Programmheft Musikfest Schloss Weinzierl 2016

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Werkbesprechungen Durchsicht im Oktober an den Verlag geht und 1876 bei Simrock erscheint. Hatte er bei den beiden Quartetten op. 51 gegenüber dem Freund und Widmungsträger, dem Wiener Chirurgen Theodor Billroth, humorvoll von einer „Zangengeburt“ gesprochen, für die der Arzt dringend erforderlich gewesen sei, so schrieb er Theodor Wilhelm Engelmann, einem Arzt, dem er sein Quartett op. 67 widmete, beruhigend: “Es handelt sich um keine Zangengeburt mehr; sondern nur ums Dabeistehen:“ Brahms gibt in diesem Schreiben an den Cello spielenden Arzt auch seine besondere Vorliebe für den 3. Satz Agitato (Allegretto non troppo) – Trio preis: „Violoncello-Solo kommt nicht vor, aber ein so zärtliches Bratschen-

solo, dass Sie dem zu Gefallen noch das Instrument wechseln!“ Will man Vergleiche ziehen zu den beiden Quartetten op.51, dem eruptiven ersten und dem lyrischen zweiten, so erscheint das B-Dur Quartett

den Zuhörern damals wie heute „hell“, „leicht“ und „klar“. Hermann Deiters formulierte das in seiner Analyse der Streichquartette von Brahms (1878) so: “In diesem heiteren Kind seiner Muse hat Brahms auf eine besondere Entfaltung von Kunstfertigkeiten verzichtet.“ Doch dieser Eindruck täuscht. Hinter der Anmutung wunderbar entspannter Leichtigkeit steht höchste Kompositionskunst. In einem Brief an Joachim aus dem Oktober 1878 spielt Brahms auf diesen Sachverhalt an, als er berichtet, er habe beim Schreiben „gar allerlei Delikatessen“ im Sinn gehabt, wiewohl man ihm solche „Feinheiten“ kaum zutraue. Brahms zeigt in seinem Quartett op. 67 wie bewusst und kenntnisreich er in der musikalischen Tradition steht. Er verwendet Tanzelemente wie im Seitensatz des ersten Satzes eine Polka oder eine Gavotte als Thema des Variationensatzes (4. Satz). Für den ersten Satz stehen die frühen Streichquartette Haydns als Vorbild. Die Quartette des Meisters waren ihm nicht nur bekannt, er besaß das Autograph der Quartette op. 20. Der zweite Satz erinnert an Mendelssohn („Lieder ohne Worte“), ebenso wie die Praktik, ein Themenzitat aus dem Kopfsatz in das Finale einzubeziehen. (Mendelssohn op. 12 und op. 13). Von Simrock erbat er sich bei der Arbeit am B-Dur Quartett eine Neuausgabe der Mendelssohnschen Quartette mit einer für Brahms typischen Formulierung: „Sie kriegen sie in gehöriger Verdünnung wieder – als Br. Op. 67.“ (Siehe auch S. 19 und S. 20). Es sind die kunstvoll in Brahms ureigenstem Kompositionsstil verarbeiteten „Anklänge“ an die Tradition, die den spezifischen Tonfall dieses Quartetts ausmachen. Seite 49


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