Ich will kein Kind – Sonja Siegert, Anja Uhling

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Zum Faschismus gehört die Sichtweise von angeblich natürlicher, extremer Rollenverteilung untrennbar dazu. Das wirkt noch in der Organisation der Kinderbetreuung und der Unvereinbarkeit von Kindern und Beruf für Frauen nach. Auch psychologisch hat es vermutlich Auswirkungen bis heute, indem Frauen sich dem völlig übersteigerten Mutterideal komplett verweigern. Das kaum erfüllbare Idealbild der „guten Mutter“ begünstigt zumindest in Westdeutschland die Entscheidung gegen Kinder, wie eine Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung aus dem Jahr 2012 zeigt.10 Jedenfalls wurde bisher kein „Elternschaftstrieb“ nach­gewiesen, von dem Frauen nur um den Preis der „Unnatürlichkeit“ abweichen können. Im Gegenteil: „Die Tatsache allein, dass mütterliches Verhalten über Ideologiebildung abgesichert wird, spricht gegen seinen ‚natürlichen‘ Charakter. Mutterschaft wird nicht immer als befriedigend und erfüllend erlebt. Es bedarf einer mythischen Verschleierung, um Mutterschaft, auch wenn sie als einengend oder bedrückend erlebt wird, zu idealisieren.“11 Jessica Groß vermutet, dass die gesellschaftliche Kinderfeindlichkeit es nötig macht, das von Frauen erwünschte Verhalten durch aufgeladene „schöne“ und „richtige“ Frauenbilder sicherzustellen, damit trotz dieser Bedingungen Kinder geboren und umsorgt werden.12 Bei Hunger, Durst oder Schlaf käme hinge10 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hrsg.): (Keine) Lust auf Kinder? Geburtenentwicklung in Deutschland, Wiesbaden 2012. 11 Jessica Groß: Psychosomatik und Reproduktionsmedizin, in: Maria Beckermann/Friederike M. Perl (Hg.): Frauen-Heilkunde und Geburts-Hilfe. Integration von Evidence-Based Medicine in eine frauenzentrierte Gynäkologie, S. 922-953, hier S. 942. 12 Ebd., S. 941.

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