30 | Migros-Magazin 27, 5. Juli 2010
Der Scharfmacher
Wenn Köche Steaks wie warme Butter tranchieren, dann war vorher Erwin Grütter im Haus. Mit seiner mobilen Werkstatt reist der 55-jährige Berner durch die Schweiz und verleiht den Messern von Hotels und Restaurants den nötigen Feinschliff.
W
er kennt die Szene im schicken Restaurant nicht: Die Tomate leuchtet in knackigem Rot, das Steak lockt in knusprigem Braun, doch das Messer scheitert kläglich. Es ist stumpf, zerdrückt das Gemüse und zerfetzt das Fleisch. «Das darf nicht sein», sagt Erwin Grütter (55) aus Brügg BE. «Das Tischmesser ist doch die Visitenkarte jedes Gastgewerbebetriebs.» Interieur, Geschirr und Gerichte seien in den Luxustempeln meist vom Feinsten, aber beim Esswerkzeug werde gespart, man lasse es oft verlottern. «Ein Missstand!» Der bullige Mann mit den starken Armen ist vor zwei Jahren ausgezogen, um diesen Missstand zu bekämpfen. Er reist durch die Schweiz, um den Visitenkarten der Hotels und Restaurants den letzten Schliff zu geben. Erfolgsgarant dafür, ein guter Messerschleifer zu sein, ist vorab sein scharfes Auge. Dazu gehören auch eine ruhige Hand und ein Schleifmaschinenpark. «Der ist so teuer wie ein Mittelklassewagen.»
Meist schleifen nur noch Fahrende die Messer
Seine Schleifmaschinen hat Erwin Grütter in einen Autoanhänger gepackt und dort zu einer mobilen Werkstatt umgebaut. Die zieht er mit seinem Subaru von Spital zu Altersheim und von Hotel zu Restaurant. Er ist zwar ein Schleifer auf Stör, aber als Zigeuner, der Klingen putzt, sieht er sich nicht. Auch wenn diese Arbeit meist nur noch von Fahrenden gemacht wird. Wie diese schleift auch Erwin Grütter vor Ort, denn nicht nur verwöhnte Hotelgäste danken es ihm. Vor allem die Köche honorieren es, wenn sie ihre Rüst- und Schneidemesser nach Schliff und
Manchmal steht Erwin Grütter tagelang in seiner mobilen Werkstatt und schleift Messer um Messer. Wie hier vor dem «Palace» in Gstaad.
Politur gleich wieder im Einsatz haben.«MeineZeitistderenGeld!», weiss Grütter – und Kundennähe die Stärke des Schleifers. Das schätzen bereits die Küchenchefs von rund 30 Luxushotels, wie etwa dem «Viktoria Jungfrau» in Interlaken oder dem «Palace» in Gstaad. «Erwin Grütter macht einen präzisen und guten Job», lobt PalaceKüchenchef Peter Wyss. Der
59-Jährige, der einst im Pariser «Ritz» die Haute-Volée verwöhnte, ist seit 35 Jahren im Berner Jetsetdorf. Er leitet im «Palace» die 50-köpfige Küchenbrigade. «Da hat jeder seine eigenen Messer, das ist eine sehr persönliche Sache.» Dem Koch ist sein Tranchiermesser was dem Formel-1-Piloten sein Rennwagen: das wichtigste Werkzeug. Jeder schwört dabei auf