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An heißen Sommermonaten sowie an strengen Wintertagen überquerten wohl hunderte Pferdefuhrwerke, Händler aus aller Welt und Bürger der Stadt die Neißebrücke. Als Teil der Handelsstraße via regia war sie eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Ost- und Westeuropa. Der genaue Zeitpunkt der Erbauung der ersten Brücke unterhalb der Peterskirche ist nicht bekannt – dass sie aus Holz war dagegen schon. Obwohl die Holzbrücken sehr anfällig waren, wurde über Jahrhunderte hinweg dieses Baumaterial verwendet. Durch Abnutzung beschädigte oder aufgrund von Hochwasser zerstörte Brücken wurden erneuert oder neu aufgebaut. Erst im Jahre 1907, nachdem erneut ein Hochwasser eine hölzerne Brücke zerstört hatte, wurde die auf der historischen Ansicht abgebildete Steinbrücke mit Stahlbögen als Verbindung beider Neißeufer fertig gestellt. Diese Konstruktion widerstand allen Naturgewalten und ließ tausende Menschen und Tiere über Jahre hinweg passieren. Doch die gezielte Sprengung der deutschen Wehr-
macht aller Görlitzer Neißebrücken im Mai 1945 zerstörte auch sie. Ein unbeschwertes Überqueren des Flusses war nun nicht mehr möglich – ans andere Ufer konnte man nur über Behelfsbrücken gelangen, aber auch die gab es bald nicht mehr. Mit dem Potsdamer Abkommen wurde Görlitz zur geteilten Stadt. Die Oststadt, Zgorzelec, gehört heute zu Polen. Zu DDR-Zeiten und auch in der Nachwendezeit gab es an dieser Stelle keine Brücke. Erst seit 2004 kann man den Grenzfluss unterhalb der Peterskirche wieder überqueren, denn in diesem Jahr wurde die wiedererrichtete Altstadtbrücke eingeweiht. Eine Brücke, die einst zwei Stadtteile verband und Bestandteil einer bedeutenden Handelsstraße war, verbindet heute zwei europäische Staaten miteinander. „Fuhrwerke und Händler“ aus aller Welt nutzen heutzutage zwar andere Wege, um nach Ost- und Westeuropa zu gelangen, aber die Bürger von Görlitz/Zgorzelec sowie Touristen passieren die Fußgängerbrücke in der Görlitzer Altstadt gern und viel, um auf die jeweils andere Seite zu kommen.