6. Analyse historischer Beispiele 6.1. Aldo van Eyck - Waisenhaus Amsterdam
Das zwischen 1957 und 1960 erbaute Waisenhaus setzt viele der theoretischen Ansätze von Aldo van Eyck um. Er dachte das Haus als kleine Stadt mit dem Grundgedanken, dass die Stadt wie ein grosses Haus sein sollte.5) Er sprach dabei im Gebäudeinnern von Plätzen und Strassen. Er wollte einen fliessenden Übergang von Innen und Aussen, was er mit der Materialität und der Raumanordnung zu erreichen versuchte. Das Waisenhaus kann als Versuch gesehen werden, die Forderung nach Differenzierung und Einheit ähnlicher Module durch Rhythmisierung und Anordnung zu erfüllen. Geht man von seinem Begriff „Harmonie in Bewegung“ aus, könnte man ihn hier wie folgt erfassen. „Harmonie“ beschreibt den klaren Raster und die ähnlichen Module. „In Bewegung“ verweist hingegen auf die Anordnung und den Rhythmus der Module im Raster. Das Gebäude und seine Räume sind für das vorgesehene Nutzungsmodell flexibel bespielbar, lassen aber nicht einfach jede Nutzung zu. Aldo van Eyck verfolgt hier also ähnliche Ansätze wie Herman Hertzberger mit den polyvalenten Räumen. Er machte dazu folgende Überlegung: „Extreme Flexibilität dieser Art hätte zu falscher Neutralität geführt wie ein Handschuh, der sich für niemanden eignet, weil er allen passt“.5) Ziel des Entwurfs war es eines von van Eycks benannten Zwillingsphänomenen aufzunehmen und diese zwei Begriffe gleichwertig zu behandeln, in diesem Fall „individuell-kollektiv“. Um dies zu erreichen meinte er: „Aus diesem Gedanken ergab sich die Notwendigkeit, die Idee der Einheit mit der Idee der Vielfalt in architektonischen Begriffen zu versöhnen oder genauer, das eine mit Hilfe des anderen zu erreichen“.6) Er äusserte sich dazu weiter: „...dass Vielfalt nur durch Einheit, Einheit nur durch Vielfalt zu verwirklichen ist“.6) Die Einheit erreichte er dabei durch ähnliche Module, die vorwiegend in der Grösse variierten. Die Vielfalt erzeugte er durch die Platzierung der Module zu einem komplexen Muster innerhalb eines klaren Rasters, welches wiederum Einheit garantiert. Vielfalt wird weiter durch die innenräumlichen Verbindungen der einzelnen Module generiert. Er spricht hier mehrmals die grosse Binnenstrasse an, welche als Raum für Kommunikation dient. Er äusserte in diesem Zusammenhang eine Kritik an der damals aktuellen Städteplanung: „Die Unfähigkeit, mit Multiplizität kreativ umzugehen und der Zahl durch Artikulation und Gestaltung ein menschliches Gesicht zu geben“.7) Entwurfshaltung: Modul-Variation
5) Lüchinger 1981, S. 78 6) Ligtelijn 1999, S. 88 7) Ligtelijn 1999, S. 89
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