Migros-Magazin-49-2019-d-VS

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SCHULE | 2.12.2019 | 29

dass wir entscheiden, welchen Stoff wir den Schülern beibringen, wann die Schule beginnt oder Ferien sind. Dabei bestimmt das die Politik. Es ist ja nicht so, dass nur der Lehrerberuf anstrengend ist. Jeder, der arbeitet, ist am Abend «uf de Schnurre». Das wissen wir. Uns macht man aber für alles verantwortlich, wenn es in der Schule nicht gut läuft. Interessanter­ weise wollen viele Menschen den Lehrerberuf nicht ausüben – trotz der vermeintlich vielen Ferien. Ihr Vorgänger, Beat W. Zemp, sagte in seinem letzten Interview: «Es gibt keinen Lehrermangel.» Eine überraschende Aussage. Kommt darauf an, wie man das inter­ pretiert. Beat W. Zemp meinte damit, dass man immer irgendjemanden ­findet, der sich vor die Klasse stellt. Die Kantone sagen deshalb oft: Wir haben alle Stellen besetzt. Sie ­sagen bloss nicht, wie oder mit wem. Also herrscht ein Mangel an gut ausgebildetem Lehrpersonal? Genau. Bis jetzt hat man meistens ­jemanden gefunden, der notfall­ mässig einspringt. Wer ist denn «jemand»? Es können Studenten sein, solche von der Pädagogischen Hochschule (PH) oder andere. Oder pensionierte ­Lehrer und Lehrerinnen. Auch Zivildienstleistende? Eher selten, da sie keine pädagogi­ schen Aufgaben übernehmen dürfen. Ich habe auch schon gehört, dass man den Hauswart für den Werkunter­

«Die meisten Lehrer leiden unter der Art, wie man mit ihnen umgeht.»

richt eingesetzt hat. Nichts gegen Hauswarte, die haben wichtige Funk­ tionen. Aber das ist hochbrisant, wenn es um die Unterrichtsqualität geht. Wenn diese nicht stimmt, sind wieder die Lehrer schuld. Wie wollen Sie wieder mehr ­Menschen mit den nötigen Quali­ fikationen in den Beruf bringen? Man muss erstens das Image auf­ werten und zweitens die Ausbildung. Die Dauer der Bachelor-Ausbildung reicht nicht mehr aus, um alle Fächer zu studieren. Die Studenten müssen Fächer abwählen – zum Beispiel ­Turnen. Wird aber jemand als Lehrer angestellt, kann sie oder er nicht ein­ fach sagen: «Ich kann keinen Turn­ unterricht geben.» Auf Primarstufe müssen möglichst alle alles unter­ richten können. Was geschieht dann? Man muss in Form von Weiterbildung die fehlenden F ­ ächer nach­holen – nach der PH, neben dem Job. Das ist einfach nicht realistisch. Ich bin der Meinung, es braucht eine Master­ ausbildung für Primarlehrerinnen und Primarlehrer. Einen Master? Fürchten Sie nicht, dass dann noch weniger Menschen Primarlehrkraft werden wollen? Nein. Es ist so: Je anspruchsvoller eine Ausbildung ist, desto attraktiver wird der entsprechende Beruf. Die Akademisierung soll also auch helfen, zum Beispiel junge Männer anzuziehen, die mit diesem Beruf mehr Prestige verbinden? Das ist meine Hoffnung. Und die Entlöhnung wäre auch ­besser? Ganz genau. Die Schweiz ist Schlusslicht bei der Lehrerausbildung: In keinem Land durchlaufen angehende Lehrkräfte eine so kurze Ausbildung. Europaweit vermutlich nicht. Jeden­ falls ist die Schweiz das einzige Land in Europa, in dem die Lehrer keinen Master haben. Es ist mir bewusst, dass die längere Ausbildung auch


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