German Garb — Konzept und Hintergrund

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German GarbŽ — Never Hesitate Konzept und Hintergrund



German Garb® — Summer MMXII  Konzept und Hintergrund

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»Die Dinge sind nicht nur die Dinge. Sie sind mehr als der Stoff, aus dem sie sind.«

Michael Landy



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Inhalt

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Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Der Hipster als Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Der Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Hidden References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Die Inszenierung im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47


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Abstract

Abstract —

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Mode ist Kommunikation. Jedes Kleidungsstück trifft eine Aussage. Welche das ist, hängt nicht nur von Schnitt und Stofflichkeit ab. Viel wichtiger ist oft, von wem, wie und in welchem Kontext Mode getragen und gezeigt wird. In einem Experiment am eigenen Geschmack versucht der Autor sein persönliches ästhetisches Empfinden zu täuschen und nachhaltig zu manipulieren. Eingebunden in die Inszenierung eines selbstbewussten Fashionlabels werden Dinge aus dem geschmacklichen Abseits zu Trend-Ikonen stilisiert. Die offensive Marke als Bühne und Katalysator für eine ästhetische Transformation der Dinge.

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Krawatten vom Flohmarkt / 3 € für 10 Stück


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Vanitas Silk Tie Duo »Bloomed and Rotted«, by Helmut & Helmut 9


Bildquelle: www.mitchieville.com

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Hintergrund  Der Hipster als Forschungsfeld

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Der Hipster als Forschungsfeld — »Röhren-Jeans, überdimensionale Hornbrillen, Schnauzbärte und Stoffbeutel gehören zum modischen Kanon der Hipster. Hinzu kommt der kulturelle: Klaus Nomi, Slavoj Zizek, Terry Richardson und uralte Computerspiele. Den Hipster trifft man vorzugsweise auf Flohmärkten, in Galerien und Läden für obskure Kunst- und Literatur-Magazine und natürlich auf der Website Facehunter.« 1 Mit dem Hipstertum der Nullerjahre bildet sich um 1999 eine modische Subkultur heraus, die in der öffentlichen Wahrnehmung polarisiert obwohl oder gerade weil sie ohne inhaltlichen Kern funktioniert. Statt über politische Parolen und revolutionäres Gedankengut definieren sich Angehörige dieser schwer zu begrenzenden Gruppe ausschließlich über Äußerlichkeit, Gebaren und Lifestyle. Die vorgeblich konsumkritische Haltung entpuppt sich bei genauerer Betrachtung schnell als kosmetisches Alibi, denn der Hipster konsumiert stetig, achtet auf distinguierten Geschmack und verlagert seinen Konsum lediglich auf solche Güter, die nicht gleichzeitig auch bei der breiten Masse beliebt sind. 1 ZEIT Online — »Hipster, hör‘ die Signale!«, Johannes Thumfart, 2011

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Bildquelle: www.bite.ca

Die Intention dabei ist nicht der kritische Verzicht, sondern vielmehr die ständige Jagd nach Originalität, welche als das eigentlich einende Merkmal der Hipstergemeinde anzusehen ist. Die große Sehnsucht nach Individualität und Besonderheit jenseits vom Mainstream führt zu einer Art modischem Wettrüsten um den ausgefallensten Style. Dieses findet in Secondhand-Shops und auf Flohmärkten ebenso statt wie in Geheimtipp-Boutiquen und den Filialen amerikanischer Modeketten. Ausgetragen wird der Kampf um die Einzigartigkeit schließlich in Szenecafés, auf Modeblogs, bei Vernissagen und Partys. Es geht hier also nicht wie beim Punker um einen gemeinsamen Kleidercode, der eine ganze Gruppe gegen den Rest der Gesellschaft abgrenzen soll, sondern um die Herausstellung der besonderen Eigenart des Einzelnen. In diesem Sinne wird in großem Umfang gesampelt und nach allem gegriffen, was einen Bruch im Alltäglichen verspricht. Der so entstehende Hipsterstyle besteht entweder aus Reinszenierungen bereits überwundener Trends oder bedient sich betont unmodischer Elemente, die aus anderen Zusammenhängen entlehnt und durch den Eingang ins Hipstertum zum plötzlichen Kult stilisiert werden.


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Hintergrund  Der Hipster als Forschungsfeld

Diese scheinbar willkürlichen Prozesse der Transforma­tion – vom Altmodischen zum Trend, vom Lächerlichen zum Ironischen, vom hässlichen Müll zum attraktiven Trash – bilden das Forschungsfeld für diese gestalterische Auseinandersetzung. Dabei wird nicht nach abschließenden Antworten sondern vielmehr nach interessanten Fragen gesucht. Fragen nach der Relativität des Geschmacks, den Mechanismen der Mode und der Macht der Inszenierung.

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Polohemd aus dem Obdachlosenkaufhaus / 1,50 â‚Ź


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T-Polo BX35 Series Bananawhite, Triple Taste Candystripes, by Henry Lanois 15


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Kann schlichtweg alles zur Mode werden, wenn es nur jemand 체berzeugend genug zur Mode erkl채rt?


Hintergrund  Die Fragestellung

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Die Fragestellung — Was am Hipstertum fasziniert, ist die unverhohlene Originalität um der Originalität willen, das Streben nach Individualität ohne den Ballast inhaltlicher Konvention. Es geht nicht darum sich religiös, politisch oder musikalisch abzugrenzen, es geht schlicht darum, sich vom Rest abzugrenzen, und um jeden Preis etwas ganz Besonderes zu sein. Ob der Hipster damit die oberflächlichste oder vielmehr ehrlichste Subkultur aller Zeiten darstellt, ist eine interessante Frage, die aber hier nicht weiter beleuchtet werden kann. Stattdessen wird das Hipstertum im Kontext dieser Arbeit als beschleunigter Mikrokosmos modischer Trendschöpfungsprozesse betrachtet. Im Hipsterstyle findet sich eine große Varianz verschiedenster Einflüsse und Elemente, die in kürzester Zeit ihrem ursprünglichen Kontext entwunden wurden und dann in neuem Zusammenhang Eingang in den modischen Kanon der Hipster gefunden haben. Die geringe Nachvollziehbarkeit dieser Prozesse, ihre oftmals fehlende inhaltliche Deckung und die scheinbare Willkür, mit der Dinge im Hipstertum zur Mode erhoben werden, legen die Frage nahe, ob nicht eigentlich alles, ganz gleich worum es sich handelt, zur Mode werden kann, wenn es nur jemand überzeugend genug dazu erklärt?

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18 Diese Fragestellung bildet – um die folgenden drei Thesen ergänzt – den Kern dieser Arbeit.

1 Nicht das Kleidungsstück selbst ist entscheidend für das modische Potential, sondern wie und von wem es getragen wird. 2 Für den Wert der Kleidung ist die Inszenierung wesentlicher als die Güte von Stoff und Schnitt.


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Hintergrund  Die Fragestellung

3 Der Kontext definiert den Charakter der Kleidung. Wird sie ihrem Zusammenhang entnommen und in anderem Kontext verwendet, verändert sich auch ihre Aussage. Bildquelle: www.geschnackvoll.de

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Seniorenschuhe mit Komfort-Fußbett vom Flohmarkt / 3 €


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Lacquer Sneaker caviar black, by Alexander Berlin 21


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Konzept  Der Versuchsaufbau

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Der Versuchsaufbau — Ziel dieser Arbeit ist es, am Beispiel einer fiktiven Modekollektion das eigene ästhetische Empfinden zu manipulieren und die Wahrnehmung der Kleidung nachhaltig zu verändern. Dieser Prozess kann nur bedingt verallgemeinert werden. Zwar sind viele der verwendeten Kleidungsstücke von so massiver »Unmode«, dass innerhalb der Gruppe der Rezipienten ein gewisser Konsens in der ästhetischen Bewertung zu erwarten ist, dennoch lässt sich Geschmack nicht objektivieren, und so kann sich das Experiment letztlich ausschließlich auf meinen persönlichen Geschmack als Referenzgröße beziehen.

Die Umsetzung gliedert sich in die folgenden drei Schritte: Auswahl der Kleidung Die Kleidungsstücke und Accessoires durften mir selbst ausdrücklich nicht gefallen. Darüberhinaus sollten sie »jungfräulich hässlich« sein, was bedeutet, dass sie noch nicht als ironisches Zitat vom Hipster annektiert worden sein durften. Gleichzeitig mussten die Stücke aber auch eine Art charakterliche Substanz aufweisen, die sich im

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Konzept  Der Versuchsaufbau

Zuge der Inszenierung vom Scheußlichen ins Hippe umdeuten lassen würde.

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Neutralisation Die neutrale fotografische Abbildung der Stücke und deren freigestellte Einzeldarstellung soll sie so weit wie möglich aus dem ursprünglichen Zusammenhang lösen und ausschließlich ihren originären Eigencharakter hervorheben. Inszenierung Die Inszenierung findet auf drei Ebenen statt: 1 Fotografie und Katalogdesign 2 Text / Produktbeschreibungen 3 Einbettung in eine fiktive Fashion-Marke

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Mehr dazu unter »Die Inszenierung im Detail« (Seite 32)

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Konzept  Hidden References

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Diese am Ende des Kataloges zusammengefassten Schnappschüsse aus dem modischen Straßenalltag sollen die Funktion eines Referenzlichtes erfüllen. Sie können den geschmacklichen Weißabgleich wieder herstellen und den Kontrast zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Kontext sichtbar machen.

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Herrenjeans vom Flohmarkt / 2 â‚Ź


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Modern Bold Curve Denim stained seaweed green, by Karl Jakob 31


32 Die Inszenierung im Detail — Der »Fashionlook« als Überträger von Werten Um die Klamotten von Flohmärkten und Textil-Discountern inhaltlich zur modischen Avantgarde umzudeuten, bedient sich die Gestaltung visueller Muster aus Modefotografie und Lifestyle-Magazinen. Bestandteile sind etwa junge Modelle mit multikulturellem Charme, aufwändiges Makeup und Androgynie, ungewöhnliche Kulissen, sichtlich gestellte Szenerien mit übersteigert künstlichen Gebärden, arrogante und distanzierte Posen aber auch das magazinhafte Design des Kataloges, die englischen Worthülsen der Produktbeschreibungen und nicht zuletzt die herausfordernden Claims der alles umgebenden Marke. Diese gelernten Schemata rufen beim Betrachter eine bestimmte Gefühlswelt und Haltung zum dargestellten Inhalt hervor. Eine bestimmte Aufmachung bedeutet: »Hier wird sorgfältig kuratierte Mode aufwändig präsentiert — also: wenn dir nicht gefällt, was du siehst, hast du womöglich keinen besonderen Geschmack«. Das muss nicht zwangsläufig dazu führen, dass der Rezipient sogleich alles gut findet, was in diese Schale gegossen wird. Wahrscheinlich bringt er dem so Dargestellten


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Die Inszenierung im Detail

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34 aber mehr Respekt entgegen und es besteht eher die Bereitschaft, sich von einem vorgeblichen Trend überzeugen zu lassen, als wenn er dieselben Produkte im KIK-Beilegeblättchen präsentiert bekäme. Die Marke Neben der fotografischen Inszenierung soll der Rahmen einer provokanten Marke den Betrachter in seiner Wahrnehmung der Kleidung beeinflussen. Der laute und rebellische Charakter zielt darauf ab, im Empfinden des Rezipenten alles Hässliche in Mut umzudeuten, und jede geschmackliche Entgleisung als revolutionäre Absicht zu deklarieren. Darüberhinaus soll von dem bekannten Phänomen Gebrauch gemacht werden, dass ein Produkt – unabhängig von seiner Qualität – allein durch die Zugehörigkeit zu einer (etablierten) Marke eine Wertsteigerung in der Wahrnehmung des Verbrauchers erfährt.1 Der Markenname »German Garb« (eng. Deutsche Tracht) lehnt sich etymologisch locker an das im letzten Jahrzehnt besonders populär gewordene amerikanische Modehaus American Apparel an. Die reflexartige Ergänzung zu »Garbage« (eng. Müll) ist nicht unerwünscht.

1 vgl. Hoppert, Kristin »Die Produktmarke aus soziologischer Perspektive - eine Studie zum Konsumentenverhalten«


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Der Hipster als soziologischer Hintergrund

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German Garb

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talk is silver, attitude is gold. a Summer by German Garb 速

the last will be last, and the first first.

a Summer by German Garb 速


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Der Hipster als soziologischer Hintergrund

Zum Erscheinungsbild dieser fiktiven Marke gehören der Verzicht auf ein klassisches Logo, »umgestoßene« Anzeigenmotive und große klare Headlines, die in ihrer freien Platzierung über Bilder, Weißraum und Bundsteg hinweg eine gewisse Rücksichtslosigkeit vermitteln. Inhaltlich bestehen die kurzen prägnanten claims aus modifizierten Sprichwörtern und Lebensweisheiten, die den Bruch mit den Konventionen als Markenkern kommunizieren. Die Gestaltung der Marke ist bewusst austauschbar gehalten. Sie steht für »irgendein etabliertes Fashionlabel« und wagt keine typografischen Ausreißer, denn der Fokus des Betrachters soll bei der Inszenierung an sich bleiben, und nicht auf das konkrete Erscheinungsbild des Fashionlabels verlagert werden.

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Trainingshose, KIK Textildiskont — 2,99 €


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Casual Super Drop Trousers 90’s Print Caramel Grey, by Alexander Berlin 39


40 Relevanz —

Grenzauslotung und -Erweiterung Zur Kompetenz eines Designers gehört die Sensibilität für den Zeitgeist und visuellen status quo ebenso wie die Analyse von Trends und deren Referenzen. In der gestalterischen Forschung sind diese analytischen Methoden jedoch nur die Vorstufe zur den eigentlichen Fragestellungen der Innovation. — Welche Konventionen lassen sich wo brechen, um etwas mit eigenem Charakter zu schaffen, das über die etablierte Ästhetik hinausgeht? — Wo liegen die Wendepunkte, an denen etwa aus »modisch« »Avantgarde« wird, oder »Avantgarde« wieder zum »Antidesign« verkommt? — Wie weit kann man den allgemeinen geschmacklichen Konsens verlassen, um diesen zu erweitern und ohne vorher von ihm verstoßen zu werden? Die Arbeit liefert auf diese Fragen keine Antworten, stellt sie aber visualisiert in den Raum und provoziert so eine Stellungnahme des Einzelnen.

Bildquelle: www.dragstripgirl.de

Inhaltlich setzt sich diese Arbeit direkt oder indirekt mit relevanten Fragen gestalterischer Praxis auseinander.


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Hintergrund  Relevanz

Schöpfungsmechanismus Sampling Neuschöpfung durch Umdeutung bestehender Elemente ist ein grundlegender kreativer Mechanismus in Musik, Kunst und Design. Ob es sich um Beethovenfragmente in HipHop-Beats, Mickey Mouse auf Haute Couture Kleidern oder Barockmöbel in Szenebars handelt – überall entsteht Neues durch Bestehendes, indem dieses seinem ursprüngliche Kontext entzogen und in einen neuen Zusammenhang versetzt wird. Diesen Mechanismus versucht die Arbeit sichtbar und seine Auswirkungen für den Betrachter untersuchbar zu machen. Wert und Macht der Inszenierung Die Inszenierung von Botschaften ist die Kernkompetenz des Designers. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Disziplin wirft an diesem Punkt zwangsläufig die Frage auf, ob Inszenierung nicht immer auch gleichbedeutend mit Manipulation ist. Im Gegensatz zum Journalisten, welcher Fakten recherchiert und diese im besten Falle möglichst ungefärbt publiziert, beschäftigt sich der Designer gerade mit dieser Färbung.

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42 Das ist dann unkritisch, wenn Fakten emotionalisiert werden, um ihr Verständnis zu erleichtern oder Aufmerksamkeit für Sie zu schaffen. Trotz der Inszenierung steht hier immer noch die Vermittlung der sachlichen Information im Vordergrund. Handelt es sich aber in der Sache nicht um Tatsachen sondern um Waren, bekommt die Inszenierung eine andere Bedeutung. Dann geht es auch darum, im Konsumenten Bedürfnisse dort zu wecken, wo kein Bedarf besteht. Da werden Glück, Gesundheit und Schönheit versprochen und der Erhalt an den Konsum einer Ware geknüpft. Nur selten kommuniziert der Designer lediglich den Gebrauchswert. Sein Auftrag ist gerade die emotionale Aufladung, die Gestaltung dessen, was über Materialität und Nutzen hinausgeht, denn »nicht der Gebrauchswert einer Ware, sondern ihr Inszenierungswert zählt.«1 Ob diese Inszenierung der Dinge reine Täuschung bleibt oder zum Mehrwert wird, ist eine spannende Frage. Man kann sie als Mogelpackung begreifen, als viel Hülle um wenig Inhalt. Man kann aber auch einen realen neuen Wert darin sehen. Dann wird die Hülle selbst zum Inhalt, der den Wert der Ware vergrößert, oder sogar erst schafft. Nicht selten ist »Das Produkt nur die Beigabe zum 1 ARTE, »Gegenangriff — Wirtschaft im Fadenkreuz der Kunst« 2011, Porischka Dossi


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spirituellen Mehrwert, der beworben und verkauft wird.«2 Die Frage nach dem Wert und der Macht designerischer Inszenierung und deren Bewertung ist ein Kernthema der Arbeit. Sie bildet sogar den Titel des Kataloges (»if life deals you lemons, make suit« in Anlehnung an das Sprichwort »if life deals you lemons, make lemonade«). Die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten dieses Titels, der inhaltlich sowohl »Das Gute im Schlechten sehen« oder auch »Aus Scheiße Gold machen« heißen könnte, verdeutlichen den Anspruch der Arbeit, zum Diskurs anzuregen statt Bewertungen anzubieten.

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2 ARTE, »Gegenangriff — Wirtschaft im Fadenkreuz der Kunst« 2011, Porischka Dossi.


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Herrenschuhe aus dem Obdachlosenkaufhaus / 3,50 â‚Ź


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Larry Crocket Driving Shoe calf leather, Never Hesitate Collection MMXII 45


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Fazit

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Fazit — Da die Arbeit zunächst als Selbstversuch und Experiment am eigenen Geschmack konzipiert war, gehört an diese Stelle zu dem objektiven Fazit auch eine subjektive Einschätzung. Als Autor ist es mir unmöglich die Arbeit objektiv zu betrachten und ihre Wirkung zu bewerten. Der Prozess veränderter Wahrnehmung in Abhängigkeit von Kontext und Inszenierung hat jedoch während des gesamten Bearbeitungsprozesses kontinuierlich stattgefunden. Dies wurde deutlich bei solchen Stücken, die ich mit großer Abscheu auf dem Flohmarkt erstanden hatte, dann aber, nach der ersten Inszenierung und Fotosession, plötzlich als Fehlkauf einschätzte, weil sie doch eigentlich »so schlimm« gar nicht seien. Bereits hier hatte sich durch den neuen Kontext (Teil einer ausgewählten Kollektion) und die Inszenierung (Selbstbewusst getragen von einem posierenden Model) die Wahrnehmung des ästhetischen Wertes der Sache und ihre Verortung in meinem Geschmack verändert. Bei anderen Stücken musste ich im Laufe der Arbeit feststellen, dass ich der tatsächlichen Entwicklung bereits hinterherlief. In diesen Fällen hatte sich die Umdeutung der Stücke, die ich erst in meiner Arbeit vornehmen wollte,

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48 schon an der realen Modefront vollzogen, was mich zwar enttäuschte aber gleichzeitig in der Relevanz des Themas bestärken konnte. Objektiv liefert die Arbeit gemäß ihrer Zielsetzung keine abschließenden Bewertungen. Sie provoziert visuell eine Auseinandersetzung mit der Relativität von Schönheit und den Mechanismen von Trend und Geschmack, darüberhinaus werden Gedankengänge über die Macht der Inszenierung und deren Rolle in unserem Wertesystem angestoßen. Ohne selbst Stellung zu beziehen, bietet die Arbeit Anlass zur Reflexion über das eigene Schubladendenken, unsere Sehgewohnheiten und modischen Klischees. Die eigentliche Aussage entsteht ganz im Auge des Betrachters und wird – wie es für Geschmacksfragen üblich ist – nicht eindeutig entschieden werden können.


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50 Quellen zur Konzeptentwicklung — Literatur Pierre Bourdieu, »Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft«, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1987 Mark Greif / Christian Lorentzen / Jace Clayton, »What Was the Hipster? A Sociological Investigation«, N+1 Magazin, 2010 Dick Hebdige, »Subculture«, London, Routledge, 2003 Joe Mande, »Look at this f*cking Hipster«, St. Martin’s Press, New York, 2010 Susan Sontag, »Notes On „Camp“«, Veröffentlicht 1964 Kristin Hoppert, »Die Produktmarke aus soziologischer Perspektive – eine Studie zum Konsumentenverhalten«, Diplomica Verlag Hamburg, 2004

Filme ARTE Dokumentation »Gegenangriff – Wirtschaft im Fadenkreuz der Kunst« Teil 3/4, Autorin: Porischka Dossi, ARTE, 2011 Davis Johnson / Paul Rojanathara, »Influencers – How Trends & Creativity become Contagious«, R+I Creative, 2011

Onlinequellen Mark Greif, »What Was the Hipster«, New York Magazine Online, 2010 http://nymag.com/news/features/69129/index1.html Georg Diez, »Der Homer der Hipster«, Spiegel Online, 2011 http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,742429-2,00.html Zachariah P. Hughes, »A Revised Portrait of the Hipster«, The Harvard Crimson, 2010 http://www.thecrimson.harvard.edu/article/2010/3/30/hipster-cultural-music-video/


Literatur, Filme und Onlinequellen zur Konzeptentwicklung

Johannes Thumfart, »Hipster, hör‘ die Signale!«, ZEIT Online, 2011 http://mobil.zeit.de/kultur/literatur/2010-10/hipster Wikipedia »Camp (Kunst)« http://de.wikipedia.org/wiki/Camp_%28Kunst%29 Christina Waechter, Fabian Fuchs, »Fall für Zwei: Die American Apparel-Werbung«, Süddeutsche Zeitung / jetzt.de, 2007 http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/368026

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Thomas Joerdens, »Wie entsteht eigentlich ein Trend?«, WELT online, 2007 http://www.welt.de/lifestyle/article1387984/Wie_entsteht_eigentlich_ein_Trend.html Maike van Schwamen, » Trendforschung – Die Zukunft schon heute leben«, ARTE, 2005 http://www.arte.tv/de/Kultur-entdecken/Design/979908,CmC=998112.html P.M. Online, »Wie entstehen Trends?« http://www.pm-magazin.de/r/gute-frage/wie-entstehen-trends

Frequentierte Modeblogs I like my Style / ilikemystyle.net Stil in Berlin / stilinberlin.blogspot.com The Satorialist / thesartorialist.blogspot.com Facehunter / facehunter.blogspot.com Lookbook / lookbook.nu F&A / fartguide.blogspot.com

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© Markus Lingemann 07 / 2011 FH Aachen, Fachbereich Gestaltung www.markuslingemann.de Konzept und Gestaltung — Markus Lingemann Fotografie — Stephan Ortmanns, Markus Lingemann Coach und Erstprüferin — Prof. Dipl. Des. Ilka Helmig Haare und Makeup — Chantal Rexhausen Schrift — DTL Nobel, ITC Century Druck Katalog — Druckverlag Kettler, Bönen Druck Konzept — Fotocom, Aachen limitierte Auflage von 5 Stück Modelle Lucas Böckenhüser Jessica Jones Sarah Böckenhüser Matthias Hoppe Derya Moog Linda Huynh Robin Klein Rebekka Apostolidis Yves Lennertz Kathrin Ulanicki Fog Operator & Catering Christine Lingemann — Besonderer Dank an Sarah für Ideen, Geduld und das Ausräumen aller Zweifel.


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