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kultur.gesellschaft.

BaZ | 3. Januar 2009 | Seite 5

Geschenke und ihre Folgen Jedes Jahr die bange Frage: Wohin mit unliebsamen PrÀsenten? CHRISTINE RICHARD

»» Im

neuen Jahr wird vieles besser. Der Anteil unnĂŒtzer Geschenke wird schmelzen, dafĂŒr sorgt schon die Rezession. Aber es gibt auch freundlichere Lösungen, um unerfreuliche Gaben loszuwerden; das lehrt das Beispiel von Herrn Gloor.

Nun da Heiligabend vorĂŒber ist, jetzt kann man es offen aussprechen: Ein ordentlicher Batzen Gold auf dem Gabentisch hĂ€tte durchaus Freude bereitet. Auch werden Geldgeschenke und Gutscheine zu Unrecht verteufelt. Unpersönlich sind sie, gewiss. Aber praktisch. Man muss sie nicht an die Wand hĂ€ngen. Man muss sie nicht essen oder giessen, nicht anziehen, abstauben, angucken.

sukkurs. Am 24. Dezember 2008 war fĂŒr Herrn Gloor morgens um 9 Uhr die Welt noch in Ordnung. Er las die ersten Meldungen im Internet. Er machte sich noch keine Sorgen um die eigenen Geschenke, sondern um jene von Condoleezza Rice. Die scheidende US-Aussenministerin muss Schmuck und Diamanten im Wert von rund einer halben Million Dollar abgeben, alles Geschenke von Staatsbesuchen. Gloor lief zu seiner persönlichen Höchstform auf, als er kommentierte: «Der Schmuck ist das Mindeste, das sie zurĂŒck geben sollte, wenn nicht auch ihr SalĂ€r fĂŒr ungenĂŒgende Leistungen und Unterminierung des Weltfriedens!» diskurs. Das war von Gloor zwar kein schöner, aber ein naheliegender Gedanke nach einem Jahr, das auch in anderen Branchen höchste SalĂ€re bei ungenĂŒgenden Leistungen gebracht hatte. Mit dem ZurĂŒckgeben von Geschenken allerdings ist das so

eine Sache. Wer Geschenke postwendend zurĂŒckgibt, der bescheingt dem Schenkende, dass er emotional unfĂ€hig war, sich in den Beschenkten einzufĂŒhlen. Und das ausgerechnet am Fest der Liebe. Im Fall von Frau Rice ist die RĂŒckgabe von Staatsgeschenken vom USRecht vorgeschrieben. Im Fall von Ehescheidungen ist es kleinlich, alle Liebesgaben beleidigt zurĂŒckzugeben. Im Fall von Herrn Gloor war es unverzeihlich, dass er Tante Lieselotte unterm Lichterbaum die selbstgestrickten Socken zurĂŒckgab mit der Bitte, sie solle sich auf dieselben machen, sobald es ihr möglich sei. Und sie möge nach 54 Jahren und 108 Socken bitte ihren Grips zusammennehmen, ob es nicht eine Gabe gĂ€be, die ihn, Gloor, wirklich erfreuen könne. Wie wir sehen ist Gloor kein Freund von höflichem Diskurs-Design. rekurs. Alles darf man zurĂŒckge-

ben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, nur Weihnachtsgeschenke nicht. Das Sockenpaar umgehend retournieren – zu brutal. Das PĂ€ckchen unausgepackt im Hundekorb verstecken – nur eine vorĂŒbergehende Lösung. Weg damit in die Babyklappe? Ein schlechter Joke. Die Tante nicht mehr einladen? Sie kommt trotzdem. Das Klingelschild Ă€ndern? Sie klingelt. ZĂŒgeln. Das ginge. Auswandern und die Socken als nachrichtenloses Vermögen deklarieren lassen. Je persönlicher ein Geschenk, desto schwieriger. In einer Gesellschaft, in der GeschmĂ€cker sich immer feiner ausdifferenzieren, ist ein Sechser im Lotto einfacher zu bekommen als ein passendes Geschenk. Inzwischen machen es Erwachsene den klugen Kindern nach und schrei-

ben Wunschlisten. In diesem Jahr soll das Umtausch-GetĂŒmmel gemĂ€s­ sigter gewesen sein als auch schon. Sagen Schweizer KaufhĂ€user. Die Erfahrung sagt anderes. Und Gloor sagt: Trash ist Trash und nicht Kult. Subkulturelle Codes sind ihm fremd. kulanz. Eine Umfrage 2007 ergab:

Jeder zweite Kunde wĂŒrde mindestens ein Geschenk am liebsten umtauschen. Ein Recht auf RĂŒckgabe fehlerfreier Waren gibt es zwar nicht. Aber auf dem Kulanzweg klappt der Umtausch meistens, mit Kassenbon und Originalverpackung. Ein Recht auf Umtausch gibts nur bei Online- und Katalog-Bestellungen innerhalb von 14 Tagen. Wie gut, dass Gloor den Messerblock fĂŒr Tantchen erst am 24. Dezember geordert hat. Geschenke können beschĂ€men, bestechen, bestrafen. Geschenke können Trojanische Pferde sein und ganze Familien um den lieben Frieden bringen. Aber einfach an den Schenker zurĂŒckgeben darf man Geschenke nicht. Wohin damit? Wohin werfen und nicht in den KĂŒchenabfall, wo Tante Lieselotte beim Kaffeekochen sofort die ganze Bescherung findet? Gute Frage.

restanz. Je voluminöser die Gabe,

desto komplizierter ihre heimliche Beseitigung. Fallen lassen kann man jeden toten Gegenstand, aber nicht alles geht zu Bruch. Und nicht jeder bekommt zu Weihnachten ein beschriftetes Reiskorn, das er en passant auf der Strasse verlieren kann. Unter dem Gesichtspunkt unauffÀlliger Entsorgung gibt es schwierige und sehr schwierige PrÀsente. Schwierige PrÀsente kann man um-

tauschen, insofern die Beschenkte den Mut hat, nach dem Kassenbon zu fragen, den der Schenker nicht finden kann und will, weil die Kunstpelzstola ein Aktionsangebot war. Sehr schwierige Geschenke sind nicht umtauschbar und kaum kleinzukriegen, aber wenigstens gedanklich sind sie teilbar in drei Gruppen. > Erstens: Selbstgebastelte Geschenke. Sie sind so gut wie gar nicht mit Anstand zu beseitigen. Sie sind mit viel Liebe gemacht (mit sonst noch was?). Sie sind billig, pappig, grottenhĂ€sslich. Aber sie sind heilig. Meist stammen sie von Kinderhand, dem lieben Jesuskind verwandt, wenigstens vom 24. bis zum 26. Dezember. Auf Selbstgebasteltem liegt christkindlicher Segen, hier ist der MĂŒllmann machtlos, und Ebay stĂŒrzt vor Schreck ab. > Zweitens: Geschenke, die EigenaktivitĂ€t erfordern. Sie sind vernichtungsresistent. Genauer gesagt: Um sie aus der Welt zu schaffen, muss der Beschenkte sie verbrauchen. Der Gutschein fĂŒr einen Rundflug, fĂŒrs Fitness-Studio oder fĂŒr einen Yoga-Kurs: Solchen PrĂ€senten ist schwer zu entkommen. Sie ziehen verlĂ€sslich die Frage des grosszĂŒgigen Spenders nach sich: Wie wars? Wars gut? Ja, war supi, der Tandemsprung aus dem Flugzeug. Wunderbar erquickend, das Tauchen in der Eisgrotte. Einerseits. Andererseits sollte sich auch der Schenkende mal was gönnen, am besten Wildwasserklettern mit «Adventure World» bei Wilderswil. > Drittens: Geschenke, die leben. Sie machen wehrlos. Haben Goldhamster, Zwerghase und Nymphensittich erst einmal Eingang in

Das Muh der Kuh. Ein einsames Geschenkpaket ist auf dem Hauenstein ausgesetzt worden und harrt der Dinge, die da kommen werden.  Foto Roland Schmid

die Weihnachsstube gefunden, ist es schwer, die Geschöpfe Gottes ins Tierheim zu verstossen. Und erst die Pflanzen, auch sie haben ein Feinsensorium. Der Ficus, obwohl stupide, der Weihnachtsstern, wenngleich frigide: Was beseelt ist, hat den MĂŒlltod nicht verdient. Durch die Geburt Christi sind letztlich sĂ€mtliche Weihnachtsgaben mit einer Aura von Leben umgeben, und je lĂ€nger sich Gloor jetzt die StrickstrĂŒmpfe anschaut, desto... nein, nur nicht das. Gloor handelt. entsorgung. Wer in stillen Winter-

nĂ€chten durch unsere Gassen wandert und nicht völlig ichverklebt ist, der wird die eine oder andere einsame Gestalt bemerken. Mit suchendem Blick huscht sie ihrer Wege, und wenn sie den Abfallkorb entdeckt hat, steuert sie pfeilgerade auf ihn zu. Die dunkle Gestalt stĂŒtzt sich mit der Hand auf dem MĂŒlleimer ab – ein Schwindelanfall? –, sie wittert in alle Himmelsrichtungen, lĂ€sst unterm Mantel ein gewisses Etwas in den Abfallkorb gleiten, wittert, und zieht sich wieder zurĂŒck in die dunklen Gassen. Solche Gestalten gehören zur Spezies der Hineinwerfer. Hineinwerfer sind meist MĂ€nner mittleren

Alters. Spricht man sie an, zucken sie zusammen. Obwohl sie zu den wenigen Zeitgenossen gehören, auf die die Unschuldsvermutung zutrifft. Wer in den AbfallkĂŒbel greift, nachdem sie gegangen sind, der zieht bisweilen zwei Stricksocken heraus (nie aber einen Nymphensittich). Die Hineinwerfer sind die UnterdrĂŒckten unserer Überflussgesellschaft. Sie halten ĂŒberflĂŒssige Geschenke – und unnĂŒtze Dinge generell – daheim einfach nicht mehr aus. In vielen StĂ€dten, insbesondere in deutschen FussgĂ€ngerzonen, sind an den Abfalleimern immer mehr Herausholer zu entdecken. Herausholer sammeln Flaschen, Tramtickets und allerhand mehr. Selten Stricksocken. Gloor stutzt: Statt dumme Geschenke fĂŒr Wegwerfer zu kaufen, könnte man das Geld auf direktem Wege den Herausholern zukommen lassen. Gloor ist Pragmatiker. erfindung. An Weihnachten wird viel Schrott geschenkt. Ein AutodafĂ© muss deshalb niemand veranstalten. Es gibt FlohmĂ€rkte, SozialkaufhĂ€user, BrockenhĂ€user. Hardboiler Gloor geht lieber ins Internet. Dort lauern Dutzende von Online-Tau-

schringen, Spezial-Börsen und Tausch-Communitys auf die unnĂŒtzesten GegenstĂ€nde, zu deren Erfindung das menschliche Hirn fĂ€hig war. Eines der gigantischsten Exemplare, das Gloor ausmachen kann: eine Holzpizza mit 31 Teilen, um das Belegen mit Pilzen und Maiskörnern zu ĂŒben. Dann lieber Wollsocken. verlosung. In besonders aussichts-

losen FĂ€llen helfen nur noch Schrottwichtel-Partys. Eine Schrottwichtelparty geht so: Jeder packt daheim ein möglichst grusiges Geschenk möglichst nett ein, der Gastgeber versieht jedes SchrottpĂ€cklein mit einer Nummer, die spĂ€ter per Los gezogen wird. Es geht auch einfacher: Alle PĂ€ckchen anonym in einen Korb werfen; sind alle WichtelgĂ€ste da, darf sich jeder eines herausgreifen. Variantenreich ist das WĂŒrfelspiel. Wer eine Sechs wĂŒrfelt, darf sich ein PĂ€ckchen nehmen, wer eine Eins hat, muss es tauschen gegen das zuletzt in der Runde ausgepackte Geschenk. Der Vorschlag, das allergrĂ€sslichste Geschenk zu wĂ€hlen und auf der Stelle umzubringen, konnte sich nie durchsetzen. Schrottgeschenke sind wie alle Problemkinder: Sie wachsen besonders ans Herz.

«2 x Weihnachten» SPENDEN. Ein ernsthafter Vorschlag zur Zweitverwertung von PrĂ€senten mit Gebrauchswert oder zu nachweihnachtlichen Spenden: Bis 7. Januar nehmen alle Poststellen in der Schweiz kostenlos Spendenpakete entgegen. Gefragt sind haltbare Nahrungsmittel, Hygieneartikel, Produkte fĂŒr Kleinkinder, neuwertige Schuhe und Schulmaterial. Geschenkpakete können auf jeder Poststelle abgegeben werden. Sie werden kostenlos zum Schweizerischen Roten Kreuz gebracht. Freiwillige sortieren den Inhalt fĂŒr die Verteilung in der Schweiz und in Bosnien Herzegowina, Weissrussland und Moldawien. Die Verteilung erfolgt via Rotkreuz-KanĂ€le an bedĂŒrftige Familien und Einzelpersonen oder soziale Institutionen. Bis 16. Januar können Pakete auch via Internet geschenkt und per Kreditkarte oder Postfinance-Card bezahlt werden. Die Aktion «2 x Weihnachten» kauft die geschenkten Waren dann selber ein und verteilt sie wie die per Post zugestellten Geschenke. chr > www.2xweihnachten.ch


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