Migros-Magazin-47-2023-d-ZH

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24 | 20.11.2023 | GESELLSCHAFT

Träume sind Schäume? Falsch! Sechser im Lotto, Weltreise, mehr Freizeit: Das wünschen sich ­Schweizerinnen und Schweizer, wie unsere ­Umfrage zeigt. ­Wunschforscher Sebastian Kernbach weiss, was hinter solchen ­Sehnsüchten steckt – und wie man sie tatsächlich realisiert. Text: Kian Ramezani

Sebastian Kernbach, gemäss einer Umfrage des Migros-­ Magazins träumen viele ­Menschen vom Lottogewinn. Überraschend? Nein, der Sechser im Lotto ist ein Klassiker, ebenso wie die Weltreise. Überraschend und auch beruhigend finde ich, dass nur drei Prozent von einem ­Promileben träumen. In anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, wären das viel mehr. Die entscheidende Frage ist: Was verbinden die Menschen eigent­ lich mit diesem Lottogewinn? Viel Geld? Vordergründig, ja. Damit kann man sich schöne Dinge kaufen, die man schon immer wollte. Im Kern dürfte es bei vielen aber um etwas anderes gehen: mehr Selbstbestimmung und weniger Fremdbestimmung. Der Geld­ segen steht für einen Freiheits­ gewinn oder sogar fürs Nichts­ tun. Der Mensch ist aber nicht gemacht fürs Nichtstun, daher auch die vielen Geschichten

«Der Mensch ist nicht fürs Nichtstun gemacht.» Sebastian Kernbach Leiter des Life Design Lab an der Universität St. Gallen

über Lottomillionäre, die später in Depressionen, Alkoholismus und sogar Schulden abgleiten. Was sagen Sie den Menschen in Ihren Seminaren, damit das nicht passiert? Ich rate immer, den eigenen Träumen mit Neugier und Wert­ schätzung zu begegnen. Und sage: Erzähl mir mehr. Je mehr man erfährt, desto besser ver­ steht man, welche Bedürfnisse hinter diesen Träumen wirklich stecken könnten. So tun sich

Optionen auf, um sie zu verwirk­ lichen. Ich hatte einen 80-jähri­ gen Kursteilnehmer, der seit ­seiner Kindheit SAC-Bergführer werden wollte. Das geht wohl nicht. Im Gespräch haben wir heraus­ gefunden, dass er gern in den Bergen ist, Verantwortung über­ nimmt und unter Leuten ist. An diesem Punkt ist Kreativität gefragt: Welche kleineren Ver­ suchsballone können wir ent­ wickeln? Wir nennen das Proto­ typing. Wie kann man den grossen Traum im Kleinen aus­ probieren? Mit weniger Risiko bezüglich Zeit und Geld. Wir ha­ ben dann ein Aufwärmwochen­ ende in den Bergen für ihn ge­ bucht, zwei Tage seines Lebens, Kostenpunkt 400 Franken. Hat er es gemacht? Ja. Und danach wusste er, dass er körperlich tatsächlich nicht mehr SAC-Bergführer werden kann. Aber er traf dort Leute, die ihm von Wanderwegpartner­


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