Architektur und Wald

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ARCHITEKTUR UND WALD

In Der Sierra Nevada Đ Santa Marta

Juana Londoño Niño


Karte der Sierra Nevada de Santa Marta


ARCHITEKTUR UND WALD

IN DER SIERRA Đ NEVADA SANTA MARTA Juana Londoño Niño Texte und Zeichnungen

Layout:

Beiträge und Danksagung

Manuel Salazar Serje

Übersetzung vom Spanischen ins Deutsche: Paula Torres Londoño Heidi Beck-Nörr

Übersetzung vom Spanischen ins Englische: Ángela Posada-Swafford

Unterstützung mit Texten: Mama Jacinto Zarabata Mama Santos Moscote Mama José Zarabata Paula Torres Londoño Roberto José Londoño Fernando Salazar Holguín

Danksagung:

Kolumbianische Botschaft In Deutschland BotschafterJuan Mayr Maldonado Laura Arango Blanco, Beauftragte für Kultur Almuth Zuber, Übersetzerin Deutsch Kolumbianischer Freundschaftskreis-Stuttgart Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg (SEZ) Juanita Cárdenas, Beauftragte für Kultur Ricardo Rey Cervantes Anamaria Londoño Niño Juana Valentina Rey Londoño Ricardo Rey Londoño Pedro Londoño Niño

José de los Santos Sauna, Gouverneur der Kogui-Vewaltung Organización Gonawindúa Tayrona Fundación Pro Sierra Nevada de Santa Marta

Copyright © 2012 Juana Londoño Niño. Alle Rechte vorbehalten.


Failej贸n [Espeletia schultii]


INHALT Im Folgenden wird eine Auswahl von Texten und Graphiken vorgestellt, die anlässlich der Ausstellung „Architektur und Wald in der Sierra Nevada de Santa Marta“ vorbereitet wurden und zu deren Konzeption ich von Juan Mayr Maldonado, heutiger kolumbianischer Botschafter in Deutschland, im Frühjahr 2012 eingeladen wurde. Über die Texte zu Architektur und Wald hinaus schließe ich eine Botschaft von den Mamas (den höchsten Autoritäten der Kogui) über den Wald, eine Reflexion über die Architektur von meinem Bruder Roberto José und einen Text über die Frauen der Sierra an, die mir dauernd präsent sind.

Die Sierra Nevada de Santa Marta ist das Herz der Welt und es liegt in der Verantwortung von uns allen, dieses Herz am Leben zu erhalten. DIE BOTSCHAFT DER MAMAS

von Mama Jacinto Zarabata, Mama Santos Moscote, Mama José Zarabata

ARCHITEKTUR / CHRONIK EINER VEREINBARUNG von Juana Londoño Niño

WALD/ ATEM – BLÜTE von Juana Londoño Niño

DIE FRAUEN DER SIERRA von Juana Londoño Niño

FRAGEN AN DIE ARCHITEKTUR von Roberto José Londoño Niño


DIE BOTSCHAFT DER MAMAS DER SIERRA NEVADA Von Mama Jacinto Zarabata, Mama Santos Moscote, Mama JosĂŠ Zarabata


Warum muss man den Wald pflegen? Der Wald ist das Kleid der Mutter

Übersetzung aus dem Kaggaba (Sprache der Kogui) ins Spanische durch den Gouverneur der Kogui-Vewaltung José de los Santos Sauna

Die Mamas der Sierra mahnen andauernd den “Jüngeren Bruder” (den Nicht-Kogui-Menschen), die Natur zu pflegen und zu respektieren: den Wald, die Flüsse, die Steine, den Wind, alles, was Teil unserer Welt ist und was für sie die MUTTER ERDE ist. Sie sprechen darüber, denn für sie ist der Mensch Natur, wir sind die Bäume, die den Wald bilden, wir sind das Wasser, das der Fluss ist, wir sind der Fels, der sich in Steine umwandelt, die Brise, die weht, die Flamme, die an der Feuerstelle brennt. Sie sagen, wenn die Natur nicht gepflegt wird, gehen die Geschichte und das Wissen um die Natur verloren. Warum geht die Geschichte verloren? Weil es in jedem Element der Erde geschrieben steht, wie man arbeiten und leben muss, um die Mutter Erde am Leben und uns als Person gesund zu erhalten. Wenn diese Gesetze verloren gehen, können die Menschen der Natur nicht gerecht werden, sie werden nicht wissen, was zu tun ist, und auf sie werden nur Probleme zukommen. Ohne Wald: wie kann man um Erlaubnis bitten, atmen zu dürfen? und für alles, was man sonst braucht?

Im Wald gibt es eine Vielfalt an Elementen für die Menschen. Dort leben alle Dinge, die die Menschen erforschen, und eben dort ist der Ort, wo die Gedanken entspringen. Ohne Natur gäbe es also nichts zu erforschen, die Menschen hätten keine Gedanken, sie wären Menschen ohne Gedanken und ohne Fragen.

Wenn der Wald verloren geht, würden auch die Autoritäten verloren gehen, die in der Natur nach dem Rechten schauen. Denn bei den Bäumen gibt es Autoritäten, die dafür sorgen, dass die Flüsse ihr Flussbett nicht verlassen. So führen auch die Mamas geistig ihre Gemeinschaft, damit die Menschen den für sie richtigen Weg nehmen. Denn wenn die Menschen versuchen, den Weg von anderen zu gehen, verirren sie sich und finden nicht ihr Glück. Die Bäume sind Personen und die Personen sind Bäume. Ohne

Wald würden wir uns Menschen als Bäume betrachten und würden dann anfangen, uns so zu benutzen wie wir den Wald benutzen. Aber so könnten die Leute nicht leben. Wenn man Holz bräuchte, würden die Menschen andere Menschen wie Brennholz schlagen. Die Wasserquellen würden allmählich erkranken und die Menschen würden sich zu bekämpfen beginnen, um nicht ohne Wasser zu bleiben. Wenn der Wald verloren geht, gäbe es keinen Frieden, alles wäre absolute Hitze. Es gäbe keinen Schatten, es gäbe nur Krieg. Im Schatten gibt es Frieden, weil es keine Hitze gibt. Der Wald erzeugt nicht nur Schatten, sondern auch Frieden. Also muss man den Wald pflegen.


ARCHITEKTUR: Chronik Einer Vereinbarung Von Juana Londo単o Ni単o


Wer ein Haus baut, trifft eine Vereinbarung (Acuerdo):

Nicht nur mit der Geschichte (unser Ursprung, der des Territoriums und seiner Kultur), sondern auch mit dem Ort und den Steinen dort, mit der Sonne, mit dem Wald,

mit den anderen Völkern, unseren Brüdern, mit den Tieren und den Steinen, mit dem Teufel (dem Negativen),

mit dem Kopf und mit dem Körper,

Und schließlich: mit dem Herzen der Erde.



DIE VEREINBARUNG MIT DER GESCHICHTE

Am Anfang kreuzte die Mutter Serankua zwei Fäden, hob sie hoch und schuf so das Territorium der Sierra Nevada de Santa Marta, das Herz der Welt.

An jedem der vier Endpunkte des Kreuzes steht ein Mann, der Shicuacala, der die Erde trägt. Jeden Shicuacala bezahlt man mit spirituellen Dankesgaben [Pagamentos], damit er verhindert, dass die Erde bebt.

Bezahlen [pagar] heißt zurückgeben, anerkennen, danken, es ist eine spirituelle Rückgabe an die Natur dafür, dass sie uns ihre Elemente nutzen lässt. So werden das natürliche Gleichgewicht und das soziale Wohlbefinden gesichert. Wenn der Mama [höchste Autorität] jemandem eine Aseguranza [hier in Form eines Bandes, das am Handgelenk befestigt wird und seinen Träger beschützen soll] anlegt, werden zwei Knoten gemacht: einer, um Erdbeben zu verhindern und der zweite, um das Herz der Person zu beschützen. Asegurar bedeutet vorbeugen, schützen, auf dem Weg begleiten. Um das Haus zu umreißen, in dem ihre 4 Söhne leben sollten, befestigte die Mutter Serankua ihre Spindel über diesem Territorium am Ort Kaldusankua, einem heiligen Stein in der Cuchilla der Palomino, und dann zeichnete sie von Shicaje –Riohacha - aus einen Kreis.

Und so erhielt jeder ihrer Söhne, die vier indigenen Völker, welche heute in der Sierra leben (Kogui, Wiwa, Arhuaco und Kankuamo), einen Teil des Territoriums. Und mit diesem jeweils vier Gipfel der Sierra, von denen aus sie sich mit dem Ursprung in Verbindung setzen können und die zu zentralen Treffpunkten werden sollten. Diese Punkte werden Eswamas genannt.


Von den Ezwamas aus stellen die Mamas stetig das Gleichgewicht zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen wieder her und treten mit der spirituellen Welt (der Welt der Gedanken und Ideen) in Verbindung, die dort ist, wo der Ursprung ist.

Außer den Eswamas gibt es noch andere heilige Orte [sitios sagrados], deren Funktion darin besteht, die Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Sie befinden sich alle innerhalb des Kreises, den die Mutter am Anfang gezogen hat, oder der Linea Negra, die das Territorium umgrenzt, nicht nur im oberen Bereich (Lagunen), sondern auch in den unteren Bereichen der Flussmündungen. Die Verbindung zwischen diesen heiligen Orten sichert, dass es ein materielles und spirituelles Gleichgewicht der Welt gibt und dass dieses auch bewahrt werden kann. Diese Verbindungen zwischen dem Greifbaren und dem Nichtgreifbaren zu sichern und Regeln für das Eingreifen im Territorium festzulegen, all dies schreibt die Ley de Origen [das Gesetz des Ursprungs] vor.

Die Gaben [pagamentos] für die heiligen Lagunen sind Steine und Meeresschnecken, für die Flussmündungen Steine und Samen aus dem Páramo [Vegetationsgürtel oberhalb der Baumgrenze]. Damit die Kultur und ihr natürliches Zuhause, die Sierra Nevada, auch weiterhin bestehen können, wird die Kontrolle aller einzelnen heiligen Orte für lebensnotwendig erachtet. Insbesondere die Orte, die die Linea Negra [Schwarze Linie] bilden. Dies zu erreichen in einer sich verändernden Welt voller gegensätzlicher Kräfte und Interessen fordert ständige Bemühungen um gemeinsame Vereinbarungen [acuerdos colectivos]. In ihnen sollen der Umgang mit den heiligen Orten [sitios sagrados] und in einigen Fällen ihre Wiederherstellung festgelegt werden. Wenn die Praktiken der Kultur verloren gehen, kann die Bewahrung der Natur nicht gesichert werden. Wenn die Geschichte vergessen wird, vergisst man, wie man ein Haus baut.


VEREINBARUNG MIT DEM ORT UND DEN STEINEN DES ORTES

Die Stelle herauszufinden, von der aus das Haus erbaut werden soll, geschieht durch Wahrsagung [adivinación], damit der Ort keine Krankheiten hervorruft oder Erdrutsche verursacht und keinen heiligen Ort beschädigt. Für den ausgewählten Platz wird ein Totenritual Iza Aqueshi - vollzogen, es ist ein Heilungsprozess, in dem die Seelen der Wesen, die an diesem Ort gestorben sind, berührt werden, damit der Ort rein und positiv bleiben kann.

Dann erbaut man im Geist die gesamte Konstruktion des Hauses: Man legt das Holz bereit, bestreicht es mit Lehm und deckt es mit Palmenblättern. Wenn diese Arbeit im Geist abgeschlossen ist, beginnt der materielle Hausbau.

Alles, was in der materiellen Welt existiert, kommt aus der spirituellen Welt.

Die Sierra Nevada de Santa Marta ist ein heiliges Territorium und deshalb ist jeder seiner Bestandteile wichtig und hat seine Daseinsberechtigung. Sie ist ein uralter Ort, an dem sich noch immer Wegstrecken finden, die irgendwann jedes Dorf mit der Sierra verbanden, Reste von Mauern zu finden sind, die Bauten früherer Bewohner gestützt haben, und Steine, die markieren, wo früher einmal Eingänge waren. Teil der Vereinbarung [acuerdo] mit den Steinen besteht darin, ihre eigentliche Bedeutung wahrzunehmen und wieder zu finden: die, die Personen waren, die Wächter waren über die Mauern, die Tiere waren wie der Jaguar, die eine Feuerstelle waren oder Steine, die nach vorne den Weg wiesen.

Ein Stein markiert die Mitte eines Kreises, der das Haus begrenzt und sein Inneres schützt. Mit Steinen markiert man auch den Eingang des Hauses, baut die Feuerstelle auf, die das Haus erwärmt, und legt Steinplatten unter die Stützbalken, um diese vor der Feuchtigkeit der Erde zu bewahren.

Aus Stein sind auch die Sitzplätze, an denen sich die Alten zur Wahrsagung niederlassen, die Aseguranzas [die Zusicherungszeichen] die man in der Mochila [typische Umhängetasche] trägt, die alten überlieferten Halsketten, die von den Frauen getragen werden, und einige heilige Orte, wo Geschichte eingeschrieben wurde.



Vereinbarung mit der Sonne

Um den Kreis für das Haus zu zeichnen, geht man wie einst die Mutter Serankua von einem Mittelpunkt aus. In diesem Mittelpunkt wird ein kleiner Stein vergraben als Dankesgabe [pagamento], um die Verbindung zwischen materieller und spiritueller Welt aufrechtzuerhalten.

Mit einer Liane zeichnet man den Kreis. Das Maß vom Radius wird durch das Eineinhalbfache der Länge der ausgebreiteten Arme (ca. 2,60 m) bestimmt. Es werden die vier Kardinalpunkte lokalisiert, an denen in jedem Quadranten je ein Hauptbalken aufgestellt wird. Der Eingang eines Hauses ist meist zum Sonnenaufgang ausgerichtet.

Bevor die vier Hauptbalken in die Erde eingelassen werden, setzt man Steinplatten, die verhindern sollen, dass die Enden der Balken faulen. Die Balken werden etwa zwei Handbreit in die Erde eingelassen. Für die Balken wird meist die Palma Boba verwendet wegen ihrer Widerstandskraft gegen Feuchtigkeit. Im Innern eines Hauses stellt man viele Balken auf, damit die Kinder nicht ohne Arme zur Welt kommen.



Jedes Dorf hat eine oberste Autorität, den Mama, was auch „die Sonne“ heißt. Der Mama orientiert, leitet und berät seine Gemeinschaft in spirituellen Dingen. Ihrerseits versorgt die Gemeinschaft den Mama dafür materiell mit Speisen und Holz für seine Feuerstelle.

Das erste Gebäude, was in einem Dorf gebaut wird, ist der so genannte Zeremonientempel des Mama - die Sonne -, die sogenannte Cansamaría. Dann entsteht das Zeremonienhaus der Frauen. Von diesen Versammlungsräumen aus organisiert man sich als Gemeinschaft. In der Cansamaría des Mama kommen am Abend die Männer zu Beratungen am Feuer zusammen. Am nächsten Tag werden die Vereinbarungen, die in der Cansamaría getroffen wurden, nach draußen auf eine Anhöhe gebracht. Hier überprüfen die Mamas die Vereinbarungen [acuerdos] und bestätigen sie mit ihren Wahrsagungen. Dann delegieren sie die gemeinsam festgelegten Aufgaben. Die Frauen kommen in ihrem Zeremonienhaus zum Austausch, zum Kochen und Tanzen zu den Rhythmen ihrer Trommeln zusammen. Viele Berge werden ebenfalls als Zeremonienorte angesehen, als Tempel, in denen die Wächter der Erde leben.


Die Cansamaría der Männer ist der einzige Bau mit zwei Türen. Von innen aus beobachten sie die Sonne in ihrem Aufgang und ihrem Untergang. Je nach Linaje [Abstammung, Familienzugehörigkeit] betritt oder verlässt die Person durch die eine oder andere Tür den Tempel. Je nach Linaje werden die Hütten innerhalb des Dorfes auf der einen oder der anderen Seite der Cansamaría angeordnet. Die Linajes sind die Wächter der Eswamas und der heiligen Orte innerhalb des Territoriums. Sie haben den Auftrag, die heiligen Orte zu nähren und zu bewahren gemäß dem traditionellen Wissen der Vorfahren. So spiegelt sich in der Bauweise des Dorfes wider, wie jedes Individuum seinen Platz und seine Daseinsberechtigung innerhalb des Territoriums hat, das es bewohnt.



VEREINBARUNG MIT DEM WALD

Für die Indigenen stellen die Stützbalken Menschen dar. Die Menschen sind die Bäume und die Bäume sind die Menschen. Wenn die Menschen Hass oder Zorn ein- oder ausatmen, nimmt der Wald diesen Atem auf und trocknet aus, er wird krank. Daher die Wichtigkeit, die traditionellen Aufgaben zu erfüllen. Teil dieser Arbeit ist El Confieso [Beichten]. Es geht darum, die negativen Gedanken zu identifizieren und sie in positive Gedanken umzuwandeln.

Bevor das Holz geschlagen wird, muss eine Vereinbarung [acuerdo] mit dem Herrn des Waldes getroffen werden. Jedes Element in der Natur hat einen Herrn, der zuständig ist für die Pflege der verschiedenartigen Erscheinungsformen der Natur.

Der Herr des Waldes heißt Kalashe-Kalabia. Kalashe ist der Mann und Kalabia ist die Frau. ‘Kala’ kommt vom Namen des Strohs, mit dem traditionell die Hütten in den hochgelegenen Gebieten der Sierra Nevada de Santa Marta gedeckt werden. Dem Herrn des Waldes wird mit grünen Quarzen oder mit Tumas gedankt [pagar], das sind uralte eingravierte Steine, mit denen die Rituale für Dankesgaben [pagamentos] vollzogen werden.


Bevor man mit dem Holzschlag beginnt, dankt man [se paga] den Werkzeugen, die bei der Arbeit verwendet werden, vor allem den Ă„xten und Macheten. Alle HĂślzer dĂźrfen nur bei abnehmendem Mond geschlagen werden



VEREINBARUNG MIT DEN ANDEREN VÖLKERN, unseren Brüdern

Sobald die Stützbalken aufgestellt sind, wird auf den Boden im Inneren des Kreises eine dicke Liane von 8 – 10 cm Durchmesser gelegt. Das, was einmal das Dach sein soll, wird noch unten am Boden an der Liane befestigt, die dann als Befestigungsring für das Dach dient.

Anschließend beginnt man das Tragwerk aufzustellen. Am Boden werden zwei Kreuze aus je zwei Stäben zusammengefügt, die man dann aufrichtet und mit einem zweiteiligen Bock absichert. Dann werden dort zwei Gabelstützen angebracht, um der Hütte mehr Stabilität zu verleihen.

Jeder der vier Stäbe steht für eines der indigenen Völker der Sierra Nevada de Santa Marta: Kogui, Arzario, Arhuaco und Kankuamo. Ihre Verbindung im Gerüst stellt die Vereinigung der vier indigenen Völker der Sierra dar.



VEREINBARUNG MIT DEN MENSCHEN UND DEN TIEREN

Wenn die Grundstruktur errichtet ist, werden die restlichen Stäbe für die Abdeckung des Hauses angebracht. Für die Indigenen verkörpern diese Stäbe die Gefreiten und die Kommissare, die ebenfalls Autoritäten sind und von den Mamas ernannt werden, um dafür zu sorgen, dass die materiellen Arbeiten gut erledigt werden.

Nach den Stäben werden auch die Lianen angebracht, an denen Palmblätter oder Stroh eingehakt werden.

Der Abstand zwischen den Lianen ist von der Wahl des Materials abhängig, welches für das Dach verwendet wird, Stroh oder Palme der Arten Iraca, Cola de Gallo, Maquenque, Tagua und Amarga.



Wie die Stützbalken Menschen sind, sind die Stäbe ihre ausgestreckten Arme, die die Tiere hoch nach oben halten. Die Tiere verkörpern jedes indigene Volk.


VEREINBARUNG MIT DEM TEUFEL (dem Negativen)

Bei einfachen Bauten werden im mittleren und oberen Bereich der Dachkonstruktion je zwei Stäbe in Kreuzform eingepasst, die von einer Liane gehalten werden. Das Kreuz oben in der Mitte bezeichnet den Eingang und hilft, dass das Tragwerk nicht unter der Last des Materials einknickt. Für die Indigenen ist dieses Kreuz ein Mittel zu verhindern, dass der Teufel (das Negative) ins Haus eindringt. Und es repräsentiert zugleich das Herz der Tiere, die in diesem Haus wohnen. Das Kreuz wiederholt sich in der Form des Webrahmens, mit dem die Kleidung hergestellt wird, und auch in der Weise, wie die Männer ihre beiden Mochilas [typische Umhängetaschen] auf dem Rücken kreuzen.

In den Zeremonienhäusern bringt man zusätzliche Niveauschichten an, bis man die verschiedenen Tiere, die es in der Natur gibt, bei sich hat: Tiere mit vier Beinen, mit zwei, Tiere, die fliegen oder die im Wasser leben.



In den Zeremonienhäusern bringt man zusätzliche Niveauschichten an, bis man die verschiedenen Tiere, die es in der Natur gibt, bei sich hat: Tiere mit vier Beinen, mit zwei, Tiere, die fliegen oder die im Wasser leben. Auch die Tiere haben einen Platz im Haus und in der Organisation. Sie werden unterteilt in die, die als weiblich und die als männlich gelten, und jeder einzelne Mensch steht in wechselseitiger Beziehung zu einem Tier seit seinem Ursprung.

Den Tieren müssen Gaben [pagamentos] dargebracht werden. Wenn man diese Pflicht erfüllt, muss man nichts fürchten und das Tier wird den Menschen gegen Krankheit und Unglück verteidigen.


VEREINBARUNG ZWISCHEN KOPF UND KÖRPER

Sobald die Dachkonstruktion im Boden verzurrt ist, macht man den nächsten Schritt und zieht sie hoch und befestigt sie an den Stützbalken. Danach bringt man die Vordächer an, die für die Indigenen die Vasallen repräsentieren.


Um die Dachkonstruktion zu beenden, werden im obersten Bereich der Abdeckung die sogenannten „Hörner“ angebracht, die verhindern sollen, dass sich die Struktur verdreht. Diese „Hörner“ markieren auch den Eingang. An sie bindet man ein Stück Gewebe, das die Fledermaus repräsentiert, um die Fruchtbarkeit der Familie und der Ernten zu sichern. In den stärker traditionsbewussten Dörfern hängt man an die Hörner Töpfe, die die Nahrung für die Tiere symbolisieren, die im Geiste mit im Haus leben



Wenn das Dach mit Palmwedeln bzw. mit dem Stroh gedeckt ist, beginnt man die Wände zu schließen. Die Wände der Hütten werden meistens mit Bahareque [Gemisch aus Lehm und Holzmaterialien] und die der Cansamarías mit einem Geflecht aus caña lata geschlossen.

Man sieht auch Wandumschließungen aus Palm-, caña lata- oder Guadua(Bambus)latten, allerdings sind diese weniger verbreitet. Weben ist eine tagtägliche Handlung. Es ist wie denken.

So wird die Faser geflochten, die das Haus von außen schützt; um den Fique (Jutte) oder die Baumwolle zu knüpfen, aus der die Mochilas hergestellt werden, die mit ihren Mustern jedes Individuum mit seiner Linaje identifizieren; und um am Webstuhl den weißen Faden zu verweben, aus dem die Kleidung hergestellt wird.

Jeden Tag werden die Gedanken eingewoben. Deshalb bemüht man sich darum, dass sie geordnet sind, in Harmonie, wie klare, entwirrte Fäden.


Vereinbarung mit dem Herzen der Erde

Bevor man ins Haus eintritt, um es zu bewohnen, muss es geweiht werden. Damit stellt man sicher, dass man hier ein ruhiges Leben wird führen können. Bevor die Feuerstelle entzündet werden kann, räuchert man den Raum mit den verschiedenen Farnen aus, um alle Krankheiten wie Juckreiz, Fieber oder Kopfschmerzen zu vertreiben. Dann wird dort, wo die Flamme brennen wird, mit roten Steinen gedankt [pagar]. Erst dann darf man die Feuerstelle anlegen. Zuletzt wird eine Troja [eine höherliegende Fläche aus verflochtenem Geäst] gebaut, auf die das Holz in der Regenzeit zum Trocknen gelagert wird. Wenn diese Troja nicht gebaut wird, sagen die Indigenes, kommen die Kinder ohne Herz und Eingeweide zur Welt.

AUS DEM HERZEN WERDEN DIE GEDANKEN GEBOREN, DIE DIE WELT NÄHREN. DIE FEUERSTELLE IST DAS HERZ, DIE DAS HAUS AM LEBEN ERHÄLT. DIE SIERRA NEVADA DE SANTA MARTA IST DAS HERZ, DAS DIE ERDE AM LEBEN ERHÄLT.




WALD: ATEM – BLÜTE Von Juana Londoño Niño


ATEM – BLÜTE Die Umgebung entsteht von innen; sie ist eine Spiegelung unseres Innenlebens. Mit dem, was wir tun, was wir denken, was wir ausatmen, ernähren wir das, was außen ist; wir ernähren den Wald oder machen ihn krank. Der Wald nimmt unseren Atem auf. Daher muss man sich konzentrieren und die Gedanken reinigen, um den Wald gut zu ernähren. Sich zu konzentrieren heißt, einen klaren Gedankenfaden finden und sich nicht zu verästeln. Heißt, sich für den Weg entscheiden und von da an ihn zu gehen. Reinigen heißt, diesen Weg rein halten, erkennen, was positiv und was negativ ist, und so in der Lage sein, das Negative zu verändern. Ernähren heißt hin-geben, dem Wald Nahrung geben, damit er wächst, damit er Wasser speichert und die Tiere schützt. Denn der Wald ernährt sich nicht nur von materiellen Dingen, sondern auch von den Gedanken, die in der Welt des Spirituellen und Nichtberührbaren entstehen. Jeder Mensch muss auf seine Gedanken Acht geben, damit sie keinen Schaden anrichten. Damit die Farbe der Blüten im Sommer nicht verblasst und die Kraft der Flüsse in der Regenzeit sie weiter hin zu den Mündungen treibt, bis sie das Meer treffen.

Der Wald schickt mit den Flüssen Samen zum Meer als Nahrung, die man in den Mündungen findet. Auf diese Weise dankt der Wald dem Meer für das Wasser, das es ihm schickt, damit er wachsen kann. Denn aus dem Meer formen sich die Wolken, sie werden zu Regen und überströmen den Wald. Der Regen wird Wasser, das Wasser ist Fluss, ist Weg, ist das Schicksal, das jedem Tag und in jeden Stein eingeflochten wird, während es dunkel wird. Der Wald der Sierra Nevada de Santa Marta ist ein kostbarer Schatz. Hier kann man Bäume und Tiere finden, die am Rand des Meeres geboren werden und wachsen, und auch solche, die sich oben mitten im Nebel zwischen den großen Steinen vom Páramo verstecken.

Unten stehen die Bäume, die Dornen und kleine Blätter haben, weil es hier nur wenig regnet. Da sind die Bäume, aus deren Rinde1 die Farben gewonnen werden, mit denen die Streifenmuster der Mochilas (typische Umhängetaschen) eingefärbt sind. Und auch duftende Bäume wie die Bija2 (Heiliges Holz), die in der Osterwoche entzündet wird, wie der wildwachsende Guavenbaum3, der wegen seiner harten Rinde bekannt ist, oder die Ceibas4, die alle anderen Bäume überragen und dem Wald mit ihren Blüten Farbe schenken. Hierher in den Wald kommen Vögel aus dem Norden5, den Ozean überquerend, und leben gemeinsam mit Krabben und Hirschen6, die einen aus dem Meer, die anderen vom Land. Weiter oben fängt der Wald an feuchter zu werden und die Bäume wachsen noch stärker in die Höhe. Deshalb gibt es hier viele Bäume, die als Wächter betrachtet werden. Wie der Caracolí7, der die Quellen der Flüsse und Bächlein schützt, und auch von den Fischern zum Bau von Bongos und Kanus verwendet wird, mit denen sie auf das Meer hinausfahren. Dort wächst auch der Higuerón8, der in der Sprache der Arzario Zhangó heißt, was so viel wie mildes Land bedeutet. Dieser Baum kennzeichnet das Territorium der Wiwa. Es wachsen hier auch Bäume mit harten Edelhölzern wie die Roble rosado9 (Roseneiche) oder der gelbe Guayacán10 (Guajakbaum) und andere wie der Avocadobaum, der den Wald alle Jahre zur Jahresmitte mit Nahrung füllt und Tiere wie den Ñeque11 oder die Guartinaja anlockt, die von seinen Früchten essen.

Bevor man in sehr kalte Gebiete gelangt, kommt man in den Feuchtwald. Er ist das Haus der Palmen. Hier leben die Taguas12, in denen Oropéndolas13 ihre Nester in Form von hängenden Mochilas flechten, die Chonta14 (Stachelpalme) mit ihrem dornenbedeckten Stamm, aus dem die Mamas (höchste Autorität der Indígenas) ihre Befehlsstäbe oder Webrahmen machen, und die Palma Cola de Gallo15 (Hahnenschwanz-Palme), die Samen auswirft als Nahrung für die Vögel, die hier sind. Es gibt Bäume mit hartem Kernholz


wie der Cedro (Zeder), der zur Herstellung der Griffe von Äxten und Zuckerrohrmühlen genutzt wird, und zeremonielle Bäume wie den Kanji, der Nahrung welche die Mamas während ihrer Rituale zu sich nehmen. Hier im Feuchtwald lebt der Jaguar16, der gleich dem Mama eine Autorität darstellt. Denn genau wie die Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft Verantwortung tragen, haben die Tiere im Wald ihre festen Aufträge. Es leben auch der Armadillo17 (Gürteltier) hier und der Puercoespín18 (Stachelschwein), das den Jaguar manchmal mit seinen Stacheln sticht, und die Manaos19 (Halsbandpekaris), die den Wald zum Dröhnen bringen, wenn sie in Herden zur Nahrungssuche aufbrechen.

Im Parámo kommen zwischen den großen Steinen Wasser und Heilpflanzen hervor, die zur Behandlung von Krankheiten gesucht werden. Es riecht nach Tusílago20 (Huflattich), Romero (Rosmarin) und Frailejón21 (Espeletia). In diesem höchsten Gebiet vor der Schneegrenze liegen die Lagunen. Sie sind heilig, weil sie das Haus sind, in dem das Wasser geboren wird. Hier herauf bringt man die Pagamentos (Dankesgaben), die unten am Meer aus Schnecken und Muscheln bereitet werden, denn der Páramo ernährt sich von Schnecken und Muscheln aus dem Meer und das Meer von den Steinen und Pflanzen des Páramo. Der Wald ist Tradition, er ist Geschichte. Hier sind sowohl die Bäume, die die Berge mit Farbe erfüllen, und auch die Autoritäten, die Wächter über das Territorium und die heiligen Samen, die an den Stränden gesammelt und zu Festen gegessen werden.

Wer den Wald kennt, weiß, dass in ihm das Gesetz der Natur gilt und deshalb achtet und schützt er ihn. Nach Ramón Gil, der größten Autorität der Wiwa in der Sierra Nevada de Santa Marta, besagt dieses Gesetz Folgendes:

„Ein Avocadobaum, eine Zeder und ein Higuerón streiten nicht; vielmehr helfen sie sich, sie geben einander Schatten, sie geben Kühle, sie geben Früchte, und damit ernährt man sich selbst; auch die Tiere kommen und essen. Wenn es regnet, speichern die Bäume in ihren Wurzeln Wasser, und wenn einer gräbt, findet er Wasser, und die Erde hält das Wasser, und es dient allen zum Trinken. Da es Dampf bildet, bildet es Wolken, die steigen und nachher zu Regen werden, mit dem sich die Lagunen füllen; und die Lagunen verteilen das Wasser in alle Richtungen, für alle, damit niemand ohne Wasser bleibt. Weder streitet der Avocadobaum mit der

Zeder noch mit dem Higuerón, vielmehr dienen dem Higuerón die abgefallenen Blätter des Avocadobaums…“

Lateinischen Bezeichnungen der Arten von Pflanzen und Tieren.

Von Fernando Salazar Holguín

1. Dividivi (Caesalpinia coriaria) und Palo de Brasil (Haematoxylum brasiletto) beide aus der Familie der eguminosen. 2. Bija oder Palo Santo (Heiliges Holz, Bursera graveolens), Burseraceae. 3. Guayabo (Guavenbaum, Psidium guajava), Myrtaceae. 4. Ceiba pentandra, Malvaceae. 5. Jedes Jahr kommen aus Nordamerika in die Sierra Nevada und ihre Umgebung Tausende von Vögeln, aus Hunderten von Arten, die dem Winter in der nördlichen Hemisphäre fliehen. Darunter Fischadlern (Pandion haliaetus), Wanderfalke (Falco peregrinus) und zahlreiche Singvögeln. 6. Der Weisswedelhirsch (Odocoileus virginianus) lebt im Trockenwald in den unteren Zonen und auch im Páramo. Es gibt auch Hirsche der Gattung Mazama in den Wäldern der gemäßigten Zonen. 7. Caracolí (Anacardium excelsum), Anacardiaceae. 8. Es gibt zahlreiche Arten von Higuerones, der Gattung Ficus, Moraceae. 9. Roble rosado (Roseneiche,Tabebuia rosea) und Guayacán Amarillo (Tabebuia chrysantha), beide aus der Familie der Bignoniaceae. 10. Guayacán (Guajakbaum, Persea Americana), Lauraceae. 11. Ñeque (Dasyprocta punctata) und Guartinaja (Agouti paca), beides Nagetiere. 12. Tagua (Steinnusspalme, Phytelephas macrocarpa), Palmae. 13. Oropéndolas (Cacicus leucoramphus), Icteridae. 14. Chonta (Stachelpalme, Dictyocaryum lamarckianum), Palmae. 15. Palma Cola de Gallo (Hahnenschwanz-Palme, Calyptrogyne sp), Palmae. 16. Jaguar oder Tigre (Panthera onca). 17. Armadillo (Gürteltier, Dasypus novemcinctus). 18. Puercoespín (Stachelschwein, Coendou prehensilis). 19. Manao oder Cerdo de manada (Tayassu pecari) und der Saíno oder Pecarí de Collar (Pecari tajacu). 20. Tussílago (Huflattich, Tussilago farfara), Asteraceae, endemisch in Eurasien, und Romero (Rosmarin, Rosmarinus officinalis), Lamiaceae, eingeführt in Amerika als Heilpflanzen. 21. Frailejones aus den Gattungen Espeletia und Libanothamnus, dieser verästelt und baumförmig.



Die Frauen der Sierra Viele Frauen sind gewesen und sind Teil des Lebens der Sierra Nevada de Santa Marta. Jede einzelne Frau, ob hier geboren oder hierher gezogen, lebt mit einem vorbestimmten Schicksal in diesem Territorium.

Für die Indianer der Sierra stehen die Frauen für die ERDE, da wo die Samen eingebracht und geerntet werden, da wo die Bäume wachsen und zum Wald werden, da wo das Wasser läuft und zum Fluss und später zum Meer wird, da wo Bergspitzen die Sonne verbergen und die Geschichte der Menschen verwahren.

Für die Frauen ist das Leben in der Sierra nicht einfach, aber auch nicht traurig. Jede Frau birgt ein Geheimnis, sie bewahrt es wie eine Mitgift für ihre Kinder, damit sie kraftvoll gedeihen. Auch in den Bauerngemeinschaften der Sierra sind die Frauen wie die ERDE, in sie werden Hoffnungen mit jeder Kultur gesät.

Die Frauen sind auch wie das WETTER. Sie werden zum Regen, der über die Steine fällt, zum Wirbelsturm, der sich tobend dreht, zum Blitz, der den Himmel bricht und sich doch wieder besänftigt, zum Nebel, der den Himmel verhängt, und nach all dem: die Sonne. Jede einzelne Frau macht ihren WEG, den ihr das glückliche Schicksal eine Frau zu sein gibt. Denn außer ERDE und WETTER ist sie HERZWUNSCH, dieser Faden, herausgebildet und erfüllt mit Gedankenwelten, über den sie die Nahrung bringt, die sie ihren Kindern gibt.

Seit Kindesalter lernen sie sich im Wasser zu sehen, an der Seite der Feuerstelle zu wachsen, den Mais zu vermahlen, wie es immer gemacht wurde, einmal und immer wieder, bis sie selbst stark sind. In den Nächten, bevor sie zu Bett geht, singt sie, während die Tiere lauschen und ihr Gesellschaft leisten. In der Morgendämmerung dreht sich die Spindel erneut wie zu Anfang. Sie ist Prinzip und auch Ursprung. Der Kreis schließt sich nie, ist eine Schnecke, die mit dem Wind klingt und den Schmerz im Schweigen verbirgt.

Denn in der Sierra gibt es auch Zerstörung: Sie nehmen das Gold, die Steine, die Geschichte und die Gegenwart, auch wenn die Frauen singen und ernten und das Feuer im Herd entfachen. Dann gibt es erneut eine Drehung, weil das Leben stärker ist als der Tod. Ein neues Kind wird geboren, wie wenn ein starker Baum zum ersten Mal blüht und rosa oder gelb die Berge bedeckt, wie die Vögel ihre Nester auf der höchsten Stelle der Palmen bauen, oder der Adler fliegt, während der Jaguar umsichtig schreitet. Es ist ein neuer Zyklus und die Frauen teilen es. Sie gehen zum Fluss,ihre Stimmen sind ununterbrochen zu hören. Daher ist die Frau auch das WORT, was ausgesprochen wird, was arbeitet, was stillt, was das Geheimnis ins Feuerlicht verwandelt, was im Herzen der Sierra brennt und in der Einsamkeit lächelt. Sie sind in Wirklichkeit nie einsam, sie werden immer vom Verlangen begleitet nach einem Mund, nach einer Umarmung, nach dem Hinschauen, bis man sich in anderen Augen findet, und den Uferrand zu überqueren, um das Laufen neu zu beginnen.

Der Körper ändert sich mit jedem Winter. Die Mädchen sind schon Frauen und spiegeln wieder, was sie erlebt haben. So säen sie aus, ernten und verlieben sich, binden sich Chaquiras um den Hals und Bänder um den Arm oder malen sich die Lippen mit leuchtenden Farben. In jeder Form: die Frauen in der Sierra sind kostbare STEINE. Der Abend fällt. Das Herz der Roseneiche, das einst die Ufer überquerte und seinen Körper in anderen Armen ließ, hört auf zu existieren. Die Musik erklingt in der Stille der Nacht, die Trommel füllt die Leere, und der Gesang einer neuen Frau steigt auf, die auch ERDE ist.

Juana Londoño Niño



Fragen an die Architektur Bauen vermittelt eine Art zu wohnen und gleichzeitig aber auch das Bewusstsein von dem, was wir sind. Heute sehen wir, dass es in der Welt Probleme jeder Denkart gibt, und deshalb ist die Art wie wir Bauern ein wesentliches Thema: sie ermöglicht uns das Bewohnen, zugleich aber hilft sie uns zu verstehen, was wir sind, und konfrontiert uns wie nie zuvor damit, dass wir der Zukunft verpflichtet sind. Also muss sich die Architektur, diese althergebrachte Kunst und Technik, einmal mehr auf die grundlegenden Fragestellungen besinnen: Was zu bauen ist, aber vor allem, wie es zu bauen ist. Das umfasst die anspruchsvolle Aufgabe, die eingegangene Verpflichtung aufzugreifen und außerdem eine zeitgerechte, respektvolle, schöne und menschliche Antwort zu geben.

In der Sierra Nevada de Santa Marta setzten sich die alten Völker mit diesen Fragestellungen auseinander, entsprechend ihrem Verständnis der Zerbrechlichkeit, der Begrenztheit, der Verletzlichkeit und widersprüchlichen Natur des Lebens. Über viele Jahrhunderte haben die Bewohner der Sierra verstanden, dass alles, was geschieht, seine Bedeutung hat, dass alles im rechten Maß Bestandteil ist der lebendigen, gegenwärtigen Welt. Die Worte und die Bilder der Ausstellung erklären uns diese essentielle Betrachtungsweise anhand der Form und der Prinzipien, die festlegen, wie ein Haus zu bauen ist. Sie sind einfach und direkt, weil sie gleichzeitig die Frage und ihre Antwort sind. Sie sprechen zu uns über die Zeit, über den Ort, über die Energie und über die anderen Dinge.... sie vermögen die ganze Komplexität der Existenz zu umfassen, ohne Kategorien oder Differenzierungen aufzustellen, wie eine immerwährende Ganzheit, wie eine sinngefüllte Metapher. Die Worte und Bilder erklären uns auch die Dinge, die wir vergessen haben, oder lieber, sie laden uns ein, wieder über sie

nachzudenken. Welt und Zeit sind einunddasselbe, und solange wir Teil davon sind, müssen wir fortfahren das zu bauen. Das heißt, das hier zwischen uns und allem zu bauen, im Rahmen der Vereinbarung, mit der Kraft, die aus der Gemeinsamkeit auf uns zukommt, mit der aufmerksamen Beobachtung und dem Glück, das aus den einfachen Dingen entsteht. Ohne den Egoismus zu glauben, dass wir einzigartig wären, ohne die Arroganz zu denken, wir könnten etwas trennen, was untrennbar ist, und ohne die Furcht vor dem Tod, die uns mit all dem auflastet was sich als unnötig erweist. Das alles können wir in den Worten und Bildern Juanas lesen. Mit jedem Strich und mit jedem Buchstaben komponiert sie ihre Interpretation des Erlernten. Es sind Signale aus der Botschaft, die uns diese Erbauer der Welt hinterlassen, eine Botschaft essentieller Weisheit, die in der Tradition gründet, der immerwährenden Wiederkehr, der Spur, im Gewebe, und im Vermögen zu verstehen, dass alles, was sich anzeigt, immer auf die gleichen Fragestellungen zurückgreift. Nicht um zu den gleichen Antworten zu kommen, sondern um den fundamentalen Wert der Fragen zu bestätigen. So wird das Haus, das wir bauen, bewohnbar sein, es wird uns sagen, was wir sind. Es wird die Historie bewahren die Ursprungsgesetz und Norm ist. So wird das Haus die Welt sein und bestehen bleiben.

So wird das Haus auch das Haus unserer Kinder sein.

Roberto José Londoño Niño



Juana Londoño Niño Kontaktadresse:

Jlondono1933@hotmail.com jlondono@prosierra.org Kolumbien, Magdalena, Santa Marta Carrera 24 a #15-47 Telefon: (+57) 4203731

Santa Marta, Kolumbien Oktober, 2012

Copyright © 2012 Juana Londoño Niño. Alle Rechte vorbehalten.


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