HOW TO #3 - Clown

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HOW TO magazine

www.howtomag.com Das kritische Themenmagazin HOW TO clown

ISSN 1864-8614

HOW TO magazine Ausgabe #3

April 2008

Das HOW TO magazine erscheint halbjährlich

Ausgabe #

# Verkaufspreis: 8 € www.howtomag.com


Tim Klinger

Aishah El Muntasser Daniel Sommer Inhaberin der 1. professionellen Spaßagentur Deutschlands, Berlin

Fotograf, München, danielsom mer.eu

Maximilian Geuter

Björn Siebert

Fotograf, München, maxgeuter.com

Jasmin Sidki

ist Doktorandin der Erziehungswissenschaften und pendelt derzeit zwischen Heidelberg, Frankfurt und Leipzig

Inge Bell Journalistin & Aktivistin, Leipzig, ingebell.de

Friso Spoelstra Fotograf, Amsterdam, frisospoelstra.com

Angela Kobelt ist Theaterwissenschaftlerin, arbeitet zur Zeit als Erwachsenenpädagogin und lebt in Leipzig

Sandra Benz Vera Warter Designerin, Mainz

Designerin, München, verawarter.de

Marcus Sidki

Subprime-Kredite-Strukturierer und Doktorand, Heidelberg, Frankfurt, Gießen

Sebastian Klug Texter & Autor, München, sebastianklug.de

Mike Kroiss

Werber & Autor, München, mikekroiss.com

Sabine Skuhra

Hair & Make up Artist, München, sabineskuhra.com «

Illustration von Rosa Pegam

Thomas Satori

Fotograf, Leipzig, bjoern-siebert.de

München

fantastische

Rosa Pegam Illustratorin, Bochum

Mathias Keswani

Jasmin Sidki

München www.saintelmos.com

Texter, Hamburg

Lars Reyer

Leipzig Frankfurt Heidelberg

Autor, Leipzig

Alex Leask

Texter und Trinkhallenautonomer, Frankfurt a. M.

Bizau, Österreich www.ediths.at

Sandhausen www.klinger-kollegen.de

Seevetal

Tilman Glatz Lukas Breitkreutz

Leipzig, dreizweidrei.de

LEKTORAT Margrit Siebert

Berlin

Ingo Linde Leipzig

Alex Leask Frankfurt

Leipzig, bjoern-siebert.de

Das HOW TO magazine erscheint halbjährlich. Nächste Ausgabe HOW TO stalker, Oktober 2008

Grafiker, Heidelberg, mostwantedmag.de

Palma de Mallorca, Spanien www.heavenmustwait.com

Max Hathaway

HOW TO clown Ausgabe #3 ISSN 1864-8614 Herausgeber: Tim Klinger Zschochersche Str. 79b, 04229 Leipzig Gestaltung und Satz: MEAN DESIGN, Leipzig, meandesign.com Posterdruck: Druckcooperative, Karlsruhe, druckcoop.de Poster und »Buchpack«-Veredelung: flock-in GmbH, Wiesloch, flock-in.com Magazindruck: Druckerei Friedrich Pöge e.K., Leipzig Aufl age: 750 Stk.

Grafiker, Heidelberg

Sebastian Moll

freier Journalist,lebt in New York und bei Frankfurt a. M., sebastianmoll.de Wiesloch www.flock-in.com

Ludwigshafen Mannheim

ist in Marseille, Frankreich aufgewachsen und arbeitet als freier Fotograf, spezialisiert auf Reportage- & People- Fotografie, Hamburg, fidelito.de

© 2008 bei den Autoren © 2008 beim Herausgeber, Leipzig www.howtomag.com Alle Rechte vorbehalten. Eine Verwertung der urheberrechtlich geschützten Beiträge, insbesondere durch Vervielfältigung, Verbreitung auch in elektronischer Form, sowie Speicherung in Datenbanksystemen bzw. Inter- oder Intranets ist ohne vorherige Zustim mung unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes ergibt.

2 x Goldstein

Grafik-Designer Duo, Karlsruhe, 2xgoldstein.de Namen in Reihenfolge des Auftritts. Informationen von den Autoren selbst, ohne Gewähr!

Leipzig, dreizweidrei.de

Leipzig

Heidelberg

Julien Bataillet

Franziska Becker Aishah El Muntasser Susanne Keuschnig Katja Preil Björn Siebert

Oberursel www.dengler-online.de

Haftungsausschluß: Trotz sorgfältiger inhaltlicher Kontrolle übernim mt der Herausgeber keine Haftung für den Wahrheitsgehalt der ausgewählten Beiträge. Auch spiegelt der Inhalt der Beiträge nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wider.

Die Mitarbeiter der flock-in Gmbh speziell Alletto Rothhaar und Sinan Karadas Uwe Hollmichel von der Deutschen Bank Matti Dengler von der Karl Dengler GmbH, Oberursel Edith Gmeiner von ediths, Bizau Philipp Baier von Heaven Must Wait, Palma de Mallorca James Tigger! Ferguson, New York Sonja Grimm, München Vera & Dieter Harsch von der LLC Harsch GmbH, Mannheim Peter Shub, Hannover


*Frei übersetzt nach Dimitris Stück von 1978: »Il Clown è morto, evviva il Clown!«

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Miesepeter, willkommen bei Ausgabe #3 des HOW TO magazine. Auch dieses Mal erwartet Sie ein rauschendes Fest für die Sinne. Machen Sie es sich ruhig schon einmal bequem, Sie halten es bereits in Ihren Händen. Heute werden Sie nur einen unserer speziellen, einzigartigen zirzensischen Künstler sehen – nicht Seiltänzer, Artisten, Äquilibristen, Schlangenmenschen, Jongleure oder Dompteure; keine Messerwerfer, Kunstreiter, Wahrsager, Hungerkünstler, Taschenspieler, Schnell- und Silhouettenschneider, Preisringer, Moritatensänger, Leierkastenleute, Akkordeonspieler, Schnellläufer, Murmeltier-Dresseure; weder Guckkästner noch so genannte Missgeburten: nicht Kleinwüchsige, Haarmenschen oder Riesendamen. Wir präsentieren Ihnen heute allein den König der Unterhaltung – meine Damen und Herren, machen Sie Platz für … den Clown. Sie dachten der sei tot? Da haben Sie gar nicht so Unrecht. Doch für Sie haben wir ihn wieder aus der Bedeutungslosigkeit herausgeholt. Weiß und leblos war er. Doch gleich werden Sie ihn zum neuem Leben erweckt, in den buntesten Facetten, live in der Manege begrüßen dürfen. Schauen Sie noch kurz ins umseitige Programm und dann Applaus für den Kaiser der Kasper, den Lord der Lacher, den einzig Wahren!

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Der Zirkusdirektor und seine Mannschaft freuen sich darauf Sie bei Ausgabe #3 begrüßen zu dürfen.

&

Ein Interview von Aishah El Muntasser mit dem New Yorker Artisten James Tigger! Ferguson, der Erfi nder des Burleske-Strip-Charakters Tiggo! Bebildert von Maximilian Geuter.

Jasmin Sidki folgt den Spuren des Clowns, die tief in die Geschichte und in andere Kulturen zurückgehen.

,Armee Ein Material, das zum größten Teil aus Abfallstoffen besteht und in der militärischen Hospitaltechnik genutzt wurde, fi ndet seinen Weg zum Karneval. Die Geschichte, wie es dann wieder zurück zum Militär kommt, erzählt Angela Kobelt. Sandra Benz und Vera Warter präsentieren Illustrationen.

IN DIESEM HEFT:

das Plakat von 2 x Goldstein; dazu bleibt zu sagen:

„Viel Aberglauben man jetzt braut; Aus Sternen man die Zukun schaut; Ein jeder Narr fe≠ darauf baut.“ Zitat von Sebastian Brant (*1457 – †1521) aus: Das narren schyff / LXV. vö achtung des gestirns. Basel 1494.

Clown mal ganz anders: die Geschichte über eine clownhaft geschminkte pomakische Braut, die sich nach der Hochzeit nicht nur das weiße Gesicht abschminken muss. Ist nicht witzig, aber nun mal so. Von Inge Bell mit Fotos von Friso Spoelstra.

Böse sein leicht

Seite ab Seite Marcus Sidki spricht mit dem republikanischen Skandal-Clown und Lobbyist über Nutten, Geld und einen sehr harten aber ehrlichen Lebensstil .

In 10 Schritten vom netten Kerl zum bösen Clown. Nach einer Idee von Mike Kroiss, von ihm selbst gespielt, von Sabine Skuhra maskiert und von Daniel Sommer abgelichtet.

Anzeigen im HOW TO magazine

Initiiert von Sebastian Klug mit Beiträgen von: Betti Trum mer, Marian Masa, Vera Warter, Vanessa Zoe Nikolidakis, Aishah El Muntasser, Stefi Fuchs, Julia Hundt, Michael Mohr, Moritz Eckert, Patrick Saam, Ronald The, Christa Frings, Christina Leucht, Susen Gehle, Jörg Sappl und natürlich Sebastian Klug


Mathias Keswani über einen kleinen Kreis von Menschen, denen man alles durchgehen lässt und Frank Zappa, der für ihn DER Clown schlechthin ist. Das Ganze illustriert von Rosa Pegam.

Eine beinahe vergessene schulische Präsenz fi ndet seine Renaissance im Fernsehen. Dass es in Wahrheit keine Renaissance, sondern die One Man Show eines Dinosauriers ist, erzählt uns Lars Reyer.

Was macht ein Clown mit einer Rolle Tesafilm?

Dieser Frage gehen Tilman Glatz,

Lukas Breitkreutz, Wolf Müller & Max Hathaway nach.

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Dass sich 2005 in Gleneagles, Schottland, nicht der aktivistische Flügel des Kölner Düxer Clowns e.V. getroffen hat, weiß Alex Leask und erzählt uns, was sich aus dem lustig anmutenden Haufen mit den roten Nasen entwickelt hat.

Ein Interview von Aishah El Muntasser mit dem Starclown Peter Shub über Balance und gesundes Gestörtsein.

Entladung

Ein Artikel von Sebastian Moll über Krumping und Clowning – eine gewaltlose Fortsetzung des Hip Hop in einer universellen Körpersprache.

Björn Siebert über Ronald McDonald, Pennywise sowie weitere bekannte und leider weniger bekannte clowneske Charakter und ihre teils perversen Auftritte.

Ekstase

Wichtiges in Kürze.


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You say you can‘t imagine life without performance. When did you start performing? I can‘t imagine life without performance in part because I can barely remember when I didn‘t perform. I started in Christmas pageants at church when I was 5 years old and never stopped. Being on stage really makes me feel alive, reminds of who I am and what I am doing with my life.

How do you interact with the audience? My interaction with the audience is pretty direct and aggressive. It ranges from ranting on the microphone to stage diving onto them, to leaping out among them and grabbing a face and kissing it.

How do people typically react? Reactions have varied widely over the years. Because I strip in burlesque revues that are primarily female, I‘m used to some straight men in the house getting very uncomfortable when they see me take the stage. I find that I can usually win them over with humor and with balls. If they can laugh, they‘re more comfortable and open to surprises. Several have acknowledged a grudging respect for my having the balls to do things they would never do in a million years. Like making a comedy out of my naked body. The usual audience response is eventually screams and laughter and the occasional “What the fuck … just happened?” They forgive a lot from me because I‘m so willing to make a complete ass of myself.

You‘ve been tagged, among other things, “Performer Most Likely to Get Shut Down by the Law”. What does that tell us about your artistic style – and about the purpose of your performance? 24 years ago my style was called “Search and Destroy”. I‘ll stick with that description. The purpose of my performance is first to entertain, then to surprise and to challenge. But to challenge without any entertainment just doesn‘t work. We‘ve all suffered through those kinds of shows.

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One of your stage characters is “Tiggo! the Traumatized Clown”. What made you choose the clown figure? And why is Tiggo! traumatized?

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“Tiggo! the Traumatized Clown” came about because of a visual artist friend in New York, Mr. Means. He had an art opening and wanted to have performer friends dressed up as clowns in the gallery for the opening, interacting with the patrons. He showed me some random bits of clown gear to choose from. I always look for what is wrong with any of my characters. As soon as I saw the two big right ears, I knew they were for Tiggo. Mr. Means apologized that he didn‘t have right and left ears, but I said, No. This is perfect. Perfectly wrong. The ears led to his hearing problem, which led to his stress and his yelling at random moments (think Tourette‘s syndrome), and to his being jumpy and paranoid. Once I brought him out of the gallery and into nightclubs and strip shows, it just made sense that he had a horror of being touched or even being looked at. At the same time, he has the same needs we all do. Thus his mantra – “Fuck me! Don‘t touch me! Fuck me! Don‘t touch me!” He is a painfully reluctant stripper and awkward go-go dancer. This made sense to me in the New Burlesque where there the focus is almost exclusively on stripping and there is little room for the oldtime clowns and baggy-pants comics. I wondered just how badly a fucked-up clown might cope with being forced to strip because that‘s my world.

What‘s the essence of a clown to you? Clowns are about exaggerations of human emotions and predicaments. All of their emotions are extreme, but they are very real. Their manic happiness, their suicidal melancholy, their mortifying embarrassment … They hold up a mirror to the audience, but it‘s a funhouse mirror – magnifying and distorting real human conditions.

Were you ever traumatized by a clown? I‘ve never felt traumatized by clowns. Some of the Emmett Kelly types used to make me very sad as a kid, but I never minded sadness if it was beautiful. Most little gay boys understand that, whether it‘s old movies or opera or just sad songs on the radio.

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Have you ever had experiences with coulrophobic people? Several audience members have told me how much clowns disturb them or bother them. They usually appreciate that Tiggo! is clearly more freaked out by them than vice versa. But no one has admitted to a genuine coulrophobia. I imagine those people aren‘t likely to come up and chat with the clown after the show.

Phobic feelings left aside, why do you think do many people dislike clowns or, to say the least, feel really uncomfortable in their presence? People are uncomfortable with clowns for a variety of reasons. There is admittedly something odd about the kind of people who choose to do this with their lives. Their extreme looks as well as their extreme emotions. Also, their need for laughter can be intimidating or just depressing to people. I‘m personally fi ne with clowns but very uncomfortable in stand-up comedy clubs. The empathy is just too much for me. I get completely naked on stage all the time, but I use characters. To just get up there as yourself and tell jokes and be so nakedly desperate for laughter? That kind of nakedness makes me cringe.

Where in society is space for the clown? Society needs clowns for its psychological survival. People need to be able to laugh at themselves and should always distrust people who cannot or will not do it. They also need to experience their fears and sorrows and pain in a way that lets them stand apart from them … and laugh at them. Clowns will have to keep changing their drag, just like they always have, but they will always be around.

Tigger! not only fired back at us his answers in a blink of an eye, he also gave his full permission to do with it whatever we wanted to. We would have liked to edit, cut and paste, and manipulate, but the “taboo defying dynamo” is just good like that. Sweet and eloquent. AND he loves Germany. United States, it‘s not too late:

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ndlich ist es raus: Clowns sind nicht witzig. Clowns sind eigentlich eher nervig, wenn nicht sogar zum Fürchten. Das hat gerade zumindest die Sheffield Studie festgestellt, die Kinder im Alter zwischen 4 und 16 Jahren über die optische Gestaltung von Kinderstationen befragte. Danach gruselten sich viele vor den bildhaften Darstellungen der Clowns und wünschten sich lieber Bilder von Comicfiguren oder Fußballspielern an der Wand. Im ersten Moment können viele, wie auch ich, dies sicher bestätigen. Da kommen irgendwelche Typen daher, malen sich bescheuert an und machen schlechte Witze, oft auch auf Kosten anderer. So weit, so gut. Ein kleiner Zweifel, dass diese Meinung vielleicht ein bisschen zu kurzsichtig sei, weckt ein leises Interesse an dieser Gestalt. Und das wirft Fragen auf wie: Was ist das eigentlich - ein Clown? Was steht hinter diesem Begriff? Welcher Sinn und welche Bedeutung stehen damit in Verbindung? Irgendetwas muss es geben, das erklärt, warum die Figur des Clowns in der Philosophie, der Sozialwissenschaft und Ethnologie, wie natürlich auch in der Theater-, Kunst-, Film- und Literaturwissenschaft immer wieder auftaucht. Auch Walter Benjamin und Theodor W. Adorno befassten sich mit der Figur des Clowns. So bezeichnet Benjamin ihn als den »Meister der abstrakten Physis«. Und das Lexikon sagt über den Begriff Clown:

[klaun; englisch, »Tölpel«] Spaßmacher, Hanswurst; ursprünglich die lustige Figur in englischen Bühnenstücken der Shakespearezeit, in der sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts Elemente der englischen Panto-

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mime, der italienischen Harlekinade und der Akrobatik mischten; in Zirkus und Varieté entwickelten sich unterschiedliche Typen, z. B. Sprechclown, Dressurclown, Musikclown. So ist dieser Artikel ein Versuch, den Spuren des Clowns zu folgen und ein bisschen mehr zu erfahren über diese vielfältige und widersprüchliche Figur:

1 Fried (2003), Faszination Clown, S. 22

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Begriffsgeschichtlich hat das Wort Clown verschiedene Ursprünge. Nach einigen Quellen geht der Begriff auf die Manegenkomik zurück. Unter Claude der Bauer gab es im 18. Jahrhundert humoristische Kunstreiterparodien, die das Publikum belustigten. Aus dem französischen Wort für Bauer colon und dem Namen Claude soll durch eine Lautmischung der Begriff claune entstanden sein. Eine erste Reitparodie unter diesem Namen ist auf das Jahr 1817 zu datieren. Es wird angenommen, dass sich hieraus im Englischen das Wort Clown entwickelte, das sich später zu einer Bezeichnung für die Manegenkomiker auch in anderen Sprachen etablierte. Der Begriff colon stammt aus dem Lateinischen von colonus. Eine Wortbedeutung hierfür ist Kolonist, dessen Eigenschaften interessante Assoziationen aufweisen. Denn Neuland entdeckt der, der aus der überschaubaren und gesicherten Gemeinschaft auszubrechen vermag. Das Unbekannte, das Neue findet sich durch das Ausbrechen aus den altbekannten Normen und Regeln, dem Hinterfragen der Werte und Traditionen und dem Bruch mit dem Eigentlichen. Eine weitere etymologische Erklärung des Begriffs Clown weist auf den Ursprung im Theater zur Zeit von Shakespeare hin und teils Früher. Der Begriff Clown stand hier bereits schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts für eine komische Bühnenfigur. Man denke an Shakespeares Sommernachtstraum und die darin auftauchende lustige Truppe von Handwerkern, in Hamlet an die Totengräber oder an den Spaßmacher Lancelot Gobbo im Kaufmann von Venedig. Wieder andere Quellen verweisen auf das spätmittelalterliche England, wobei der Clown als Synonym für eine alltagssprachliche und abfällige Bezeichnung von Personen steht, deren Verhalten nicht den damaligen Vorstellungen entsprach. Im Deutschen ist dies gleichzusetzen mit dem Begriff Tölpel oder Bauerntrampel. Daraus soll sich später der Oberbegriff für Schauspieler entwickelt haben, die auf der Bühne versuchen, durch rüpelhaftes Verhalten Komik gezielt herbeizuführen. Daraus begründet sich die Bezeichnung von Personen, Narren und lustigen Figuren als Clowns auf der Bühne und auch im alltäglichen Leben.

So weit die begriffsgeschichtlichen Ursprünge in Europa. Auch in anderen Kulturen finden sich clowneske Figuren. Doch ist dort die Rolle des Clowns nicht allein die eines Spaßmachers und Komikers, sondern er besitzt auch eine soziale Funktion. Das Infragestellen von Normen, das Durchbrechen von Regeln soll den Blick öffnen für das Andere, das Gegenteilige. Er stellt sich dem Heiligen und Unantastbaren gegenüber. Er steht für den Gegensatz, der ebenso Bestandteil einer gesellschaftlichen Einheit ist. Bei einigen Natur- und Stammesvölkern steht der Clown in Verbindung mit religiösen Ritualen. Chühü’wimkaya nennt man die Clowns der Hopi Indianer. Während der heiligen Tänze sorgen sie für Unruhe und Chaos, indem sie scheinbar den Verlauf des Rituals stören, respektlos das Heilige und Geistige verspotten und sich alle Freiheiten herausnehmen, um zu belustigen und anzuecken. Der Clown der Indianer mit all seinen vielfältigen Erscheinungsformen gilt als Gegenteiler zu den Stammesheiligen. Ihm kommt die Funktion zu, sich der religiösen Ordnung und den heiligen Würdenträgern entgegenzustellen, an der Stammesordnung zu rütteln und Verabsolutierung des Göttlichen entgegenzuwirken, Dabei betont er das Andere und die Wirklichkeit, die nicht nur den Regeln und Bestimmungen der Heiligen und Priester gehorchen. Er verweist das Geistliche auf den Boden der Realität, wendet sich gegen die Allmacht der Religion. Rituale und Zeremonien werden dadurch transparent gemacht. Denn auch sie sind nur von Menschen geschaffen worden. In diesen Kulturen wird Ganzheit durch die gleichzeitige Existenz zweier Pole definiert – Gegensätze bilden eine Einheit, denn Dasein ist immer auch widersprüchlich. Oder anders gesagt: Die Gleichzeitigkeit von Würdevollem und Lächerlichem, von Humor und Ernsthaftigkeit ist die wahre Interpretation von Wirklichkeit. »Bei den Indianern«, so schreibt Anette Fried, »begegnen wir dem Clown in seiner ursprünglichsten Form«1. Er will vor starrer Norm, Routine und Konformismus bewahren und an die Vielfalt und Lebendigkeit des Alltags erinnern. Das Lachen öffnet das Bewusstsein, reinigt und befreit die Seele und das Herz von Angst und Misstrauen. Die historischen Spuren des Clowns lassen sich in Europa weniger bruchlos zurückverfolgen. Der Clown als Gegenteiler zu Heiligem, Herrschaft und religiöser Unberührbarkeit


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