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Die Krise als Impuls? Foto: Pixabay
Kontrollverlust und Chancen Der Marburger Psychologe Kim Froeb zu seelischen Aspekten der Corona-Krise
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oziale Isolation, Angst vor einer Ansteckung und Angst vor einer Wirtschaftskrise durch die Maßnamen gegen die Virusausbreitung: Die Corona-Krise belastet unsere Psyche auf vielen Ebenen. Der Marburger Psychologe Kim Froeb gibt im Express-Interview Tipps, wie wir gut durch die Krise kommen.
Express: Kann man Menschen die Angst nehmen? Oder gewöhnt man sich schlichtweg irgendwann an die Lage? Kim Froeb: Ängste sind grundsätzlich erstmal nichts Negatives. Ihre biologische Funktion ist, uns vor Gefahren zu warnen und dafür zu sorgen, dass wir uns in Acht nehmen oder gar flüchten. Beim neuartigen Corona-Virus handelt es sich um eine unbekannte Gefahr, mit der wir noch nicht gelernt haben umzugehen, Angst zu haben ist daher angemessen und kann uns zu vorsichtigem Verhalten anleiten. Die Bedrohung ist unsichtbar, sie erscheint uns als nicht einschätzbar und unheimlich, wir erleben ein schwer erträgliches Gefühl von Kontrollverlust.
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Wie können wir dem entgegenwirken? Wichtig ist zu unterscheiden, was wir tatsächlich als außerhalb unserer Kontrollmöglichkeiten zu akzeptieren haben und wo wir doch etwas tun können. Die empfohlenen Schutzmaßnahmen zu beherzigen hilft uns, wieder ein Gefühl dafür zu entwickeln, nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern aktiv etwas für die eigene Gesunderhaltung tun und auch andere schützen zu können. Durch das Sammeln zuverlässiger Information, z.B. von dem uns allen nun vertrauten Virologen Prof. Drosten, wird die Situation greifbarer. Damit kann es uns besser gelingen, reale Ängste von überschießenden zu unterscheiden und letztere abzubauen. Die Angst vor dem Virus ist aber aktuell nicht die einzige Angst, die viele haben... Zu der Angst vor dem unsichtbaren Feind kommt allerdings oft noch die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen hinzu, in Form von Arbeitsplatzverlust oder dem Ruin als selbständig tätiger Person. Austausch mit anderen und Hilfe anzunehmen kann entlasten und vielleicht schon jetzt Perspektiven eröffnen.
Sicher werden wir uns an die Lage auch gewöhnen, im Sinne einer Anpassung. Im Moment erscheint uns die Situation noch surreal, wie in einem Film. Alles ist plötzlich anders, und über jeden Schritt müssen wir neu nachdenken. Wir werden die Situation aber als unsere neue Realität begreifen und Routinen entwickeln, die dann auch automatisiert ablaufen und uns das Leben wieder unkomplizierter machen. Wir werden auch lernen, welche Formen des Miteinanders weiterhin möglich bleiben. Stichwort Kontaktverbot: Was passiert eigentlich im Menschen, der in die soziale Isolation geschickt wird? Menschen sind soziale Wesen, wir sind von dem Gefühl abhängig, Teil einer tragfähigen Gemeinschaft zu sein. Daher ist es eine verstörende Erfahrung, wenn einem der direkte Austausch mit anderen genommen wird. Vor allem sind das die Gruppenerlebnisse, z.B. beim Sport, im Kino oder in der Kneipe. Neben der offensichtlichen Einsamkeit kann es auch zu Ängsten, Verzweiflung und Depression kommen.
Die gerade notwendige physische Distanzierung von Anderen widerspricht auch unserem Instinkt, in der Gefahr noch mehr zusammenzurücken, uns Nähe und damit Schutz zu geben. Glücklicherweise besteht kein vollständiges Kontaktverbot, auf Entfernung darf man sich weiterhin begegnen. Dennoch müssen wir ständig unserer sozialen Programmierung widerstehen, innere Nähe durch körperliches Aufeinanderzugehen zu zeigen. Wir müssen lernen, dass in dieser Situation Abstand zu halten, Fürsorge für den anderen bedeutet. Gerade, wenn wir der Arbeit fernbleiben müssen oder sie im sogenannten Home Office fortführen sollen, kann es leicht zu einer Auflösung der Gewohnheiten und alltäglichen Rituale kommen, die uns normalerweise Struktur und Halt bieten. Es drohen Motivationsverlust und Antriebslosigkeit bis hin zu einem depressiven Lähmungsgefühl. Wie lange kann die Gesellschaft und der Einzelne „Social Distancing“ aushalten? Wir werden uns darauf einrichten müssen, mit diesem Zustand noch