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Smartphone als Babysitter
Ein Kleinkind mit Handy? Da ernten Eltern schnell einmal böse Blicke.
Philipp Wampfler (44) ist Medienpädagoge und Vater von drei Kindern im Alter von 12, 11 und 9 Jahren.
Bild: Getty Images
Passagieren ist es rücksichtsvoll, ein Kind mit dem Handy ruhigzustellen. Medienpädagogisch ist es aber nicht optimal. Da wäre es besser, sich Gedanken zu machen, was ein sinnvoller Inhalt ist, und das Kind beim Spiel oder Filmchen zu begleiten. Das ist nicht sehr realistisch im vollen Bus. Genau. Auch Erwachsene fixieren in dieser Situation ihr Smartphone, um die Sinnesüberforderung auszublenden. Natürlich gibt es auch immer diejenigen, die den Kopf schütteln, wenn sie ein Kind im Buggy mit einem Handy in der Hand sehen. Das gilt als moralisch verwerflich. Ich vergleiche Medienkonsum gern mit Essen. Es gibt Gesünderes als eine Portion Pommes frites. Aber wenn man unterwegs ist und das Kind den Falafel nicht anrühren würde, sind die Pommes in diesem Moment die bessere Lösung. Genauso wie Kinder nicht ständig Pommes essen sollten, sollten Eltern sie nicht ständig mit einem Handy ruhigstellen. Zudem ist entscheidend, was ein Kind auf dem Handy macht. Was empfehlen Sie? Schaut ein Kind Fotos von einem Ausflug an, kann es die Erinnerung daran aufleben lassen und diesen schönen Tag verarbeiten. Das ist sogar gut für seine kognitive Entwicklung. Umso mehr, als Bilder von gemeinsamen Erlebnissen oft zu Gesprächen führen. Bei eigenen Bildern weiss man auch ganz genau, was sich die Kinder ansehen. Sie sind keiner unberechenbaren Dynamik ausgesetzt. Viele Spiele und Filmli sind zu schnell und überfordern kleine Kinder.
Was halten Sie davon, wenn Eltern Zeit am Bildschirm als Belohnung oder Bestrafung einsetzen? «Wenn du den Tisch deckst, darfst du eine Folge ‹Paw Patrol› schauen.» Belohnen und Bestrafen sind generell problematisch in der Erziehung. Und oft funktionieren solche Ansätze schlecht. Die Konsequenz einer Strafe müsste mit dem Vergehen zusammenhängen und unmittelbar erfolgen, sonst erkennen Kleinkinder keinen Zusammenhang. Ich finde es nicht sinnvoll, Medienzeit an Pflichten im Haushalt zu knüpfen. Medienzeit sollte kein Machtmittel sein.
Wie organisiert man die Medienzeit denn am besten? Sie sollte in einen Tagesablauf eingebettet sein, der immer gleich ist. Beispielsweise darf das Kind immer nach dem Zähneputzen eine Folge seiner Lieblingsserie schauen. Viele Kinder freuen sich den ganzen Tag auf dieses Zeitfenster. Weshalb eigentlich? Schauen Kinder Filme oder gamen am Bildschirm, wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Meist werden in altersgerechten Serien auch Probleme gelöst, und zum Schluss gibt es ein Happyend. Das fühlt sich gut an. Gleichaltrige Kinder schauen sich oft dieselben Serien an und sprechen darüber; das verbindet. Für viele Kinder wirkt ein kurzer klarer Fokus am Bildschirm auch entspannend. Manche Kinder essen nur, wenn sie gleichzeitig auf einen Bildschirm schauen. Wie beurteilen Sie das? Dabei handelt es sich um Extremfälle. Ich nehme an, die Eltern haben das in einem Moment der Überforderung
zugelassen, es hat funktioniert und sich eingeschliffen. Leider beschäftigen sich Eltern, die solche Muster beibehalten, nicht mit Fragen rund um die Medienzeit. Alle anderen tun das …
… und haben oft ein schlechtes Gewissen, wenn ihre Kinder am Handy oder Tablet sind. Ob Vierjährige nun 20 oder 40 Minuten am Tag vor einem Bildschirm sitzen, ist nicht entscheidend. Es braucht klare Abmachungen und immer gleiche Abläufe. Man sollte das Thema nicht so moralisch aufladen. Bildschirmzeit sollte für alle eine Entlastung bedeuten, nicht Stress. Einige Apps fördern das mathematische Denken, in Filmen wird nebenbei Englisch vermittelt. Finden Sie das sinnvoll? Medien sind mit Lernen verbunden. Kinder eignen sich auch Fertigkeiten an, wenn man nicht daran denkt. Sammeln sie PokémonKarten, lernen sie rechnen, strategisch denken, verhandeln. Man sollte das Lernen nicht zu sehr in den Fokus stellen. Kinder lernen am und ohne Bildschirm, darauf kann man vertrauen. Wichtig ist, dass man ihre Interessen begleitet. Wann schadet Kindern der Medienkonsum? Was nicht altersgemäss ist, schadet. Inhalte, die ein Kind nicht verstehen und bewältigen kann, erzeugen Stress. In der Regel funktionieren Serien wie «Pingu», «Barbapapa» oder «Paw Patrol» gut, weil sie immer gleich ablaufen und berechenbar sind. Das Repetitive ist nervig für die Eltern, aber gut für die Kinder. Zu viel Zeit am Bildschirm schadet ebenfalls.
Warum eigentlich? Schaut ein Vierjähriger zwei Stunden am Stück allein auf einen Bildschirm, spürt er seine Bedürfnisse nicht mehr. Die Lust, sich zu bewegen, mit anderen zu spielen und sich auszutauschen, wird überdeckt. Er geht nicht mehr achtsam mit sich um. Sind Eltern aufmerksam, merken sie, wenn ihre Kinder vor dem Bildschirm unruhig werden und der Moment gekommen ist, etwas anderes zu tun. Aber auch wenn die festgelegte Bildschirmzeit 20 oder 30 Minuten beträgt, darf man als Familie Ausnahmen machen und gemeinsam einen Spielfilm schauen.
Viele Eltern wüssten gern genau: Wie viel Zeit am Smartphone ist für welches Alter angemessen? Das lässt sich zeitlich nicht fixieren, weil sich Kinder und Situationen unterscheiden. Kleine Kinder können sich oft nicht länger als zehn Minuten konzentrieren – das betrifft dann auch die Handynutzung. Eine genaue Abstufung und Einteilung ist nicht sinnvoll, weil die Nutzung so unterschiedlich ist. Ab welchem Alter darf man Kindern denn ein Handy in die Hand drücken? Das hängt davon ab, wie und ob ein Kind begleitet wird. Bilder anschauen und darüber reden können Zweijährige, selbständig Apps benutzen nicht. Ich würde darauf achten, wie das Kind reagiert: Ist es zufrieden, ruhig – oder gestresst und überfordert?
Warum ist dieses Thema so moralisch aufgeladen? Menschen bewerten immer moralisch. Ältere Leute sind noch ohne Bildschirm auf gewachsen und beurteilen sie deshalb oft noch strenger. Viele Eltern fragen sich auch: Handhabe ich Medienzeit richtig? Sie hinterfragen auch ihre eigene Smartphonenutzung kritisch und rechtfertigen diese. Fühlen sie sich unsicher, kann der Gedanke beruhigend sein: «Vielleicht mache ich nicht alles richtig. Aber besser als die der anderen sind unsere Regeln und Abmachungen auf jeden Fall.» MM
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