Transitorium

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Transitorium Mario Wallenfang



Von Anfang an als Provisorium gedacht und mit räumlich stark begrenzten Möglichkeiten, entwickelte die Stadt Bonn, Adenauers »Rheinische Provinz«, ihren eigenen Hauptstadtcharme und repräsentierte die neue Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg in angemessener Zurückhaltung. So wie in der Politik, sollte sich diese Besonnenheit auch in der Architektur widerspiegeln: klare, nüchterne Strukturen, pragmatische Bauweise, geringe Baukosten und ein zügiger Aufbau standen im Vordergrund. Jedoch wurde zunächst nur das Nötigste gebaut, vieles wurde aufgekauft und provisorisch als Bürogebäude hergerichtet. So verabschiedete der parlamentarische Rat das deutsche Grundgesetz zwischen ausgestopften Tieren im Zoologischen Museum König, Bundeskanzler Konrad Adenauer bezog das Büro des Museumsleiters, Botschaften richteten sich in beengten Villen und Hotels ein und im gesamten Regierungsviertel schossen graue Bürogebäude aus dem Boden – all dies unter den Augen der Alliierten Hohen Kommission, die im Luxushotel Petersberg hoch auf der gegenüberliegenden Rheinseite thronte und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland bewachte. Mit der Wiedervereinigung von Ost und West kam der absehbare Umzug nach Berlin, und aus der ehemaligen Bundeshauptstadt wurde die Bundesstadt Bonn. Per Bonn-Berlin-Gesetz wurde der Stadt zugesichert, einen Teil der Bundesministerien und -einrichtungen mit Erstsitz behalten zu dürfen. Zudem sind das Palais Schaumburg und die Villa Hammerschmidt heute Zweitsitz des Bundeskanzlers und -präsidenten und stehen unter strenger Bewachung. Die Stadt hat sich seit dem Umzug stark gewandelt, die Architektur des politischen Bonn ist jedoch weitestgehend erhalten. Wie damals nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich einige Bauten wieder zunutze gemacht und ihnen eine neue Funktion zukommen lassen. Mit dem Einzug der Vereinten Nationen rückte die Stadt in den letzten Jahren wieder mehr in das Licht der Weltpolitik und erhielt so auch ein Stück ihres Hauptstadtflairs zurück. Theodor Heuss, erster deutscher Bundespräsident, bezeichnete die Stadt seinerzeit als Transitorium: eine provisorische, aber bedeutende Station auf dem Weg zur deutschen Demokratie.



»Bundeshauptstadt wird man nicht dadurch, daß man Gebäude baut, sondern durch den Geist, der in einer solchen Stadt herrscht.« Karl Ravens, Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 1974 - 1978



Naturkundemuseum Alexander Kรถnig Sitz des Bundeskanzleramtes 1948/49


»In der Halle dieses in mächtigen Quadern hoch geführten Gebäudes standen wir unter den Länderfahnen — rings umgeben von ausgestopftem Getier aus aller Welt. Unter den Bären, Schimpansen, Gorillas und anderen Exemplaren exotischer Tierwelt kamen wir uns ein wenig verloren vor.« Carlo Schmid, Bundestagsabgeordneter, zur Eröffnung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948


Naturkundemuseum Alexander Kรถnig, Lichthof Tagungsort des Parlamentarischen Rates 1948/49


Naturkundemuseum Alexander Kรถnig Galerie (links) Gedenktafel (rechts)



Naturkundemuseum Alexander KĂśnig BĂźro des Bundeskanzlers Konrad Adenauer 1948/49


»Man darf niemals „zu spät“ sagen. Auch in der Politik ist es niemals zu spät. Es ist immer Zeit für einen neuen Anfang.« Konrad Adenauer, Bundeskanzler


»Von hier oben wird im Gold und Rot und Gelb der Sonne über dem Rhein manches wirklich nichtig und klein.« Peer Steinbrück, SPD 2010


Hotel Petersberg Sitz der Alliierten Hohen Kommission 1949 - 1952 G채ste- und Tagungshaus der Bundesregierung




Hotel Petersberg Rotunde, Tagungsraum



»Ich gehe durch meinen Garten in Rhöndorf und denke über ein schwieriges Problem nach. Wat soll ich Ihnen sagen, am nächsten Tag steht dat alles in de Zeitung!« Konrad Adenauer, Bundeskanzler 1965


Privatwohnsitz Konrad Adenauers Arbeitsplatz und inoffizieller Treffpunkt f端r Verhandlungen


Privatwohnsitz Konrad Adenauers Arbeitszimmer




Privatwohnsitz Konrad Adenauers Wohnzimmer


Privatwohnsitz Konrad Adenauers Esszimmer


ÂťWenn Verhandlungen das Wohl des Gebietes im Auge haben, dann setze ich mich auch mit dem Teufel an einen Tisch!ÂŤ Konrad Adenauer, Bundeskanzler 1965


»Vielleicht wäre es ganz gut, wenn wir uns in den kommenden Tagen einmal kurz (...) unterhalten könnten, ohne dass ich Sie aus der Ruhe (?) oder Arbeit herausreiße. Entweder komme ich einmal zu Ihnen herüber, um mich am Palais Schaumburg, das ich noch nie betrat, zu erfreuen, oder Sie sehen sich an, was wir aus dem Kasten der Villa Hammerschmidt gemacht haben.« Bundespräsident Theodor Heuss an Bundeskanzler Konrad Adenauer 1950


Villa Hammerschmidt Amtssitz des Bundespr채sidenten 1950 - 1994 heute zweiter Dienstsitz



Bundespr채sidialamt 1950 - 1994 Bundeskartellamt seit 1999


Bundespr채sidialamt Bundeskartellamt Haus I




Bundespr채sidialamt Bundeskartellamt Haus II


Bundespr채sidialamt Bundeskartellamt Haus III



Bundespr채sidialamt Bundeskartellamt Haus IV



»Heitere Mischung von Biedermeier und viktorianischen Elementen, etwas bizarr, liebenwürdig wie so vieles, das nicht stilrein ist. (...) Knarrende Dielen unter den Teppichen. Ein bisschen Weißes Haus.« Klaus Harpprecht, Berater des Bundeskanzlers Willy Brandt 1973


Palais Schaumburg Amtssitz des Bundeskanzlers 1949 - 1976 heute zweiter Dienstsitz




»Ich will nicht, daß die Abgeordneten anfangen, die Schiffchen auf dem Rhein zu zählen.« Carlo Schmid, Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrats, zu Bauvorhaben der Regierung, 1977


ehemalige P채dagogische Akademie Sitz des Deutschen Bundesrates 1949 - 2000






»Man hockte immer zusammen, im Restaurant wie in den Bürozellen. Viele Abgeordnete hatten in Bonn nichts als eine Schlafstelle, ihr Zuhause war das Bundeshaus.« Jürgen Lorenz, Journalist 1992


Bundeshaus, ehemalige P채dagogische Akademie Sitz des Deutschen Bundestages 1949 - 1999






»Vielleicht hat die räumliche Enge sogar ihr Gutes, indem sie unseren gemeinsamen Wunsch fördert, die Debatten lebendiger zu führen. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass in Zukunft häufiger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, vom Platz aus zu sprechen.« Philipp Jenninger, Bundestagspräsident 1986


Plenarsaal ÂťAltes WasserwerkÂŤ Tagungsort des Deutschen Bundestages 1986 - 1992


Plenarsaal ÂťAltes WasserwerkÂŤ Pumpenhaus (links) Eingang (rechts)



»Wir wollen keine Prachtbauten am Rhein. (...) Wir wollen nichts anderes als eine funktionsfähige Arbeitsstätte für unser Parlament, die aber auch der Würde und dem Ansehen des Parlaments als des zentralen Organs unserer parlamentarischen Demokratie gerecht wird.« Philipp Jenninger, Bundestagspräsident 1987


Plenarsaal ÂťBehnisch-BauÂŤ Tagungsort des Deutschen Bundestages 1992 - 1999




Plenarsaal mit Blick auf das neue Abgeordnetenhochhaus »Langer Eugen«



ÂťEs kĂśnnte genauso gut eine rheinische Sparkasse darin residieren, oder der Giro- und Sparkassenverband, oder eine Lebensversicherung. (...) Eine Mischung aus Westwall und lieblosem Heldengrab.ÂŤ Helmut Schmidt, Bundeskanzler 1976


Bundeskanzleramt Erweiterungsbau zum Amtssitz im Palais Schaumburg 1976 - 1999 heute Bundesministerium f端r wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung





»Dann hat sich das so ergeben, es war eine wirklich laue Sommernacht, dass wir ganz einfach da unten am Rhein auf der Mauer saßen, wie man sich auf eine Mauer setzt. Unten sind ab und zu Liebespaare vorbeigegangen und die waren ziemlich erstaunt und bestürzt, wer da auf der Mauer saß, nur mit dem Dolmetscher. Dann haben wir (...) einfach einmal darüber gesprochen, wie unser eigenes Leben verlaufen ist.« Altbundeskanzler Helmut Kohl über ein Treffen mit Michail Gorbatschow im Bundeskanzleramt, 1989


»Ich fürchte, der brennt nicht mal, da kann kein Mensch drin wohnen.« Konrad Adenauer, Altbundeskanzler 1967


Kanzlerbungalow Wohn- und Empfangsgeb채ude des Bundeskanzlers 1964 - 1999



Altes Abgeordnetenhochhaus Dienstsitz der Bundestagsabgeordneten 1952 - 1969


Altes Abgeordnetenhochhaus mit dem Plenarsaal (vorne) und dem neuen Abgeordnetenhochhaus ÂťLanger EugenÂŤ (hinten)




»Schürmannbau«, erbaut 1989 - 1993 als Erweiterung zum neuen Abgeordnetenhochhaus heute Sitz der »Deutschen Welle«


»Schürmannbau« mit dem neuen Abgehordnetenhochhaus »Langer Eugen« (links)


»Schürmannbau« im Hintergrund der »Post Tower«, Hauptsitz der Deutschen Post AG





Neues Abgehordnetenhochhaus ÂťLanger EugenÂŤ Dienstsitz der Bundestagsabgeordneten 1969 - 1999


Neues Abgehordnetenhochhaus »Langer Eugen« im Hintergrund der »Post Tower«, Hauptsitz der Deutschen Post AG



Neues Abgehordnetenhochhaus »Langer Eugen« im Vordergrund der Haupteingang zum »UN-Campus«



Neues Abgehordnetenhochhaus »Langer Eugen« (rechts) mit dem »Post Tower« (links) und dem »Schürmannbau« (Mitte)



»In diesem Haus soll Arbeit geleistet werden für die Einheit Deutschlands.« Konrad Adenauer, Bundeskanzler 1953


Ausw채rtiges Amt 1954 - 1988 heute zweiter Dienstsitz



Bundesministerium f端r Post- und Fernmeldewesen 1954 - 1988 heute Bundesrechnungshof


Ausw채rtiges Amt (links) Bundesministerium f체r Post- und Fernmeldewesen (rechts)




Bundesschatzministerium 1950 - 1969 Bundesfinanzministerium 1969 - 1996 heute UN-Klimasekretariat



Kreuzbauten seit 1975 Bundesministerium f端r Bildung und Forschung Sitz des Eisenbahn-Bundesamtes







Ermekeilkaserne Bundespresseamt 1950 - 1951 Bundesverteidigungsministerium 1951 - 1974



Hardthรถhe Bundesverteidigungsministerium seit 1960




Hardthรถhe Nebeneingang




Gallwitzkaserne Bundeswirtschaftsministerium seit 1949 Bundesministerium f端r Arbeit und Soziales und Bundeskartellamt







ehemalige Husarenkaserne und Polizeischule Bundesministerium des Innern 1949 - 1999 heute zweiter Dienstsitz





Rosenburg Bundesministerium der Justiz 1950 - 1973



Bundespresseamt 1949 - 1950



Bundespresseamt 1956 - 1999 seitdem zweiter Dienstsitz





Bürokomplex »Tulpenfeld« Bundespressekonferenz 1969 - 1999







Beethovenhalle Veranstaltungsort f체r Parteitage Bundesversammlungen zur Wahl der Bundespr채sidenten 1974 - 1989







Deutscher Landkreistag 1957 - 2000



Bundesgeschäftsstelle »Die Grünen« 1983 - 1991


»Wir wollten der sachlichen, nicht auf äußere Repräsentation gerichteten Haltung der SPD gerecht werden.« Fritz Novotny, Architekt 1975


Erich-Ollenhauer-Haus Bundesgeschäftsstelle der »SPD« 1975 - 1999



Thomas-Dehler-Haus Bundesgeschäftsstelle der »FDP« 1975 - 1999


»Man wußte viel voneinander in der Reutersiedlung, vieles, was heute unter Datenschutz stünde. (...) Es ging halt menschlich zu.« Ernst Goyke, Journalist


Reutersiedlung eigens errichtete Wohnsiedlung f端r Bundesbedienstete ab 1949



»Bonn ist die Oase, in der die Regierungskarawane vorübergehend lagert auf ihrem Weg zum endgültigen Ziel Berlin.« Max Becker, Bundestagsvizepräsident 1957






»Das war mehr wie eine Art politischer Salon. Sie können auch sagen: die Wohnstube der Bonner Prominenz.« Hans-Dietrich Genscher, ehemaliger Außenminister 2012


Restaurant »Maternus« inoffizieller Treffpunkt von Politikern, Staatsgästen und Journalisten



Hotel »Dreesen« Sitz der französischen Hochkommission 1949 - 1952 ab 1952 Beherbergung von Diplomaten ohne eigene Botschaftsgebäude



Hotel »Königshof« Veranstaltungsort zahlreicher Staatsempfänge, Konferenzen und Feierlichkeiten 1948 - 1971 Herberge für Staatsgäste seit 1949


B端robauten Tulpenfeld

Altes Abgeordnetenhochhaus


Plenarsaal

Bundestag

Bundesrat



»Es hat der Demokratie in Deutschland nach all den Wirren (...) gutgetan, in einer kleinen, bescheidenen Stadt Demokratie in Regierung und Parlament vorgeführt zu haben.« Norbert Blüm, Bundesminister 1991



Konzeption, Fotografie, Text und Layout Mario Wallenfang, www.mariowallenfang.de Schrift Weiss LT Trade Gothic LT Std Cambria Papier DigiGold icewhite, 160 g/m² Druck Scanlitho, Bielefeld Bindung und Prägung Meinolf Sundermann, Bielefeld

Dieses Buch entstand im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung, betreut durch Prof. Axel Grünewald und Prof. Roman Bezjak. Bielefeld, 2015


»Es hat der Demokratie in Deutschland nach all den Wirren (...) gutgetan, in einer kleinen, bescheidenen Stadt Demokratie in Regierung und Parlament vorgeführt zu haben.« Norbert Blüm, Bundesminister 1991


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