Meiningers Weinwelt Ausgabe 02-2018

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WEIN_GRUSS AUS DEM KELLER

NICHTS IST WIRKLICH BEWIESEN, was den Zusammenhang zwischen

Gesteinen, Mineralstoffen und deren Ausdruck im Wein betrifft. Ganz im Gegenteil: Französische Forschungen kommen sogar zu dem Schluss, dass die Gesteinsart nichts mit dem Weintyp zu tun hat. Mehr als die chemische Zusammensetzung eines Bodens seien es vielmehr dessen physikalische Eigenschaften, die den Wein prägen. Gibt es also doch keinen Schiefer-Riesling? Für mich persönlich ergibt sich hieraus ein Dilemma: Ich bin im Schiefer geboren und aufgewachsen, wurde mit Schiefer-Riesling getauft. Ich kann Schiefer riechen und schmecken. Allen französischen Forschungen zum Trotz: Das kann doch nicht nur Einbildung sein!

Michael Hornickel

Der Duft des Schiefers

Jüngere Forschungen unterstützen jetzt das Gegenteil (nach Joung und Buie): Hat es über einen längeren Zeitraum nicht geregnet, bildet sich auf Erde und Steinen ein dünner Film aus ätherischen Ölen. Setzt dann Regen ein, werden die Geruchsstoffe des Bodens in kleinen Bläschen in den Regentropfen eingeschlossen, sobald diese auf die Oberfläche prallen. Im Inneren des Tropfens steigen diese Bläschen dann an dessen Oberfläche und zerplatzen dort, ähnlich wie im Sektglas aufsteigende KohlensäurePerlen. Dabei entsteht ein Gemisch aus festen und flüssigen Schwebeteilchen, das die Geruchsstoffe an die Luft abgibt. Da dieser Prozess auf porösen Oberflächen, die mehr Platz für geruchsaktive Substanzen bieten, am besten funktioniert, ist Schiefer dafür geradezu prädestiniert. Jetzt wissen wir, warum wir bei einem Spaziergang in einem nassen Schieferweinberg das Gestein riechen können. Damit ist zwar immer noch nicht klar, wie dann der Schiefer in den Wein kommt, aber das Milieu beeinflusst den Wein ja schließlich auch andernorts (Eukalyptus­ aroma durch die Nähe der Weinberge zu den Bäumen, oder Jod durch Meeresnähe ...).

»Gibt es

den SchieferRiesling?«

Jetzt müssen wir noch unsere Verkostungstechniken der TerroirSuche anpassen, wie in unserer Verkostungsserie „Den Boden schmeckbar machen“, sozusagen die geo-sensorische Degustation. Was aktuell ge­­ lehrt wird, stützt sich, begründet auf der organischen Chemie, auf die biochemische Dimension des Weines, seine Trockensubstanzen: Alkohol, Tannine, Säure et cetera. Diese Bestandteile des Weines lernen die Oenologen zu verstehen – und mit Hunderten von Mittelchen zu beeinflussen. Da diese organischen Verbindungen Gerüche transportieren, ist es verständlich, dass sich die sensorische Analyse aktuell vor allem auf den Geruchssinn stützt, etwa mit der Identifizierung von Aromen. Die geo-sensorische Weinverkostung hingegen stützt sich auf die mineralische Dimension des Weines, die, selbstverständlich in Verbindung mit den Säuren, seine Schmackhaftigkeit ausmacht. Hier bewegen wir uns in der anorganischen Chemie, von den Franzosen bezeichnenderweise „chimie minérale“ genannt. Sie wird in der Oenologie vernachlässigt, weil es keine Eingriffsmöglichkeiten in den natürlichen Mineralstoffgehalt eines Weines gibt. Da diese Mineralstoffe geruchlos sind, muss man sich bei der Verkostung auf das Mundgefühl konzentrieren. Die Geo-Sensorik interessiert sich also für die Herkunft des Weines, sein Terroir, wie unsere Verkostungsserie „Den Boden schmeckbar machen“ (seit Heft 2/2017), die wir in diesem Heft abschließen (ab Seite 98). Und wer wollte daran zweifeln: Es gibt ihn, den Schiefer-Riesling! Michael Hornickel, Wein-Autor und MUNDUS VINI-Vorstand, ist einer der Pioniere der professionellen Weinverkostung in Deutschland.

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