

leicht dadurch abzuhelfen, dass jene Konzeption von

Lebens-Welt. Dies aber zu Lasten der künstlerischen

Kritik als Simulation radikalisiert wird. Sie täuscht

Gegenwelt («sie spielen uns [den Schreibenden; D.B.]

sich selbst nur vor, sie meint es nicht ernst, und kommt,

einen streich»), die, verdammt zur Passivität, den An-

wie «die andern» in Michelle Steinbecks Gedicht, «zur

strich kunstwidrigen Ernstes bekommt (der im Gedicht

tür herein / und lach[t]». Sie beurteilt die Qualität des

durch prosaisches Konstatieren des Unheils sprachlich

Gedichts, aber sie spielt diese Beurteilung nur. Sie

manifest wird). Die Künstler leben nicht, wie bei Tho-

schlägt sich auf die Seite der «andern» und spielt de-

mas Bernhard, in einem frei umherziehenden Wohn-

nen, die es sich «im haus» gemütlich einrichten, «ei-

wagen, sondern scheinen gefangen in einem unbeweg-

nen streich». Sie will dem Gedicht nicht gerecht wer-

lichen Haus, das «von eis zu heisswüste

den, sondern übt Ungerechtigkeit am Gedicht, indem

Demnach lässt sich das Gedicht als Geschichte vom

k u gelt ».

sie es instrumentalisiert für die Frage nach der Stel-

Zerfall der Lyrik und Literatur unter Bedingungen

lung des sprachlichen Kunstwerks zu seiner Umwelt.

der Postmoderne lesen. Autonome literarische Praxis

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kann, wie die vorliegende Kritik, zwar simuliert wer-

der unabwendbaren Erstarrung und Verbrennung ver-

den, stellt aber die blosse Reaktion auf dasjenige dar,

geblich anmuten. Und die Abschottung geht weiter:

was draussen, «auf der erde» geschieht. Draussen wird gerannt, drinnen gewartet. «sie [...] drehen wie am he-

«wann haben die genug

bel der spiel / dose so / dass das lied davon / rennt».

uns streiche zu spielen

Draussen dreht die Welt, draussen drehen «sie» so,

den vogelkäfig mit tüchern verwickelt

dass «das lied» – das Lied des Vogels im Käfig, unser

und warten»

wir hocken im schrank

Lied – davon rennt. Ihr Spiel ist mechanisch, es simuliert ein Lied («wie am hebel [...]»), welches das (organi-

Die lyrische Rede kulminiert in der hilflos-erns-

sche) Lied des Vogels austreibt. Sie drehen, wir kippen,

ten Interrogatio «wann haben die genug [...]». Gegen-

weil wir die Drehung nicht mitvollziehen können, aber

über dem Unernst der «andern», ist der aufgezwunge-

genötigt werden, sie nachzuvollziehen. Sie drehen die

ne Ernst der Kunst ohnmächtig. Was bleibt, ist Rückzug

Richtung der Welt, wir können diesen Prozess nur be-

(vom Haus in den Schrank), Abdichtung (selbst vom

obachten; oder, nur rufen, dass wir beobachten, also si-

leeren Vogelkäfig darf nichts nach aussen dringen) und

mulieren, dass wir beobachten, und im Gefolge dieser

Geduld («warten»). – Warten bis zum «irgendwann».

Schein-Beobachtung im Kunst-Haus übereinander fallen.

Die Schlussstrophe setzt sich formal von den übrigen

Nicht mehr die Literatur verdreht, kraft ihrer Imagina-

sechs Strophen ab. Einerseits durch die zentrierte Dar-

tion, die Welt, vielmehr kommt die Drehung von aussen,

stellungsweise, andererseits durch die polysyndetisch-

von der sich umdrehenden Welt, deren Dreh-Richtung

parataktische Ordnung der Verse:

von den Weltlichen («sie») gedreht wird. Die gewohnten Verhältnisse (normale Drehung der Welt, «irgendwann

«und irgendwann dreht die welt wieder normal

dreht die welt wieder normal»; «Ver-Drehung» der Welt

und es eist und heisst nicht mehr durch den türspalt

in der Literatur) werden verkehrt, verdreht, umgedreht.

und die andern kommen zur tür herein

An der Literatur aber ist es, diese Drehung in Gestalt ei-

und lachen»

ner (Um-)Kipp-Figur mitzumachen. Solange sie noch dazu fähig ist:

Die Ungewissheit über die Dauer des Wartens, die Unbestimmtheit des «irgendwann» einer wiederein-

«und die vögel sind im käfig erstarrt

kehrenden Normalität, der biblische Sprachrhythmus

weil das haus in der eiswüste

und die formale Abgesetztheit dieser Strophe – das al-

und die vögel im käfig sind verbrannt

les verschiebt das darin Gesagte in ein utopisches Nir-

weil das haus von eis zu heisswüste kugelt»

gendwo. Das Zentrum, die ersehnte Normalität als Auf-

Wie die Singvögel im Haus inmitten der Eiswüs-

aber dennoch als Regulativ, indem es die skizzierte An-

hebung der Kunst-Welt-Antithese ist fingiert, fungiert te, erstarrt in diesen Zeilen die lyrische Rede inmitten

tithetik als eine des Ausnahmezustands sichtbar macht.

der weltlichen Sprachwüste: Die Rede friert als Ana-

Ungewiss bleibt der Charakter dieses Utopias, denn das

koluth nach «eiswüste» ein, setzt dann mit dem Paral-

Lachen derer, die eintreten, ist ambig: Dessen befreien-

lelismus «und die vögel [...] weil das haus [...]» neu an,

des Moment im Ausnahmezustand verkehrt sich, uni-

um nach der (anorganischen) Paronomasie «heisswüs-

formiert und normalisiert, als kollektives Gelächter

te» erneut um Worte zu ringen (grafisch markiert durch

zum Höllensignal. Die Normalität des «irgendwann»

die Leerzeichen); zur Vervollständigung des Satzes, zu

bezeichnet dann nicht die Utopie der Aufhebung von

ihrer eigenen Legitimation: «

Kunst in Lebenspraxis, sondern die Dystopie einer un-

kugelt». Das Wort

ist gefunden, doch die Passivität der umherkugelnden Literatur nicht durchbrochen. Gegenüber den wach-

Kritik

senden (Sprach-)Wüsten vermag sich das Haus nicht

tergehenden Kunst im sich ausbreitenden Gelächter.

Urteil

zu isolieren: Die Vögel im Käfig erstarren vor Käl-

So viel zur simulierten Gedichtlektüre. Weiter zur

te (Unmöglichkeit von Kommunikation) oder sie ver-

simulierten Beurteilung. Beschreibt das Gedicht mit

brennen in der Hitze (Ubiquität von Kommunikation).

lyrischen Mitteln die Erstarrung und Zersetzung bis

Die Kunst-Monade ist für einmal nicht fensterlos, ten-

hin zur Auflösung von Kunst richtig, gelingt also das

diert aber zur Abdichtung («wir machen das fenster

Gedicht, dann muss es im Medium der Lyrik zugleich

schnell wieder zu»), wobei diese Versuche gegenüber

scheitern. Beides, sein Gelingen und sein Scheitern

33


Kritik

sind im Folgenden aufzuweisen. – Das Gedicht welten-

teils zu einer Art Endzeit-Pathos verdichtet («seht! sie

drehen zeichnet den Prozess eines Funktionsverlusts

haben die richtung der welt / gedreht», «erstarrt», «ver-

von Kunst nach, zu der konstitutiv eine Dialektik von

brannt», «eiswüste»), allgemein durch die Verwendung

Autonomie und gesellschaftlicher Vermittlung gehört.

einer intakten, wenig brüchigen lyrischen Sprache, die

Es beschreibt, was jedem sprachlichen Kunstwerk wi-

eine längst nicht mehr gegebene Intaktheit der lyri-

derfahren muss, das sich nicht ohne Weiteres in Ver-

schen Subjektivität simuliert. Gereichen die erwähn-

waltung nehmen lässt: Das Kunstwerk büsst an Auto-

ten, auf sprachliche Heterogenität verweisenden ästhe-

nomie ein, verliert seinen Werkcharakter, wird zum

tischen Eigenheiten dem Gedicht nicht zum Nachteil,

blossen Nachvollzug dessen, was «draussen» vor sich

da sie als Resultat gerade des Ausagierens der Apori-

geht, neigt zum Verstummen, zur Sprachlosigkeit und

en zeitgenössischer Lyrik lesbar sind, so lässt sich da-

– als Gegentendenz – zur Abdichtung vor der gesell-

gegen die sprachliche Pseudo-Klassizität als Qualitäts-

schaftlichen Realität. Einnehmende Bilder beschreiben

einbusse anführen: Indem sich das Gedicht dergestalt

diesen in der völligen Auflösung von Kunstautonomie

– wie der mit Tüchern verwickelte Vogelkäfig – von sei-

endenden Vorgang: Das Lied rennt davon, der Vogel-

ner Umwelt, die eine ganz andere Sprache spricht, ab-

käfig (mit den Singvögeln) kippt durch Richtungsände-

dichtet, gelingt es ihm nicht, den reflektierten Lyrik-

rung der Welt um, «wir fallen im haus übereinander»

Zerfall konsequent in die eigene Sprache aufzunehmen.

(sprachlich reflektiert durch das «Übereinanderfallen»

Was man vermisst, sind sprachliche Elemente gerade

der Verse der fünften Strophe), die Vögel im Käfig sind

des Lyrik-Fremden: etwa die allgegenwärtige Sprache

erstarrt und verbrannt, der Käfig ist mit Tüchern ver-

der Werbung, der politischen Propaganda, der Gratis-

wickelt, und die im Haus Gebliebenen verbarrikadieren

zeitungen, die Sprache von Facebook, Twitter und Co.,

sich im Schrank, um den Streichen der «andern» – den

die Sprache der Banken und Grosskonzerne etc. Das ist

Streichen, die ja auch Schläge sind – zu entgehen. Zu-

kein Plädoyer für eine Politisierung der Lyrik, sondern

letzt treten diese unter Gelächter zur Tür herein. – Die

die Forderung, die zentralen sprachlichen Modi hiesi-

Aporien von Lyrik heute, die ihr Scheitern begründen,

ger Sozialisierung lyrisch zu spiegeln. Verschliesst sich

müssen sich im Gedicht auf der Formebene wiederfin-

die lyrische Produktion solchen Entwicklungen, unter-

den lassen. So kämpft das Gedicht, trotz hoher Beherr-

wirft sie sich demselben Verfahren, dem sich der Autor

schung lyrischer Techniken, aus objektiven Gründen

dieser Zeilen für die Zeit ihrer Niederschrift verschrie-

um die angemessene Sprache: Es kippt, wie der Vogel-

ben hat: der Simulation literarischer Praxis.

käfig, vom einen sprachlichen Extrem in das andere:

DEMIAN BERGER

vom allgemein experimentellen Charakter zur starren, allzu schematischen Antithetik und Allegorik. Oder vom Tonfall prosaischer Lyrik – unterstützt durch Wegfall von Interpunktion, Reimen und Versmass sowie durch konsequente Kleinschreibung – zu, beinahe, rhetorischem Überschwang (Anaphern, Metaphern, Polyptoton, Parallelismus, Anakoluth, Paronomasie, Interrogatio, Neologismen etc.). Zwar sind solch rhetorische Mittel im Gedicht kaum je unmotiviert, doch zeigt sich hier ein stilistisches Problem. Einerseits positioniert sich das Gedicht auf der Höhe seiner Zeit und bedient sich daher (post-)moderner Schreibverfahren, etwa durch grafische Anordnung der Textbausteine unter Ausnutzung der Zweidimensionalität (so wird die Handlungshemmung, das Zögern, die Passivität der Hausbewohner gleichsam visualisiert). Andererseits geriert sich das Gedicht im Allgemeinen erstaunlich zeitlos, etwa durch jene Rhetorizität der Mittel, mehr noch aber im Gebrauch einer suggestiven, fast möchte man sagen, ‹klassisch› lyrischen Bildsprache, die sich

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…In der Schweiz war es nie so gött lich wie damals in Griechenland. Dass die Sonne krebserregend sei, erfuhren wir auch erst hinterher. Und dass wir Brillen hätt en tragen sollen, um die Augen zu schützen, in die wir uns so tief geblickt hatt en. Ja, mein Sohn, da war sie schon schwanger.…

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Genealogien Götter Gedächtnis «Du fragtest mich nach griechischen Göttern. Du fragtest mich, ob ich glaube. Und du fragtest mich, woher du kommst. Ich muss sehen, ob ich mich noch erinnern kann. Ja, mein Sohn, lange ist es her, dass es die Götter nicht mehr gibt, und die kuhäugige Europa grast allein die Felder ab. Kein Zeus kommt sie mehr entführen. Vielleicht wachsen uns neue Götter mit der Zeit. Als ich jung war, hatten wir noch einen. Wenigstens einen Gott. Einen, den letzten. Den zähesten wahrscheinlich. Damals, und der Pfarrer hatte eine zitternde Hand, wenn er die runde Scheibe brach, vor unser aller Augen. Er klebte auf der trockenen Zunge, der Leib, und während des Hallelujas wurde gehustet. Der weichwangige Pfarrer starb, als ich nicht mehr in die Kirche ging. Ja, mein Sohn, und da wurde es ruhig in der Kirche wie in einer Totenhalle. Deine Mutter erzählte mir später, dass auch er tot sei, Gott. Der letzte Gott. Sie hatte es gelesen irgendwo. Lange ist es her, dass wir uns kennenlernten, ja, mein Sohn. In dem Sommer gingen wir nach Griechenland. Am Strand glaubten wir, es romantisch zu haben. Götter gab es keine mehr, auch dort nicht, aber viele Menschen und wenig Geld. Wir wollten uns goldgelb braten, assen die Oliven und tranken den Wein. Mehr als in der Kirche damals, viel mehr Wein. Ja, mein Sohn, und da habe ich sie gefragt, Magdalena, ob sie deine Mutter werden will. Herrlich war der Sommer. Ihre Haut pellte sich rot von den Schultern. Die dunklen Haare wurden heiss wie eine Herdplatte und mit weissen Zähnen strahlten wir uns an, küssten uns mit sandigen Lippen und waren die Ersten und Einzigen. Eine Perle fing sich in ihren Brauen, wir schwitzten. Das Salz der Erde an einem Strand voller Touristen. In der Schweiz war es nie so göttlich wie damals in Griechenland. Dass die Sonne krebserregend sei, erfuhren wir auch erst hinterher. Und dass wir Brillen hätten tragen sollen, um die Augen zu schützen, in die wir uns so tief geblickt hatten. Ja, mein Sohn, da war sie schon schwanger. Arbeit hatten wir beide keine und eine Hochzeit kostet viel. Wir wollten sie nicht unter freiem Himmel feiern, auf schönes Wetter konnte man sich nicht verlassen und draussen verstand man weniger. Ja, mein Sohn, so war das. In unserer Kirche gab es dann eine Pfarrerin. Ich weiss nicht, wie es dazu kam. Für Magdalena war es wichtig, auch wenn sie nicht an Gott glaubte, an keinen. Sie wusste ja, dass er schon tot war. Ihr Kleid war gross und weiss, die Pfarrerin trug schwarze Hosen und sprach den runden Bauch nicht an. Aber vom neuen Leben sprach die Pfarrerin in der kühlen Kirche und vom Glauben aneinander. Magdalena glänzte, meine Hände waren etwas feucht. Ich war furchtbar nervös. Ja, mein Sohn und dann kamst natürlich du. So war das nämlich, damals. Mit Göttern hatte es wenig zu tun. Mit Griechenland vielleicht. Kennst du die Geschichte mit den Bienchen? Ambrosia sei honigsüss. Wie Messewein. Wie Götterblut.»

Kritik

MERET BACHMANN

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Kritik

Jede Odyssee führt in den Wald

Monolog immer wieder durchzudringen – nicht fordernd oder flehend, sondern äusserst subtil. «Wenigstens einen Gott. Einen, den letzten» hatte der Vater damals in der Kirche noch. Später, am Ende des Textes, vergleicht er die Geburt des Sohnes mit «Götterblut» und der Götterspeise «Ambrosia», die «honigsüss» sei.

Fast gebetartig antwortet der Vater dem Sohn

Ein wenig mehr über die religiöse Ausrichtung er-

auf die Frage seines Ursprungs: «Ja, mein Sohn». Es

fahren wir bei Magdalena, der Namensvetterin von Ma-

bleibt uns verwehrt, die genauen Fragen des Sohnes

ria Magdalena, die Jüngerin von Jesus und Zeugin von

in Erfahrung zu bringen. Die griechischen Götter, der

dessen Auferstehen war. Von einigen Quellen wird sie

Glaube des Vaters und die Herkunft des Sohnes sind

sogar als die Gefährtin Jesu ausgegeben. Abgesehen

die Ausgangsthemen des Textes, welche der Vater zu

vom Namen werden weitere verwirrende Parallelen zur

Beginn wiederholt, um daraus einen Exkurs über eben-

Geschichte von Jesus erkennbar. So wird Magdalena

diese Götter, den christlichen Glauben und seine Ehe

wie Maria, die Gottesmutter, nicht nur unverheiratet,

mit Magdalena zu entfalten. Mit trockenem Humor und

sondern metaphysisch schwanger. Als Zeugungsgrund

schönen Urlaubsbildern liest sich Genealogien leicht

wird im Text suggeriert, Magdalena wäre durch die

und unterhaltend. Aber Achtung – die Querverweise

Sonne und den ungeschützten Augenkontakt schwan-

und undeutlichen Anspielungen führen den Leser auf

ger geworden:

eine Odyssee, auf der man schnell die Orientierung verliert und sich irgendwo in einem unübersichtlichen

«In der Schweiz war es nie so göttlich wie damals in

Wald zwischen Athen, Nazareth und der Schweiz wieder-

Griechenland. Dass die Sonne krebserregend sei, erfuhren

findet. Meret Bachmann verfolgt einen Stammbaum, der

wir auch erst hinterher. Und dass wir Brillen hätten tragen

unsere Kultur aus ungewohnter Perspektive zeigt.

Die Wurzel

sollen, um die Augen zu schützen, in die wir uns so tief geblickt hatten. Ja, mein Sohn, da war sie schon schwanger.»

Wie es der Titel vermuten lässt, wird im Text eine

Die Vereinigung der beiden biblischen Figuren, der

Art Familiengeschichte wiedergegeben. Diese Ge-

Mutter und der Gefährtin Jesu, in einer Person lässt

schichte bleibt jedoch in Fragmenten. Es werden

nicht nur Verwirrendes, sondern geradezu Verstören-

wenige Momentaufnahmen aus der Kindheit, dem

des erahnen. – Erstaunlicherweise will sich Magdale-

Griechenlandaufenthalt und der Hochzeit der werden-

na dann doch kirchlich trauen lassen, obwohl sie gar

den Eltern gezeigt. Also kaum genügend Bodenhaf-

nicht an Gott glaubt: «Magdalena war es wichtig, auch

tung und Informationen, um den Text als Genealogie

wenn sie nicht an Gott glaubte, an keinen. Sie wusste ja,

zu bezeichnen. Wie sollen wir also diese Familien-

dass er schon tot war.» Warum also die Trauung? Und

geschichte komplettieren? Dafür gibt es das kollektive

gab es früher einen Gott, aber jetzt nicht mehr? Wie

Gedächtnis, die Geschichte, die Überlieferung, das

überall im Text bleibt uns die Autorin klare Antwor-

«Götter Gedächtnis». Wenn uns in der Genealogie von

ten schuldig.

Vater, Mutter und Sohn etwas fehlt, dann ist sogleich

Die Krone

ein interkontextueller Verweis zur Stelle, der die Gedanken auf eine neue Fährte bringt. Einfach ist das

Gott ist tot. Nietzsche lässt grüssen, fragt sich aber

nicht, aber Genealogien sollen auch nicht einfach sein,

zugleich über die Schwammigkeit der Aussagen, wel-

das wissen wir dank der griechischen Mythologie.

che einen toten Gott unglaubwürdig machen. Denn im

Der Stamm

Text finden sich gleichwohl Indizien für und gegen den Tod Gottes. Nicht zuletzt bei profanen Aussagen ver-

Seine zitternden Hände brachen die Hostie und der

wendet der Vater plötzlich Adjektive wie «göttlich» und

Pfarrer pappte das geschmacklose Gebäck auf die Zun-

er vergleicht die getrunkene Weinmenge in Griechen-

ge. Der Vater wandte sich bald ab von der Kirche, der

land mit jener, welche in der Kirche getrunken worden

Pfarrer starb. Warum sich der Vater von der Religion

war. Sakrale Elemente wie die Hochzeit kommen hin-

lossagte? Das bleibt vorerst unklar. Denn eine leichte

gegen äusserst unpoetisch, leidenschaftslos und realis-

Sehnsucht nach Göttern und Religion scheint in Vaters

tisch daher:

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«[D]ie Pfarrerin trug schwarze Hosen und sprach den runden Bauch nicht an. Aber vom neuen Leben sprach die Pfarrerin in der kühlen Kirche und vom Glauben aneinander. Magdalena glänzte, meine Hände waren etwas feucht. Ich war furchtbar nervös.» Ganz anders jedoch die Zeilen über Griechenland und den Strandurlaub, in welchem der besagte Sohn wohl gezeugt worden ist. Da spricht der Vater «göttlich» und wesentlich lyrischer: «Die dunklen Haare wurden heiss wie eine Herdplatte und mit weissen Zähnen strahlten wir uns an, küssten uns mit sandigen Lippen und waren die Ersten und Einzigen. Eine Perle fing sich in ihren Brauen, wir schwitzten. Das Salz der Erde an einem Strand voller Touristen. In der Schweiz war es nie so göttlich wie damals in Griechenland.»

Der Wald Was geschah nun nach der Hochzeit? Was hat es mit der Sonne, die «krebserregend» ist, und den fehlenden Sonnenbrillen auf sich? Will dieser Text überhaupt direkt eine Botschaft vermitteln oder geht es vielmehr um ein kafkaeskes Bild, bei dem nicht klar ist, ob es nun die Götter sind, welche die Fäden in der Hand halten, oder doch das Paar – Magdalena und der Vater –, welches ein uneheliches Kind zur Welt bringt, gezeugt unter freiem Himmel bei Oliven und Wein an der Geburtsstätte von Zeus & Co.? Oder sind es schlussendlich doch die Bienchen, welche das Leben bringen, und die UV-Strahlen der Sonne, welche es dann wieder nehmen? Mit Genealogien gelingt es Bachmann ein äusserst verwirrendes und anregendes Gedankenlabyrinth zu erschaffen, welches aber nur auf den ersten Blick auflösbar scheint. Denn jeder Pfad führt tiefer in den Wald des Unverständnisses. Immer mit der Hoffnung, dass man in den schicken Sätzen und schönen Bildern einen tieferen Sinn entdeckt, um den Finger darauf halten und sagen zu können: «Da! Da ist der Wendepunkt! Da kommt die wirkliche Einstellung des Vaters zutage». Dieser Punkt kommt nicht, was vielleicht auch die Leistung des Textes ausmacht. Bei Themen wie Religion, Geburt und Existenz ist es schwierig und daher lobenswert, für einmal nicht die Welt erklären zu wollen. Schliesslich führen alle Wege ans Ziel – tiefer in den

Kritik

Wald hinein. CONRADIN ZELLWEGER

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«Wozu Literaturkritik?», wollte Fabian Schwitter am 4. Mai im Café Zähringer an der Podiumsdiskussion zu Kritik im delirium wissen. Und die einhellige, vermessene Antwort von uns KritikerInnen der zweiten Ausgabe war natürlich: «Ohne Literaturkritik keine Literatur». Geschrieben und gelesen wird zwar auch ohne Kritik, aber solange sich in das libidinöse Verhältnis zwischen den Schreibenden und ihren imaginierten LeserInnen bzw. zwischen den Lesenden und der sich in der Lektüre konstituierenden AutorInnengestalt nicht die störende dritte Instanz der Kritik schiebt, ist alles Literatur oder gar nichts Literatur – was auf dasselbe hinausläuft. Erst durch die Anerkennung der Möglichkeit, sich darüber zu verständigen, was Literatur ist und was nicht, also Unterscheidungen zu treffen, deren Verbindlichkeit über den Augenblick hinausweist, eröffnet sich der soziale Raum, in dem Literatur überhaupt erst stattfinden kann. Womit freilich noch nichts darüber gesagt ist, wie sich die Instanz der Kritik institutionalisieren soll. Ist die Literaturkritik ein akademisches Handwerk, ist sie Aufgabe der Kultur JournalistInnen oder ist sie dem Literaturbetrieb und damit den Verlagen zu überlassen? Oder ist es nicht vielmehr so, dass jede und jeder immer schon KritikerIn ist, und es nur darauf ankommt, das Ausüben dieser Rolle zu kultivieren? Experimente wie delirium stehen im Spannungsfeld zwischen dem prekären Versuch, der Autorität herkömmlicher Institutionen die eine oder andere kleine Nebenöffentlichkeit entgegenzusetzen, und dem Umstand, dass solche Unterfangen immer schon auf die bestehenden Institutionalisierungen zurückverweisen. Jedenfalls versuchten sich im delirium bis anhin nur (angehende) AkademikerInnen in der Literaturkritik. Dies mag am Produktionsumfeld des Magazins liegen oder aber auch am erforderlichen Mut, sich frischer Texte ohne verlässliche Rezeption überhaupt anzunehmen. Wie dem auch sei: Vor dem Hintergrund der nicht unproblematischen, aber spannenden Anlage der Literaturkritiken im delirium stellten sich uns an der Podiumsdiskussion vor allem Fragen in Bezug auf das Kritisieren als Form des Schreibens. Wie sich aus dem akademisch strukturierten Duktus lösen? Wie Voraussetzungsreiches weglassen, ohne zu banalisieren? Welche Sprache zu welchem Publikum sprechen? Und wie zaubert man überhaupt so etwas wie Verbindlichkeit herbei, wenn alles zur Disposition steht: institutioneller Rahmen, diskursive Selbstverständnisse und wer überhaupt zum «Wir» der Verständigung gehört? «Narren, die den Verfall der Kritik beklagen.», lästert Walter Benjamin in einer Notiz mit dem Titel Diese Flächen sind zu vermieten und doppelt gleich nach: «Denn deren Stunde ist längst abgelaufen. Kritik ist eine Sache des rechten Abstands. Sie ist in einer Welt zu Hause, wo es auf Perspektiven und Prospekte ankommt und einen Standpunkt einzunehmen noch möglich war». Benjamin negiert damit radikal, dass eine je eigene Distanz zum Gegenstand der Kritik überhaupt noch verhandelt werden könnte. Zeugt der Wille zur Literaturkritik heutzutage also bestenfalls noch von Inkompetenz!? «Die ‹Unbefangenheit›, der ‹freie Blick› sind Lüge, wenn nicht der ganz naive Ausdruck planer Unzuständigkeit geworden», belehrt uns Benjamin. Diesbezüglich mögen uns auch Sebastien Fanzuns Notizen zur Zweifelhaftigkeit des literarischen Programms vom letzten delirium auf die Sprünge helfen: «Theoretiker des Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus haben genügend Text dazu produziert». Weil sich der «Strom der Bedeutungen […] nicht nach Belieben kanalisieren» lässt, sollte man das mit dem Unterscheiden zwischen «guter Kunst» und «schlechter Kunst» vielleicht besser sein lassen, meint er. So kann an die Stelle von Kritik und programmatischer Selbstkritik der rechtschaffen-geschäftige «Wille zur Gestalt» treten, mit den beiden für ihn einzig denkbaren Imperativen: Schreiben! Lesen! 40

Reinreden

Doppelt verklärte Literatur


Den Prozess des Verhandelns können wir dann getrost der unsichtbaren Hand überlassen. Deren Produktions- und Konsumimperative sind bekanntlich von nicht zu unterschätzender Authentizität: «Der heute wesenhafteste, der merkantile Blick ins Herz der Dinge», schreibt Benjamin, «heisst Reklame». Diese «reisst den freien Spielraum der Betrachtung nieder und rückt die Dinge […] gefährlich nah uns vor die Stirn». Eine kritische Distanz zu den Sachen ist nicht mehr möglich, seit wir nicht mehr selbstständig über deren Präsenz bestimmen können; seit uns die Dinge als Plakate, Werbeprospekte und Reklame auf den Leib gerückt sind. Permanent sind wir von begehrenswerten Objekten umgeben, die sich uns in verführerischer Aufmachung darbieten. Auch was unter «Literatur» gehandelt wird, ringt dergestalt um unsere Aufmerksamkeit: zur Ware fetischisiert. An die Stelle der Literaturkritik tritt die Rezension, die fürs jeweilige Zielpublikum massgeschneiderte Konsumempfehlung.

…Jedenfalls im

versuchten delirium bis anhin

sich

nur (angehende) AkademikerInnen in der Literaturkritik… Aber was macht den merkantilen Fetisch so viel begehrenswerter als das entzauberte Resultat von Produktionsverhältnissen? Diese Frage stellt Benjamin rhetorisch und antwortet darauf gleich selbst in gewohnt kryptischer Manier: «Was macht zuletzt Reklame der Kritik so überlegen? Nicht was die rote elektrische Laufschrift sagt – die Feuerlache, die auf dem Asphalt sie spiegelt». Nicht die Abbildung des Objekts in der Werbung verführt uns, sondern seine gedoppelte, verschleiernde Spiegelung. Erst die beiläufige Projektion der Dinge auf die emotionale Folie des menschlichen Begehrens brennt sie uns ein. Im Vorübergehen, ehe wir auch nur mit uns selbst über unseren inneren «Spielraum der Betrachtung» hätten verhandeln können. Und müssen. Die doppelte Verklärung der Literatur ermöglicht uns, sie als Gut zu geniessen, gänzlich losgelöst von aller hinter ihr stehenden Arbeit. Schreibarbeit, Verlagsverhandlungen, Lektorat, all die ausgehandelten Kompromisse bis zur Publikation, ganz zu schweigen von der Verteilung materieller Überschüsse, welche die Literaturproduktion überhaupt erst ermöglicht – all das verschwindet in einem Dunstkreis, den wir höchstens noch als künstlerisch befeiern wollen. Schliesslich macht dies alles viel einfacher: Mythos AutorIn, Projektionsfläche für die individuellen Kontingenzen frei strömender Bedeutsamkeit. Bloss: Man ahnt, dass es nicht solche Selbstbespiegelungen sind, zu denen das Begehren, von dessen Stachel die Kunst getrieben wird, befreit sein wollte. Reinreden

DALIBOR SUCHANEK UND DOLORES ZOE

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Vor dem Laden ist ein Schild: Früchte und Konfitüren. Ich gehe hinein. Die Frau im Laden ist ein wenig rabiat, sie packt mir eine Riesenmelone ein. Was ist das, sage ich, Apfel sagt sie, das ist ein grosser Apfel. Sie packt ihn in Papier. So das wär‘s, sagt sie. Ich möchte gern noch die Konfitürenabteilung sehen, sage ich, denn draussen auf dem Schild stand: Früchte und Konfitüren. Die Frau nimmt einen gusseisernen Schlüssel von der Kasse und öffnet die Tür zum Lift. Der Lift ist gross, wie ein ganzes Zimmer gross, er hat sogar zwei Fenster, dazwischen steht in krakeligen Buchstaben Lift geschrieben.

…Die Frau im Laden ist ein wenig rabiat, sie packt mir eine Riesenmelone ein… Die Tür schmatzt zu, der Lift fährt hoch und die Frau rollt die Augen nach oben und summt ein kleines Lied. Dann fängt der Lift an zu drehen, so, dass wir schräg stehen, und ich muss mich an der Wand festhalten, damit ich nicht umfalle. Auch die Frau hält sich fest und wir fallen trotzdem, denn der Lift steht jetzt auf dem Kopf und dreht immer noch. Die Frau drückt die Hand an die glatte Wand, wie ein Matrose bei Seegang, und summt immer noch. Dann rummst der Lift auf, und wir stehen wieder gerade. Wir steigen aus. Wir stehen unten am Hügel, oben das Dorf mit dem Früchteladen. Vor uns ein kleines Haus. Hier sind die Konfitüren, sagt die Frau. Es tut mir leid, aber wenn wir sagen, dass der Lift das Haus verlässt, dann möchte keiner mehr Konfitüren. Ja, sage ich, das verstehe ich gut. MICHELLE STEINBECK

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Reinreden

Vor dem Laden ist ein Schild


In and out Siehe – links und rechts des schmalen Wegleins, auf dem wir hier schreiten, hat es viel wüstes Gelände: Liegt nicht links das Gestrüpp des nur für andere Schreibens – und rechts der Schlafmohn des nur für sich Schreibens? Denke: Ganz anständig – oder unumgänglich – meinen wir manchmal, sei es! – für andere zu schreiben, ganz von uns abzusehen, uns nur daran haltend, was bekanntermassen gefällt. Winkt uns doch (oh Ehrgeiz) Glanz und Glitter der Welt. Dann wieder – trunken ab uns selbst – schreiben wir nur für uns, meinen, niemanden beachten zu müssen, und beschränken uns eitel auf das, was uns in den Kram passt. Was kümmert die Welt! Bei uns selbst und bei den anderen reden wir – wohlgemerkt – nicht von Einzelnen. Sagen wir: Es sind stets Leute, für die geschrieben ist. Schreiben wir für uns, dann schreiben wir für die Unsrigen, die Gleichgesinnten, für wer uns verstünde. Schreiben wir für die anderen, dann für Leute, mit denen wir wenig teilen, für diejenigen, die uns fremd sind, die unser Schreiben zu verbiegen und verwässern drohen, oder es verknorzen und versalzen. Sind wir aber notwendig besser dran, wenn wir nur für uns schreiben; wenn wir für ein ‹kreatives Umfeld› denken, dem wir schon angehören; für eine Klasse, eine Szene, in der man sich bald und gern kennenlernt? Haben wir es zwangsläufig besser mit uns selbst? Droht nicht die Gefahr, es uns zu früh und zu gerne in einem geistigen Ghetto gemütlich zu machen und dann zu behaupten: Das - hier - ist - die - Welt? Wahrscheinlich sind wir, wie alle, vor solcher Bequemlichkeit nicht gefeit. Und, zugegeben, es stellt keine Heldentat dar, hier zu hadern. Doch gerade wir sollten uns an Orten wie diesem fragen: Wer kann von sich behaupten, sein Text würde an einer Kilbi, in einem Fussballstadion, vor einer Dönerbude auf Gegenliebe stossen? Oder, was entgegnen wir Tolstoi, wenn er in Was ist Kunst (1889) schreibt: «Erklären! Was erklären sie [die Kritiker; M.M.] denn? Der Künstler hat, wenn er ein wahrer Künstler ist, durch sein Werk die von ihm empfundenen Gefühle übermittelt»? MANUEL MÜLLER

kann von sich behaupten, sein Text würde an einer Kilbi, in einem Fussballstadion, vor einer Dönerbude auf Gegenliebe stossen?… Reinreden

…Wer

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Die Besserwisser Füller contra Schwitter

Füller: Ich muss grinsen: Erst war die Hausmetapher nur auf das delirium bezogen, jetzt reden wir von der Literatur als Haus. Wir müssen aufpassen, dass wir da nichts vermischen. Du sagst, es geht darum, Leute mit Leidenschaft in dieses Haus zu holen, die dieses Haus bewohnen. Welches Haus? Das delirium oder die Literatur? Schwitter: Es geht ja nicht um einen Gemischtwarenladen, da bin ich völlig einverstanden. Wenn Literatur relevant sein soll, dann brauchen die Texte eine Öffentlichkeit, die über das Amazon-Rating hinausgeht, egal wie gering die Reichweite ist. Da treffen sich «die Literatur» und delirium. – Meinetwegen: delirium ist die Keimzelle des zukünftigen Odeons in Zürich. So, und nun können wir über den Anstrich des Hauses diskutieren – einige mögen es lieber dezent beige bis grau, andere ziehen rot vor. Dann steht natürlich die Frage im Raum, ob ein roter Einband schon ein gutes Buch ausmacht – ohne zu sagen, dies sei bei einem schwarzen Einband der Fall. Füller: Ich glaube, da kommen wir jetzt zu einem interessanten Punkt, zwischen der Suche nach Öffentlichkeit und dem, was du den Anstrich des Hauses nennst. Worum soll es gehen? Soll mit neuem Anstrich nur einmal mehr der Versuch unternommen werden, die bürgerliche Öffentlichkeit wiederzubeleben? Literarische Öffentlichkeit heisst immer auch bürgerliche Öffentlichkeit, ausser es handelt sich um eine Gegenöffentlichkeit. Und deswegen meine Frage, was ist die Haltung: Nicht nur von delirium, sondern auch der AutorInnen heute. Denn wenn die Haltung sich bloss im Anstrich zeigt, wird sie zur Farce: sie bleibt Fassade, sie blättert schnell ab, und sie kann je nach Lage umgetüncht werden. Ich glaube gerade dieses Lamento gegenüber der Literatur ist Ausdruck einer Problemstellung, bei der die Kunst noch der alten bürgerlichen Öffentlichkeit hinterher hechelt, obwohl diese nicht mehr existiert. Hier wäre eine mutige Haltung angebracht, die über die Literatur hinaus blickt. Oder anders ausgedrückt: Wir sollten nicht Literatur-Häuser entwickeln wie Projektmanager und diese hübsch und konsumentenfreundlich ausrichten, sondern die Häuser besetzen und zu revolutionären Keimzellen machen, um es jetzt platt entlang dieser Hausmetapher auszudrücken. Schwitter: Das Problem: Es gibt nur konservative Politik heute – hüben wie drüben, links wie rechts. Und wenn Literatur einmal politisch war, so hat sie sich heute genau deshalb in die reine Ästhetik geflüchtet. Politik taugt heute wenig. Was also tun? Es geht doch nicht um die bürgerliche Öffentlichkeit. Es geht um Öffentlichkeit überhaupt. Mein Problem: Ich sehe diese ganze Geschichte mit dem Bürgertum zu wenig deutlich. Aber mit Keimzellen kann ich mich auf jeden Fall anfreunden. Insofern hat delirium durchaus sein Potenzial, auch wenn mir die Revolution zumindest in unseren Breitengraden und in unserer Zeit suspekt ist. Es geht um ... scheisse, mir fehlt das Adjektiv, nicht klandestine, aber so ähnlich... Räume – ich will ja auch nicht bei der erstbesten Gelegenheit weit über Zürich hinaus expandieren. Die internationale FacebookRealität ödet mich an. Aber wo ist jetzt die Literatur? Füller: Ich weiss, ich wiederhole mich, aber die Frage ist nicht: Wo ist Literatur? – Diesen Begriff können wir hinter uns lassen. Die Frage ist, was für ein «Haus» ist delirium? Der Begriff «Literatur» zaubert eine Vorstellung her, die eine bürgerliche Öffentlichkeit voraussetzt. Alles 44


kann Literatur sein, wir leben in postmodernen Zeiten und müssen das anerkennen. Was uns aber bleibt, ist uns zu fragen, was für eine Haltung wir einnehmen. Nicht Politik – Achtung – sondern Haltung. Nochmals: Was für ein Haus wird hier mit dem delirium aufgebaut, wie wird es belebt, in was für einer Nachbarschaft befindet es sich, wie verhält es sich. Denn darum geht es: um die gesellschaftlichen Verhältnisse und wie man sich in ihnen positioniert. delirium hat hier meiner Meinung nach einen tollen Ansatz, nämlich den der Kritik, die mit gedacht wird und mit enthalten ist. Aber es exponiert sich auch einer Gefahr, nämlich bloss ein weiteres belangloses Magazin zu werden für angehende Autoren, die nichts weiter wollen als Erfolg und hier eine Publikations- möglichkeit sehen. Selbst Scheisshaussprüche können mit viel Witz und Sprengkraft formuliert sein, aber ohne Verständnis um die Verhältnisse und ohne eine Haltung kann selbst die talentierteste Autorin keinen Scheisshausspruch hinkriegen. Die Frage also: Was will die Literatur hier in diesem Magazin?

…Wenn wir Dürrenmatt anschauen, dann erweist es sich ja eben: Noch der fetteste, vollste Bauch hindert nicht daran, streitlustig zu sein… Schwitter: Natürlich lassen wir die Frage hinter uns, die war auch eher rhetorischer Art. – Nach meinen neusten Studien ist delirium ein urdemokratisches Konstrukt, d.h. es steckt insofern eine demokratische Haltung hinter dem Haus: Die Türen sind offen. Wer etwas zu sagen hat, der sage etwas: Etwas. Wozu das führen wird, weiss ich nicht. Das ist ja gerade das Demokratische. Ich bin kein kommunistischer Fünfjahresplaner, der sagen kann, wohin die Reise geht. Ganz im Sinne des Films La haine: Wir nähern uns dem dritten Stockwerk – Jusqu‘ici tout va bien. Selbstzitate nur in diesem Kontext: «delirium ist ein Experiment – nirgends wurde das deutlicher als in den Teilnahmebedingungen, die von literarischen Autorinnen und Autoren neben ihren eigentlich Texten zusätzlich Essays verlangten. Kaum ein Essay traf ein. Aus redaktioneller Sicht also ein glorios gescheitertes Experiment – ansonsten hochinteressant. Die Parameter müssen angepasst werden. Ein Experiment muss schliesslich irgendwie funktionieren. Wie es funktioniert und was dabei herauskommt: eine legitime Frage.» (delirium N°02 ) – So, Karten auf den Tisch, Füller: Worauf willst du hinaus, du sokratischer Geburtshelfer? 45


Schwitter: Ganz deiner Meinung. Aber da liegen verschiedene Stolpersteine im Weg. Eine Rezeptur: 1. Probleme müssen sich ergeben – besonders in einem Land der vollen Bäuche. 2. Eine Kultur des Streitens muss etabliert werden, sofern sie verlernt wurde – besonders in einem Land der vollen Bäuche. 3. Um die nötige Leidenschaft zu entwickeln, ohne sich gleich metaphorisch oder auch nicht die Köpfe einzuschlagen, braucht es das nötige Vertrauen ineinander – besonders in einem Land der vollen Bäuche. – Auch wenn ich den literarischen Fettwanst der Nation, Friedrich Dürrenmatt, sehr schätze, schaffen wir den Weg zurück in die Kronenhalle und zu den Disputen zwischen ihm und Frisch wohl nicht. Ganz abgesehen ist das auch nicht wünschenswert. Hinweg mit aller Nostalgie: «Tut dies fort, schafft dies hinweg!» Füller: Da gebe ich dir nur auf halbem Wege recht. Wenn wir Dürrenmatt anschauen, dann erweist es sich ja eben: Noch der fetteste, vollste Bauch hindert nicht daran, streitlustig zu sein. Ich würde es nicht auf die gesellschaftlichen Umstände abwälzen, wenn die Leute sich um eine Haltung drücken und nicht streiten möchten. Es ist ihre eigene Saftlosigkeit, ihre Mutlosigkeit. Es ist nicht ihre Sattheit, es ist Feigheit, jung zu sein und sich mit der Welt, wie sie ist, zufrieden zu geben. Schwitter: Da bin ich voll d‘accord. Aber wenn die Ziele eben klar sind, geht es um die Wahl der richtigen Mittel. Ich langweile mich zu Tode, wenn immer nur lamentiert wird. Geduld, Geduld – ich bin gerade dabei, einen Rosengarten anzulegen. Füller: Dann sind wir einer Meinung, wunderbar! Literatur muss streiten, muss ins Leben eingreifen wollen, sonst ist sie feige. Wie siehst du das denn in den Beiträgen im delirium, ist das vorhanden? Schwitter: Nun sind wir wieder am Anfang, d.h. bei der Binnenperspektive. Sag du es mir, dann kann ich immerhin davon ausgehen, dass du die ersten beiden Ausgaben wirklich gelesen hast ;)

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Reinreden

Füller: Hehe, «sokratischer Geburtshelfer» gefällt mir. Worauf ich hinaus will? Dass die Autoren streiten. Dass es um etwas geht. Dass es um mehr als bloss Literatur geht. Ich glaube das ist nicht zu viel verlangt. Was meinst du?


Veranstaltungen

Sag es, wie du willst! Offene literarische Bühne: Sa, 25. Oktober im Rahmen von «Zürich liest» So, 23. November So, 21. Dezember Jeweils ab 21.00 Uhr im Café Zähringer, Zähringerplatz 11, Zürich

delirium im Karl Di, 18. November, 20.00 Uhr: Instant Poetry Bringt eure Laptops mit wir generieren zusammen im Minutentakt Gedichte Do, 18. Dezember, 20.00 Uhr: Kritiker-Stammtisch An alte und neue KritikerInnen: Wir diskutieren über Kritik im delirium – zu Wurst und Bier Anmeldung erforderlich! Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14, Zürich Infos: www.delirium-magazin.ch

Veranstaltungen

End

04! ° N m u i r i l 5: d e 1 0 2 z r ä M e

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Hocherfreut Liebes delirium, willkommen im Redaktionszimmer von Karl der Grosse. Aktuelles Programm: www.karldergrosse.ch

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Impressum Herausgeber: Verein delirium Bremgartnerstr. 80 8003 Zürich Redaktion: Fabian Schwitter Laura Basso Samuel Prenner Layout: Mauro Schönenberger Captns & Partner GmbH www.captns.ch Illustration: Mélanie Tanner www.melanietanner.com Fotografie Cover: Pius Bacher Captns & Partner GmbH www.captns.ch Auflage: 500 Druck: Basisdruck AG Schulweg 6 3013 Bern Kontakt: www.delirium-magazin.ch info@delirium-magazin.ch facebook.com/Magazindelirium

Impressum

Beitragende: Meret Bachmann Demian Berger Albrecht Füller Mareike Haase Tatiana Hirschi Dominik Holzer János Moser Manuel Müller Samuel Prenner Orlando Schneider Fabian Schwitter Michelle Steinbeck Dalibor Suchanek Conradin Zellweger Dolores Zoe

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MEHR WURST! Du kannst es besser? Wirf die Wurstmaschine an und schick uns deinen literarischen Text bis am 31.Dezember 2014 an: info@delirium-magazin.ch.

So gewinnst du: Bezug zu Vorgängerausgaben! max. 15‘000 Zeichen, deutsch Bezug zu Vorgängerausgaben!? Gefragt sind künstlerische Antworten auf die bereits angeregten Diskussionen in den Ausgaben N°01 bis N°03.

MEHR SENF! delirium braucht scharfe Meinungen. Wenn du kritikfähig bist, melde dich für eine Bratwurst: info@delirium-magazin.ch.

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