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Sonderthema Wirtschaft

Hypothekarzinsen in Bewegung

Die Infl ation und die Gegenmassnahmen der Währungshüter haben Einfl uss auf die Hypothekarzinsen. Ein Finanzierungsexperte der VP Bank erklärt, was Eigenheimbesitzer nun beachten sollten. Text: Ronny Eggenberger

INFLATIONSRATEN STEIGEN Die Inflationsraten legen seit dem vergangenen Jahr merklich zu und brechen mittlerweile in einzelnen Ländern Nachkriegsrekorde. Die Notenbanken steuern dagegen an. Die US-Notenbank Fed hat im März den Leitzins erhöht und weitere Straffungen werden folgen. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) schwenkt um – zwar zaghaft, aber erkennbar. Im Schlussquartal könnten erste Zinsanhebungen auf der Agenda stehen. Damit kann grundsätzlich auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) von ihrer Tiefzinspolitik abrücken. Zwar hat die Schweiz kein so akutes Inflationsproblem wie die USA oder die Eurozone, doch ein negativer Einlagensatz von 0.75 Prozent mag nicht mehr so recht zu einer Inflationsrate von zuletzt 2.4 Prozent passen.

ZINSEN IM UMBRUCH Das Zinsumfeld ist also im Umbruch. Der global restriktivere geldpolitische Kurs hat die langfristigen Kapitalmarktzinsen merklich ansteigen lassen. Die Renditen sind ihrerseits die Messlatte für den jeweiligen Hypothekarzins in einem Land. In der Schweiz lag die Rendite eines 10-jährigen eidgenössischen Staatstitels im Zuge der ersten Corona-Welle im März 2020 bei etwas weniger als -0.90 Prozent. Mittlerweile sind es beinahe 0.90 Prozent. Die langfristigen Kapitalmarktzinsen sind also binnen zweier Jahre um rund 1.8 Prozentpunkte angestiegen. An den Finanzmärkten wurden die zukünftig zu erwartenden strafferen geldpolitischen Zügel frühzeitig vorweggenommen. Länger laufende Hypothekarzinsen haben sich damit bereits verteuert.

Es gibt ein häufig wiederkehrendes Muster an den Kapitalmärkten: Je konkreter ein Zinsschritt wird, desto weniger reagieren die langfristigen Zinsen – da hier ja schon einiges vorgenommen wurde. Es sind vor allem die kurzfristigen Geldmarktzinsen, die dann zu steigen beginnen. Noch übt sich die SNB in Zurückhaltung und fürchtet sich bei einem klaren Bekenntnis zu Zinsanhebungen vor weiteren Aufwertungen des Franken. Doch je sichtbarer Zweitrundeneffekte des gegenwärtigen Energiepreisanstieges auch in der Schweiz werden und je deutlicher die EZB reagiert, desto mehr ebnet sich der Weg für die SNB, ebenfalls an die Zinsschraube zu fassen. Vollstreckt sie schliesslich erste Zinsanhebungen, werden sich kurzfristige Finanzierungen vermutlich rascher verteuern als langfristige.

ABSICHERUNG MIT EINER FORWARD-FESTSATZHYPOTHEK Was bedeutet das nun für Wohneigentumsbesitzerinnen und -besitzer? Die Wohnungs- oder Hausfinanzierung sollte jetzt einer Prüfung unterzogen werden. Aber auch wer den Kauf einer Immobilie noch vor sich hat, sollte jetzt aktiv werden. Läuft in absehbarer Zeit eine Finanzierung aus oder steht eine Finanzierung an, können die gegenwärtigen Zinssätze mittels einer Forward-Festsatzhypothek abgesichert werden. Bei der Forward-Festsatzhypothek kann der Zinssatz im Voraus festgelegt Voraus festgelegt werden. Dafür wird werden. Dafür wird ein Zuschlag eingeein Zuschlag eingerechnet, der von der Vorlaufzeit und der Laufzeit der Hypothek abhängt. pothek abhängt. Weil der Zinssatz Weil der Zinssatz über die gesamte über die gesamte Laufzeit hinweg Laufzeit hinweg konstant bleibt, konstant bleibt, können Hypothekönnen Hypothekarschuldner ihr karschuldner ihr Budget somit exakt planen. Hypothek bietet sich derzeit gen können bei Hypothekarkrediten schnell mehrere Tausend Franken ausmachen.

Für die Laufzeiten des Kredites gilt: Eine Kombination aus einer mittelfristigen Zinsfestschreibung im Bereich von fünf Jahren und einer Saron-basierten Hypothek bietet sich derzeit an. Diese Möglichkeit vereint die Vorteile von Flexibilität und Planbarkeit und Zinsänderungsrisken können dadurch besser gestreut werden.

Schon geringe Zinsbewegungen können bei Hypothekarkrediten schnell mehrere Tausend Franken ausmachen. Darum empfiehlt es sich, jetzt das Gespräch mit einem Finanzierungsberater der VP Bank zu suchen.

BEVO-Vorsorgestiftung in Liechtenstein

Die BEVO in Zahlen

Was hat es denn mit diesem Umwandlungssatz auf sich?

Der Umwandlungssatz ist eine Prozentzahl. Damit wird ein Altersguthaben im Rentenalter in eine jährliche beziehungsweise monatliche, lebenslängliche Rente umgewandelt. Im Gegensatz zur Schweiz gibt es in Liechtenstein in der obligatorischen Altersvorsorge keinen gesetzlich vorgegebenen Mindestumwandlungssatz. Das oberste Gremium, namentlich der Stiftungsrat, kann somit die Höhe des Umwandlungssatzes selbst festlegen.

Es sind zwei Grössen, welche in die Berechnung des Umwandlungssatzes einfl iessen. Zum einen ist dies der einberechnete Zins, mit dem die Altersguthaben in Zukunft verzinst werden, und zum anderen die Lebenserwartung. Bei der Bestimmung dieser Grössen muss man die zukünftige Entwicklung berücksichtigen und zwar für einen Zeitraum von mehr als 15 Jahren. Wie schwierig das ist, zeigt sich anhand der Lebenserwartung. Gemäss Bundesamt für Statistik sank nämlich im von der Covid-19-Pandemie geprägten Jahr 2020 die Lebenserwartung gegenüber dem Vorjahr bei den Männern um 0,9 auf 81,0 Jahre und bei den Frauen um 0,5 auf 85,1 Jahre (2019: Männer 81,9; Frauen 85,6). Eine solche Abnahme wurde gemäss den Sterbetafeln bei den Männern seit 1944 und bei den Frauen seit 1962 nicht mehr beobachtet. Die Unterschiede beim Umwandlungssatz haben für die Versicherten grosse Auswirkungen. Dies sei anhand des folgenden, vereinfachten Beispiels verdeutlicht:

Alterskapitel in CHF: 200'000 Rentenbezugsdauerdauer in Jahren: 16 • angeschlossene

Betriebe: 382 • Versicherte: 3110 • Rentneranteil: 4,95% • Performance: 7,8% • Stiftungsvermögen:

CHF 448 Mio. • Deckungsgrad: 114,7% • Verzinsung

Altersguthaben: 4% • Umwandlungssatz im

Alter 65: 7%

Stand 31.12.2021

Umwandlungssatz in % 7 6.5 5.5 5

Jahresrente 14’000 13’000 11’000 10’000

Gesamtrente in 16 Jahren 224’000 208’000 176’000 160’000

Wie die Tabelle zeigt, ergeben sich erhebliche Unterschiede, obwohl das angesparte Alterskapital bei allen Beispielen gleich hoch war. Es lohnt sich also bei der Wahl der Pensionskasse diesem Aspekt Rechnung zu tragen.

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Sorgt jetzt. Für später.

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Zwischen Freud und Leid

So optimal die Voraussetzungen für Vermögensverwalter am Finanzplatz Liechtenstein sind, so gross sind die Herausforderungen, die beispielsweise die COVID-19-Pandemie oder der Russisch-Ukrainische Krieg mit sich bringen. Fredy Wolfinger, Präsident des Vereins unabhängiger Vermögensverwalter in Liechtenstein (VuVL), spricht über Freud und Leid eines Vermögensverwalters in Liechtenstein. Text: SW

Herr Wolfinger, Sie sind Präsident des Vereins unabhängiger Vermögensverwalter in Liechtenstein – stellen Sie Ihren Verein doch bitte kurz vor. Fredy Wolfinger: Der Verein unabhängiger Vermögensverwalter in Liechtenstein, kurz VuVL, ist die Interessensgemeinschaft für liechtensteinische Vermögensverwaltungsgesellschaften. Der Verein setzt sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Anliegen des gesamten Berufsstandes ein. Stand Ende 2021 waren in Liechtenstein 98 Vermögensverwaltungsgesellschaften konzessioniert (wovon 89 als Aktivmitglieder im VuVL registriert waren), die insgesamt 648 Mitarbeitende beschäftigten und über 10‘000 Kunden betreuten. Das verwaltete Kundenvermögen (Vermögensverwaltungsmandate, Anlageberatung und Sonstiges) der Gesellschaften betrug insgesamt circa 59 Milliarden Schweizer Franken, etwa die Hälfte davon war bei liechtensteinischen Banken angelegt.

Was sind die Kernaufgaben des VuVL? In erster Linie geht es darum, die Interessen unserer Mitglieder gegenüber der Politik, den Behörden sowie den Wirtschaftsverbänden zu vertreten. Wir organisieren Events für den Informations- und Wissensaustausch sowie zu Schulungszwecken. Weiter unterstützen wir unsere Mitglieder im Hinblick auf die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Pflichten durch die Erarbeitung von Muster-Vorlagen. Zudem liegt uns das Engagement für eine qualitativ hochwertige, branchenspezifische Aus- und Weiterbildung unserer Mitglieder am Herzen. Unser zentrales Ziel ist die Wahrung und Förderung des Ansehens der unabhängigen Vermögensverwalter in Liechtenstein im In- und im Ausland.

Was genau machen unabhängige Vermögensverwalter? Zu unserem Kerngeschäft gehören die Portfolioverwaltung, die Anlageberatung, die Wertpapier- und Finanzanalyse und die Ausführung von Aufträgen im Namen des Kunden. Es ist uns nicht erlaubt, Vermögenswerte unserer Kunden zu halten. Der grosse Vorteil eines unabhängigen Vermögensverwalters liegt darin, dass er nicht an eine bestimmte Depotbank und deren Produkte gebunden ist. Das Bankkonto und -depot lautet dementsprechend auf den Namen des Kunden und liegt, abhängig von seinen Bedürfnissen inklusive der Berücksichtigung des Faktors Kosten, auf der Bank seiner Wahl. Der Vermögensverwalter erhält über eine beschränkte Vollmacht Zugang, um seine Dienstleistungen zu erbringen. Voraussetzung dafür ist eine Bewilligung der Finanzmarktaufsicht Liechtensteins. Knapp 90% der liechtensteinischen Vermögensverwalter verfügen zudem über eine sogenannte Notifikation, um grenzüberschreitende Dienstleistungen in gewissen EU-Staaten erbringen zu dürfen.

Herr Wolfinger, warum sollte jemand ausserhalb Liechtensteins mit seinem Vermögen ausgerechnet zu einem Vermögensverwalter am Standort Liechtenstein kommen? Die Gründe dafür sind vielfältig. Auf der Angebotsseite ist der

Das Fürstentum Liechtenstein ist als ‹sicherer Hafen im Herzen Europas› prädestiniert für die Vermögensverwaltung.

Fredy Wolfinger

Finanzplatz Liechtenstein mit seiner grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit und dem Zugang zu den Wirtschaftsräumen der EU bzw. dem EWR sowie der Schweiz sehr interessant. Dies ermöglicht eine geografisch diversifizierte Vermögensverwaltung. Als Zielländer gelten insbesondere die Nachbarstaaten Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die liberalen Rahmenbedingungen des Finanzplatzes Liechtenstein, die wirtschaftliche und politische Kontinuität und Stabilität und das hohe Mass an Privatsphäre und Rechtssicherheit machen den Standort für anspruchsvolle Anleger höchst attraktiv. Liechtenstein wurde von S&P Global wiederholt mit der Bestnote «Triple-A mit stabilem Ausblick» ausgezeichnet und belegt im Ranking der nachhaltigsten und innovativsten Länder der Welt seit Jahren Spitzenplätze.

Die Kleinheit des Landes lässt zudem eine gewisse Nähe und kurze Entscheidungswege zu, was zu mehr Flexibilität führt. Das Fürstentum Liechtenstein ist als «sicherer Hafen im Herzen Europas» prädestiniert für die Vermögensverwaltung.

Wie hat sich die COVID-19Pandemie auf Ihre Branche ausgewirkt? Die letzten beiden Jahre waren stark von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie geprägt. Die weltweit ergriffenen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie führten zu erheblichen Einbrüchen der Wirtschaft. Unsicherheiten und Ängste wegen Corona und die damit verbundene, extrem erhöhte Verschuldung der Staaten, Unternehmen sowie Privathaushalte brachten zusätzliches Unsicherheitspotential in unsere Branche. Die globalen Finanzmärkte haben sich jedoch trotz allem Negativem in den Jahren 2020 und 2021 sehr gut behauptet und das gesamte verwaltete Vermögen konnte nicht nur gehalten, sondern sogar ausgebaut werden.

Stellt der Russisch-Ukrainische Krieg hierbei eine weitere negative Variable für die Vermögenverwalter dar? Bereits im Januar 2022 haben sich die Aktienmärkte wie auch die Bondmärkte aufgrund der weltweit gestiegenen Inflationsraten sowie der angekündigten Zinserhöhungen insbesondere in den USA nach unten bewegt. Dieser Negativtrend wurde mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine noch verstärkt. Die Auswirkungen der weltweit ausgesprochenen Sanktionen gegenüber Russland, die auch Liechtenstein mitträgt, führen derzeit zu Lieferkettenengpässen, zu Erhöhungen der Rohstoffpreise sowie einer zusätzlichen Ausweitung der Staatsschulden weltweit. Wie genau sich die aktuelle Situation in der Ukraine mittel- und langfristig auf die Inflation, das Zinsgefüge, die Staatsverschuldungen und die globale Entwicklung der Wirtschaft auswirken wird, kann derzeit niemand explizit voraussagen. Diese Ungewissheit macht es für Anleger und Investoren äusserst diffizil. Um Ihre Frage konkret zu beantworten: aktuell bedeutet dies für die Vermögensverwaltungsgesellschaften tiefere Vermögenswerte und demzufolge eine Reduzierung ihrer Portfoliomanagementgebühren.

Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die grössten Herausforderungen für Ihre Branche? Nebst den eben erwähnten zusätzlichen Herausforderungen hinsichtlich der COVID-19-Pandemie und des Russisch-Ukrainischen Krieges, sind es mit Sicherheit die vielen einschneidenden

Die Vermögensverwaltungsbranche in Liechtenstein auf einen Blick (Stand Ende 2021):

• 98 Vermögensverwaltungsgesellschaften (89 davon Aktivmitglieder beim VuVL) • 648 Mitarbeitende • 10’291 Kunden (8’837 davon mit Vermögensverwaltungsmandat) • CHF 59,51 Mrd. total verwaltetes Kundenvermögen (CHF 51,11 Mrd. mit reinen Vermögensverwaltungsmandaten) • CHF 27,99 Mrd. bei liechtensteinischen Banken angelegt • von der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein reguliert und beaufsichtigt • direkter Marktzugang zur EU und der Schweiz • keine Bindung an eine bestimmte Depotbank und deren

Produkte

mehr Infos unter www.vuvl.li

Gesetzesänderungen und Regulatorien. Die Rede ist von den laufenden Anpassungen im Rahmen der Geldwäscherei-Prävention, den neuen Vorgaben bezüglich des nachhaltigen Investierens oder der Implementierung der Vorgaben im Bereich der Informationstechnologie, um nur einige Neuerungen zu nennen. Solche Neuerungen kommen laufend zu den bereits umfangreichen Pflichten eines Vermögensverwalters hinzu. Vor allem für die vielen kleinen Vermögensverwalter in Liechtenstein dürfte es in absehbarer Zukunft immer schwieriger werden, die stetig steigenden personellen, fachlichen wie auch finanziellen Anforderungen zu bewältigen.

Abschliessend ein Blick in die Zukunft, Herr Wolfinger. Wo sehen Sie die grössten Chancen? Der Finanzplatz Liechtenstein bietet mit seinen bereits erwähnten Vorzügen bestimmt auch in Zukunft gute Chancen, sich in unserer Branche hervorzuheben. Ich möchte nur an die liberalen,

Anzeige stabilen und sicheren Rahmenbedingungen in wirtschaftlicher, politischer sowie sozialer Hinsicht erinnern. Wir können uns in Zeiten der Digitalisierung im Sinne von «Denken in Generationen» durch einen langfristigen, generationenübergreifenden und nachhaltigen Vermögenserhalt bestens positionieren. Auch in der Vermögensverwaltung werden fortlaufend neue Technologien und Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung in der Umsetzung von Vorgaben eingesetzt. Entscheidend ist und bleibt für den unabhängigen Vermögensverwalter aus meiner Sicht aber der persönliche Kundenkontakt. Es geht um Menschen, um zwischenmenschliche Beziehungen und um Vertrauen. Die eingangs erwähnten circa 10'000 Kunden aller Vermögensverwalter in Liechtenstein sind mehrheitlich Privatkunden. Was sie – gerade in so unsicheren Zeiten – schätzen, ist das Persönliche, die Kundennähe und die Flexibilität. All das können wir in Liechtenstein bieten.

Gemeinsam stark

VuVL Verein unabhängiger Vermögensverwalter in Liechtenstein

Kirchstrasse 1 Postfach 544 9490 Vaduz T +423 388 23 50 info@vuvl.li vuvl.li

Gedanken zum Krieg in der Ukraine

Der russiche Angriffskrieg auf die Ukraine hat Auswirkungen auf die ganze Welt und natürlich auch auf unser Land – und das in mehrfacher Hinsicht: wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und energiepolitisch. Text: Karlheinz Ospelt

Europa ist aufgewacht: Nur gut zwei Jahrzehnte nach dem Balkankrieg sind wir erneut mit Kriegsmeldungen konfrontiert. Nur wenige haben damit gerechnet, dass Putin seine Drohungen wahr macht und die Ukraine mit einem Krieg überzieht. Viele glaubten an seine Beteuerungen, dass es sich bei den massiven Truppenzusammenzügen lediglich um Militärübungen zusammen mit Belarus handle und dass ein Einfall in die Ukraine eine reine Erfindung des Westens, allen voran der USA, sei. Unmittelbar nach Ende der olympischen Winterspiele in Peking wurde die bittere Wahrheit offenbar.

Die Ukraine ist mit über 605’000 Quadratkilometern das flächenmässig grösste Land Europas, das ausschliesslich im europäischen Raum gelegen ist. Grösser sind lediglich Russland (17’100'000 Quadratkilometer, davon 3’950'000 in Europa), die Türkei (785'000 Quadratkilometer, davon 24'000 in Europa) und Frankreich (645'000 Quadratkilometer, davon 545'000 in Europa). Danach folgen Spanien (505’000 Quadratkilometer), Schweden (450’000 Quadratkilometer), Norwegen (385'000 Quadratkilometer), Deutschland (355'000 Quadratkilometer), Finnland (340'000 Quadratkilometer), Polen (310'000 Quadratkilometer) und Italien (300'000 Quadratkilometer). Russland ist dabei fast viermal so gross wie die Europäische Union.

Sowohl Russland als auch die Ukraine spielen bei der Versorgung Europas eine zentrale Rolle.

Karlheinz Ospelt

und mit rund 44 Millionen, vergleichbar mit Spanien. Grösser sind nur Russland (104 Millionen Einwohner im europäischen Raum), Deutschland (85 Millionen), das Vereinigte Königreich (67 Millionen), Frankreich (65 Millionen) und Italien (60 Millionen).

Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP), dem Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistungen, die während eines Jahres innerhalb eines Landes als Endprodukte produziert werden, relativiert sich sowohl für Russland als auch für die Ukraine deren Grösse und Bedeutung: Russland verzeichnete 2020 ein BIP von rund 1’500 Mia. USD und liegt somit zwischen Italien (rund 1'900 Mia. USD und Spanien (1'300 Mia. USD). Die Ukraine wies 2020 ein BIP von 155 Mia. USD aus, also rund zehnmal geringer als das BIP von Russland. Im Vergleich zu Russland und der Ukraine zeigt sich eine grosse Lücke, wenn man die Stärke der USA (21'500 Mia. USD), Chinas (15'000 Mia. USD) sowie Deutschlands (3'700 Mia. USD) heranzieht.

DAS ATOMARE POTENZIAL Im Krieg stellt sich unmittelbar die Frage nach der Schlagkraft einer Armee. Zu den Atommächten gehören gemäss Wikipedia Russland, die USA, Grossbritannien, Frankreich und China, ferner Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Über 90 Prozent aller Atomwaffen sind im Besitz Russlands und der USA.

Während Russland mit rund 6'250 die meisten Atomsprengköpfe sein Eigen nennt, musste die Ukraine darauf verzichten und gab 1996 die letzten der rund 5'000 dort stationierten Atomwaffen an Russland ab – gegen das Versprechen zahlreicher Staaten, dafür einen Schutzstatus zu erhalten.

Mit dem Budapester Memorandum verpflichteten sich 1994 die USA, Russland, China, Frankreich, Grossbritannien und Deutschland, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu garantieren, wenn die Ukraine im Gegenzug auf den Besitz von Nuklearwaffen verzichten würde. Gleiches wurde Weissrussland und Kasachstan zugesichert. Dieses Versprechen wurde am 9. Dezember 2009 in einer gemeinsamen Erklärung von den Präsidenten der USA und Russlands, namentlich Obama und Medvedev, erneuert.

Aus heutiger Sicht geradezu sarkastisch wurden 1996 von den Verteidigungsministern der USA, Russlands und der Ukraine

Sonnenblumen in der Ukraine gepflanzt, wo vorher die Atomraketensilos standen. Der US-Verteidigungsminister wird mit den Worten zitiert: «Sonnenblumen statt Raketen in der Erde werden Frieden für künftige Generationen sichern».

«Am 15. April 2021 drohte der ukrainische Botschafter in Deutschland öffentlich, sein Land müsse aufrüsten – eventuell auch mit Atomwaffen –, um sich gegen Russland zu verteidigen, wenn die Ukraine nicht bald Mitglied der NATO werde» (Quellen: Lars C. Colschen, FAS, Kyiv Post AP, Spiegel).

DIE KONVENTIONELLE STÄRKE Für die Stärke der konventionellen Armee lässt sich neben den eigentlichen Zahlen an Flugzeugen, Panzern, anderem Kriegsmaterial und nicht zuletzt der Anzahl Soldaten vor allem die jährliche Rüstungsinvestition als Vergleich heranziehen. Dort zeichnet sich weltweit ein klares Bild ab: Während die USA 2018 rund 650 Mia. USD oder 3,2 Prozent des BIP für das Verteidigungsbudget vorsahen, waren dies bei China 250 Mia. USD oder 1,9 Prozent des BIP und bei Russlands 61 Mia. USD entsprechend 3,0 Prozent des BIP. Damit ist der Verteidigungsetat Russlands 2018 vergleichbar mit Frankreich, Saudi-Arabien und Indien, während das Vereinigte Königreich und Deutschland direkt dahinter mit rund 50 Mia. USD (1,8 bzw. 1,2 Prozent des BIP) aufgelistet werden. (Quelle: Wikipedia)

ENERGIE UND NAHRUNGSMITTEL Sowohl Russland als auch die Ukraine spielen bei der Versorgung Europas eine zentrale Rolle. Während Russland neben Weizen vor allem für seine Gas-, Öl- und Kohlelieferungen bedeutend ist, hat sich die Ukraine als Kornkammer Europas einen Namen gemacht. Beide Länder gelten mit einem Anteil von rund 30 Prozent als die weltweit bedeutendsten Weizenproduzenten. allem aber für Afrika von Bedeutung, weshalb der Krieg auch enorme Auswirkungen auf die Versorgung Europas hat. Bekannt wurden inzwischen deutsche Engpässe bei Sonnenblumenöl, weil die Ukraine durch den Krieg beeinträchtigt wird, ihre Exporterzeugnisse zu produzieren und vor allem zu exportieren.

Neben Ausfällen von wichtigen Gütern machen Europa die Flüchtlingsströme zu schaffen. Trotz der hohen Bereitschaft Polens und aller Nachbarstaaten der Ukraine, Flüchtlinge unbürokratisch aufzunehmen und zu unterstützen, wird die schiere Anzahl Europa für viele Jahre beschäftigen.

DIE RUSSISCHE ISOLATION Der Angriff Russlands hat die Welt verändert. Anlässlich der Abstimmung in der UN-Vollversammlung sah sich Russland völlig isoliert. 141 Staaten nahmen Anfang März eine Resolution an, die Russland zum Ende des Angriffs auf die Ukraine auffordert. Lediglich vier weitere Staaten (Belarus, Syrien, Nordkorea und Eritrea) unterstützten Russland und stimmten gegen die Resolution. Enthaltungen gab es von 35 Staaten. Zu dieser Dringlichkeitssitzung war es gekommen, weil der UNO-Sicherheitsrat handlungsunfähig war, nachdem Russland sein Veto eingelegt und sich China der Stimme enthalten hatte.

Wie unfähig die Welt und die UNO sind, sich gegen Krieg zur Wehr zu setzen, wenn eine der Vetomächte involviert ist, zeigte sich einmal mehr. Allen Beteuerungen und Bemühungen im Vorfeld zum Trotz, ist offensichtlich, dass der Überfall einer Weltmacht auf einen anderen Staat auch im 21. Jahrhundert nicht durch militärischen Beistand der anderen Staaten verhindert wird. Das militärische Bündnis der NATO, ein Nichtangriffsbündnis, schützt nur seine Partner. Der aktuelle Vorstoss Liechtensteins, in der UNO eine Änderung zu erringen, ist von Bedeutung für die Zukunft.

Für die Ukraine bedeutet die mehrfache Ablehnung des Beitritts zur EU und zur NATO, dass sie heute, wie andere Nachbarländer Russlands, namentlich Moldawien, nicht auf das militärische Einschreiten der Staatengemeinschaft zählen kann.

SOLIDARITÄT MIT DER UKRAINE Es ist hingegen bemerkenswert, wie die Ukraine und deren Präsident und Exponenten weltweit Sympathien erlangt haben und dadurch nicht nur finanziell und mit Waffenlieferungen unterstützt werden, sondern auch Russland mit umfangreichen Sanktionen belegt wurde und wird. Trotz der militärischen Übermacht Russlands konnte die Ukraine bislang mit der Unterstützung Europas, der USA, Kanadas, Australiens, Japans und vieler anderer Länder erfolgreich Widerstand leisten. Dennoch: Realistisch betrachtet wird die Ukraine einen hohen Preis bezahlen. Zahlreiche Menschenleben – darunter auch viele Zivilisten –, zerbombte Städte und Infrastrukturen werden zu beklagen sein. Während der Aggressor von den Sanktionen sowie einem wirtschaftlichen und politischen Desaster betroffen ist, wird es für die Ukraine zu einem langen Kampf ums Überleben.

KONSEQUENZEN Für Europa stellen sich Sicherheitsfragen, die Frage nach funktionierenden Lieferketten in einer viel zu globalisierten Welt und die Frage einer raschen Veränderung der Energieversorgung. Während Liechtenstein sich bei Sicherheitsfragen nur durch Vorstösse wie in der UNO aktiv beteiligen kann, müssen auch wir uns primär darum kümmern, wie die Abhängigkeit bei der Energieversorgung stark reduziert und die Diversifizierung gestärkt werden kann. Der LGV-Gaspreis ist innert Monaten von 2,6 auf 7,9 Rappen pro Kilowattstunde oder um 204 Prozent gestiegen. Heute sind wir von deutschen und somit russischen Gaslieferungen abhängig, die Versorgung mit Elektrizität ist genauso wenig unabhängig und mit der Nahrungsproduktion sähe es in Krisenzeiten sicher nicht weniger bedenklich aus. Glücklicherweise könnten wir für einige Zeit wohl auf die wirtschaftliche Landesvorsorge der Schweiz vertrauen, wozu wir jährlich rund CHF 0.5 Mio. beitragen. Für wichtige Nahrungsmittel gilt das Stichwort Notvorrat. Und nicht zuletzt sind wir mit dem Schweizer Franken und seiner geringeren Inflationsrate zum Vorjahresmonat (2,4%) gegenüber USA (8,5% wie zuletzt in den 80-er Jahren) und Deutschland (7,4%) noch äusserst gut bedient.