Zum Verhältnis von Architekt und Ingenieur Die Aufteilung der Baukunst in die zwei unterschiedlichen Spezialgebiete des Architekten und des Ingenieurs ist eine eher neuartige Entwicklung. Davor, beispielsweise im Mittelalter, waren gestalterische und technische Fertigkeiten üblicherweise in der Person des Baumeisters vereint. Die Spezialisierung fand zu dieser Zeit eher über die Unterscheidung der verschiedenen Bauaufgaben statt. So gab es also Baumeister, welche eher auf Kirchen, Wohnhäuser oder Strassen spezialisiert waren. Im allgemeinen wird die zunehmende Separierung der eigentlichen Fachgebiete erst mit der Zeit von 1750 bis 1900 in Verbindung gebracht. Mehrere Gründe führten zu dieser Entwicklung, wobei das Aufkommen von neuen Bauaufgaben und die damit verbundene Entwicklung von neuen Materialien zu den wichtigsten zählen. Dazu begünstigten grosse Fortschritte in den Berechungsmethoden der neuartigen Tragwerke ebenfalls eine immer grösser werdende Separierung der Architektur und des Ingenieurwesens.10
| vgl. Flury 2012, S. 9 | vgl. Nervi 1963, S.4 12 | Schon Jahre zuvor äusserte sich Nervi zur Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur:„Das Schwierige liegt darin, die Seele des Dichters mit dem Wissen und der Erfahrung des Technikers in Einklang zu bringen. Noch schwieriger ist es, die Umwelt zum Verständnis der Werte zu erziehen, welche aus der Verbindung von Dichter und Techniker entstehen können.“ Aus: Greco et al. 2008, S.3 13 | Beispielsweise fand im November 2011 an der ETH in Zürich die Podiumsdiskussion „Dialog der Konstruktuere“ statt. (http://www.multimedia. ethz.ch/misc/2011/bsa) 14 | Die erfolgte Unterteilung stammt vom Philosophen Christoph Baumberger. Er verfasste zu diesem Thema ein Kapitel im Buch „Kooperation“ von Aita Flury. (vgl. Flury 2012, S.57 ff.) 10 11
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Im 20. Jahrhundert entwickelten sich im Zuge der Moderne dann ganz verschiedene Strömungen der Architektur, bei welchen die Ingenieursleistungen jeweils einen sehr unterschiedlichen Stellenwert genossen. In Bezug auf das Thema der Arbeit erscheint vor allem die von Pier Luigi Nervi definierte „strukturelle Architektur“ von Bedeutung. Nervi fordert dabei im Vorwort zu seinem Buch „Neue Strukturen“ von 1963 dazu auf, dass die Architekten sich von jeglicher Reminiszenz im formalen Bereich frei machen, um sich den immer komplexer werdenden Aufgaben unvoreingenommen widmen zu können.11 Dies kann durchaus auch als ein Aufruf Nervis zur Annäherung der beiden Disziplinen verstanden werden.12 Seit der Moderne sind zahlreiche Arten der Zusammenarbeit von Architekten und Ingenieuren erprobt worden. Auch in der zeitgenössischen Architekturdebatte scheint das Thema kaum an Aktualität und Brisanz eingebüsst zu haben. Wie lassen sich sonst die zahlreichen Artikel- und Buchpublikationen, Ausstellungen oder Podiumsdiskussionen erklären, welche zum Thema der zahlreich vorhandenen Schnitt- und Berührungspunkte von Architektur und Bauingenieurswesen in den letzten Jahren stattgefunden haben?13 Im Fall von Christian Kerez und Joseph Schwartz, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, hat eine derartige Kollaboration schon zu zahlreichen, innovativen Konzepten und Projekten geführt. Grosse Beachtung erzielten sie, wie bereits vorher kurz erwähnt, zum Beispiel mit dem Wohnhaus Forsterstrasse in Zürich (2005), bei welchem sich die grundlegenden Gedanken von Trag- und Raumstruktur in einer annähernd kongruenten Art und Weise zu überlagern beginnen. Somit lassen sich nun im Wesentlichen drei unterschiedliche Arten der Zusammenarbeit von Architekt und Ingenieur definieren. Es handelt sich dabei um den Monolog, das Selbstgespräch und den Dialog.14 Sicherlich werden, insbesondere in der täglichen Praxis, auch noch zahlreiche Mischformen und Variationen ihre Anwendung finden. An dieser Stelle können sie jedoch nicht näher thematisiert werden.