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Der Feminist
«Männer hören leider mehr auf Männer»
Sasha Rosenstein und sein Verein «Die Feministen» möchten mehr Männer für die Gleichstellung sensibilisieren – auch zu ihrem eigenen Vorteil. Doch es ist gar nicht so leicht, Männer zu erreichen, die ein traditionelles Rollenbild haben.
Text: Ralf Kaminski Bilder: Laurent Burst
Die Gleichstellungsbibliothek im Zürcher Stadthaus ist fast komplett besetzt. Rund 40 Personen, zur Hälfte männlich, sind gekommen, um zwei Männern zuzuhören, die sich beide als Feministen bezeichnen und an diesem Abend Anfang Oktober über «Kritische Männlichkeit» diskutieren: Sven Broder (46), Mitglied der Chefredaktion der Frauenzeitschrift «Annabelle», und Sasha Rosenstein (27), Co-Leiter und Mitgründer des Vereins Die Feministen.
Broder hatte im April in der «Annabelle» einen Beitrag mit dem Titel «Es ist unfair, pauschal auf uns Männer einzuprügeln – und gefährlich» publiziert. Seine These lautet: Männer, die sich bedrängt fühlen, schalten sofort auf Abwehr, statt sich auf die sehr berechtigten Gleichstellungsargumente einzulassen.
Rosenstein sieht das ein bisschen anders: «Erst wenn es ungemütlich wird, fängt man an, sich über seine Privilegien Gedanken zu machen.» Provozieren und anecken gehöre deshalb dazu – aber nur die Moralkeule zu schwingen, bringe nichts.
Die beiden gehören unterschiedlichen Generationen an, teilen jedoch das gleiche Ziel: Gleichstellung für alle, egal, welchem Geschlecht oder welcher sexuellen Orientierung sie angehören. Lediglich bei den Mitteln gibt es Differenzen.
Am Ende diskutiert das Publikum mit – und es wird klar: Auch bei den Männern im Raum rennen die beiden Feministen offene Türen ein. Die eigentliche Zielgruppe ihrer Botschaft zu erreichen, sei hingegen eine Herausforderung, sagt Sasha Rosenstein später: Männer mit traditionellen Rollenbildern, die sich nur schon mit allzu offensiv verwendeter politisch korrekter Sprache schwertun oder sich sogar als
Sasha Rosenstein Sasha Rosenstein im Gespräch mit anderen Feministen an einer Retraite des Vereins
Opfer der Gleichstellungsbemühungen fühlen.
Sasha Rosenstein ist in einer jüdischen Familie aufgewachsen, mit einer vielfach engagierten, emanzipierten Mutter und einer älteren Schwester. «Wohl auch deshalb ist es für mich so selbstverständlich, dass Frauen die gleichen Möglichkeiten haben müssen.» Der Politikwissenschaftler arbeitet bei Alliance F, dem Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, an einem Projekt gegen Hate Speech und wohnt mit einer Kollegin in einer WG in Zürich.
Offenheit ist entscheidend Der Feministen-Verein entstand im Sommer 2018 ziemlich spontan am Ende einer Weiterbildungswoche für kleinere NGOs. Inzwischen besteht er aus etwa 290 Mitgliedern, verteilt auf vier Regionalgruppen in Zürich, Bern, Basel und neu St. Gallen. Rund 70 Prozent sind männlich. Die Regionalgruppen organisieren Diskussionsrunden zu Themen wie «Männlichkeit und Zärtlichkeit», «Machismo» oder «Dürfen Männer schwach sein?», ab und zu gekoppelt mit einem Filmabend oder einer Lesung. Auch in den sozialen Medien ist der Verein aktiv.
Die meisten heterosexuellen Männer seien sich gar nicht bewusst, welche Privilegien sie nur schon dank ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orientierung hätten, sagt der heterosexuelle Mann Rosenstein. «Das ist auch ganz natürlich, weil sie die negativen Erfahrungen, die Frauen oder queere Menschen machen, selbst nicht kennen und damit nie konfrontiert sind. Deshalb ist die Offenheit so wichtig, diesen zuzuhören, wenn sie davon berichten.» Zum Beispiel wie es ist, Angst zu haben, wenn man sich nachts allein auf den Heimweg macht.
Wie also kommt man an die Männer mit den traditionellen Rollenbildern ran? «Wir müssen sie dort abholen, wo sie sind», erklärt Rosenstein, «inhaltlich wie sprachlich. Nur so haben wir eine Chance, dass sie uns zuhören.» Je nach Thema und Veranstaltungsort kämen schon mal 100 bis 150 Leute, sagt Rosenstein. «Besonders in St. Gallen erreichen wir auch Männer ausserhalb der urbanen, akademischen Blase.»
Die entscheidende Voraussetzung für fruchtbare Gespräche sei Offenheit. «Für andere Lebenskonzepte, andere Weltbilder, andere Erfahrungen.» Der nächste Schritt sei das Hinterfragen eigenen Verhaltens und gewisser Gewohnheiten, etwa: «Nehme ich zu viel Raum ein und lasse andere zu wenig zu Wort kommen? Benehme ich mich anderen gegenüber gelegentlich übergriffig?»
Auch Männer brauchen Hilfe Die Reaktionen auf den Verein seien gemischt gewesen, erzählt Rosenstein. «Die älteren Feministinnen fanden es super und sahen es als Erfolg ihrer Arbeit, dass sich nun auch Männer engagieren. Einige jüngere reagierten skeptisch.» Das habe sich jedoch inzwischen gelegt. Auch aufgrund der Einsicht, dass sie als Männer einen anderen, besseren Zugang zu ihrer Zielgruppe hätten. «Es ist leider so: Männer hören mehr auf Männer.» Und während Feministinnen sich mit allerlei Spott und Vorurteilen rumschlagen müssten, erhalte man als feministisch engagierter Mann viel anerkennendes Schulterklopfen – oft auch unverdient.
Rosenstein räumt ein, dass der Vereinsname bei der anvisierten Zielgruppe eher abschreckend wirken könnte. «Für die PR jedoch war er sehr effektiv – wir bekamen deshalb mehr Medienaufmerksamkeit als uns lieb war. Inzwischen sagen wir bei vielen Anfragen ab.» Umso wichtiger ist es dem Co-Leiter des Vereins zu betonen, dass gerade auch Männer von mehr Gleichstellung profitieren können. «Viele leiden
genauso unter dem Patriarchat wie Frauen, und fühlen sich in traditionellen Rollenbildern gefangen, die sie einschränken. Zum Beispiel die Vorstellung, dass Männer genügend Geld verdienen müssen, um eine Familie ernähren zu können.»
Wie sehr auch Männer litten, zeige die höhere Suizidrate, was oft mit psychischen Problemen zu tun habe, über die viele ungern redeten.
Stets an sich arbeiten «Wenn wir an unseren Veranstaltungen über die Nachteile und Herausforderungen von Männlichkeit sprechen, stossen wir auf offene Ohren.» Kontraproduktiv hingegen sei es, allzu verbissen zu wirken. «Würden wir bei jeder Wortmeldung auf absoluter sprachlicher Korrektheit bestehen, kämen wir wohl nicht weit», sagt Rosenstein, der den Genderstern konsequent mit kurzer Pause mitspricht – etwa «Student-innen» – und gelegentlich Begriffe wie «weiblich gelesene Person» statt «Frau» verwendet. Überhaupt überdecke der Streit um die Sprache zu oft die Gleichstellungsanliegen. «Das sollten wir vermeiden. Stattdessen sollten wir eine tolerante Fehlerkultur leben.»
Feminist zu werden, sei jedoch mit viel Arbeit verbunden. «Man muss sich stets kritisch hinterfragen und lang eingespieltes Verhalten ändern.» Er selbst habe die Werte zwar inzwischen so verinnerlicht, dass er sie oft automatisch lebe. «Aber manchmal vergesse ich, welche natürlichen Privilegien ich nur dadurch habe, dass ich ein Mann bin. Daran arbeite ich noch.» Sein Engagement ist ihm umso wichtiger, als er derzeit einige Gefahren sieht. «In den vergangenen 20 Jahren gab es bei der Gleichberechtigung echte Fortschritte, weshalb es sein könnte, dass wir bald ein Plateau erreichen, wo sich nicht mehr viel bewegt.» Umso mehr, als die zahlreichen aktuellen Krisen sehr viel Energie und Aufmerksamkeit raubten.
«Aber es gibt auch beunruhigende Tendenzen in vielen Demokratien, wo rechte oder illiberale Politiker an die Macht kommen, die ein Gesellschaftsbild aus den 50er-Jahren vertreten. Da müssen wir mit aller Kraft dagegenhalten.» Die Arbeit, so viel ist klar, wird den Feministen so bald nicht ausgehen. MM
Sasha Rosenstein Verein «Die Feministen»
Mehr Infos: feministen.ch
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