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Der andere Blick
Fröhliche Weihnukka!
Dies ist die letzte Kolumne des Zürcher Schriftstellers Thomas Meyer (47) im Migros-Magazin. Wir danken ihm für die Einblicke in sein jüdisches Leben. Sein neues Buch «Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?» handelt vom Antisemitismus im Alltag.
Anzeige DER ANDERE BLICK Die Information, dass sie gerade vor einem Juden stehen, überfordert viele Menschen: Die einen reagieren derart betroffen, als hätte man ihnen mitgeteilt, dass man an Krebs erkrankt sei. Andere schmeissen hysterisch mit Komplimenten um sich, um ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass sie möglicherweise etwas gegen Juden hätten: Ach, ein Jude? Super! Ihr seid sehr erfolgreich! Und schliesslich gibt es solche, die offenbar überhaupt keine Mühe mit diesem Verdacht haben und einen für die israelische Politik tadeln. Ich sage Ihnen: Man hat es nicht leicht als Jude oder als Jüdin. Besonders in der Weihnachtszeit nicht. Und erst recht nicht als unreligiöser Jude. Das verwirrt die Menschen noch viel mehr: Da wünschen sie einem im Sinne der Völkerverständigung freundlich ein fröhliches Chanukka-Fest – und was tut der Jude? Weist sie knapp drauf hin, dass er mit jüdischen Traditionen nichts am Hut habe! Er feiere aber seit jeher Weihnachten, sagt er. Will der uns veräppeln? Ist er am Ende gar kein Jude? Wer sich Jude nennt, hat sich gefälligst vollständig wie einer zu benehmen, sonst sind wir verwirrt! Es reicht doch, dass er keine Kippa trägt – was muss er jetzt auch noch Weihnachten feiern! Nun, ich verstehe die Konfusion, kann aber wirklich nichts dafür. Mein Vater ist nun mal nicht jüdisch, bei den Meyers wird also seit Jahrhunderten Weihnachten gefeiert, und auch wenn meine Mutter jeweils einen Chanukka-Leuchter aufstellte, ist ja wohl klar, was ein Kind geiler findet: das nüchterne Metallding mit den acht kleinen dürren Kerzlein oder die wohlriechende Tanne, an der Dutzende fetter Kerzen und lauter Lamettafäden hängen und die über einen Haufen bunt verpackter Geschenke wacht, als wäre man in einem Zauberwald über einen versteckten Schatz gestolpert. Meine Meinung war schnell gemacht. Sorry, Judentum! Und so blieb es dann auch. Ich fühle mich jüdisch, weil mir ja auch gar nichts anderes übrig bleibt, und weil der Antisemitismus mich immer wieder auffordert, Stellung zu beziehen. Aber die andere Hälfte meiner Ahnen ist christlich, und praktisch mein gesamtes Umfeld ist es auch. Ich fühle also auch in diese Richtung. Vor allem im Dezember. Das Ergebnis nennt sich Weihnukka. Es ist die Festlichkeit, die weltliche Jüdinnen und Juden in diesen Tagen ergreift, doppelt genährt aus der eigenen Identität und jener um sie herum. Das ist das beste aller Geschenke. MM
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