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Wenn Kunst die Leinwand verlässt
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WENN KUNST
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„World Love“ steht in Großbuchstaben auf seinem lässig-legeren Pullover, darunter eine Regenbogenflagge, harmonische Berührungen und unsere Erde als allumfassendes Herz. Mit einer mächtigen Portion Liebe, gegenseitiger Anerkennung und großem Ideenreichtum möchte Domingo Mattle (27) die Welt reformieren.
Text: Florian Gucher Fotos: Domingo Mattle

DIE LEINWAND
VERLÄSST


Er kann die tote Dekorationskunst in den Wohnhäusern der „Upper-Class“ nicht ausstehen: Domingo Mattles künstlerische Arbeiten sind keine zum auf die Wand Hängen und Prahlen, sondern vielmehr Vorboten von Lebensphilosophien, die in gesellschaftliche Strukturen einwirken sollen oder es gar schon tun. Kunst muss schließlich um die Welt gehen und Niederschlag in konkreten Aktionen finden, um lebendig zu bleiben. Hier setzt Mattles Schaffen an, das so innovativ ist wie er selbst und Grenzen der Kunst wie selbstverständlich sprengt. Seien es düstere Stillleben mit hochmodernem Teint, Slogans mit tiefgreifendem Inhalt, überspitzt wiedergegebene Anlehnungen an alte Meister wie Da Vinci oder verstörend wirkende Bildnisse, die beim zweiten Blick etwas Harmonisches beinhalten. Die Kunst des Vorarlbergers ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Doch Domingo Mattle provoziert nicht nur gerne, sondern tritt bewusst in Aktion und das alles, um die Welt um sich herum nur ein bisschen harmonischer zu machen. Dabei sind es durchaus Werke, die das Große im Kleinen suchen und oftmals auf so reduzierte Weise zum Nachdenken anregen, wie Mattle es schafft, Hochkomplexes in wenige Worte, Gesten oder Figurationen herunterzubrechen und doch glasklare Aussagen zu produzieren. Shirts mit Schriftaufzügen wie „Nature is non fungible“ oder „Emotion = Currency“ (soviel wie: „Die Natur ist nicht ersetzbar“ und „Emotion = Währung“) loten nicht nur das Denken in Zwischenräumen real-virtueller Sphären aus, sondern zeigen zeitgleich, wie der Künstler das Gute im Leben nie aus dem Sinn verdrängt. Domingo Mattle setzt dort an, wo es vielleicht einer Veränderung bedarf, um unser Dasein ein Stück lebenswerter zu machen.
Ein breites Spektrum
Dabei gibt sich Mattle als ein schriller, bunter Vogel voller Hoffnung und Tatendrang. Oder als ein kreativer „Sherlock Holmes“, wie er sich auf seinem Instagram-Account selbst bezeichnet. Von klassischer Malerei über Design und Mode bis hin zur Objektkunst, es gibt kaum ein Metier, in dem er sich nicht schon ausprobiert hat: „Die einzige Konstante in meiner Kunst ist die Veränderung“, bringt es Mattle lächelnd auf den Punkt. Und damit mag er recht haben: Begonnen als Break-Dancer, der die internationale Bühne im Eiltempo eroberte, fand er schließlich über Graffiti und Street-Art den Weg in die Bildende Kunst und ist seitdem so vielseitig tätig wie nur möglich: „Die Hip-Hop-Kultur hat mich sehr bereichert, auch wenn sie heute künstlerisch kaum mehr Einschlag in meine Werke findet und ich vielmehr in die Breite gegangen bin. Nach einer gewissen Zeit will man einfach dorthin, wo niemand zuvor war.“ Vom einstigen friedlichen Sprührebellen ist vielleicht nicht mehr so viel übrig und doch scheint sich sein Lebensmotto über die Jahre und einzelnen Stationen hinweg nur noch stärker herauskristallisiert zu haben. Heute ist es vielmehr ein Engagement, das viele Bereiche umfasst und von einem ins andere geht, ohne jedoch die Verbindungslinien aus dem Auge zu verlieren. Kunst ist Teil des Ganzen. Doch: „Bloße Bilder bringen noch keine Veränderung“, so der aus Götzis stammende Kunstschaffende selbst. Mattle ist niemand, der stillsitzt, er will vielmehr dort für Verbesserungen anregen, wo es noch nicht rundläuft. Wobei sein Engagement weit über die Kunst hinausreicht, wie ihm die klassische Vorstellung des Künstlerdaseins sowieso zuwiderläuft: „Mein Ziel ist es, nicht mehr Künstler zu sein. Ich will den Punkt miterleben, wo die Kunst ihre höchste Vollendung erfährt, sich selbst genügt und keine Figur dahinter mehr braucht.“ In Domingo Mattles Schaffen verschränken sich Kunst und Business wie von selbst, da es nicht zuletzt sein Anspruch ist, nicht nur theoretisch zu faseln, sondern die Dinge beim Namen zu nennen und anzupacken. Und das auch fernab der Kunst in Gefilden, die einem Kunstschaffenden fast ungewöhnlich scheinen. Nicht aber, wenn man die Bestrebungen Mattles kennt: „Oftmals gilt es, mit Argusaugen wie ein Alien auf die Menschheit zu blicken und einfach zu beschreiben, was sich tut. Vieles bringt auf diese Weise die gewünschten Lösungen, die alleine durch ein Bild nicht möglich wären. Deshalb sind es auch andere, vornehmlich unternehmerische Tätigkeiten, die mich beschäftigen.“ >>
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„BLOSSE BILDER BRINGEN NOCH KEINE VERÄNDERUNG“


Mit flachen Hierarchien und Teamgeist
Ganz dieser Vorstellung entspricht auch die von ihm gegründete Agentur mit dem sprechenden Titel „Not a company“, die starre, altbackene Konventionen eines Unternehmens ad acta legen und bewusst aufbrechen möchte. Und das wohlgemerkt nicht, ohne die Dinge mit einem gewissen Augenzwinkern zu sehen. Statt strengem Chef prunkt ein vieräugiger imaginärer Tiger im South-Park-Stil an seinem Platz, der die Rolle des Gründers gehörig hinterfragt, um den kollektiven Leistungen mehr Raum zu geben: „Das Problem ist, dass man zu sehr an Unternehmensgründer wie Steve Jobs glaubt, die nahezu heiliggesprochen werden und alles andere überschatten. Man lässt sich zu sehr von der ‚Founder-Mentality‘ beeinflussen. Dieses Problem lässt sich erst lösen, wenn kein Firmenchef mehr da ist.“ Das Unternehmen selbst tritt dafür ein, Kluften zu überwinden und ist dabei äußerst breit und vielschichtig angelegt. Von Klamottenprojekten über die Förderung junger Verrückter bis hin zu den Fragen, wie ein ideales Unternehmen in Zukunft aussehen könnte, spannt es einen weiten Bogen, mit Blick darauf, bereichernde Dinge (wieder) nach Vorarlberg zu bringen. Aber auch zu zeigen, dass es alternative Möglichkeiten gibt, unser Leben zu begreifen und zu gestalten: „Die Welt ist nichts anderes als ein großes Videospiel. Als Künstler geht es mir darum, dem Schöpfer so nahe wie möglich zu kommen und die Matrix zu cracken“, bringt Mattle einen passenden Vergleich.
Vom Überdenken und Beibehalten
Domingo Mattle jedenfalls lebt sich kreativ wie künstlerisch aus, experimentiert mit allen möglichen Ansätzen, um alles nicht Funktionierende, alles was wütend, traurig und bedrückt macht, vergehen zu lassen. In einem seiner Werke wird ganz seiner Vorstellung gleich die „Erschaffung Adams“ von Michelangelo in zeitgenössische Sphären transferiert. Als Wandgemälde auf grauer Betonmauer zeigt die Arbeit, dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegt, ohne jedoch den hoffnungsfrohen Blick in die vor uns liegende Zeit aus dem Auge zu verlieren: „Die Zukunft ist kreativ und kindlich. Ich selbst bin Kind geblieben und glaube, dass man dasselbe auch auf gesellschaftliche Systeme anwenden sollte. Unser Ziel muss es sein, der Zukunft nicht im Weg zu stehen oder das Neue gegen das Alte auszuspielen wie auch umgekehrt.“