Struktur – Vermittler zwischen Funktion und Form?

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03.1 Archetyp Material

Smithson, Alison & Peter: Hunstanton School. Norwich UK, 1954

03.1.0 Einleitung

Phillip Johnson, amerikanischer Architekt und Architekturkritiker, erster Pritzker- Preisträger und Schüler Mies van der Rohe, bezeichnet in seinem Artikel in „the architectual review“ 05 aus dem Jahre 1960 die Hunstanton School als „das wohl ehrlichste, moderne Gebäude Englands“. Dieser Aussage wird in den vertieften Betrachtungen nachgegangen und erläutert, mit welchen Mitteln sich die Radikalität in diesem Projekt manifestiert. Alison und Peter Smithson gewannen den Wettbewerb als junges Paar. Das Areal der Hunstanton Primary School fasst mehrere Gebäude zu einem ausserordentlichen Gemenge zusammen. Die äussere Erscheinung referenziert sich, obwohl die Verfasser die Miesche Arbeit nie sahen, an das Illonois Institue of Technologie. Die Proportionierung der Geometrie, der Öffnungen und der Tragstruktur sind äusserst gelungen proportioniert. Die Hunstanton School erscheint in einem wesensgetreuem äusseren und inneren Antlitz. Jedes sichtbare Element erscheint als das was es wirklich ist und formuliert sich strukturell, funktional oder dekorativ bedingt als Teil einer integrierten Architektur. Alison und Peter Smithson entwerfen, projektieren und bauen die Hunstanton School zu Beginn der Zeit, in welcher sich nebst dem international aufkommenden Brutalismus die neue Tendenz oder Haltung der „as found“ zu entwickeln beginnt. Obschon die Dadaisten in der frühen Moderne den Wert des Vorgefundenen erkennen, greift diese Strömung erst ab den 50er Jahren. Ideale der Wahrheit und Wirklichkeit, des Hier und Jetzt, um Reales und Gewöhnliches, nicht um Utopien und Ideale. Die Suche nach den Spuren des Alltäglichen, den Spuren des Vorgefundenen zu folgen und dabei das Gewöhnliche zu entdecken und zu neuen Erkenntnissen und Ideen gelangen.

03.1.1 Betrachtung 1: Konstruktionssystem

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Die Auseinandersetzung mit dem Primärsystem und ihrer raumdefinierender Füllung setz, das Erkennen des Primärsystems voraus. Die erste Ahnung erhärtet sich in der vertiefteren Auseinandersetzung, dass das Primärsystem der Hunstanton School nicht mit entworfener / kosmetischer Reinheit brilliert. Die Tragstruktur besteht in der Konzeption aus einer filigranen Stützen- Trägerkonstruktion aus handelsüblichen Stahlprofilen, welche vor Ort zu biegesteifen, somit statisch aktiven Rahmen verarbeitet und versetzt wurden. Additional verlaufen horizontale Betonträger. An der Fassade mit U-Profilen verkleidet und im Innenraum nackt belassen, werden die Träger somit je nach Lage unterschiedlich materiell artikuliert. Um aufzuzeigen, weshalb sich die Hunstanton School klar von der amerikanischen Moderne löst, ist ein Vergleich mit anzustellen. Sind in der Miesschen Moderne, am Beispiel der Lake Shore Drive Appartements eindringlich erkennbar, immer „ehrliche“ und „richtige“ Begründungen / Antworten auf technische und ästhetische Herausforderungen vorhanden, erweckt die Hunstanton School von Peter und Alison Smithson die Ahnung von rein ehrlichen Antworten zu zeugen. Diese reine „Ehrlichkeit“ fordert den Verlust von Eleganz. Das verwendete Rahmensystem birgt bei einem rechtwinkligen Richtungswechsel Herausforderungen in sich. Peter und Alison Smithson reagieren mit zwei separaten Stützen, die durch eine feine Fuge getrennt, den Richtungswechsel vornehmen. In der Haupthalle entstehen so mehrere unterschiedliche Variationen. Sicherlich nicht elegant, jedoch mit einer technischen Ehrlichkeit behandelt und einer sozialen Ethik unterlegt.


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