Migros Magazin 41 2010 d BL

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MENSCHEN JUGENDGEWALT

Simon Akermann (20)

Friedlicher Abend endet für Simon mit Darmriss und Hirnverletzung

V

or gut einem Jahr wurde Simon Akermann ein rund vier mal fünfzehn Zentimeter grosses Kunststoffstück in die Schädeldecke eingefügt. Es war dies die elfte Operation, seit er im September 2007 am Ufer des Zürichsees spitalreif geschlagen worden war. «Ich habe nur winzige Erinnerungsfetzen an den Überfall», sagt der junge Mann, zuckt wie entschuldigend die Achseln und lächelt. Er und sieben Kollegen aus seiner Gymiklasse werden an dem Sommerabend von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen. Einer der Angreifer tritt Simon erst in die Magengrube, dann zieht er ihm eine Flasche über den Kopf. Im Spital stellt man eine Hirnverletzung und einen gerissenen Dünndarm fest. Die Ärzte öffnen die Schädeldecke, damit das angeschwollene Hirn keinen Schaden nimmt. Akermann schwebt in Lebensgefahr. Im Gegensatz zu ihrem Sohn erinnern sich seine Eltern sehr gut an jene Nacht: «Morgens um halb zwei rief die Polizei an», erzählt die Mutter. Erst am nächsten Morgen konnten sie und ihr Mann ihren Sohn sehen, er lag im Koma. Die Ärzte sprachen von einer 50-prozentigen Überlebenschance und erklärten, dass der Junge mindestens motorische Schäden davontragen würde. Oliver, Simons zwei Jahre älterer Bruder, sagte: «Simi schafft das, der ist hart im Nehmen.» Nach zwei Wochen und sechs Operationen holte man den Jugendlichen aus dem Koma. Er

hatte 15 Kilo abgenommen und musste monatelang einen Helm tragen, um den offenen Schädel zu schützen. «In dieser Zeit hatte ich dauernd Angst, es würde mir etwas auf den Kopf fallen», sagt Akermann, «aber mit dem Verstand habe ich die Angst besiegt.» Sein Zustand verbesserte sich langsam, mit Hilfe seiner Schule kämpfte er sich zurück in seine Klasse und bestand im Sommer 2009 sogar die Matur.

Der Täter empfindet seine Strafe als gemütlich

Heute, sagt Akermann, lebe er wieder ein normales Leben ohne Beschwerden. «Ich gehe wieder aus wie früher und meide Streit wie früher.» Die Ärzte sprechen von einem medizinischen Wunder. Weniger zufrieden ist die Familie damit, wie es dem Täter erging. Die Richter hätten sich bei der Gerichtsverhandlung im Frühling 2009 die Aufgabe nicht leicht gemacht. Dass aber der Täter – inzwischen 19-jährig – im halboffenen Vollzug sitzt und dies nach eigenen Aussagen gemütlich findet, stösst ihnen bitter auf. Dennoch: Nur echte Einsicht würde helfen, finden die Eltern, härtere Strafen nützten nichts. Simon denkt nur noch selten zurück. Bis heute ist es ihm ein Rätsel, wieso er und seine Freunde attackiert wurden. Einzige nachhaltige Folge der Gewalttat: Seit Akermann sich so intensiv mit medizinischen Fragen auseinandersetzen musste, fasziniert ihn Medizin. Nächstes Jahr möchte er ein Medizinstudium beginnen.

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