Kritik
ganz alleine dastehe. Diese Dinge einer für mich zu-
erdenkbaren Welt, weitergeführt werden könnte, wozu
nächst fremden und mittlerweile eigenen – aber im-
ich eigentlich nur auf eine bestimmte Weise zu hören
mer noch vereinsamten, eigenartigen und somit
bräuchte.
entfremdenden – Welt überfallen mich mit ihrer hör-
Dieser besondere Bezug zu Dingen beinhaltet nicht
baren Feindseligkeit: «das grollen». Sie überfallen mich
das spirituelle Heil oder die gesellschaftliche Annehm-
also mit einem hörbaren Seinsmodus, der sich den zäh-
lichkeit durch konventionelles Ge-horchen von Got-
menden Konventionen der Sprache – denjenigen, die
tes Wort oder durch konventionelles Dazu-ge-hören
es normalerweise ermöglichen, Fremdes durch das
zur sprachlichen Gemeinschaft. Das besondere Glück
Ge-meinsame eigen zu machen – entzieht. Zu diesem
dieses neuen und eigenen Bezugs zu einer Welt ist
hörbaren Seinsmodus, der sich den zähmenden Kon-
lediglich das Entsetzen, mit dem uns unvermittelte
ventionen entzieht, zählt jedoch nicht nur «das grollen
Dinge hörbar entgegentreten. Ein riskantes Glück wird
/ der toten» als unheimliche Feindseligkeit. Auch das
also dem Leser oder dem Kritiker durch das Gedichtete
«seufzen der wolken» als melancholische Zärtlichkeit
suggeriert, ein Glück, das auch für die Dichtung selber
ge-hört dazu. Es handelt sich offensichtlich um einen
– als literarisches Unterfangen, das als solches und
hörbaren Seinsmodus der Dinge und der Welt, dessen
zugunsten der poetischen Bildhaftigkeit notwendiger-
Unvermitteltheit sich nur noch durch poetische Bild-
weise auf spirituelles Heil und gesellschaftliche
haftigkeit repräsentieren lässt.
Annehmlichkeiten verzichten muss – riskant bleibt.
Erst in dieser Situation also, in der es mir nicht mehr durch die zähmenden Konventionen der Sprache heimelig gemacht wird, in der ich aber immer noch
Die Autonomie der Dichtung
in der gedichteten Welt daheim bin, kann mir auch Folgendes nicht mehr verheimlicht werden: ein
Wir haben nun ein ‹glückliches Hören› – ein
Seinsmodus der Dinge, in dem diese so sind, wie sie
Hören der Dinge, so wie sie gerade sind und uns ent-
sind und wie sie mir gerade hörbar entgegentreten;
gegentreten – als unser neues und eigenes Objekt der
ein unvermittelter Seinsmodus, der nur in poetischer
literarischen Kritik gewonnen. Nun kann dieses Objekt
Bildhaftigkeit durch die Sprache repräsentiert und auf-
befragt werden. Falls ein solches glückliches Hören tat-
bewahrt werden kann; ein Seinsmodus, der auch ein
sächlich ein Fundament von authentisch literarischer
potenzielles Für-sich ausmacht und somit die Kritik
Dichtung sein sollte, müsste dann diese nicht einfach
einlädt. Mit anderen Worten scheint sich hier zu zeigen,
implizit von ihm ausgehen, anstatt es als Fundament
dass ein ungezähmtes und unvermitteltes Hören auf
erst explizit zu konstruieren? Wir können dasselbe
die Dinge ganz im Sinne einer poetischen Bildhaftig-
auch anders fragen: Verbleibt eine Dichtung, die vor
keit und ihrer potenziellen Lesbarkeit ist, dass dies also
allem darauf ausgerichtet ist, ihr Fundament explizit zu
eine fundamentale Bedingung sowohl für die Möglich-
konstruieren – als glückliches Hören, das sich im Ge-
keit authentisch literarischer Dichtung als auch ihrer
dichteten durch wachsende Insistenz behauptet – nicht
Kritik ist. In seinen letzten Versen stellt das Gedicht
gerade deshalb auf einer Vorstufe des eigentlich in der
genau diese Bedingung – und es erfüllt sie zugleich.
Dichtung allgemein Intendierten – der poetischen
Das letzte «und höre» des Gedichts ist eine Be-
Bildhaftigkeit, die sich erst gegen Schluss des ent-
stätigung dafür, dass das neue Objekt des Kritikers
sprechenden Gedichts behauptet, um dann sogar ganz
auch sein eigenes Objekt ist. Ich bin durch das Lesen
zurückzutreten? Daraus folgt auch die zweite Frage:
des Gedichts zum Kritiker geworden, weil mich dieses
Was könnten allfällige Motive einer solchen – schein-
durch die poetische Bildhaftigkeit in einen eigenen
bar unvollständigen – Ausführung von Dichtung sein?
oder unvermittelten Bezug zur gedichteten Welt
Auf der Ebene des einzelnen Gedichts «und höre»
treten liess, deren Dinge in der Folge direkt zu mir
und seiner unmittelbaren literarischen Kontextuali-
‹gesprochen› haben. Das letzte «und höre», dem eine
sierung können wir diese Fragen wie folgt erörtern:
Leere folgt, ist ein Zeichen dafür, dass sich nun sogar
Die Aussage des Gedichteten kann dahin gehend ge-
die poetische Bildhaftigkeit zurückzieht, dass sie also
lesen werden, dass authentisch literarische Dichtung
nur noch als Abwesenheit anwesend sein soll. Das sug-
und ihre Kritik sich ihr eigenes sprachliches Gesetz ge-
geriert, dass ein unvermittelter Bezug zu Dingen von
ben sollten, dass sie autonom sein sollten und dass sie
mir auch jenseits der gedichteten Welt, also in jeder
Letzteres vor allem durch glückliches Hören erreichen.
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