20 Jahre Märkische Oderzeitung
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Liest täglich die MOZ: der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck
Mittwoch, 17. März 2010
Offen, ehrlich und beweglich Meine erste Begegnung mit der Märkischen Oderzeitung reicht weit ins Jahr 1990 zurück. Die mit ihrem heutigen Chefredakteur übrigens auch. Damals war er noch beim „Morgen“ und half mir West-Import über die ersten Ost-Hürden. Beide, Frank Mangelsdorf und die Zeitung, waren echte DDR-Gewächse, beide neugierig auf ihrem Weg in die Zukunft. Irgendwie haben wir drei uns nie ganz aus den Augen verloren. Und heute freue ich mich ganz besonders darüber. Damals, kurz nach der Wende, waren Frankfurt (Oder) und die Zeitung, die damals noch „Neuer Tag“ hieß, für jemanden wie mich noch etwas ganz Besonderes. Hier konnte man viel über die Menschen lernen, die ihre Geschichte selbst in die Hand nahmen und die ihre Starre abschüttelten, ohne gleich in die angepasste Betriebsamkeit zu Kommt immer wieder gern verfallen. Offen, ehrlich und nach Frankfurt (Oder): Thomas bei aller Verbundenheit mit der Brackvogel
Thomas Brackvogel
Stimmungsbarometer der Region 20 Jahre Märkische Oderzeitung! Das sind 20 Jahre Brandenburger Zeitgeschichte. Und das ist neben Nachrichten, Zitaten und Fakten auch Heimatgefühl für die Menschen der Region. Mit dieser Mischung konnte sich die MOZ einen festen Platz in unserer Zeitungslandschaft sichern. Wer in früheren Jahrgängen der MOZ stöbert, wird sich an Menschen und Momente erinnern, die unser Land geprägt haben. Das beginnt schon mit den ersten Ausgaben, die rund um die freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 erschienen sind. Damals überschlugen sich die Ereignisse, und Nachrichten entstanden schneller, als die Druckertinte auf dem Zeitungspapier trocknen konnte. Nach der friedlichen Revolution im Herbst ’89 waren wir in Ostdeutschland im Aufbruch, nur wusste bis zu jenem Wahltag niemand genau, wohin. Ich saß für die Grüne Liga am Runden Tisch der DDR und stritt im Kreise der anderen oppositionellen Grup-
pen und den Vertretern der alten Garde aus SED und Blockparteien über die Zukunft des Landes. Zu diesem Zeitpunkt war die Vision vom dritten Weg, einer reformierten DDR „zwischen“ Sozialismus und Kapitalismus, bei mir noch gegenwärtig. Doch wir Bürgerbewegten aus dem Herbst ’89 gerieten zur Minderheit. Die Mehrheit der Bevölkerung entschied am 18. März anders und eindeutig, sie entschied sich für die CParteien, Helmut Kohl und die Deutsche Einheit. Das war nicht nur für mich eine Überraschung. Wer die MOZ vom Tag nach der Wahl aufschlägt, bekommt ein Gefühl für den großen Druck, den diese Weichenstellung auslöste: Die Währungsunion, der Eintritt in die Marktwirtschaft, die Wiedergründung des Landes Brandenburg – all das musste nun in Hochgeschwindigkeit vorbereitet werden. Die Zeitungsseiten der folgenden Monate spiegeln einerseits die Freude über D-Mark
und volle Einkaufsregale, erste Traumautos und Traumurlaube, andererseits auch die Angst vor dem Scheitern. Bilder von demonstrierenden LPG-Bauern, Vorboten der Umstrukturierung und Entlassungswellen in den (noch) volkseigenen Betrieben und viel Unsicherheit zwischen den Zeilen sind zu finden.
Matthias Platzeck Ministerpräsident Brandenburgs Bald tauchen immer mehr Namen von Aufbauhelfern aus Westdeutschland auf. Ihr Selbstbewusstsein hat uns damals beeindruckt, manchmal auch irritiert, besonders wenn im Sog des DDR-Staats die eigenen Leistungen mit unterzugehen drohten. Heute – mit dem Wissen aus 20 Jahren – fühle ich mich den meisten dieser Helfer in Dank
verbunden. Ohne die Solidarität aus den alten Ländern, finanziell wie organisatorisch, hätten wir das neue Brandenburg nicht auf die Beine stellen können. Es fehlte uns die Erfahrung mit den Gesetzen dieses neuen Systems, das in kürzester Zeit in der Rechtsprechung, in Verwaltung und Wirtschaft zum Laufen gebracht werden musste. Fehler und Rückschläge blieben nicht aus, auch das lässt sich im MOZ-Archiv nachlesen. Zuweilen hat uns das geflügelte und bald schon flügellahme Wort von den „blühenden Landschaften“ den Blick verstellt für die tatsächlichen Erfolge im Land. Die werden aber greifbar, wenn man beispielsweise die MOZ-Lokalausgaben zur Hand nimmt, Fotos und Bildunterschriften vergleicht. Wer hätte sich 1990 vorstellen können, dass Frankfurt „Solarhauptstadt“ der Bundesrepublik sein würde oder Schwedt das „Tor zum deutschpolnischen Nationalpark“? Dass
der ehemalige Truppenstandort Bernau einen neuen Ortsteil „Friedenstal“ bekommt? Dass an der „Viadrina“ heute Exzellenz und Prominenz aus aller Welt zu Gast sind? Oder dass wir unser Stahlwerk in „Hütte“ sogar gegen eine globale Wirtschaftskrise verteidigen? Die Märkische Oderzeitung hat all das festgehalten, ist Chronik und Stimmungsbarometer unserer Region geworden. Und als vor Ort produziertes Blatt, gemacht von Leuten, die hier zu Hause sind, nimmt die MOZ einen wichtigen Platz im demokratischen Diskurs in unserem Land ein. Für fröhliche Geburtstagsfeiern gibt es guten Grund: bei der MOZ wie im ganzen Land Brandenburg, das wenig später, im Oktober, sein zwanzigjähriges Jubiläum begeht. Wenn ich für beide Geburtstage eine Überschrift formulieren sollte, dann würde sie – mit etwas Augenzwinkern – heißen: „Ohne MOZ und Mark wäre Deutschland nicht so stark!“
Geschäftsführer Neue Pressegesellschaft mbH & Co. KG Ulm eigenen Geschichte beweglich, so habe ich die Frankfurter kennengelernt. Wo gab es das schon, dass Redaktion und Verlag ihre eigene Unabhängigkeitserklärung verfassten? Und welcher Stolz muss die Mitarbeiter erfüllt haben, als sie am 17. März 1990, dem Tag vor den ersten freien Wahlen zur DDR-Volkskammer, ihre Zeitung unter dem neuen Titel Märkische Oderzeitung erscheinen ließen. Es gehört zu den glücklichen Fügungen der jüngeren deutschen Geschichte, dass der Verlag damals nicht an den Hamburger Heinrich Bauer Verlag, sondern am 26. Juni 1991 an die Neue Pressegesellschaft mbH & Co. KG in Ulm verkauft wurde. Es war eine glückliche Fügung für uns, und ich hoffe auch für die Mitarbeiter des Frankfurter Verlagshauses. Dass am 11. Mai 1992 die Gesellschaftsanteile zwischen der Neuen Pressegesellschaft und der Stuttgarter Verlagsgesellschaft Eberle GmbH geteilt wurden, hat die wirtschaftliche Basis
für den Verlag noch verbreitert und dem Haus jene Stärke und Bewegungsfreiheit gegeben, die aus ihm das prosperierende Medienhaus gemacht haben, so wie wir es heute kennen. Heute zählen neben der Zeitung, ihrem Online-Auftritt und den Wochenund Anzeigenblättern auch eine eigene Postgesellschaft, Verteilund Logistikdienste sowie einige kleine Medienbeteiligungen zu den unbestreitbaren Stärken des Hauses. Die Märkische Oderzeitung steht heute in einer starken journalistischen und verlegerischen Tradition. Für sie stehen Namen wie Claus Detjen, Bodo Almert, Frank Mangelsdorf und Peter Philipps, aber auch Verleger wie Eberhard Ebner. Sie alle stehen für guten Journalismus, tiefe Verbundenheit mit der Region und deren Menschen und nicht zuletzt für gute, freundliche Beziehungen zu ihren polnischen Nachbarn. Und sie sind auch die Garanten für den Fortbestand der Zeitung und des Zeitungsstandortes Frankfurt (Oder). Es ist noch immer etwas Besonderes, nach Frankfurt (Oder) zu fahren, und es macht noch immer Freude, die beiden zu treffen – die Zeitung und den Chefredakteur. Vielen Dank dafür – und mein herzlicher Glückwunsch zum heutigen Jubiläum.
Die ehemaligen Chefredakteure gratulieren A
ch, was war das ab Herbst 1989 für eine aufregende Zeit. Nichts blieb, alles wurde anders. Die Menschen, die aus der Kommandowirtschaft entlassen wurden, suchten nach Orientierung. Genauso wie die bei der Zeitung arbeitenden Journalisten. Es gab auch für DDR-Journalisten in der neuen Freiheit viel zu gewinnen. Doch nicht jeder wollte gleich voran gehen. 40 Jahre SED-Gängeljournalismus ließen sich nicht in wenigen Monaten aus den Kleidern bürsten.
Der Satz ist schlicht, aber zeitlos richtig, wie ich kürzlich bestätigt fand. Einem Kommunalpolitiker, der Zeitung wertschätzt oder kritisiert, je nachdem wie umfangreich über seine Partei berichtet wird, entgegnete ich diesen Satz ebenso. Mancher Ostkollege, der sich in der Vergangenheit einen guten Namen damit machte, zwischen den Zeilen zu schreiben, musste damals immer mal wieder daran erinnert werden, dass jetzt Klartext gefragt ist. Daher war es auch produktiv, dass in den MOZ-Redaktionen frühzeitig auch einige Westjournalisten arbeiteten. Das war eine spannende Lerngemeinschaft. Der Ostjournalist fiel durch sein beschauliches Temperament auf. Er posaunte nicht jede Sensation aus, sondern dachte erstmal darüber nach. Der Westjournalist stand von seinem Stuhl auf und ging der Sensation nach. Am schönsten wäre der geklonte Wossi-Journalist, der Nachrichten nachgeht und Heinz Kannenberg, darüber nachdenkt. Die eigentliChefredakteur chen Unterschiede bestehen heute von 1990 bis 1996 nur im Temperament und darin, dass Ostjournalisten einen Hauch Als damals jüngster Chefredak- von „russischer Seele“ behalten teur einer DDR-Bezirkszeitung haben. Auch wenn sie inzwischen blieb mir wenig Zeit, mich auf die besser Englisch sprechen. neue Situation, Zeitungmachen ohne Fremdauftrag, einzustellen. Am Anfang stand vor allem die s gab keine NavigationssysFrage: Für wen, wenn nicht mehr für die Partei, schreiben Journalisteme, weder für Autos, noch ten künftig? Einem Bürgermeister für die Orientierung im vereinten antwortete ich damals darauf: Ich Deutschland. bin von der Zeitung, ich bin JourOrientierung brauchten die Lenalist, ich schreibe für den Leser. ser und die Zeitungsmacher, die
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meisten ein Jahr vorher noch im Dienst der SED. Die Leser hatten einen Anspruch darauf, zu erfahren, wofür die Zeitung jetzt steht – unter den neuen Gesellschaftern, die aus dem Süden kamen. Sie waren bekannte Zeitungsverleger, die ihre Blätter in Baden-
ßer Bankenplatz werden. Eine der vielen Fehleinschätzungen. Wichtiger: die großen Ideen, die Wirklichkeit wurden – die Viadrina-Universität, der Wegfall der Grenzsperren, die Selbstverständlichkeit, mit der junge Brandenburger in aller Welt studieren und junge Leute aus allen Erdteilen zum Studium nach Frankfurt an die Oder kommen.
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Claus Detjen,
Chefredakteur von 1996 bis 1998 Württemberg im Geiste des Liberalismus herausbrachten, dem die Pressefreiheit ihre Entstehung verdankte. Wir veröffentlichten die Leitlinien für die Redaktion, voran das Bekenntnis zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, zum westlichen Bündnis, zur Europäischen Einigung und ganz besonders die Förderung des gegenseitigen Verständnisses zwischen Polen und Deutschland. Wie lange dieser Prozess dauert, zeigte bis heute die Auseinandersetzung um die Vertriebenen-Präsidentin Steinbach. Brandenburg flirrte vor Plänen. Jeden Tag wurden neue geboren. Frankfurt sollte ein gro-
enke ich an meine Zeit bei der Märkischen Oderzeitung zurück, kommt mir sofort wieder der November 1999 in den Sinn. Zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls hatte die ZDF-Sendung „Frontal“ eine Art Stadtporträt über Frankfurt gebracht. Der Beitrag war von vorne bis hinten unfair und bediente billigste Klischees. Die MOZ griff das Thema auf, gab den vielen aufgebrachten Lesern ein Forum, was wiederum überregionales Interesse weckte. Der Höhepunkt war eine große Podiumsdiskussion in der mit mehr als tausend Besuchern überfüllten Konzerthalle. Ein plötzlicher Wintereinbruch legte die Flughäfen weitgehend lahm. Der für die Sendung verantwortliche „Frontal“-Chef sagte kurzerhand ab. ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser dagegen, obwohl er mit der Produktion des Beitrags direkt gar nichts zu tun gehabt hatte, kam trotz aller Widrigkeiten und stellte sich der undankbaren Diskussion. Innerlich habe ich damals den Hut vor ihm gezogen.
Franz Kadell,
Chefredakteur von 1999 bis 2001
zu viel.“ Deutsch-Deutsche Wirklichkeit im Jahr 15 n.d.W. - nach der Wende. Ich werde diese Episode nie vergessen. Ich dachte an meine Kollegen in der Redaktion der MOZ, an unsere Leser, die am Tag der Einheit viel über die Wandlungen der letzten 15 Jahre in ihrer Heimat zu lesen bekommen werden, auch von den Beschwernissen, die der Weg in eine völlig neue gesellschaftliche und politische Ordnung mit sich gebracht hat – und daran, dass es eben doch stimmte: Es ist noch lange nicht zusammengewachsen, was zusammengehört.Auch in den
Es waren aufregende Tage für die „größte deutschsprachige Zeitung zwischen Berlin und Wladiwostok“, wie mein Kollege KlausDieter Pflaum sich ausdrückte. Jedenfalls leistete die MOZ damals einen Beitrag zu einem faireren Umgang zwischen Ost und West.
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ieA2 bei Bielefeld war an diesem 2. Oktober 2004 frei von jeglichen Staus. Das kannte man auch anders und die Laune war dementsprechend: gut. Gut gelaunt war – so weit man das aus der Tonlage herausfiltern konnte – auch der Moderator des WDR, der am Vorabend des Einheitstages griesgrämige Leute befragte. „Was glauben Sie wohl“, fragte er also, „wie viel Geld ist schon in die neuen Länder geflossen?“ Naiv, bösartig? „Weiß ich nicht“, antwortete der Befragte. „aber viel
Heinz Kurtzbach, Chefredakteur von 2001 bis 2006
Medien differieren die Sichtweisen auf die Dinge mehr, als es der Einheit gut täte. Alte Vorurteile waren bestätigt: Journalisten, die in den alten Bundesländern sozialisiert und ausgebildet worden waren, machen tempogetriebenen, ausschließlich ereignisorientierten Journalismus
und neigen zur Boulevardisierung der Stoffe. Ostjournalisten mit ihren völlig anderen Biografien und Ausbildungen dagegen wenden das nasse Eichenblatt, auf dem sie ausgerutscht sind, erst dreimal, ehe sie es der Eiche zuordnen und analysieren dann tiefgreifend, wem es nutzt, dass es dort liegt: Gründlichkeit ihr Credo, Aktualität gilt ihnen weniger als journalistische Tugend denn als lästige Pflichtübung. Zwei Welten, zwei Überzeichnungen; beide kratzen an der Wahrheit. In der Redaktion einer Regionalzeitung in den neuen Bundesländern, wie der nun schon 20 Jahre alten Märkischen Oderzeitung, treffen Ost und West tagtäglich aufeinander. Das moderne, inhaltlich wie gestalterisch den Anforderungen der neuen Zeit und der neuen, offen und pluralistisch gebildeten Gesellschaft entsprechende Blatt – der Heimat verbunden, aber weltoffen und ihren Lesern (und nur denen, nicht irgendwelchen Amtsautoritäten) verpflichtet –, ist das Ergebnis dieser Liaison; guter Journalismus für die Region, schnell und dennoch hintergründig. Daran mitzuwirken, war eine spannende Aufgabe in einer spannenden Zeit. Wo zusammen gearbeitet wird, wird zusammen gelebt, und wo zusammen gelebt wird, lassen sich Vorurteile gut abbauen. So gesehen habe ich die Redaktion der MOZ immer auch als ein Labor des Einigungsprozesses verstanden. Die Ergebnisse können sich sehen lassen – man muss ja nicht gerade in Bielefeld nachfragen.