Spektrum_20_WS2012-13

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Kannst Du mir für die Verbindung von Lehre und Forschung noch ein weiteres Beispiel geben? Weber. Ich meine Jacob Gottfried Weber, Musiktheoretiker und Komponist, ein Zeitgenosse Beethovens. In seinem Werk Versuch einer geordneten Theorie der Tonsetzkunst stellt er beispielsweise auf mehr als einhundert Seiten eine Modulationslehre vor, die an Umfang bis heute noch nicht übertroffen wurde. Das Beeindruckendste war für mich aber, dass er in seiner Darstellung musiktheoretischer Sachverhalte primär vom Hören ausgeht. Nach dem wahrnehmungspsychologischen Gesetz der Nähe entwickelt Weber – und das weit vor der Entwicklung der modernen Musikpsychologie – ein auf das Gehör bezogenes Verwandtschaftssystem. Diese sensitive Auffassung rückt die Musiktheorie aus dem abstrakten Betrachten und Bezeichnen heraus in Richtung ästhetische Erfahrung. Diese Erkenntnis hatte unmittelbare und sehr praktische Auswirkungen auf meine Unterrichtspraxis. Da kann man einmal sehen, welcher Nutzen aus dem Studium der alten Quellen gezogen werden kann! – Wenn ich einmal kurz zusammenfassen darf: Du bist also weder Komponist noch ausübender Interpret, sondern ein „echter“ Musiktheoretiker!? Ja, darauf lege ich großen Wert. Ich bin Theoretiker! Mit Leib, Kraft und Seele und aller Energie, die da hinein geflossen ist. Vergessen wir aber nicht meine musikalische Herkunft von der Rockbis zur Kirchenmusik. Keine Theorie ohne vorangegangene und ohne begleitende musikalische Praxis!

Fahrprüfung die Sinnfrage; andernfalls hätte dies nämlich verheerende Konsequenzen für den öffentlichen Verkehr! Aber genau so ein musikalisches „Verkehrschaos“ hört man dann oftmals bei „kopflosen“, aus dem Bauch heraus spielenden Musikern. Wir Menschen definieren uns (u.a.) über Gefühl und Geist, die einander weder ausschließen noch bekämpfen, sondern miteinander kreativ sein sollten. Den Geist der Musik, konkreter Kompositionen zu erforschen und zu vermitteln, das ist unsere Aufgabe als Musiktheoretiker. Da muss man zuerst durch das Technische hindurch, ohne bei ihm stehen zu bleiben, um zur geistig-ästhetischen Dimension eines Kunstwerkes vorzudringen. Und dass das Gefühl mit dem Verstand zusammenarbeitet, ja sogar von ihm beeinflusst wird, ist eine in der modernen Neurologie und Musikpsychologie längst bewiesene Tatsache. Der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke hat einmal auf die Frage, wozu man eigentlich Musik analysierte, geantwortet: „Man macht eine Analyse, um eine Komposition nachher umso mehr zu lieben.“ Studierende, die mir das glaubhaft nachweisen, kann ich beruhigt in den Ernst des musikalischen „Verkehrschaos“ entlassen.

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Vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Bernd Asmus. Studien an der Folkwanghochschule Essen (Gitarre, Musikerziehung) und der Musikhochschule Freiburg (Komposition, Musiktheorie). 1989 Beginn der Lehrtätigkeit an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe, dort ab 1993 als Professor für Musiktheorie/Neue Medien. Seit 2001 Professor für Musiktheorie an der Hochschule für Musik und Darstel-

Aber auch umgekehrt keine Praxis ohne Theorie! Diese Frage muss ich Dir einfach noch stellen: Warum sollten sich denn, Deiner Meinung und Deiner Erfahrung nach, angehende Musiker auch in Musiktheorie auskennen?

lende Kunst Stuttgart. 2001 und 2002 Gastdozent an der „Universitas Negeri Medan“ in Nordsumatra/Indone-

Das ist die Frage, die sich nur Musiktheoretiker gefallen lassen müssen! Niemand, der den Führerschein machen will, stellt beim Theorie-Teil der

torische Schwerpunkte liegen in der Kammermusik und

sien. Gründer und künstlerischer Leiter des ensemble omega. Veröffentlichungen musikanalytischer Texte. Kompositionspreise bei internationalen Wettbewerben in Graz (Steirischer Herbst) und Guéret, Kompositionsstipendien des Atelierhauses Worpswede und der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR Freiburg. Komposi-

www.puck-theaterkalender.de

auf der Erkundung spezieller Reaktions- und Interaktionsformen der Interpreten untereinander, sowie auf der Erprobung nicht-temperierter Mikrointervallik. SPEKTRUM #20_ 67


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